Büroorganisation des Rechtsanwalts (Fristenmanagement, Kontrolle der Mitarbeiter, Mandatsweitergabe, Wiedereinsetzung)

Bundesgerichtshof — Aktenzeichen: Beschluss vom 09.05.2019 – Aktenzeichen: IX ZB 6/18

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit der Büroorganisation eines Rechtsanwaltes auseinandergesetzt, wieder einmal anlässlich einer missglückten Berufungseinlegung; hier allerdings in der Konstellation, dass für die Berufungsinstanz das Mandat einer selbständigen Kollegin übertragen wurde. Insbesondere mit den Anforderungen an die Übertragung des Mandats setzt sich der BGH auseinander.

Sachverhalt
Nachdem das erstinstanzliche Urteil am 28.06.2017 zugestellt wurde, gab der zuständige Rechtsanwalt seiner nichtanwaltlichen Mitarbeiterin die mündliche Anweisung, die Berufungsfrist (zutreffend) auf den 28.07.2017 zu notieren und eine Vorfrist am 24.07.2017 einzutragen. Die Mitarbeiterin des Rechtsanwaltes hat die Berufungsfrist (falsch) für den 08.08.2017 notiert. Dies fiel nicht auf.

Es kam zu der Entscheidung, dass das Ureil mit der Berufung zur Überprüfung gestellt werden solle. Der Rechtsanwalt wollte die Berufungsinstanz allerdings nicht selbst durchführen, sondern eine Kollegin darum bitten. Er bat daher die Mitarbeiterin, bei der Kollegin telefonisch anzufragen. Diese erklärte sich zur Übernahme des Mandats in der Berufungsinstanz bereit. Als Datum des Endes der Berufungsfrist wurde ihr der 08.08.2017 telefonisch mitgeteilt. Die Akten wurden in der Zeit vom 24.07. bis 28.07. der Rechtsanwältin übermittelt.

Wegen eines familiären Schicksalsschlags in der Nacht zum 23.07.2017 (Versterben der Mutter) war die Rechtsanwältin in der Folge stark belastet, bemühte sich aber noch um einen Abgleich der Fristen bezüglich der Akten, die sie von dem Rechtsanwalt erhalten hatte. Dafür telefonierte sie mit der Mitarbeiterin. Hier wurde ihr mitgeteilt, dass das ihr genannte Datum (08.08.2017) das Fristende zur Einreichung der Berufungsbegründung sei.

Als die Rechtsanwältin dann Fristverlängerung zur Begründung der Berufung beantragte, fiel auf, dass eine Berufung bis dahin gar nicht eingelegt worden war.

In Anspruch wurde der Rechtsanwalt genommen, der erstinstanzlich tätig war und dessen Büro die Kollegin „fehlerhaft“ mit der zweiten Instanz beauftragen wollte.

Entscheidung

1. Büroorganisation

a. Vorfristen

Das Notieren einer Vorfrist ist nicht erforderlich. Wird überobligatorisch eine Vorfrist notiert, verschärft dies nicht die Sorgfaltspflichten.

b. mündliche Einzelanweisungen allgemein

Grundsätzlich braucht ein Rechtsanwalt nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen und kann darauf vertrauen, dass eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen richtig befolgt.

c. strenge Maßstäbe bzgl. der Berufungsfristen

Das Fehlen jeglicher Sicherung bei der mündlichen Vermittlung der Notierung der Berufungsfrist stellt einen entscheidenden Organisationsmangel dar. Der Anwalt muss die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung einer Frist, ihrer Notierung auf den Handakten, zur Eintragung im Fristenkalender sowie zur Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten stets eigenverantwortlich prüfen, wenn er im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit der Sache befasst wird. Falls ihm die Handakte bei der „Befassung“ nicht vorgelegt wird, muss er sie anfordern.

Sowohl die Entscheidung der Einlegung der Berufung als auch die Übergabe an eine andere Anwältin stellen ein „Befassen“ dar, welche die Prüfungspflicht der Einhaltung der Büroorganisation auslösen.

Zur Prüfung, ob das zutreffende Fristende im Fristenkalender notiert worden ist, darf sich der Anwalt grundsätzlich auf den Erledigungsvermerk in der Handakte beschränken.

d. Erkrankung

Auch nach Eintritt einer Erkrankung muss ein Rechtsanwalt alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um Fristversäumnisse bestmöglich zu verhindern.

2. Mandatsweiterleitung

a. Pflicht des „abgebenden“ Rechtsanwalts

Der Rechtsanwalt, der einem anderen einen Rechtsmittelauftrag erteilt, hat dem beauftragten Rechtsanwalt eigenverantwortlich in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise die für die fristgemäße Einlegung und Begründung des Rechtsmittels erforderlichen Daten zu übermitteln. Zu den in eigener Verantwortung wahrzunehmenden Sorgfaltspflichten des den Auftrag erteilenden Rechtsanwalts gehört dabei insbesondere, dafür zu sorgen, dass der Rechtsmittelanwalt über das Datum der Zustellung des anzufechtenden Urteils zutreffend unterrichtet wird.

b. Form der Übertragung

Die Übermittlung der Daten an den Anwaltskollegen hat regelmäßig schriftlich zu erfolgen. Erfolgt die Übermittlung ausnahmsweise fernmündlich, so besteht eine besondere Kontrollpflicht, um Missverständnisse zuverlässig auszuschließen. Es gebietet die gesteigerte Sorgfaltspflicht, die dem Instanzanwalt in Fristangelegenheiten obliegt, im Regelfall, dass er einen fernmündlich erteilten Berufungsauftrag schriftlich bestätigt und hierbei auch das Zustellungsdatum nochmals angibt.

c. Delegation nur bei anschließender Einzelfallprüfung

Die Beauftragung eines Kollegen für die nächste Instanz darf der Rechtsanwalt auch nicht seinem Büropersonal übertragen, mag dieses auch noch so gut geschult und überwacht sein, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu prüfen.

d. Pflicht des übernehmenden Rechtsanwalts

Zwar hat auch der übernehmende Rechtsanwalt eine eigene Pficht zur Prüfung des Fristenlaufs und zur Sicherstellung der Einhaltung der Fristen; diese Pflichten des übernehmenden Rechtsanwalts führen aber nicht zu einer Reduzierung der Pflichten des abgebenden Rechtsanwalts.

3. Prozessuales

a. Wiedereinsetzung

Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist bei festgestelltem Anwaltsverschulden grundsätzlich nur möglich, wenn sicher auszuschließen ist, dass sich die anwaltlichen Versäumnisse auf die Fristversäumung ausgewirkt haben. Denn die Versäumung der Frist beruht auch dann auf einem von der Partei zu vertretenden Umstand, wenn dieser Umstand nur in kumulativem Zusammenwirken mit einem weiteren, nicht von ihr verschuldeten Umstand die Fristversäumnis verursacht hat.

Mitursächliches Verschulden der Partei oder ihres Vertreters steht der Wiedereinsetzung nur dann nicht entgegen, wenn es hinter eine andere wesentliche Ursache zurücktritt und damit bei wertender Würdigung des Ursachenverlaufs die rechtliche Erheblichkeit des Verschuldens von Partei oder Anwalt zu verneinen ist. Das ist etwa angenommen worden, wenn der Rechtsanwalt zwar schuldhaft einen Schriftsatz zu unterschreiben vergisst, dies aber rechtzeitig bemerkt worden wäre, wenn der Bürovorsteher es nicht unterlassen hätte, die ausgehende Post weisungsgemäß in dieser Hinsicht zu prüfen.

b. begrenzte Hinweispflichten des Gerichts bzgl. der Büroorganisation

Weil die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, einem Anwalt bekannt sein müssen, ist ein dahingehender Hinweis des Gerichts (§ 139 ZPO) in der Regel nicht erforderlich.

Tragen die zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben zur Büroorganisation diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf aufzuklärende Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, sondern erlaube den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben. Dies gilt auch im Hinblick auf solche Sicherungsmaßnahmen, die im Falle einer Einzelweisung dagegen zu treffen sind, dass sie nicht richtig befolgt wird.

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