Belehrungspflichten des Rechtsanwalts bei mehreren Handlungsalternativen

BGH, Urteil vom 1.3.2007 — Aktenzeichen: IX ZR 261/03

Leitsatz
1. Der Anwalt muss dem Mandanten nicht notwendig eine vollständige rechtliche Analyse, sondern allein die Hinweise liefern, die ihm im Hinblick auf die aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendige Entscheidungsgrundlage vermitteln. Erscheint unter mehreren rechtlich möglichen Alternativen die eine deutlich vorteilhafter als die andere, hat der Anwalt darauf hinzuweisen und eine entsprechende Empfehlung zu erteilen.

2. Nach Art und Umfang des Mandats kann eine eingeschränkte Belehrung ausreichend sein, etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit oder bei einem Aufwand, der außer Verhältnis zum Streitgegenstand steht. Inhalt und Umfang der Aufklärung haben sich nach den erkennbaren Interessen des Mandanten zu richten.

3. Zur Prüfung der Handlungsalternativen, die sich dem Auftraggeber bei pflichtgemäßer Beratung stellen, müssen deren jeweilige Rechtsfolgen miteinander und mit den Handlungszielen des Mandanten verglichen werden.

4. Dem Mandanten, der einen richtigen Vorschlag des Anwalts ablehnt, kommt im Haftungsprozess die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens nicht zugute.

Sachverhalt
Die Klägerin hatte Ferkel unter Eigentumsvorbehalt an eine GmbH verkauft und geliefert. Da die Käuferin den Kaufpreis nicht zahlte, beauftragte die Klägerin, die eine Weiterveräußerung befürchtete, eine RA-Sozietät mit der Wahrnehmung ihrer Rechte.

Die beklagte Sozietät erklärte für die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag. Die Käuferin veräußerte die Ferkel weiter und wurde in einem Vorprozess verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich der Aufwendungen für die Mast zu leisten.

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz, weil ihr wegen des Rücktritts nicht der volle Kaufpreis zugesprochen wurde.

Entscheidung
Der BGH hat entschieden, dass aufgrund der im Berufungsverfahren ermittelten Tatsachen keine Pflichtverletzung des beklagten Anwalts vorlag.

Zwar ist der Rechtsanwalt, soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Hierzu muss sich der Rechtsanwalt über die Sach- und Rechtslage klar werden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen. Allerdings muss der Anwalt dem Mandanten nicht eine vollständige rechtliche Analyse darlegen. Vielmehr ist es ausreichend (und erforderlich), dem Mandanten die Hinweise zu geben, die ihm im Hinblick auf seine aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendigen Entscheidungsgrundlagen liefern. Hierfür ist eine annhähernd zutreffende Vorstellung über die Handlungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile zu vermitteln. Hierbei reicht es aus, wenn der Anwalt die wesentlichen Gesichtspunkte mitteilt. Eine lückenlose Aufklärung ist nicht erforderlich, da sie auch die Gefahr birgt, den Mandanten zu überfordern.

Erscheint unter mehreren rechtlich möglichen Alternativen die eine deutlich vorteilhafter als die andere, hat der Anwalt hierauf hinzuweisen und eine entsprechend Empfehlung zu erteilen.

Im vorliegenden Fall waren von dem Rechtsanwalt der Klägerin die verschiedenen Möglichkeiten
a) Durchsetzung des Kaufpreises und Pfändung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Sache
b) Erklärung des Rücktritts , wodurch ein Herausgabeanspruch auf die gelieferte Sache entsteht, dem allerdings Verwendungseratzansprüche gegenüberstehen
c) Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung (altes Recht) und Forderung von Schadenersatz wegen Nichterfüllung nebst Vor- und Nachteilen darzustellen.

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