BGH urteilt – Mindestsätze leben noch!

Harald ScholzHarald Scholz

BGH-Beschluss vom 14.05.2020 VII ZR 174/19

 

Leitsatz

1. Für Verträge, die vor dem 04.07.2019 zwischen Privaten bereits abgeschlossen waren, gelten nach deutschem Recht die Mindestsätze der HOAI. Dies kann man nicht mittels europarechtskonformer Auslegung ändern.
2. Der EuGH bekommt die Fragen vorgelegt, ob die Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006 eine unmittelbare Wirkung zwischen zwei Personen des Privatrechts erzeugt (sogenannte horizontale Direktwirkung). Falls nein: Ob die Grundfreiheiten des EU-Vertrages, insbesondere die Niederlassungsfreiheit, der Mindestsatzregelung direkt entgegenstehen.

 

Sachverhalt

Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten die Zahlung restlicher Vergütung. Abweichend von der schriftlich vereinbarten Pauschalvergütung verlangt er diejenige Vergütung, die sich nach den Mindestsätzen der HOAI ergeben würde.
Kurz vor der Entscheidung des Rechtsstreits in zweiter Instanz durch das OLG Hamm ergeht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019. Danach verstößt das System der Mindest- und Höchstsätze in der HOAI gegen die Vorgabe der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im folgenden: Dienstleistungsrichtlinie). In der Entscheidung des EuGH wird festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland versäumt hat, auf die Vorgabe dieser Richtlinie rechtzeitig zu reagieren, z.B. durch Abschaffung der Mindest- und Höchstsätze.

Das OLG Hamm entscheidet die Frage, ob die Mindestsätze für den „Altvertrag“ dennoch weiterhin gelten mit „Ja“ und verurteilt die Beklagte im Wesentlichen zur Zahlung eines Honorars nach den Mindestsätzen. Andere Oberlandesgerichte sehen das anders.
Auf die zugelassene Revision legt der BGH den Fall nun erneut dem EuGH zur Entscheidung von zwei Fragen vor, die für den BGH entscheidungserheblich sind.
Dem europäischen Recht muss zwar zunächst mit dem Mittel der europarechtskonformen Auslegung möglichst zur Durchsetzung verholfen werden. Entgegen Stimmen in der Literatur stellt der BGH fest, dass dies für die Mindestsätze nach der HOAI nicht möglich ist. Denn Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen eine andere Auslegung nicht zu.
Daher stellen sich zwei europarechtliche Fragen, die nach den Vorgaben im EU-Vertrag von den höchsten nationalen Gerichten dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen sind. Diese Fragen sind:

Erstens: Kann die Dienstleistungsrichtlinie ausnahmsweise eine unmittelbare Wirkung zwischen zwei Privaten entfalten? Das Problem: Richtlinien richten sich normalerweise an die Mitgliedstaaten und haben keine unmittelbare Wirkung auf einzelne Personen. Die Ausnahmen sind rar gesät. Der BGH verneint aus seiner Sicht, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegen kann. Der EuGH wird also zu entscheiden haben, ob eine sogenannte horizontale Rechtswirkung (zwischen Privaten) vorliegt.

Zweitens: Sofern dies nicht der Fall ist, muss der EuGH ebenfalls noch beantworten, ob die Mindestsätze gegen Grundfreiheiten aus dem EU-Vertrag verstoßen. Dies kann eher nicht für die Dienstleistungsfreiheit gelten. Denn die HOAI gilt nach der letzten Überarbeitung ausdrücklich nur für in Deutschland ansässige Architekten und Ingenieure. Es liegt also kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor.

Der BGH fragt vielmehr nach einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit. Ein ausländischer Architekt oder Ingenieur könnte davon abgehalten werden, sich in Deutschland niederzulassen, weil er sich dort nicht mit Mitteln des Preiswettbewerbs durchsetzen könnte. Auch diese Frage wird der EuGH zu entscheiden haben.

Anmerkung

Die Frage bleibt spannend. Zu Recht erteilt der BGH Versuchen, mittels „richtlinienkonformer Auslegung“ die Mindestsätze aufheben zu lassen, eine Absage. Denn jede Auslegung findet ihre Grenze an Wortlaut und Sinn der Regelung. Die Mindestsätze waren gerade in Kenntnis der europarechtlichen Bedenken ausdrücklich in die letzte Fassung der HOAI aufgenommen worden. Für eine Auslegung, die das gegenteilige Ergebnis erreicht, bleibt dann kein Raum. Vorstellbar wäre eine solche richtlinienkonforme Auslegung allerdings bei Personen, die nicht Architekten oder Ingenieure sind (Wortlaut der HOAI), die aber entsprechende Planungsleistung erbringen; denn die Anwendung der HOAI auf diese Berufskreise beruht „nur‟ auf einer Rechtsprechung des BGH.

Die Fragen an den EuGH sind ebenfalls richtig gestellt.

Unsere Prognose ist, dass eine horizontale Direktwirkung der Dienstleistungs-Richtlinie vom EuGH verneint werden wird. Richtlinien sollen das Verhalten der Mitgliedstaaten regeln und nicht direkt das Verhalten einzelner Personen. Es würde daher überraschen, wenn der EuGH von seiner Linie der letzten 10-15 Jahre abwiche.

Die in der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 offen gelassene Frage der Niederlassungsfreiheit ist der eigentlich spannende Punkt. Die wesentliche Frage wird sein, ob die Mindest- und Höchstsätze eine ausreichend wichtige Barriere gegen eine Niederlassung darstellen. Die Frage dürfte relativ offen sein.

Die zahlreichen Honorarangelegenheiten, die entweder bereits vor Gericht sind oder noch auf Klärung warten, bleiben nun erst einmal in der Schwebe.

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Die HOAI, der EuGH und die laufenden Verträge

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

OLG München, Beschluss vom 08.10.2019, 20 U 94/19

Leitsatz

Auch nach dem Urteil des EuGH bleiben die Mindestsätze der HOAI für frühere Verträge in Kraft

Sachverhalt

Ein Architekt wird von einem Unternehmen mit Planungsleistungen beauftragt, wobei das Honorar schriftlich als Pauschale vereinbart wird. Der Architekt beruft sich auf die Unwirksamkeit der Pauschalvereinbarung, weil diese die Mindestsätze unterschreite, und verlangt im ersten Schritt eine  Sicherheit nach § 648a BGB a.F. Der Auftraggeber beruft sich u.a. auf das Urteil des EuGH vom 04.07.2019: Danach verstößt die Bundesrepublik Deutschland durch die in der HOAI angeordneten Mindest- und Höchstsätze gegen eine europäische Richtlinie. Also, so der Bauherr, könne sich der Architekt auf diese Mindestsätze nicht mehr berufen.

Entscheidung

Das OLG München gibt dem Architekten recht. Mit dem Hinweisbeschluss kündigt es an, die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückweisen zu wollen.

Das Urteil des EuGH betreffe zunächst nur die Bundesrepublik. Mit der Feststellung, dass die Mindest- und Höchstsätze gegen europäisches Recht verstoßen, ist diese dazu aufgefordert, den Rechtsverstoß durch eine neue Regelung zu beseitigen.

Zwar trifft es zu, dass bis dahin die nationalen Gerichte gehalten sind, dem europäischen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Dies gelte jedoch nur innerhalb anerkannter Methoden. Das OLG München kann keinen Verstoß gegen primäres Gemeinschaftsrecht feststellen. Dieses wäre vorrangig und direkt anzuwenden; auch der EuGH habe jedoch keinen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit festgestellt. Außerdem sieht das OLG München keine Möglichkeit, über eine europarechtskonforme Auslegung zum Ziel zu gelangen, weil gegen die eindeutige Gesetzesbedeutung keine Auslegung möglich sei.

Anmerkung

Die Frage, was nach dem Urteil des EuGH für bereits abgeschlossene Architektenverträge gelten soll, bleibt umstritten. Die inoffizielle Zählung von OLG-Entscheidungen meldet aktuell einen Spielstand von 3:2 für die Vertreter der Auffassung, dass Verträge zwischen Privaten weiterhin an den Vorgaben der HOAI zu messen sind. Die Praxis wartet, wo es möglich ist, auf die Entscheidung des BGH.

Die Argumente liegen aber inzwischen auf dem Tisch. Eine kleine Zwischenbilanz:

Einigkeit besteht noch darin, dass die Richtlinie und mithin das Urteil nicht automatisch die beanstandeten Regelungen abschaffen. Das muss der bundesdeutsche Gesetzgeber tun. Liest man die Urteilsgründe genau, könnte er statt der Abschaffung der Mindest- und Höchstsätze wohl auch zu Mitteln greifen, mit denen er die vom EuGH aufgezeigten Ungereimtheiten bei der Rechtfertigung beseitigt.

Einigkeit besteht auch, dass die Gerichte grundsätzlich gehalten sind, dem Europarecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Nur kann das nicht in der naiven Fassung geschehen, dass nun die Gerichte die Mindestsätze mit Blick auf das Urteil einfach selbst aufheben. Das liegt außerhalb ihrer Befugnis und sie sind auch keine staatliche Stelle, die selbst die HOAI anwendet, sondern Gerichte entscheiden über Rechtsverhältnisse Dritter.

Das Argument gegen eine richtlinienkonforme Auslegung ist stark: Der Gesetzgeber wollte die Mindest- und Höchstsätze ausdrücklich und hat dies auch sprachlich eindeutig angeordnet. Die richtlinienkonforme Auslegung endet an der Eindeutigkeit der gesetzlichen Vorgabe. Mit einer Ausnahme allerdings: Wo in der HOAI „Architekten und Ingenieure“ steht, hat der BGH seit Jahren erweiternd „alle, die Architekten- und Ingenieurleistungen erbringen“ eingesetzt. Diese Auslegung lässt sich doch wohl richtlinienkonform anpassen. Nur die Anwendung auf Architekten und Ingenieure ist zwingend.

Wer einen Verstoß gegen den EU-Vertrag feststellen will (Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit), der kann als Gericht ebenfalls das Preisrecht der HOAI verwerfen, denn der EU-Vertrag hat Vorrang vor innerstaatlichem Recht und gilt unmittelbar. Eine solche Feststellung hat der EuGH aber jedenfalls nicht getroffen, und eine Anwendung auf rein innerstaatliche Sachverhalte muss man wohl auch kritisch sehen.

Kommt man so nicht weiter, gilt es europarechtlich zu erkennen, dass die Richtlinie selbst keine unmittelbare Direktwirkung zwischen Privaten hat. Auch die versäumte Umsetzung ändert daran nichts. Somit kann es zu einer Differenzierung kommen je nachdem, ob auf der Auftraggeber eine staatliche Stelle ist oder nicht. Der Staat wird sich mutmaßlich auf Vorteile aus der versäumten Umsetzung nicht berufen dürfen, auch wenn er einen privatrechtlichen Vertrag schließt (EuGH, Urt. v. 24.01.12, Dominguez, C-282/10). Ein Schlüsselurteil für das Verständnis ist insoweit die Entscheidung des EuGH zu der arbeitsrechtlichen Fragestellung, ob Urlaubsansprüche in jedem Fall vererblich sind (EuGH, Urt. v. 06.11.18, C-569/16 und C-570/16). Hier hat der EuGH bei gleicher Ausgangslage – fehlende Umsetzung der europarechtlich geforderten vollständigen Vererblichkeit durch die Bundesrepublik – ganz konkret einen Unterschied zwischen einem privaten und einem öffentlichen Arbeitgeber gemacht. Man sieht nicht, warum dies bei der HOAI anders sein sollte.

Im Augenblick erscheinen die Argumente für die Anwendbarkeit der HOAI in Rechtsverhältnissen zwischen Architekt und privatem Auftraggeber tiefgründiger als die der Gegenauffassung. Dort vermisst man eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Europarecht.

Eine andere Fragestellung ergibt sich bei Verträgen, die zwischen den Parteien nur mündlich oder durch Korrespondenz geschlossen worden sind, ohne dass eine schriftliche Honorarvereinbarung vorliegt. Schriftlich heißt hier in Kurzform zwei Unterschriften auf einem Dokument. Die HOAI ordnet die Mindestsätze als Normalvergütung an; wer – auch zulässig – etwas anderes vereinbaren will, muss die Schriftform einhalten. Der EuGH hat bemängelt, dass mangels einer besseren Rechtfertigung Honorarvereinbarungen auch außerhalb der Mindest- und Höchstsätze möglich sein müssten. Dass der Gesetzgeber dafür keine Formerfordernisse vorsehen dürfte, ist in der Entscheidung weder ausgesagt noch impliziert. Die zahlreichen Fälle, in denen die Mindestsätze schon mangels schriftlicher Vereinbarung gelten, müssten also „eigentlich“ unangetastet bleiben (anderer Ansicht vereinzelt LG Bonn, Urt. v. 18.09.19, 20 O 299/16 – nicht rechtskräftig).

Für den Augenblick bleiben also Fragen offen, die Rechtsprechung ist noch auf dem Weg zum gesicherten Recht. Mit einem Urteil des BGH dürfte 2020 zu rechnen sein, und man darf es mit Spannung erwarten.

 

 

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Verjährung des Anspruchs gegen den Notar wegen Nichteinhaltung der Wartefrist (§ 17 Abs. 2a BeurkG)

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH, Urteil vom 7.3.2019 — Aktenzeichen: III ZR 117/18

Leitsatz
Verjährt oder nicht verjährt? Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung zur Notarhaftung wieder einmal die Kernfrage beleuchtet: Was ist Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände? Denn damit beginnt die Verjährungsfrist zu laufen. Der 3. Senat meint weiter: Tatsachenkenntnis reicht. Aber es gibt jetzt eine Ausnahme mehr.

Sachverhalt
Die Klägerin kaufte im Jahr 2004 um eine Eigentumswohnung von einem gewerblichen Unternehmen. Dabei besagte die notarielle Urkunde, dass die zweiwöchige Frist nach § 17 Abs. 2a BeurkG nicht eingehalten sei, diese Frist aber den Verbraucher vor einer Übereilung schützen sollen und dass – so belehrt – die Käuferin auf einer sofortigen Beurkundung bestehe.

Das Geschäft mit der Eigentumswohnung erwies sich als nachteilig. Die Klägerin versuchte zunächst vergeblich, die damalige Verkäuferin in Anspruch zu nehmen. Als dies scheiterte, machte sie ab 2013 Ansprüche gegen den Notar geltend und verlangt im Zuge des Schadensersatzes nun so gestellt zu werden, als sei der Kaufvertrag damals nicht beurkundet worden (im wesentlichen Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung der Eigentumswohnung).

Der Notar erhebt die Einrede der Verjährung. Die beiden ersten Instanzen weisen die Klageforderung als verjährt ab. Es kommt nur darauf an, dass der Geschädigte die tatsächlichen Umstände des bestehenden Anspruchs kennt, nicht jedoch darauf, dass sie daraus auch die richtigen rechtlichen Schlüsse zieht. Der Klägerin waren schon im Jahr 2004 alle wesentlichen Umstände bekannt, sodass ein Rechtskundiger den Anspruch erkennen konnte.

Entscheidung
Der für Notarhaftung zuständige 3. Zivilsenat des BGH präzisiert seine bisherige Rechtsprechung zur Verjährung und hebt das Urteil auf.

Im Grundsatz bleibt es dabei: Es genügt im Allgemeinen, dass der Verletzte die tatsächlichen Umstände kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, die eine schuldhafte Amtspflichtverletzung als naheliegend und mithin eine Amtshaftungsklage – und sei es auch nur als Feststellungsklage – als hinreichend aussichtsreich erscheinen lassen. Darauf, dass der Geschädigte aus den bekannten Tatsachen auch die richtigen rechtlichen Schlüsse zieht, kommt es im Grundsatz nach wie vor nicht an.

Eine Ausnahme gilt schon bisher dann, wenn die Rechtslage im Einzelfall so unübersichtlich oder zweifelhaft ist, dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einschätzen kann. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn § 17 Abs. 2a BeurkG gebietet – und gebot auch schon damals – in aller Regel eine Wartepflicht. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Schutzzweck der Norm (Verbraucherschutz) ausnahmsweise in anderer Form erfüllt ist. Diese Rechtslage war nach Auffassung des Senats stets hinreichend klar zu erkennen.

Eine weitere neue Ausnahme skizziert der Senat im vorliegenden Fall. Der Notar hat die Verbraucherin vorliegend zwar über die geltende Frist informiert, aber so getan, als handele es sich um eine Warnpflicht, mit welcher der Verbraucher dann umgehen kann, wie er will. Dass der Gesetzgeber hier aber eine ausdrückliche Wartepflicht vorgegeben hatte, war nicht Gegenstand der Belehrung. Nach Auffassung des Senats hat der Notar also die tatsächliche Rechtslage durch seine Belehrung verschleiert und kann sich in dieser Konstellation nicht darauf berufen, dass die Tatsachen bekannt gewesen seien.

In dieser Konstellation sei dem Geschädigten trotz Tatsachenkenntnis die Erhebung einer Amtshaftungsklage unzumutbar.

Eine Verjährung liegt also nicht vor. Über die wohl abweichende Rechtsprechung u.a. des 9. Zivilsenats(Anwaltshaftung) war somit nicht mehr zu entscheiden, weil man damit konkret nicht zu einem anderen Ergebnis gelangt.

Anmerkung:
In der Besprechung Urteils des Kammergerichts (Vorinstanz) war unsererseits die Entscheidung des BGH mit Spannung erwartet worden.

Denn das Kammergericht hatte deutliche Sympathie für die großzügigere Rechtsprechung u. a. des 9. Zivilsenats durchblicken lassen. Dort zeichnet sich eine Linie ab, wonach die bloße Tatsachenkenntnis bei der Beraterhaftung nicht genügt, sondern quasi der Blick auf die Pflichtverletzung frei sein muss. Es muss also zumindest erkannt werden können, dass der Berater von professionellen Standards abgewichen ist.

Der 3. Senat beantwortet die Frage mit einem „Cliffhanger“.

Kurz vor der sonst unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der abweichenden Rechtsprechung nimmt der 3. Senat quasi die letzte Ausfahrt und differenziert seine Rechtsprechung dahin, dass jedenfalls bei einer Verschleierung der Rechtslage die Verjährung noch nicht mit bloßer Tatsachenkenntnis beginnt.

Damit nähert sich die Rechtsprechung der verschiedenen Senate an. Die Grundfrage bleibt indes nach wie vor offen und die Spannung somit erhalten.

Ob die gefundene Differenzierung auf längere Sicht tauglich ist, wird abzuwarten bleiben. Immerhin erzeugt der Notar in allen seinem Handeln stets den Anschein, genauso sei es rechtens (und man ist in aller Regel davon selbst auch überzeugt). Ob die hier abgegebene Belehrung tatsächlich einen stärkeren Charakter hat als das einfache „Tun“ in anderen Sachzusammenhängen, kann man bezweifeln. Man könnte umgekehrt argumentieren, dass bei der hiesigen Belehrung immerhin die Problemsituation frühzeitig bekannt geworden ist, während sonst der Fehler wegen der fehlenden rechtlichen Bewertung oft viel tiefer verborgen, weil vermeintlich unproblematisch, schlummert.

Im Ergebnis hat man den Eindruck gewonnen, als habe in diesem Falle – ganz ausnahmsweise – das Kammergericht eine Aufhebung und Zurückverweisung fast angestrebt und nun auch erhalten.

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Die HOAI kippt – und jetzt?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Entscheidung
1. Die Zukunft

Das Urteil bedeutet, dass in den noch regulierten Bereichen die Preise freizugeben sind. Mindest- und Höchstsätze dürfte es in Kürze nicht mehr geben. Die Geltung eines Honorarsatzes für den Fall, dass die Parteien bei Auftragserteilung nichts anderes (schriftlich) vereinbaren, wäre weiterhin zulässig. Wie das künftig aussieht, ist letztlich eine Frage der Politik.

2. Die Vergangenheit

Interessant ist natürlich die Frage, wie sich das Urteil auf bestehende Vorgänge und Verträge auswirkt. Hier kann man aus dem komplizierten Zusammenspiel zwischen Europarecht und nationalem Recht nur Prognosen wagen. Manche davon sind ziemlich sicher, andere wackelig. Eine kleine Auswahl anbei:

Die HOAI als Vertragsgrundlage vereinbart?

Kein Problem, denn die Vertragsfreiheit erlaubt es, das Honorar auf beliebige Weise zu bestimmen. Auch zukünftig ist dies kein Problem, wenn die Vertragsparteien es wollen.

Ohne konkrete Honorarabsprache die Mindestsätze verlangen?

Sehr wahrscheinlich möglich, denn das Verbot des EuGH bezieht sich nicht darauf, einen Honorarstandard vorzugeben, von dem nur schriftlich abgewichen werden kann. Das Erfordernis eines schriftlichen Vertrages alleine ist kein Hindernis im Sinne der EU-Richtlinie.

Ärger mit der Architektenkammer wegen Mindestsatzunterschreitung?

Wahrscheinlich vorbei! Denn gegenüber staatlichen Stellen – und dazu gehört im weiteren Sinne auch eine Architektenkammer – kann man sich darauf berufen, dass die Richtlinie schon seit 2011 die Abschaffung der Mindestsätze erfordert hätte.

Trotz einer schriftlichen niedrigeren Pauschalvereinbarung später die höheren Mindestsätze nachfordern?

Völlig offen, da hört man unterschiedliche Meinungen. Meine eigene: Gegenüber dem Staat (öffentliche Auftraggeber) muss das allemal gehen, da dieser die HOAI bis zum Schluss verteidigt hat und sich so lange dann selbst auch daran binden lassen muss. Aber auch für Vereinbarungen mit privaten Auftraggebern vertrete ich aus europarechtlichen Gründen die Auffassung, dass die Mindest- und Höchstsätze als bislang geltendes Recht ungeachtet der fehlenden Umsetzung der Richtlinie bis zum Urteil des EuGH vom 04.07.2019 anwendbar bleiben, und zwar wegen der fehlenden horizontalen Direktwirkung der EU-Richtlinie. Eine richtlinienkonforme Auslegung der HOAI-Bestimmungen über Mindest- und Höchstsätze ist meines Erachtens nicht möglich.

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Heilung für verdecktes Geschäft zu ermöglichen: Nicht Schutzzweck der Notarpflicht!

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH, Urteil vom 4.4.2019 — Aktenzeichen: III ZR 338/17

Leitsatz
Die notariellen Belehrungspflichten beschränken sich auf das konkret zu beurkundende Geschäft. Ein innerer Zusammenhang besteht nur mit einem Schaden, der im Bereich dieses beurkundeten Geschäfts entstanden ist, nicht jedoch mit einem verdeckten Geschäft, das der Notar nicht kennt oder kennen muss.

Sachverhalt
Ein Bauträger will eine Reihe von Wohnungen verkaufen. Der Notar gestaltet die Verträge so, dass der Erwerber ein bindendes Angebot abgibt, welches nach Ablauf der Bindefrist zwar widerrufen werden kann, ohne Widerruf aber fortgilt und weiterhin annehmbar ist.

Der Bauträger nimmt ein solches Angebot des Käufers auf Erwerb einer Wohnung zum Preis von 81.500,00 € nach Ablauf der Bindefrist an. Der Käufer schließt einen entsprechenden Darlehensvertrag ab. Der Vertrag wird abgewickelt und das Eigentum im Grundbuch eingetragen.

In Wahrheit hatten die Parteien allerdings vereinbart, dass der Käufer eine Eigenprovision von rund 13.000,00 € erhalten soll. Der wirklich gewollte Kaufpreis ist daher geringer.

Der Käufer verlangt in einem Vorprozess vom Bauträger erfolgreich die Rückabwicklung des Vertrages. Denn die Klausel, wonach das Angebot nach Ablauf der Bindefrist weiter fortwirkt, verstößt gegen AGB-Recht und ist unwirksam. Die Annahmeerklärung des Bauträgers war daher nicht mehr auf ein bestehendes Angebot bezogen, sondern galt als ein neues Angebot, welches niemals angenommen wurde. Trotz der Eintragung im Grundbuch wird das Geschäft rückabgewickelt.

Der Bauträger verlangt im vorliegenden Prozess Schadensersatz vom Notar wegen fehlerhafter Vertragsgestaltung. In den Instanzen mit wechselndem Erfolg.

Entscheidung
Der BGH weist die Klage ab.

Eine Pflichtverletzung liegt vor. Der Notar hätte — auch schon 2006 — das notarielle Angebot nicht mit Fortwirkung über die Bindefrist hinaus konzipieren dürfen. Er hätte die Annahmeerklärung des Bauträgers daher nicht beurkunden dürfen, sondern hätte darüber belehren müssen, dass der Vertrag so nicht wirksam zustande kommen kann.

Auch die Kausalität zum Schaden ist gegeben. Wegen des fehlenden Vertragsschlusses war der Vertrag auch nach Eintragung in das Grundbuch rückabzuwickeln. — Diese Konsequenz wäre nach dem problematischen Parallelgeschehen allein nicht eingetreten. Zwar war das beurkundete Geschäft als Scheingeschäft nichtig (§ 117 BGB). Das tatsächlich gewollte Geschäft — einschließlich Eigenprovision bzw. mit dem geringeren echten Kaufpreis — war nicht in der vorgeschriebenen Form beurkundet (§ 125 BGB). Dieses Malheur wäre aber durch die Eintragung in das Grundbuch geheilt worden. Der Käufer hätte also ab diesem Zeitpunkt mit dem wirklich gewollten Vertragsinhalt leben müssen. Er hätte keine Rückabwicklung bekommen.

Eine Haftung scheidet dennoch aus. Der Schutzzweck der notariellen Belehrungspflichten bezieht sich auf das beim Notar zu beurkundende Geschäft. Dieses aber war ein Scheingeschäft und wäre somit ohnehin nichtig gewesen und nichtig geblieben. Auf den verdeckten — und dem Notar nicht erkennbaren — Vertragsinhalt bezieht sich die Belehrungspflicht nicht.

Anmerkung:
Das Ergebnis erscheint richtig. Der Notar ist nicht dafür verantwortlich, ein verdecktes Geschäft zur Geltung zu bringen, welches die Parteien ihm nicht mitgeteilt haben und das ihm nicht bekannt sein konnte. Der Notar hat ja nur „verhindert“, dass das wirklich gewollte — aber gar nicht beurkundete — Geschäft später aufgrund einer Heilungsklausel durch Eintragung ins Grundbuch noch Wirksamkeit erlangen konnte.

Bezüglich des beurkundeten Vertrages hatte der Notar eben „Glück“, dass dieses Geschäft zwischen den Beurkundungsparteien eben nicht wirklich gewollt war und somit als Scheingeschäft sowieso der Nichtigkeit unterfiel.

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Baugrundgutachten falsch–wo liegt der Schaden?

OLG Köln, Urteil vom 16.7.2014 — Aktenzeichen: 11 U 44/13

Leitsatz
Fehler im Baugrundgutachten führen nur zu einem Vertrauensschaden, es sei denn, der Gutachter hätte eine Garantie für die Bodenbeschaffenheit gegeben.

Sachverhalt
Der Bodengutachter soll ein Baugrundgutachten für ein Grundstück erstellen, auf dem die Kaufinteressentin ein Kühllager errichten möchte. Der Schwerpunkt liegt auf Altlasten, aber eine allgemeine Gründungsempfehlung wird ebenfalls abgegeben. Dabei wird im Gutachten betont, das die Größe der Lasten für das Gebäude nicht bekannt sei.

Der Bauherr kauft das Grundstück und errichtet das Lagerhaus. Dabei entstehen Mehrkosten für die Gründung von ca. 1 Million Euro gegenüber der Gründung, wie sie im Gutachten dargestellt war. Diese Mehrkosten macht der Bauherr geltend, denn er hätte das Grundstück bei frühzeitiger Kenntnis über die wahren Verhältnisse nicht erworben.

Entscheidung
Das Landgericht klärt die strittige Frage nicht auf, ob das Gutachten überhaupt fehlerhaft gewesen ist, sondern weist die Klage ab. Das OLG Köln folgt dem; der Bundesgerichtshof hat die Sache nicht zur Verhandlung angenommen.

Der Baugrundgutachter hat keine Garantie für den Baugrund übernommen, daher haftet er nicht unmittelbar für die Mehrkosten. Ansonsten kann der Schaden höchstens darin liegen, ein unpassendes Grundstück erworben zu haben. Der darin liegende Schaden wird aber gerade nicht geltend gemacht, sondern es werden die Mehrkosten verlangt, die auch bei rechtzeitiger Information immer angefallen wären.

Praxistipp
Baugrundgutachter haben es generell nicht leicht. Sie dürfen ein paar Probebohrungen machen, und dann wird von Ihnen erwartet, dass Ihre Prognose „passt“. Gern wird im Nachhinein jede Erschwernis beim Geologen angemeldet. Zu Unrecht, wie das Urteil zeigt.

Dabei hat eine Aufklärung, ob wirklich im Rahmen des gezogenen Auftrags ein „Fehler“ vorlag, nicht stattgefunden, weil die Klage auch dann keinen Erfolg haben konnte, wenn man einen Fehler unterstellte. Da der Bodengutachter auf die Einschränkung der unbekannten Lasten hingewiesen hatte, darf man zweifeln, ob man ihm eine Pflichtverletzung ankreiden kann.

Eine Garantie lag nicht vor. Man müsste als Bodengutachter auch naiv sein, um eine solche Garantie abzugeben, wo doch auf jedem Meter Anomalien lauern könnten.

Der Kern der Entscheidung liegt in der Schadensfrage. Der Bodengutachter kann keinen Boden liefern, sondern nur Informationen. Sind diese falsch, muss man die Frage stellen: Wie wäre es gekommen, wenn wir frühzeitig die richtige Information gehabt hätten? Nur damit ermittelt man die Vergleichsbasis für die Schadensberechnung. Hätte man das Grundstück nicht erworben, hätte man keinen Kaufpreis gezahlt, natürlich keine Mehrkosten gehabt, hätte aber auch kein Grundstück mit Kühllager im Bestand. Aus dieser Gesamtsituation darf man eben nicht nur einen Posten heraussuchen, sondern man müsste — wenn überhaupt — eine Gesamtbilanz aufmachen.

Wie hätte der Erwerber an die Sache herangehen können? Er hätte auf den Bau des Lagers verzichten und den Kaufpreis plus etwaige Planungskosten (Zug um Zug gegen Übereignung des fälschlich erworbenen Grundstücks) verlangen können. Die Mehrkosten könnten dann den Schaden darstellen, wenn der Bauherr zwei gleichwertige Grundstücke zur Auswahl hatte, von denen eines normal bebaubar war und das andere nur mit Zusatzaufwand. Hier könnte er darstellen, dass er mit einer zutreffenden Information das „bessere“ Grundstück gekauft hätte und per Saldo dann weniger Aufwand für das gleiche Ergebnis hätte treiben müssen.

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Altersvorsorge und Risiko

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2014 — Aktenzeichen: III ZR 365/13

Leitsatz
Allein der Umstand, dass die Kapitalanlage auch der ergänzenden Altersvorsorge dienen soll, schließt die Empfehlung einer mit Risiken versehenen Anlage nicht aus.

Sachverhalt
Der Kläger beteiligte sich im Jahre 1998 nach Anlageberatung der Beklagten an der M. GbR mit einer Bareinlage von 70.000 DM zuzüglich 5 % Agio. Bei der M.GbR handelt es sich um eine Beteiligungsgesellschaft, die Beteiligungen an vier Grundbesitzgesellschaften hält, denen jeweils eine Immobilie gehört. Der Kläger erhielt von 1999 bis 2002 Ausschüttungen. Ab 2002 geriet die M.GbR in eine wirtschaftliche Schieflage, die eine Einstellung der Ausschüttungen und verschiedene Sanierungskonzepte nach sich zog. Am 1. Januar 2003 wurde über das Vermögen der M. AG (die unter anderem als Grundbuchtreuhänderin, Baubetreuerin, Generalmieterin und Verwalterin fungierte) das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe eine Anlage für seine Altersvorsorge gewollt. Diesem Anlageziel habe die Beteiligung an der M.GbR nicht entsprochen. In der persönlichen Anhörung hat er als weiteren Zweck den Wunsch genannt, Steuern zu sparen.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz und bekommt vom Oberlandesgericht Recht.

Entscheidung
Der BGH hebt die Entscheidung auf und verweist den Fall zur weiteren Sachaufklärung zurück.

Ein automatischer Rückschluss vom genannten Ziel der Altersvorsorge darauf, dass nur ganz risikoarme Kapitalanlagen empfohlen werden dürfen, ist nicht gerechtfertigt.

Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung des Anlageziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden, etwa seiner Risikobereitschaft, zugeschnitten sein. Soll das beabsichtigte Geschäft einer sicheren Geldanlage dienen, kann die Empfehlung einer unternehmerischen Beteiligung wegen des damit regelmäßig verbundenen Verlustrisikos fehlerhaft sein. Andererseits rechtfertigt nicht schon allein der Umstand, dass die Kapitalanlage auch der ergänzenden Altersvorsorge hat dienen sollen, den Schluss, die Empfehlung der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds stelle keine anlegergerechte Beratung dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits eine ausreichende Absicherung für das Alter besteht und es gerade auch darum gehen soll, Steuern einzusparen; denn Letzteres ist regelmäßig nicht ohne Verlustrisiko zu erreichen. Darüber hinaus handelt es sich bei einem geschlossenen Immobilienfonds um eine Art der Unternehmensbeteiligung, bei der das Risiko eines hohen oder vollständigen Kapitalverlusts gering ist, weil selbst bei unzureichendem Mietertrag jedenfalls der Sachwert des Immobilienvermögens normalerweise erhalten bleibt. Dass ein Teil des Fondskapitals fremdfinanziert wird, macht die Fondsbeteiligung noch nicht zu einer „hochspekulativen“ Anlage, die für eine nur ergänzende Altersvorsorge von vorneherein als untauglich angesehen werden müsste. In seiner Parteivernehmung hat der Kläger angegeben, dass die Anlage als „Altersvorsorge, als Zubrot gedacht“ gewesen sei und der „Aufbesserung“ der gesetzlichen Rente habe dienen sollen. Dies spricht eher für eine nur ergänzende Altersvorsorge.

Kommentar
Das war überfällig: Der BGH mahnt mit der Entscheidung erneut eine am Einzelfall orientierte Bewertung der Anlageberatung auch beim Zweck der Altersvorsorge an. Die vorangegangene maßgebliche Entscheidung vom 24. April 2014, III ZR 389/12, ist an dieser Stelle bereits besprochen worden.

In der Tat kommt es auf die genauen Umstände nämlich an. Altersvorsorge ist nicht gleich Altersvorsorge.

Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob die Investition nur für das Sahnehäubchen der Altersvorsorge dient oder für den absolut benötigten Grundstock. Es sollte ferner darauf ankommen, ob die Investitionen einen größeren oder kleineren Anteil am Gesamtvermögen ausmacht, da auch bei einer grundsätzlich auf Sicherheit bedachten Anlagestrategie eine Beimischung von risikoreicheren Anlagen nicht fehlerhaft sein muss. Auch der zeitliche Horizont dürfte eine Rolle spielen; wer bis zum Eintritt in die Altersrente noch viele Jahre vor sich hat, kann tendenziell etwas höhere Risiken eingehen als derjenige, der das Kapital alsbald benötigt. Dies zumal, wenn mit der Anlage auch noch Steuern gespart werden sollen, was bekanntlich nur bei Eingehung eines unternehmerischen Risikos funktioniert.

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Welche Version der HOAI bei stufenweiser Beauftragung?

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.12.2014 — Aktenzeichen: VII ZR 350/131

Leitsatz
Wird ein Architekt oder Fachplaner stufenweise beauftragt, so kommt die HOAI zur Anwendung, die bei endgültiger Beauftragung der jeweiligen Stufe in Kraft ist.

Sachverhalt
Ein Wasser- und Schifffahrtsamt beauftragt Architekten mit der Planung für ein neues Dienstgebäude. Der Auftrag wird so erteilt, dass zunächst die Leistungsphasen 1 bis 4 („Phase 1“) mit Vertragsabschluss am 26.05.2009 auszuführen sind. Die späteren Leistungsphasen 5 bis 8 („Phase 2“) werden optional beauftragt, d.h. die Behörde kann sich noch entscheiden, ob diese Leistungsphasen tatsächlich zur Ausführung kommen; die Architekten verpflichtet sich, diese Leistungen auszuführen, wenn sie ihnen innerhalb von 24 Monaten nach Fertigstellung seiner Leistungen der „Phase 1“ übertragen werden. Am 18.08.2009 tritt eine neue HOAI in Kraft. Erst wesentlich danach überträgt die Behörde die Leistungen der „Phase 2“ an die Architekten. Diese verlangen als Honorar in den Leistungsphasen 5 bis 8 die Mindestsätze, wie sie sich aus den Tabellenwerten für die neue HOAI ergeben.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof gibt der Klage der Architekten statt.

Es handelt sich rechtlich hinsichtlich der Leistungen der „Phase 2“ um ein bindendes Angebot der Architekten, welches von der Behörde zu einem späteren Zeitpunkt angenommen werden kann. Der Wortlaut der Übergangsregelungen § 55 HOAI 2009 stellt darauf ab, wann die Leistungen vertraglich vereinbart wurden. Damit ist das Zustandekommen des Vertrages gemeint und nicht schon die Honorarabrede für eine spätere Beauftragung.

Kommentar
Der Fall zeigt exemplarisch den Umgang mit den zeitlichen Übergang zwischen verschiedenen Versionen der HOAI auf. Besonders bei der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand sind solche stufenweisen Beauftragungen inzwischen die Norm. Aus Sicht des Steuerzahlers völlig zu recht, denn dann muss man die Architekten nicht teuer entschädigen, falls das Projekt nicht durchgeführt werden kann. Der Nachteil ist, dass man die Preise aus der Zeit des Vertragsschlusses dann nicht „einfrieren“ kann.

Auf den Übergang zwischen der HOAI 2009 und der HOAI 2013 können die Ausführungen des BGH ohne weiteres übertragen werden. Sie gelten auch für die anderen Leistungsbilder der HOAI, z.B. für die Fachplanerleistungen der technischen Gebäudeausrüstung.

Ganz so leicht, wie es sich manche Ingenieurbüros nach Bekanntwerden der Entscheidung vorstellen, ist es aber auch wieder nicht. Es kann nicht etwa einfach statt der alten Tabelle die neue Tabelle herangezogen werden und ansonsten nach den bisherigen Vertragsgrundlagen verfahren werden. Zunächst erfolgte vielmehr im Grundvertrag durchaus eine verbindliche Honorarabrede auch zu den später optional abzurufenden Leistungen. Durch die geänderte HOAI ändert sich lediglich die Bezugsgröße, um eine etwaige Mindestsatzunterschreitung festzustellen. Man muss also folgendes tun: Man ermittelt das im Vertrag vereinbarte Honorar. Dann vergleicht man dieses Honorar mit dem Mindesthonorar nach der neuen HOAI. Unterschreitet das vereinbarte Honorar die Mindestsätze, ist es entsprechend aufzustocken; ansonsten ist es beizubehalten.

Wird in der neuen HOAI ein Leistungsbild z.B. aus der Preisbindung herausgenommen, gilt insoweit das zuvor vereinbarte Honorar auf Basis der alten HOAI weiter.

Eine weitere Abgrenzung ist vorzunehmen: Allein dadurch, dass sich die Erbringung der Leistungen bis in einen Zeitraum hinzieht, der nach dem Inkrafttreten der neuen HOAI liegt, ändert sich am vereinbarten Honorar selbstverständlich nichts. Es kommt nach den zuletzt üblichen Übergangsvorschriften nicht auf die Leistungserbringung an, sondern auf den Zeitpunkt des verbindlichen Vertragsschlusses für diese jeweiligen Leistungen. Man kann aber selbstverständlich, falls beide Parteien das wollen, bei einem absehbaren Inkrafttreten einer neuen HOAI vereinbaren, dass die bis zum Stichtag geleisteten Tätigkeiten nach der alten HOAI und die ab diesem Stichtag geleisteten Tätigkeiten nach der neuen HOAI vergütet werden. Ob eine solche Vereinbarung auch in einem Formularvertrag des Architekten oder Ingenieurs vorgesehen werden kann, ist eine noch ungeklärte Frage.

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Vertragsinhalt bei heimlichen Änderungen vor Unterschrift

BGH, Urteil vom 14.5.2014 — Aktenzeichen: VII ZR 334/12

Leitsatz
Will der Empfänger eines Angebots Abweichungen erreichen, muss er dies klar zum Ausdruck bringen. Ansonsten kann seine Erklärung nach Treu und Glauben ggf. so verstanden werden, dass er ohne Änderung zustimmt.

Sachverhalt
Der Auftraggeber übermittelt dem Auftragnehmer einen unterschriftsreifen Bauvertrag. Darin heißt es, dass 95% der Auftragssumme nach Schlussrechnung ausgezahlt werden und 5% für die Dauer der Gewährleistungszeit als Sicherheit dienen.

Der Auftragnehmer ändert den Vertragsinhalt hier ab. Mit identischer Schrifttype fügt er ein, dass eine Auszahlung zu 100% erfolgt und Verrechnungen mit alten Bauvorhaben nicht vorgenommen werden dürfen. So wird der Vertrag von ihm und dann auch vom Auftraggeber unterzeichnet, weil der Auftraggeber (wie zu unterstellen ist) die Änderung nicht bemerkt hat.

Der Auftraggeber will nun unstreitigen Restwerklohn in Höhe von rund 70.000,00 € mit seinen Ansprüchen aus einem alten Bauvorhaben verrechnen. Der Auftragnehmer verweist auf den abgeschlossenen Vertrag, der ein Aufrechnungsverbot vorsieht.

Entscheidung
Die ersten beiden Instanzen erlauben die Aufrechnung nicht mit Hinweis auf den abgeschlossenen schriftlichen Vertrag. Der BGH sieht das anders und hebt das Urteil auf.

Unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung erläutert der BGH, dass ein Vertragspartner, wenn er ein Angebot nur verändert annehmen will, dies klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen müsse. Ansonsten könne seine Erklärung als unveränderte Annahme verstanden werden.

Im konkreten Fall lasse die Vorgehensweise darauf schließen, dass der Auftragnehmer die abweichenden Vertragsbestimmungen heimlich „unterschieben“ wollte. Dies ergebe sich aus dem Versuch, den Text zu ändern, ohne dies im Schriftbild erkennbar werden zu lassen, und an der lapidaren Mitteilung an den Auftraggeber, er erhalte anliegend den unterzeichneten Vertrag zurück, ohne auf die Änderung auch nur andeutungsweise hinzuweisen.

Damit habe der Auftragnehmer bewusst den Eindruck vermittelt, das Vertragsangebot unverändert unterschrieben zu haben.

Das zuletzt eingefügte Aufrechnungsverbot gelte daher nicht.

Kommentar
Die unteren Instanzen hatten nach der Maxime entschieden „Verträge sind zum Lesen da“, der BGH zieht im Gegenzug die bekannte „Schweinehund-Theorie“ heran. So könnte man das Urteil volkstümlich kommentieren.

Rechtlich sind die Überlegungen : Wer ein Vertragsangebot nicht unverändert, sondern mit Änderungen annimmt, lehnt das Angebot in Wahrheit ab und unterbreitet ein eigenes Gegenangebot. So steht es in § 150 Abs. 2 BGB. Erst wenn ein einfaches „ja“ als Antwort kommt, ist der Vertrag abgeschlossen.

Insoweit ist ein abgeänderter Vertragstext erst einmal etwas anderes als der angebotene Vertrag. Man muss nur die beiden Versionen nebeneinander legen, dann sieht man das auch. also handelt es sich, so könnte man meinen, um eine Ablehnung verbunden mit einem Gegenangebot.

Dies ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, wie der Empfänger einer Erklärung diese verstehen kann und darf. Hier gilt im Allgemeinen, dass der Empfänger ohne besonderen Anlass nicht noch einmal beginnt, ein möglicherweise umfangreiches Vertragswerk von vorne bis hinten und Wort für Wort durchzulesen. Bei ihm kommt die Erklärung als schlichtes Einverständnis an. Und dann gilt das auch so.

Wo nun die genaue Grenze ist, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Wenn an einem maschinenschriftlichen Text beispielsweise handschriftliche Streichungen und Änderungen vorgenommen werden, dann würde meiner Meinung nach der Fall anders aussehen, jedenfalls dann, wenn der Vertrag nur ein paar Seiten umfasst. Denn eine rasche Durchsicht, ob solche augenfälligen Streichungen oder Änderungen vorgenommen worden sind, kann man schon erwarten.

Mit der Entscheidung des Einzelfalls, wie er sich aus der Darstellung jedenfalls ergibt, darf man indes einverstanden sein. Wir will schon gerne trickreich Änderungen untergeschoben bekommen?

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Nutzungsausfall bei verspäteter Herstellung durch den Bauträger

BGH, Urteil vom 20.2.2014 — Aktenzeichen: VII ZR 172/13

Leitsatz
Auch bei Verzug mit der Herstellung von Wohnraum kann ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung bestehen

Sachverhalt
Die Kläger erwarben von einem Bauträger eine durchgreifend zu sanierende Altbauwohnung mit 136 m² Wohnfläche. Es trat gravierender Verzug auf, da die Wohnung statt am 31.08.2009 dann auch noch im Herbst 2011 nicht bezugsfertig war.

Die Erwerber lebten in einer Wohnung von lediglich 72 m². Sie machen vom 01.10.2009 bis zum 30.09.2011 Nutzungsausfallentschädigung geltend. Sie verlangen nicht nur die weiterzuzahlende Miete, sondern weitergehend eine Nutzungsentschädigung dafür, dass sie während dieser zwei Jahre entgegen der vertraglichen Vereinbarung die schöne, neue und große Wohnung noch nicht haben nutzen können.

Das OLG Jena hat den Anspruch bereits bejaht und bei der Höhe bestimmte Abschläge vorgenommen. Mit der Revision will der Bauträger das Urteil kippen.

Entscheidung
Der BGH weist die Revision zurück und gibt dem Erwerber Recht.

Es ist seit langem anerkannt, dass zentrale Güter für die Lebensführung etwa bei Zerstörung oder Beschädigung einen Nutzungsausfall nach sich ziehen. Dies gilt für Kfz, aber auch bei Eingriffen in den Bestand einer bestehenden Wohnung, nicht jedoch etwa bei Wohnwagen oder Motorbooten.

Dass die Wohnung ein zentrales Lebensgut ist, ist also gesichert. Die Frage des Falles ist vielmehr, ob auch ein Schadensersatzanspruch, der aus bloßem Verzug mit der Herstellung resultiert, einen solchen Nutzungsausfallanspruch nach sich ziehen kann. Denn in diesen Fällen hatte der Erwerber das Wirtschaftsgut noch nicht zur Verfügung, so dass in seine Rechtsposition nicht in dem Sinne „eingegriffen“ wird; es wird nichts weggenommen oder zerstört.

Der BGH hat indes den Anspruch bejaht und die Vergleichbarkeit zu den Fällen der Sachbeschädigung hergestellt.

Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist demgemäß:

– Es muss um zentrale Güter der Lebensführung gehen, also zum Beispiel das Familienheim oder auch ein neu ausgebautes Dachgeschoss.

– Es muss eine längere Verzugsdauer bestehen, wobei noch nicht definiert ist, ab welchem Verzugszeitraum eine Nutzungsausfallentschädigung beginnt und wie lange der Zeitraum andauern muss, bevor die Belastung überhaupt entsprechend ausgeprägt ist, dass man von einer Beeinträchtigung sprechen kann.

– Eine in etwa gleichwertige Wohnung darf nicht schon zur Verfügung stehen, so dass die Einschränkung durch die späte Fertigstellung für den Erwerber sehr deutlich spürbar sein muss.

Kommentar
Die Grundregel im deutschen Recht ist, dass es für immaterielle Güter (bloße Nutzungsmöglichkeit, Freizeit, etc.) nur eine Entschädigung gibt, wenn gesetzlich ausnahmsweise vorgesehen (§ 253 Abs. 1 BGB). Dieser Grundsatz ist seit langem in der Rechtsprechung aufgeweicht, der solchen Gütern teils Vermögenswert zuweist. Die Entschädigung für entgangene Nutzungsmöglichkeiten ist insbesondere im Bereich der Kfz-Unfälle für jeden ein Begriff. Auch bei der Beschädigung von Häusern und Wohnungen (man denke an einen Wasser- oder Brandschaden) kommen diese Grundsätze in Betracht.

Ganz neu an der Entscheidung des BGH ist aber, dass diese Rechtsgrundsätze auch bei bloßem Verzug mit der Herstellung einer bestellten Ware eingreifen können. Rechtlich macht das keine großen Probleme, denn die Verzugsvorschriften verweisen für die Folgen auf dieselben Schadensersatznormen wie bei Beschädigung und Zerstörung von Sachen.

Daher dürfte die Entscheidung im Ansatz richtig sein. Es kann nicht wirklich darauf ankommen, ob am Tag der Übergabe der Bauträger einen kapitalen Wasserschaden produziert und die Wohnung dann ein Jahr nicht bewohnbar ist oder ob er von vornherein nicht „liefert“. Die Belastung für eine Familie, die möglicherweise in beengten Verhältnissen wohnt, ist dieselbe.

Gespannt wird man auf die Ausprägungen sein dürfen. Es gibt einige Probleme, die sich bei der Beschädigung von bereits im Eigentum befindlichen Sachen nicht stellen. So muss man hier fragen, ob tatsächlich ein Anspruch auf Nutzungsausfall besteht, wenn der Bauträger mit einer Maßnahme über mehrere Jahre überhaupt nicht beginnt, aber auch noch kein Geld gezahlt worden ist. Dann wird man zumindest im Rahmen der Schadensberechnung fragen müssen, was der Erwerber bei pünktlicher Herstellung bereits gezahlt hätte und welche zusätzlichen Belastungen (Darlehenszinsen) er dadurch hätte.

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