Besonders grobe Behandlungsfehler

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15.11.2016 — Aktenzeichen: 26 U 37/14

Sachverhalt
Die Klägerin befand sich im April 2009 zur Durchführung einer laparoskopischen Gastropexie in stationärer Behandlung bei der Beklagten.

Eine radiologische Untersuchung im Mai 2009 ergab, dass eine Revisionsoperation notwendig ist. Hierzu begab die Klägerin sich in ein von der Streitverkündeten getragenes Hospital. Im Operationsbericht zur Revisionsoperation wurde ausgeführt, dass sich eine Fixation von der Korpusgrenze über den Korpus an die ventrale Bauwand fände, mit nicht viel resorbierbarem Nahtmaterial; die Nähe wurden gelöst, wonach sich der Magen prall füllte.

Im nachfolgenden Zeitraum wurde die Klägerin noch mehrfach stationär behandelt; es fand eine Magenteilresektion statt, an die sich Wundheilungsstörungen anschlossen; es erfolgte eine Bauchdeckenrevision und zuletzt im November 2013 eine Laparotomie, eine ausgiebige offene Adhäsiolyse, eine Aufhebung der Gastropexie sowie eine Durchführung einer hinteren unteren Gastrojejunostomie.

Die Klägerin nahm allein die Beklagte auf Schadensersatz wegen begangener Behandlungsfehler in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben, weil die Operation im April 2009 zwar indiziert gewesen, aber fehlerhaft ausgeführt worden sei; die Funduskaskade habe unverändert fortbestanden, der Operateur hätte den höchsten Punkt des Fundus fixieren müssen, um eine erneute Abkippung zu verhindern; doch auch der Operateur der Streitverkündeten, der die Revisionsoperation im Juli 2009 ausgeführt habe, habe fehlerhaft gehandelt, weil er zwar die Nähte gelöst, aber nicht den Status quo wieder hergestellt habe.

Das Landgericht wies deshalb die Klage ab, soweit Folgen auf den Aufenthalt bei der Streitverkündeten zurückzuführen waren. Es stellte insoweit einen groben Behandlungsfehler fest, der geeignet war, den Ursachenzusammenhang zu unterbrechen.

Entscheidung
Das OLG Hamm hat auf die Berufung der Klägerin der Klage im weiteren Umfang stattgegeben und die Beklagte zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 € und Schadensersatz verurteilt.

Nach Auffassung des Arzthaftungssenats haftet der Erstschädiger für sämtliche Schadensfolgen, die auf den Ersteingriff kausal zurückzuführen sind – hier die im April 2009 fehlerhaft durchgeführte Gastropexie.

Zu den Schadensfolgen zählten – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch sämtliche Folgen, die mit der grob fehlerhaften Revisionoperation im Juli 2009 zusammenhingen. Auch diese wären im vorliegenden Fall dem Erstschädiger zuzurechnen.

Entsprechend der Rechtsprechung des BGH umfasst die Einstandspflicht regelmäßig auch die Folgen eines Fehlers des nachbehandelnden Arztes. Nur ganz ausnahmsweise kann eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geltend gemacht werden, nämlich dann, wenn es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehlt, weil das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen war oder wenn der Zweitschädiger in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein und ausschließlich zugeordnet werden muss.

Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm diese Voraussetzungen für einen „besonders groben Behandlungsfehler“ verneint. Selbst wenn das ärztliche Verhalten vom gerichtlich bestellten Sachverständigen als völlig unverständlich bewertet worden sei, so folgte dieser Entschluss allein aus der Analyse der schriftlichen Unterlagen.

Vom Senat befragt, welche Folgen ein solcher Fehler für einen Arzt in seiner Klinik gehabt hätte, führte der Sachverständige aus, dass der Fehler allenfalls zu einer mündlichen Abmahnung durch ihn, nicht aber zu einer Information der Verwaltung der Klinik geführt hätte. Der Fehler hätte also keine Folgen für das Bestehen des Arbeitsverhältnisses oder gar die Approbation gehabt. Ein Abweichen vom gewissenhaften ärztlichen Verhalten in einem außergewöhnlich hohen Maß konnte der Senat demnach nicht feststellen.

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