BGH überträgt Mietwagenrechtsprechung auf Sachverständigengebühren

Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.06.2017 – Aktenzeichen: VII ZR 95/16

Leitsatz
Ein Gutachter, der dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls die Erstellung eines Gutachtens zu den Schäden an dem Unfallfahrzeug zu einem Honorar anbietet, das deutlich über dem ortsüblichen Honorar liegt, muss diesen über das Risiko aufklären, dass der gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherer das Honorar nicht in vollem Umfang erstattet (Anschluss an BGH, Urteile vom 28. Juni 2006 – XII ZR 50/04, BGHZ 168, 168; vom 24. Oktober 2007 – XII ZR 155/05, NJW-RR 2008, 470; vom 25. März 2009 – XII ZR 117/07, NJW-RR 2009, 1101).

Sachverhalt
Nach einem durch den Versicherungsnehmer des klagenden KH-Versicherers verschuldeten Unfall ließ der Geschädigte durch den beklagten Kfz-Sachverständigen ein Schadengutachten für die Ermittlung des eingetretenen Schadens erstellen. Hierzu unterzeichnete der Geschädigte eine Honorarvereinbarung, nach der zum einen in Abhängigkeit von der Schadenhöhe ein Grundhonorar berechnet wird und zum anderen Pauschalbeträge für bestimmte Nebenkosten gezahlt werden sollen.

Nach Ermittlung der Reparaturkosten in Höhe von 2.294,44 € netto, berechnete der Beklagte ein Grundhonorar in Höhe von 680,00 € und Nebenkosten in Höhe von 197,40 €, mithin ein Gesamthonorar in Höhe von 877,40 € netto (1.044,11 € brutto).

Nachdem die Klägerin zunächst lediglich einen Teilbetrag reguliert hatte, wurde sie verurteilt, den Geschädigten von dem nicht regulierten Teil freizustellen. Der Geschädigte hat seine Ansprüche gegenüber dem Beklagten im Gegenzug an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin begehrt eine Rückzahlung in Höhe von 392,72 €.

Entscheidung
Der BGH bestätigt zunächst das Berufungsgericht dahingehend, dass die Honorarvereinbarung zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten nicht nichtig sei. Hierbei verneint der BGH das Vorliegen der Voraussetzungen des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB), da jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beklagte vorsätzlich das Vorliegen einer besondere Schwächesituation des Geschädigten ausgenutzt habe. Auch ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) läge nicht vor, da kein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben sei. Nach einem in I. Instanz eingeholten Gutachten übersteigt das abgerechnete Honorar das ortsübliche um ca. 400,00 €, mithin um ca. 60 %. Bei einem solchen Verhältnis sei es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ein wucherähnliches Rechtsgeschäft verneint, wobei der BGH ausdrücklich offen lässt, ob bei Verträgen der vorliegenden Art die übliche Schwelle von mindestens 90 % für die Annahme eines groben Missverhältnisses erreicht werden muss. Eine Abweichung von 60 % genügte dem BGH jedenfalls noch nicht.

Auch lehnte der BGH eine Sittenwidrigkeit wegen kollusivem Verhaltens des Geschädigten und des Beklagten ab, da zumindest dem Geschädigten die deutliche Überschreitung der ortsüblichen Honorare nicht bekannt sein dürfte und nicht bekannt sein muss.

Allerdings bejaht der BGH eine Beratungspflicht des Sachverständigen gegenüber dem Geschädigten aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, da sich das Bestehen und der Umfang einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nach der erkennbaren Geschäftsunerfahrenheit bzw. -erfahrenheit des Vertragspartners richtet. Da der durchschnittliche Geschädigte nicht nur unvermittelt, sondern in der Regel auch erstmals in die Situation gerät, ein Schadengutachten einholen zu müssen, wendet er sich an einen Sachverständigen in der Annahme, dass dessen Kosten, eine volle Einstandspflicht des Unfallgegners unterstellt, vollumfänglich übernommen werden. Demgegenüber ist dem Sachverständigen ebenso wie einem Mietwagenunternehmen bekannt, dass bei einer deutlichen Überschreitung der ortsüblichen Gebühren, das Risiko besteht, dass diese nicht vollständig übernommen werden. Daher ist der Sachverständige nach Treu und Glauben verpflichtet den Geschädigten darüber aufzuklären, dass möglicherweise die Gebühren nicht in vollem Umfang erstattet werden.

Dies ist ihm auch zumutbar, da er keine für die Aufklärung erforderliche gesonderte Marktanalyse durchführen muss, denn es ist davon auszugehen, dass dem Sachverständigen ohnehin die ortsübliche Höhe bekannt ist. Jedenfalls kann der Sachverständige in zumutbarer Weise auf Honorarumfragen etwa der DEKRA oder des TÜV bzw. des Berufsverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen zurückgreifen.

Auch der Vorteil, dass dem Geschädigten unter Berücksichtigung der subjektbezogenen Schadensbetrachtung durch die fehlende Aufklärung durch den Sachverständigen durch die Klägerin das Honorar in voller Höhe erstattet worden ist, führt nicht zu einem Erlöschen des Anspruches, sondern vielmehr kann dieser nach Abtretung geltend gemacht werden. Eine Leistung des KH-Versicherers soll nicht den Kfz-Sachverständigen entlasten.

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