BGH: § 108 Abs. 1 SGB VII und „Wie-Beschäftigter“

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info

BGH, Urteil vom 30.4.2013 — Aktenzeichen: VI ZR 155/12

Leitsatz
Diente die Tätigkeit des Schädigers sowohl dem Interesse des Unfallbetriebs als auch dem seines eigenen bzw. seines Stammunternehmens, kann sie dem Unfallbetrieb nur dann im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zugeordnet werden, wenn sie der Sache nach für diesen und nicht für das eigene Unternehmen geleistet wurde.

Sachverhalt
Der Kläger ist bei der B. AG angestellt und arbeitet in deren Werk in D. Er wird an Arbeitstagen von einem sogenannten Werksbus der B. AG von seinem Wohnort in E. abgeholt und an seine Arbeitsstelle gebracht. Mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse beauftragte die B. AG die Beklagte zu 2, die hierfür u.a. den bei ihr als Busfahrer angestellten Beklagten zu 1 einsetzte. Am 22. Juni 2009 gegen 4.10 Uhr holte der Beklagte zu 1 den Kläger mit einem Bus der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, in E. ab und erreichte gegen 4.40 Uhr die Ausstiegsstelle für den Werksbus der B. AG in D. Der Kläger stieg an der hinteren Tür des Busses aus, kam dabei zu Fall und zog sich eine distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung zu. Die für die B. AG zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall erkannte den Unfall mit Bescheid vom 23. September 2010 als Arbeitsunfall an.

Mit der Behauptung, der Beklagte zu 1 habe die hintere Bustür geschlossen, als er gerade im Begriff gewesen sei, auszusteigen, begehrt der Kläger die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden. Die Beklagten machen geltend, ihre Haftung sei gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen, weil der Beklagte zu 1 zum Unfallzeitpunkt in den Betrieb der B. AG wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII eingegliedert gewesen sei.

Entscheidung
Zunächst bestätigt der BGH seine Urteile vom 22. April 2008 — VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 — sowie 19. Mai 2009 — VI ZR 56/08 — BGHZ 181, 160 — und wiederholt, dass gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII der Zivilrichter an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte hinsichtlich der Frage gebunden sei, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Die Bindungswirkung erstrecke sich dabei ebenfalls auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 SGB VII erlitten habe und welchem Betrieb der Unfall zuzurechnen sei.

Da im konkreten Fall die für die B. AG zuständige Berufsgenossenschaft den Unfall des K. bereits als Arbeitsunfall anerkannt und somit dem bei ihr versicherten Unternehmen — der B . AG — zugesprochen hatte, konnte K. aufgrund der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII von Anfang an nicht mehr über die Figur des „Wie-Beschäftigten“ nach § 2 Abs. 2 SGB VII der Beklagten zu 2) zugeordnet werden, um über eine nach alter Rechtsprechung noch möglich „Doppelversicherung“ zugunsten der Beklagten zu 1) und 2) die Haftungsprivilegien der §§ 104, 105 SGB VII zu eröffnen.

Während der BGH in den beiden vorangestellten Urteilen ausgeurteilt hat, dass derartige Fälle dann noch über die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3, 3. Alt SGB VII gelöst werden könnten, wird mit dieser neuen Entscheidung klar gestellt, dass zwar nicht mehr hinsichtlich des Geschädigten, wohl aber grundsätzlich noch hinsichtlich des Schädigers eine Zuordnung als „Wie-Beschäftigter“ zum Fremdunternehmen des Geschädigten in Betracht kommt. Als Folge könnten bei Vorliegen der im Leitsatz wiedergegebenen Voraussetzungen die §§ 104, 105 SGB VII haftungsausschließend greifen.

Im Ergebnis wurde dies hier vom BGH zwar ebenso verneint wie das Vorliegen einer „gemeinsamen Betriebsstätte“. Jedoch zeigt die Entscheidung auf, dass die Figur des „Wie-Beschäftigten“ für den Schädiger weiterhin eine enorme haftungsrechtliche Bedeutung hat. Der Anwendungsbereich der §§ 104, 105 SGB VII bleibt eröffnet. Deren Voraussetzungten sind mitunter deutlich leichter darzutun als die des § 106 Abs. 3, 3. Alt SGB VII.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info