Bundesgerichtshof entscheidet zur Verkehrssicherungspflicht auf Bahnsteigen — Neue Erkenntnisse bringt die Entscheidung aber nicht!

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.1.2012 — Aktenzeichen: X ZR 59/11

Sachverhalt
Ein Fahrgast war aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig gestürzt und hat sich verletzt. Der Bahnhof steht im Eigentum der DB Station & Service AG; diese hatte die Reinigung und den Winterdienst auf die DB Services GmbH übertragen; diese wiederum hatte ein weiteres Unternehmen mit dem Winterdienst betraut. Der Fahrgast erwarb seine Fahrkarte bei der DB Fernverkehr AG. Der Fahrgast nahm wegen seines Schadens die DB Fernverkehr AG, von der er die Fahrkarte erworben hat, und die DB Services GmbH auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage gegen die DB Fernverkehr AG durch Teilurteil ab. Dies war unzulässig, wie OLG Hamm und BGH nun entschieden.

Entscheidung
Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen sei — so der BGH — aufgrund eines Personenbeförderungsvertrages verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen, sondern auch den Zu- und Abgang. Trotz der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Beförderungsvertrages gehalten, Bahnanlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, bereit zu stellen und verkehrssicher zu halten. Dies ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das diese Bahnanlagen aufgrund eines Stationsnutzungsvertrages mit dem Infrastrukturunternehmen nutzt, im Zusammenwirken mit diesem möglich. Wird diese Pflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und hat ein etwaiges Verschulden des Eisenbahninfrastrukturunternehmens — im Fall der Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf weitere Dritte deren Verschulden – in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).

Praxishinweis
Neue „bahnbrechende“ Erkenntnisse bringt die Entscheidung nicht. Letztlich bestätigt der BGH nur, dass es neben der deliktischen Haftung auch eine vertragliche Haftung gibt, bestätigt also den haftungsrechtlichen Grundsatz, der seit jeher gilt: Der Vertragspartner haftet seinen Kunden; soweit der Vertragspartner – wie oft — seine (Streu)Pflichten auf einen Dritten, den sog. Erfüllungsgehilfen, übertragen hat, muss er sich dessen Verschulden als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Auch dies ist nicht neu.

Im Ergebnis haftet der Vertragspartner des Fahrgastes; dieser wird sich allerdings bei dem Unternehmen schadlos halten können, welches im Innenverhältnis mit dem Winterdienst beauftragt worden war.

Nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof, was gilt, wenn der Geschädigte keinen Vertrag geschlossen hat bzw. schließen wollte, etwa weil er sich nur deshalb im Bahnhof aufhält, um sich aufzuwärmen oder aus sonstigen Motiven. Hier dürfte eine vertragliche Haftung nicht greifen, so dass es bei der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB bleibt.

Nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof auch, in welchem Umfang den Fahrgast ein Mitverschulden trifft. Dies wird nun im weiteren Verlauf des Verfahrens in den unteren Instanzen geklärt.

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