Behandlungspflichten eines Gynäkologen bei Unterleibsschmerzen

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OLG Hamm, Urteil vom 21.5.2013 — Aktenzeichen: 26 U 140/12

Leitsatz
Wird ein Gynäkologe aufgrund einer Überweisung des primär behandelnden Hausarztes tätig, so ist er grundsätzlich nur zur Abklärung seines Fachgebietes verpflichtet. Wird er ohne Überweisung tätig, ist er selbst Primärbehandler und deshalb zur umfassenden ärztlichen Betreuung (u. U. durch Überweisung an Ärzte anderer Fachrichtungen, hier an einen Urologen) verpflichtet. Dieser Verpflichtung genügt er, wenn er die Patientin zur Kontrolle nach der Durchführung der anderweitigen fachärztlichen Untersuchungen wieder einbestellt. Ohne Anhaltspunkte für gravierende Erkrankungen ist er nicht verpflichtet, weitergehend auf die Patientin einzuwirken, wenn diese nicht erneut erscheint.

Sachverhalt
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall begehrten die Erben der verstorbenen Patientin von dem Beklagten, einem Facharzt für Gynäkologie, wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler Schmerzensgeld und Schadensersatzforderungen. Die Patientin hatte sich zunächst mit der Verdachtsdiagnose Gastroenteritis in hausärztlicher Behandlung befunden. Sie begab sich in die gynäkologische Behandlung des Beklagten, u. a., um von diesem die bei ihr bestehenden Unterleibsschmerzen abklären zu lassen. Der Beklagte führte gynäkologische Untersuchungen durch und überwies darüber hinaus die Patientin zum Urologen. Dieser konnte urologische Ursachen nicht erkennen und riet in einem an den Beklagten wie auch an die Hausarztpraxis gerichteten Arztbrief zu einer weiteren Darmabklärung. Die Patientin stellte sich bei dem Beklagten nicht erneut vor. Eine Darmspiegelung erfolgte zunächst nicht. Erst im darauffolgenden Jahr wurde aufgrund sich steigernder Schmerzen eine Darmspiegelung durchgeführt, in deren Folge ein Karzinom festgestellt wurde. Diese Erkrankung führte zum Tod der Patientin.

Die Kläger haben dem beklagten Gynäkologen vorgeworfen, er habe eine hinreichende Aufklärung der Ursachen der Beschwerden der Patientin nicht vorgenommen. Der Beklagte habe insbesondere eine gastroenterologische Abklärung einleiten müssen, die fehlerhaft nicht erfolgt sei. Darüber hinaus habe er sich über die Ergebnisse der anderweitigen Untersuchungen informieren müssen, was nicht geschehen sei. Darüber hinaus hätte der Beklagte von sich aus die Patientin zur Wiedervorstellung auffordern oder nachfragen müssen, welche Empfehlung der Urologe gegeben habe. Auf die primäre Behandlung durch den Hausarzt habe sich der Beklagte nicht verlassen dürfen, weil die Klägerin erkennbar ihn als primären Behandler angesehen habe und auch der Arztbrief des Urologen an ihn gerichtet gewesen sei.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Kläger. Das OLG Hamm wies die Berufung ebenfalls als unbegründet zurück.

Entscheidung
Das OLG Hamm hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, dass dem Beklagten in seinem gynäkologischen Fachgebiet keine Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler vorzuwerfen seien.

Der gerichtliche Gutachter habe festgestellt, dass der Beklagte durch die klinische Untersuchung und die Sonografie diejenige Befundung durchgeführt habe, die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung und unter Berücksichtigung der von der Patientin geschilderten Beschwerden medizinisch zu fordern waren. Die dokumentierten Befunde hätten auch nach Ansicht des Sachverständigen gegen eine pathologische Raumforderung im kleinen Becken gesprochen. Insbesondere die Tumormarker hätten im Normbereich gelegen, so dass ein Diagnosefehler hinsichtlich des gynäkologischen Fachgebietes nicht vorgelegen habe.

Darüber hinaus lasse sich auch nicht feststellen, dass der Beklagte es fehlerhaft unterlassen habe, eine weitere medizinische Abklärung zu veranlassen.

Insoweit könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die Patientin von der Hausarztpraxis überwiesen bekommen habe, oder ob die Patientin sich aus eigenem Antrieb zu ihm begeben habe. Denn in beiden Fällen lasse sich ein ärztliches Fehlverhalten nicht feststellen.

Für den Fall, dass der Beklagte aufgrund einer Überweisung der Hausärzte tätig geworden sei, sei er grundsätzlich weder zur eigenständigen weitergehenden Behandlung (z. B. Durchführung von MRT oder CT) befugt noch zur umfassenden Beratung verpflichtet gewesen. Denn Primärbehandler und für die Koordination und Behandlung zunächst Verantwortlicher sei in dieser Konstellation der überweisende Hausarzt. Allenfalls wenn für ihn erkennbar gewesen wäre, dass die Hausarztpraxis fehlerhaft handelte, etwa gebotene Befundungen unterließ oder relevante Umstände bei der Diagnose außer Acht ließ, hätte u. U. eine Hinweispflicht des Beklagten bestanden. Grundsätzlich habe er aber darauf vertrauen dürfen, dass der überweisende Arzt ordnungsgemäß behandelt. Unter diesen Prämissen sei nicht feststellbar, dass der Beklagte über die tatsächlich von ihm erteilte Überweisung an den Urologen hinaus weitere Maßnahmen hätte veranlassen müssen.

Ein Behandlungsfehler läge auch dann nicht vor, wenn der Beklagte ohne Überweisung durch die Hausarztpraxis oder trotz Vorliegens einer Überweisung durch tatsächliche Übernahme der Primärbehandlung tätig geworden sei. Zwar habe in diesem Fall der Behandler gesteigerten Sorgfalts- und Kontrollpflichten, die nach der Abklärung der gynäkologischen Fragestellung entweder die Überweisung an den Hausarzt oder die Überweisung an andere Spezialisten einschließlich der anschließenden Einbestellung zur Kontrolle der Ergebnisse dieser Spezialisten erforderten. Diesen Anforderungen habe allerdings das Vorgehen des Beklagten ebenfalls genügt. Nicht zu beanstanden sei, dass der Beklagte die Patientin nicht an den Hausarzt, sondern an den Urologen überwiesen habe, da die Abklärung des urologischen Fachgebietes erforderlich und nicht fehlerhaft war. Darüber hinaus lasse sich auch nicht feststellen, dass es der Beklagte unterlassen habe, die Patientin zur Kontrolle nach der Durchführung der urologischen Untersuchung einzubestellen. Denn eine entsprechende Eintragung zu einer solchen Aufforderung zwecks Kontrolle habe sich in den Karteikarten des Beklagten befunden (wird im Einzelnen weiter ausgeführt). Von dem Beklagten sei schließlich nicht zu verlangen gewesen, dass er nach dem Nichterscheinen der Patientin nach der urologischen Untersuchung von sich aus tätig wurde, um noch eine Kontrollvorstellung herbeizuführen. Der gerichtliche Sachverständige habe plausibel im Berufungsverfahren ausgeführt, dass dies nur dann der Fall gewesen wäre, wenn eine schwerwiegende Situation — etwa in Form eines Tumorverdachtes — bestanden hätte. Dies sei allerdings nicht der Fall gewesen. Die von dem Beklagten dokumentierte Erhöhung der CRP-Werte habe lediglich auf eine Entzündung hingewiesen, der Durchfall ggf. auf eine Divertikulitis. Eine massive Gefährdungssituation sei, zumal vor dem Hintergrund des hausärztlichen Verdachtes einer Gastroenteritis, nicht gegeben. Dementsprechend habe der Beklagte abwarten und bei Nichterscheinen der Patientin davon ausgehen dürfen, dass sich die Beschwerden gebessert hätten.

Insoweit verdeutlicht die Entscheidung des OLG Hamm, dass je nach Ausgangspunkte einer Behandlung durch einen spezialisierten Facharzt dessen Behandlungspflichten im Hinblick auf die von ihm zu erhebenden Befunde und seine Diagnostik unterschiedlich danach zu bestimmen sind, ob diese Behandlung auf Grundlage einer Überweisung eines allgemein koordinierenden Hausarztes oder auf Eigeninitiative der jeweiligen Patienten beruht. Im letztgenannten Fall ist der Facharzt seinerseits Primärbehandler und muss damit die Gesamtbehandlung (einschließlich notwendiger Überweisungen an andere Fachärzte und etwaige Kontrollen bei schwerwiegenden Risikobefunden) selbst bewerkstelligen.

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