Schwarzarbeit schon bei vereinbarter Verschiebung der Rechnung

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2020 – 22 U 73/20

 

Leitsätze 

  1. Vereinbart ein Planer mit seinem Auftraggeber einen Aufschub der Rechnungsstellung für seine Leistungen, bis der Auftraggeber seinerseits Leistungen für ein Bauvorhaben des Planers erbracht hat, ist der Vertrag nichtig.
  2. Eine Häufung von Indizien kann dazu Anlass geben, einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsverbot auch dann anzunehmen, wenn keine Partei sich auf eine solche Abrede beruft. Allein durch die Äußerung der Rechtsansicht seitens der Parteien eines Rechtsstreits, ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz liege nicht vor, wird dessen Anwendung nicht ausgeschlossen.
  3. Einem nichtigen Vertrag kann nicht dadurch zur Wirksamkeit verholfen werden, dass nachträglich Rechnungen gestellt werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger (ein Architekt) begehrt Honorar für Planungsleistungen für ein von den Beklagten (Gesellschafter bzw. Geschäftsführer der E-GmbH) errichtetes Mehrfamilienhaus, die spätestens im September 2016 abgeschlossen waren. Rechnungen wurden hierfür erstmals am 06.06.2017/07.06.2017 erstellt.

Nach dem Vortrag des Klägers sollten seine Planungsleistungen durch eine Zahlung sowie auch durch unentgeltliche Bauleistungen der E-GmbH an seinem privaten Haus vergütet werden.

Nachdem die Kammer des Landgerichts Bedenken äußert, dass mangels Rechnungsstellung ein Schwarzgeschäft vorliege, erklärt der Kläger jedoch, dass eine wechselseitige Rechnungsstellung beabsichtigt war. Sodann erklärt er wiederum, erst als er der E-GmbH am 31.05.2017 kündigte, sei er dazu veranlasst worden, Rechnungen zu stellen. Beide Parteien leugnen einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz. Das Landgericht weist die Honorarklage ab: Bei Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz könnten die Parteien keine gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Dagegen richtet sich die Berufung des Architekten.

 

Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der geschlossene Vertrag ist gem. § 134 BGB i.V.m. § 1 SchwarzarbeitsG nichtig, da der Kläger gegen die gesetzliche Pflicht verstößt, innerhalb von sechs Monaten nach Erbringung der Leistung eine Rechnung auszustellen (§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG).

Diesen Verstoß räumte der Kläger durch seinen Vortrag sogar selbst ein, indem er vortrug, dass er bis zur Kündigung der E-GmbH davon ausging, dass diese im Gegenzug Arbeiten an seinem Privathaus durchführe. Demnach hätte er mit der Rechnungserstellung im Falle einer Verzögerung der Arbeiten noch bis zu deren Abschluss gewartet. Auch auf der Beklagtenseite war ein Aufschub der Rechnungsstellung beabsichtigt.

Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien beabsichtigten, noch Rechnungen auszustellen, denn selbst eine nachträgliche Rechnungserstellung könnte den Vertrag nicht mehr wirksam werden lassen, wenn zunächst über 6 Monate hinaus ein Geschäft ohne Rechnung bestehen sollte.

Das Schwarzarbeitsgesetz sei bei ernsthaften Indizien im Zivilrecht anzuwenden, auch wenn beide Parteien dessen Anwendbarkeit mangels Vorsatzes leugnen. Abweichend vom Grundsatz, dass nur dasjenige berücksichtigt wird, was zumindest eine Partei vorträgt, folge das aus dem Zweck der Rechtsnorm, deren Wirksamkeit auch ins Zivilrecht transportiert werden müsse.

Dies ist vorliegend der Fall: Der widersprüchliche Vortrag des Klägers, die langwierige Geschäftsbeziehung der Parteien ohne schriftliche Verträge sowie die Rechnungserstellung nach über sechs Monaten nach der Leistungserbringung deuten auf Schwarzarbeit hin. Es liegt nahe, dass Leistung und Gegenleistung, soweit sie gleichwertig waren, „schwarz“ miteinander verrechnet werden sollten.

Infolgedessen sind aufgrund des Verstoßes gegen das Verbot der Schwarzarbeit Werklohnansprüche wegen der Unwirksamkeit des Vertrages ausgeschlossen. Auch der Wert der Leistung, um den der Empfänger ohne Gegenleistung bereichert ist, kann wegen § 817 S. 2 BGB nicht verlangt werden.

 

Anmerkung

Der Fall lässt bereits die vorübergehende Abrede der Leistung ohne Rechnung für den Gesetzesverstoß ausreichen, soweit gegen die Pflicht zur zeitigen Rechnungsstellung verstoßen werden soll. Die Anwendung des Schwarzarbeitsgesetzes auch bei entgegenstehendem Vortrag beider Parteien ist scheinbar eine Durchbrechung der sogenannten Parteimaxime, wonach im Zivilrecht allein die Parteien des Rechtsstreits den Streitstoff bestimmen. Es gab allerdings durch die Einlassungen des Klägers eine Tatsachenbasis, auf die sich das Urteil stützen konnte; darauf, ob die Parteien den Rechtsstandpunkt des Gerichts teilten oder gar eine Anwendung des SchwArbG ablehnten, kommt es nicht an.

Wie wichtig der Sachvortrag der einzelnen Parteien ist, zeigt der Fall auch. Hier hat der Kläger aus Versehen zugunsten des Beklagten vorgetragen, weil er die Rechtsfolgen anders beurteilte. Der eigene Vortrag muss gründlich überlegt und die damit verbundenen Rechtsfolgen müssen bedacht werden. Es fällt allerdings im Ergebnis schwer, von einem Missverständnis auszugehen: Welche harmlose Begründung könnte es dafür geben, dem Geschäftsführer für dessen private Bestellung keine Rechnung zu schicken, sondern erst einmal abzuwarten, welche Leistungen dessen GmbH am eigenen Haus erbringt?

 

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

 

 

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Grenzen der Notarhaftung bei Verstoß gegen Wartepflicht (§ 17 Abs. 2a BeurkG)

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH, Urteil vom 22.04.2021 – III ZR 164/19

Bei einem Verstoß gegen die notarielle Informations- und Wartepflicht (§ 17 Abs. 2a Satz 2 BeurkG) kann das Verhalten des Käufers nach Vertragsschluss für die Bewertung herangezogen werden, wie der Verlauf bei richtigem Verhalten des Notars gewesen wäre.

Sachverhalt:

Die Käufer erwerben im Jahr 2008 eine 55 m² große Eigentumswohnung zum Preis von 87.500,00 €. Sie nehmen nachfolgend zur Finanzierung des Kaufpreises ein Bankdarlehen in Höhe von 87.940,00 € auf und lassen eine Grundschuld als Sicherheit beurkunden. Nach fünf Jahren verklagen die Käufer die damalige Verkäuferin der Wohnung und die Vermittlerin wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung und sittenwidriger Überteuerung und erhalten durch einen Vergleich einen Teil des eingeklagten Schadensbetrages erstattet. Nochmals fünf Jahre später wird der Notar auf Zahlung des verbleibenden Schadens verklagt.

Der Kläger macht aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau geltend, die Wartepflicht sei damals nicht eingehalten worden. Seine Ehefrau und er hätten den Vertragstext vorab nicht erhalten und sogar den Kaufpreis erst bei der Beurkundung erfahren.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Aus dem Verhalten nach Vertragsschluss, als sich die Käufer um die Durchführung des Kaufvertrages bemühten, haben die Richter den Schluss gezogen, dass die Käufer auch bei richtigem Verhalten des Notars (also nach korrekter Information und nach Ablauf der Wartefrist) den Vertrag ebenso abgeschlossen hätten. Ihnen sei daher aus dem Fehler des Notars kein Schaden entstanden.

Entscheidung:

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zurück.

Seine bisherige Rechtsprechung der letzten Jahre fasst der BGH zusammen und bestätigt sie. Danach ist der Verstoß gegen die Wartepflicht stets kausal für den konkreten Vertragsschluss, denn sonst hätte man frühestens 14 Tage später zur Tat schreiten können. Der Notar kann sich jedoch darauf berufen, dass die Käufer nach Ablauf der Wartefrist den Vertrag genauso geschlossen hätten. Für diesen hypothetischen Verlauf trifft den Notar die Darlegungs- und Beweislast. Zu seinen Gunsten gilt aber das herabgesetzte Beweismaß des § 287 ZPO, es reicht also die Überzeugung des Gerichts von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dem Käufer (Verbraucher) obliegt außerdem eine sekundäre Darlegungslast; er muss also vortragen, inwiefern sich die Dinge innerhalb der Wartefrist anders entwickelt hätten.

Der BGH bekräftigt, dass die Würdigung dieses Vortrags eine tatrichterliche Frage ist. Bei der Würdigung dürfen auch die Umstände im Anschluss an den tatsächlichen Vertragsschluss gewürdigt werden, hier also die Bemühungen der Käufer, den Erwerb weiter abzuwickeln. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nachfolgenden Schritte nicht immer bedeuten müssen, dass die Käufer vom Geschäft weiter überzeugt sind, sondern darin kann sich auch „resignierte Vertragstreue‟ zeigen, also die Annahme, „jetzt ist eh´ nichts mehr zu ändern‟.

Der BGH hätte die tatrichterliche Würdigung aber wohl stehen lassen, wenn die angebotenen Beweise ausgeschöpft gewesen wären. Der Kläger hatte jedoch Beweis durch seine Ehefrau angetreten, dass bei Ablauf der Wartefrist der Vertrag nicht zustande gekommen wäre, weil der Kaufpreis ihnen eigentlich zu hoch gewesen sei. Diesen Kaufpreis hätten sie erst bei der Beurkundung erfahren. In der Tat kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass sich unter diesen Umständen bei längerer Überlegungsfrist die Waage gegen das Geschäft geneigt hätte.

Die Entscheidung konnte also nicht getroffen werden, ohne die Zeugin zu vernehmen.

Anmerkung:

Der Fall zeigt, dass die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu dem Themenkreis inzwischen abgeschlossen ist. Es geht nur noch um die tatrichterliche Würdigung, ob bei Einhaltung der Informations- und Wartepflicht ein anderer Verlauf wahrscheinlich gewesen wäre.

Der BGH gestattet die Einbeziehung des Verhaltens der Käufer nach dem Vertragsschluss in diese Gesamtwürdigung, weist aber darauf hin, dass sich in der weiteren Abwicklung nicht Überzeugung und Begeisterung, sondern auch Fatalismus spiegeln mag. Daher sind – eigentlich selbstverständlich – vom Gericht Vorgänge aufzuklären, die dem Beweis zugänglich sind und ein Licht auch auf dieses nachträgliche Verhalten werfen können. Meines Erachtens bleibt es aber höchst erklärungsbedürftig, wenn in der Zeit nach dem Vertragsschluss keinerlei Anzeichen für Reue sprechen und nicht wenigstens ein zaghafter Versuch stattfindet, entweder beim Verkäufer oder beim Vermittler oder beim Notar nachzufragen, ob sich noch etwas ändern ließe. Oft liegt nach alledem doch der Schluss nahe, dass die heutige reuigen Käufer damals von dem Geschäft überzeugt waren – und sei es auch nur, weil sie ihr Vertrauen in manchmal zweifelhafte Beratung investiert hatten.

In den kommenden Jahren darf mit einem Restbestand an Fällen nach § 17 Abs. 2a BeurkG gerechnet werden. Geht man davon aus, dass ab Anfang 2013 durch die Leitentscheidung des BGH die Alarmglocken bei allen Notaren laut und vernehmlich läuteten, dann kann man damit rechnen, dass die letzten unentdeckten Fälle aus der „Altpraxis‟ im Jahr 2023 verjähren.

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz)

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Verjährungsbeginn bei Anwaltshaftung – nicht uferlos!

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

 

BGH, Urteil vom 29.10.2020, IX ZR 10/20

Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von den einen Schadensersatzanspruch begründenden Umstände liegt vor, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umstände den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat.

Die Aufforderung an den Anwalt, seinen Haftpflichtversicherer einzuschalten, zeigt in der Regel eine ausreichende Kenntnis an.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine Beamtin im Ruhestand und ließ sich von ihrem Ehemann scheiden. Dabei war der Versorgungsausgleich durchzuführen.
Das zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung erteilte im familiengerichtlichen Verfahren eine falsche Auskunft. Die früheren Bezüge zu DM- Zeiten wurden fälschlicherweise als Bezüge in Euro ausgewiesen.
Weder die Anwältin der Klägerin noch das Gericht bemerkten dies. Der Versorgungsausgleich wurde auf Basis der erteilten Auskunft unrichtig – viel zu hoch – festgelegt. Die Entscheidung wird rechtskräftig.

Nachdem der Fehler auffällt und alle Versuche scheitern, dies noch beim Familiengericht zu korrigieren, nimmt die Klägerin ihre frühere Anwältin in Anspruch.
Diese beruft sich auf Verjährung.

Entscheidung:

Nach dem revisionsrechtlich zugrundgelegten Sachverhalt ist der Anspruch verjährt.

Der Fall gibt dem IX. Zivilsenat beim Bundesgerichtshof Anlass, die bisherige Rechtsprechung zur Verjährung in der Anwaltshaftung zu konkretisieren.
Die Verjährung beginnt, wenn Kenntnis vom Anspruch oder grob fahrlässige Unkenntnis besteht, und sie endet drei Jahre nach dem Schluss des betreffenden Jahres.
Nach üblicher Lesart reicht es, die Tatsachen zu kennen, welche eine Haftung begründen, ohne dass man die richtigen rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen haben muss. Seit einigen Jahren, und dabei bleibt es auch, hat der IX. Zivilsenat für die Anwaltshaftung eine Modifikation vorgenommen. Danach muss zumindest das Bewusstsein bestehen, dass der Anwalt etwas „falsch‟ oder „abweichend vom Standard‟ gemacht hat. Denn der Bedarf nach Rechtsberatung beruht gerade darauf, dass der Mandant entsprechende Kenntnisse nicht hat – und mithin auch einen Fehler in der rechtlichen Beratung mangels Expertise nicht so wahrnehmen kann wie – sagen wir – die Beule am eigenen Auto.

Die Klägerin hatte vorliegend im Dezember 2013 ihre frühere Anwältin angeschrieben und sie gebeten, den Fall ihrer Haftpflichtversicherung zu melden.
Unter dieser Voraussetzung, so der BGH, war bereits Ende 2013 eine ausreichende Kenntnis vorhanden und die Klage hätte folglich bis zum 31.12.2016 erhoben werden müssen. Sie war aber erst im Verlauf des Jahres 2017 erhoben worden.
Eine Kenntnis aller Facetten oder ein abgeschlossener Schadensverlauf sei für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich. Wer einen Anspruch anmelden könne, der habe auch die erforderliche grundsätzliche Kenntnis.

Die Auffassung des Oberlandesgerichts in der Vorinstanz, dass ja noch um eine Korrektur beim Familiengericht gerungen werde und erst nach der Ablehnung im Jahr 2014 die Kenntnis gegeben war, erteilt der BGH eine Absage. Der Schaden ist nämlich bereits mit der ersten Entscheidung des Familiengerichts eingetreten, mag auch noch Aussicht bestehen, den Schaden wieder zu heilen. Das würde eine Feststellungsklage also nicht hindern.

Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde aufgehoben und zur Aufklärung des entscheidenden Sachverhaltselements zurückverwiesen.

Anmerkung:

Sicherlich handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung.

Der BGH musste den Fall entscheiden, weil die Revision zugelassen worden war.
Dadurch findet sich der Anlass, noch einmal auf die bisherige Rechtsprechung zu dem „Sonderweg‟ der Verjährung bei der Haftung von Rechtsberatern zurückzublicken.
Der Fall eignet sich aber eben auch, um darzustellen, dass auch auf dem „Sonderweg‟ der Beginn der Verjährung nicht unbegrenzt hinausgeschoben wird.

Es kann auch andere Konstellationen geben, in denen man wird sagen müssen, dass der Mandant die Sache bereits „durchblickt‟ hat und die Verjährung daher beginnt.

Hier kann nun die Klägerin bei Verjährung hoffentlich das – nur nachrangig haftende – Land für den Fehler des  Landesamtes für Besoldung heranziehen. Dort sitzen immerhin die Experten für Versorgungsbezüge. Insoweit wäre das kein ungerechter Ausgang.

Auf mittlere Sicht kann man sich überlegen, ob solche offenkundigen Fehler nicht doch noch im Nachhinein korrigierbar sein sollten. Immerhin leisten wir uns Behörden für die Ermittlung von Renten und Versorgungsbezügen, denen am Ende des Tages zu trauen ist, wenn man sich die Frage stellt, ob ein Urteil noch einmal aufgrund eines Irrtums korrigiert werden darf. Die Kriterien dürften ruhig weniger streng sein als bei der Wiederaufnahme von Verfahren.

Kein gutes Ergebnis wäre es nämlich, wenn die betroffene Person erst nach 15 Jahren – z. B. bei Renteneintritt – feststellt, dass man damals bei der Auskunft und bei deren Umsetzung im Familiengericht einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat. Dies könnte den Verlust der Rente durch einen bloßen Umrechnungsfehler bedeuten, und alle Verjährungsfristen wären dann aufgrund der Höchstfrist von 10 Jahren abgelaufen.

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz)

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Populäre Rechtsirrtümer am Bau – Ohne Wartungsvertrag nur zwei Jahre Gewähr?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Ohne Wartungsvertrag nur zwei Jahre Gewährleistung – dieses Wissen ist in Fachkreisen, die sich mit der Montage von Heizungs-, Lüftungs-, MSR- oder Elektroanlagen befassen, sehr verbreitet. Im überraschenden Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass es fast gar keine gerichtlichen Entscheidungen zu diesem Themenkreis gibt.
Also stellt sich wieder einmal die Frage: Mythos oder Wahrheit?

Die Antwort ist allerdings grundsätzlich schnell gegeben: § 13 Abs. 4 Ziffer 2 VOB/B regelt die Sache, wenn es dort heißt:

  • Ist für Teile von maschinellen und elektrotechnischen/elektronischen Anlagen, bei denen die Wartung Einfluss auf Sicherheit und Funktionsfähigkeit hat, nichts anderes vereinbart, beträgt für diese Anlagenteile die Verjährungsfrist für Mängelansprüche (…) 2 Jahre, wenn der Auftraggeber sich dafür entschieden hat, dem Auftragnehmer die Wartung für die Dauer der Verjährungsfrist nicht zu übertragen.

Also Wahrheit! Der Teufel steckt, wie so oft, auch hier wieder einmal im Detail. Zerlegt man den langen Satz in seine Bestandteile, muss man also berücksichtigen:

Abweichende Regelungen

Ohne Einbeziehung der VOB/B in einen Vertrag gilt die ganze Regelung nicht. Nach BGB sind solche Installationen entweder Bauvertrag (fünf Jahre) oder gelegentlich Werkvertrag an einer Sache (zwei Jahre). Auch bei Geltung der VOB/B kann ohne weiteres eine abweichende Regelung vereinbart sein.

Wartungsbedürftige Teile

Es muss sich außerdem um Teile von maschinellen oder elektrotechnischen/elektronischen Anlagen handeln. Das bekommen die Techniker meistens gut definiert. Eine verkürzte Gewährleistungsfrist gibt es aber nur für wartungsbedürftige Teile. Auch das ist eine technische Frage. Zur Beantwortung würde ich z.B. in gängige Wartungsvereinbarungen der verschiedenen Gewerke hineinschauen; dafür gibt es auch Verbandsempfehlungen. Dort sind für gängige Anlagen die wartungsbedürftigen Teile aufgeführt. Die anderen, nicht wartungsbedürftigen Teile (z. B. regelmäßig die Leitungen) haben keine verkürzte Gewährleistungsfrist. Meiner Meinung nach gilt das auch für solche Mängel, die zwar an wartungsbedürftigen Anlagenteilen auftreten, die aber durch die Wartung überhaupt nicht beeinflusst werden können (z.B. Materialfehler, gegen die Wartung nichts ausrichtet).

Entschluss des Auftraggebers gegen Wartungsvertrag

Voraussetzung ist außerdem, dass der Auftraggeber sich dagegen entschieden hat, dem Auftragnehmer die Wartung für die Dauer der Verjährungsfrist zu übertragen. Diese Übertragung kann schon im Bauvertrag enthalten sein oder durch einen separaten Wartungsvertrag geschehen.

Will der AG keinen Wartungsvertrag oder beauftragt er mit der Wartung ein drittes Unternehmen, dann kommt die Verkürzung der Verjährungsfrist zum Zuge.
Kann der AG sich eigentlich gar nicht „entschließen‟, weil der AN ihm keine Wartung anbieten möchte, gilt die Verkürzung trotz fehlenden Wartungsvertrages nicht.

Zweifelsfragen

Und dann gibt es noch die Zweifelsfragen in der Mitte: Was ist, wenn der AN die Wartung nur zu „Mondpreisen‟ anbietet? Als Jurist würde ich entscheiden: Wenn ich eine Strategie erkennen kann, dass man gar keinen Wartungsauftrag bekommen will, erreicht man so keine Verkürzung der Gewährleistungsfrist. Aber dafür reicht es noch nicht, dass man teurer ist als andere Anbieter.
Was ist, wenn der AG nur die Wartung für einzelne Anlagenteile in die Hände des AN gibt und nicht für das Gesamtgewerk? Hier meine ich, dass genau für diese Anlagenteile keine Verkürzung der Verjährungsfrist gilt: Jedes Teil, welches durch den AN gewartet wird, verdient eine längere Verjährung.

Was ist wenn der AG den Wartungsvertrag nur für ein Jahr abschließt und/oder wieder kündigt? Grundsätzlich muss die Wartung für die volle Dauer der Verjährung übertragen werden. Ein zu kurzer Vertrag reicht nicht. Bei der Kündigung würde der Jurist vielleicht differenzieren: Hat der AN die Fortführung durch sein Verhalten unzumutbar gemacht, sollte er wohl nicht von einer Verkürzung der Verjährung profitieren. Außerhalb dessen aber wird der Zweck der regelmäßigen Wartung eben nicht erreicht und die Anlage ist anfälliger. Das soll mit einer kürzeren Verjährungsfrist korrespondieren.

Fazit

Der Weg zur verkürzten Verjährung ist dornig, aber es gibt ihn. Oft funktioniert zum Glück in der Praxis, was auch der Gedanke hinter der Regelung ist: Das Erfordernis einer regelmäßigen Wartung wird erkannt und dem AN in Auftrag gegeben. Dafür gibt es die volle Gewährleistung.

In den anderen Fällen – alle Beispiele entstammen der Praxis – entstehen aber nach wie vor Unsicherheiten. Die Regelung lässt Spielräume, über die man von Fall zu Fall nachdenken muss.

Dr. Harald Scholz
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift tab - Technik am Bau

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Fassadenschallschutz im Fertighaus

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Fassadenschallschutz im Fertighaus – Welcher Maßstab ist beim Schallschutz eines Fertighauses gegen Außenlärm anzulegen?

OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.07.2020 – 4 U 11/14

 

Leitsätze

Ist eine Beschaffenheit nach den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ vereinbart, sind technische Regeln zu beachten, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben.

  1. Anhaltspunkte für einen üblichen Qualitäts- und Komfortstandard können sich aus den Schallschutzstufen II und III der VDI-Richtlinie oder aus dem Beiblatt 2 zur DIN 4109 ergeben; es bedarf im Einzelfall der Beratung durch einen Sachverständigen.
  2. Für den Schallschutz von Außenbauteilen gilt auch heute im Grundsatz die DIN 4109 (Mindestschallschutz). Der Hersteller hat den Besteller über die schallschutztechnische Gestaltung mit Blick auf einen höheren Schallschutz zu beraten.

Sachverhalt

Die Klägerin (Fertighaushersteller) und die Beklagten (Besteller) schlossen einen Vertrag über die Errichtung eines Fertighauses an einer stark befahrenen Landstraße.

Die Klägerin verlangt Zahlung aus der Schlussrechnung. Die Beklagten wenden ein, dass der Schallschutz des Hauses gegen den Straßenlärm zu gering und die Fassade deswegen mangelhaft sei. Widerklagend verlangen die Beklagten Kostenvorschuss für die Fassadensanierung.

Entscheidung

Der Anspruch auf Kostenvorschuss besteht, weshalb die Widerklage weitgehend Erfolg hat und die Klageforderung durch Aufrechnung erloschen ist.

Da das Haus abgenommen worden war, kommt ein Kostenvorschussanspruch nach § 637 BGB in Betracht. Besondere Vereinbarungen zum Schallschutz haben die Parteien nicht getroffen, so dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik und die berechtigte Erwartungshaltung der Erwerber eine Rolle spielen.

Auf Basis der BGH-Rechtsprechung, wonach die DIN 4109 veraltet ist, ermittelt das OLG Saarbrücken den geschuldeten Schallschutz mit Hilfe eines Sachverständigen. Dieser stelle im Ergebnis fest, dass auf jeden Fall die Mindestanforderungen der DIN 4109 einzuhalten sind, die es auch für den Schutz vor Außenlärm gibt. Bereits diese Anforderungen werden nicht vollends eingehalten.

Bezüglich eines höheren Schutzniveaus, so referiert der Sachverständige, habe sich hier noch keine klare Auffassung in der Fachwelt herausgebildet. Vielmehr sollten die Anforderungen im Einzelfall geprüft und mit dem Bauherrn besprochen werden. Dabei entscheide sich durchaus die Mehrzahl der Bauherren für den Mindestschallschutz und gegen einen höheren Aufwand. Der Mindestschallschutz in der DIN 4109 sieht grob gesagt vor, dass eine Fassade desto mehr Lärm schlucken muss, je lauter es draußen ist. Das schafft die Fassade in diesem Fall nicht, da durch den hohen Außenlärmpegel auch hohe Schalldämmwerte gefordert werden.

Das OLG Saarbrücken sieht in dem Verfehlen der Mindestanforderungen einen Mangel und in der fehlenden Beratung einen Planungsfehler (diese Aufgabe dem Fertighausbauer, da dieser auch die Planung übernommen hatte), wobei es die Folgen des zweiten Fehlers letztlich offenlässt.

Der Höhe nach war dem geforderten Vorschuss nach Auffassung des OLG nicht hinreichend widersprochen worden. Hier hatte es das Gericht daher leicht, den geforderten (abrechenbaren) Vorschuss zuzusprechen.

Anmerkung

Die Entscheidung verdient unsere Aufmerksamkeit, weil einige wichtige Erkenntnisse für die Praxis abzuleiten sind:

  1. An einen Fertighaushersteller werden keine anderen Anforderungen gestellt als an übrige Schlüsselfertigunternehmen. Auch wenn die Häuser vorgefertigt sind, muss der Fertighaushersteller die Situation des einzelnen Grundstücks prüfen und den erforderlichen Schallschutz darauf abstimmen. Das mag banal klingen, aber gerade das Standardbaukastenprinzip bietet die Gefahr, die hier bestehenden Unterschiede zu nivellieren.
  2. Neu ist das Thema Schallschutz der Außenbauteile: Die „klassischen‟ BGH-Urteile betreffen den Luftschallschutz und Trittschallschutz im Mehrfamilienhaus oder zwischen Doppelhaushälften. Dort ist mittlerweile etabliert, dass ein erhöhter Schallschutz nach DIN 4109 (Beiblatt 2) oder VDI 4100 Schallschutzstufe II, bei besonderem Komfort vielleicht auch III, geschuldet wird. – Der Schallschutz einer Hausfassade (Außenbauteile) gegenüber Außenlärm ist damit nicht ohne weiteres gleichzusetzen, und das OLG Saarbrücken hat gut daran getan, sich fachlich beraten zu lassen und nicht einfach die bekannte Rechtsprechung dem Fall „überzustülpen“. Das hat allerdings gedauert, wie man am Aktenzeichen aus dem Jahr 2014 erkennt.
  3. Demnach liegt es bei den Außenbauteilen wohl anders: Allgemein anerkannt ist nach den Ausführungen des Sachverständigen nur der Mindestschallschutz und daneben die Regel, dass der Bauherr über weitere Möglichkeiten beraten werden soll. Interessant zu wissen, dass sich die überwiegende Mehrzahl dann für den Mindestschallschutz entscheidet. Mit selbstverständlichen höheren Komforterwartungen scheint es auf diesem Feld also nicht ganz so weit gekommen zu sein.
  4. Bei der Höhe musste das OLG Saarbrücken nicht „ans Eingemachte‟ gehen: Die entscheidende Frage wäre sonst gewesen, auf welches Sanierungsziel der Vorschuss bemessen werden musste: Auf die Erreichung des Mindestschallschutz oder – als Folge der nicht erfolgten Beratung – auf einen höheren Schallschutz. Diese Frage bleibt offen. Aus meiner Sicht kann man kein „beratungsgerechtes Verhalten“ unterstellen und ohne klare Anhaltspunkte nicht von einem „mehr“ ausgehen, das dann auch Sowiesokosten ausgelöst hätte.

Apropos Sowiesokosten: Die Bauherren hatten Schallschutzfenster als Extra abgelehnt, benötigen solche nun aber wohl für den Mindestschallschutz. Nach Auffassung des OLG Saarbrücken begründet dies keinen Anspruch auf Sowiesokosten, denn für den vereinbarten Preis durften die Hauskäufer jedenfalls erwarten, dass den anerkannten Regeln der Technik entsprochen wurde. Sie wollten nur kein „Extra“ kaufen. Dass durch die laute Umgebung das „Extra“ zum geschuldeten Standard wird, muss der Fertighausbauer einkalkulieren! Diese Auffassung halte ich – vielleicht gegen den ersten Impuls – daher für richtig.

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

 

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Einfache Signatur – schwere Komplikationen

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz
BAG, Beschluss vom 14.09.2020 – 5 AZB 23/20

Leitsatz

Die einfache Signatur i.S.d. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Sie darf nicht fehlen, wenn ohne qualifizierte elektronische Signatur aus dem eigenen Anwaltspostfach in beA Schriftsätze versendet werden sollen.

 Sachverhalt

Gegen eine Entscheidung des Arbeitsgerichtes wird per beA Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist nicht qualifiziert elektronisch signiert. Am Ende des Schriftsatzes befindet sich lediglich das Wort „Rechtsanwalt“. Der Schriftsatz ist aus dem beA-Postfach des zuständigen Anwalts von diesem selbst versendet worden. Die Berufungsschrift geht am 20.03.2019, einen Tag vor Fristablauf, ein.

Der Vorsitzende teilt den Prozessbevollmächtigten am 21.03.2019 um 14:02 Uhr den Eingang der Berufungsschrift und das Aktenzeichen mit und weist auf die Berufungsbegründungsfrist hin.

Das Landesarbeitsgericht bemerkt bei der ein Jahr späteren Bearbeitung das Fehlen einer einfachen Signatur und verwirft die Berufung als unzulässig. Wiedereinsetzung in der vorigen Stand wird nicht gewährt, da dieses Fehlen vom Anwalt verschuldet sei.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht gewährt dagegen Wiedereinsetzung mit folgenden Erwägungen:

Eine qualifizierte elektronische Signatur unter dem Berufungsschriftsatz fehlt.

Die Möglichkeit, aus dem eigenen Postfach mit einer sogenannten einfachen Signatur wirksam Schriftsätze zu versenden, ist nicht genutzt worden. Denn es fehlt an einer einfachen Signatur. Hierfür ist ein maschinenschriftlicher Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte (lesbare) Unterschrift erforderlich. Hieran fehlt es. Diese Signatur kann auch nicht durch Hinweise auf den Bearbeiter auf dem Briefbogen ersetzt werden, weil die Signatur am Ende des Schriftsatzes verdeutlichen solle, dass der Unterzeichner für den darüberstehenden Text Verantwortung übernimmt.

Unter den regulären Prämissen wäre eine Wiedereinsetzung aufgrund des Anwaltsverschuldens nicht möglich. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil das LAG seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht geworden ist. Soweit es dem Gericht im normalen Arbeitsablauf möglich ist, muss es die Parteien auf Formfehler hinweisen. Es besteht zwar kein Anspruch darauf, dass das Gericht sofort auf Eingaben reagiert. Erfolgt jedoch eine zeitnahe Bearbeitung (wie hier noch vor Fristablauf am 21.03.2019) ist der Vorsitzende verpflichtet, dem Berufungsführer einen Hinweis zu erteilen, der dann auch noch zu einer form- und fristgerechten Berufung führen konnte.

Anmerkung

Der Berufungsführer hatte erhebliches Glück. Unter vielen Umständen wäre die Berufung unheilbar unzulässig gewesen.

Für die Praxis nimmt man mit:

  1. Eine einfache Signatur ist der Name der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts am Ende des Schriftsatzes und nirgendwo sonst. (Bei dieser Gelegenheit: Es war auch zu analogen Zeiten schon keine gute Sitte, Schreiben mit der bloßen Zeile „Rechtsanwalt“ zu versehen, was den Bearbeiter schwer erkennbar machte.)
  2. Wer so unterzeichnen will, muss den Schriftsatz aus dem eigenen beA-Postfach mit der eigenen beA-Karte versenden. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, also höchstpersönlich.
  3. Jedenfalls für Praxen mit mehreren oder gar vielen Anwälten plädiere ich ganz klar für die qualifizierte elektronische Signatur. Einmal signiert, können auch das Sekretariat und anwaltliche Kollegen den Schriftsatz versenden. Das bildet die herkömmlichen Büroabläufe besser ab und wappnet für hektische Tage und personelle Notfälle.
  4. Es kann von Vorteil sein, seine Schriftsätze und Fristverlängerungsanträge mit Vorlauf einzureichen, wenn man es denn schafft. Denn wenn das Gericht so rechtzeitig Kenntnis nimmt oder im normalen Geschäftsgang nehmen musste, dass ein Formfehler reparabel ist, gibt es auch bei Anwaltsverschulden noch Wiedereinsetzung, wenn das Gericht nicht reagiert hat.
  5. Ob aus dem Urteil eine Lehre in dem einen oder anderen Richterzimmer gezogen wird, eingehende fristgebundene Post lieber mal ein paar Tage bis nach Fristablauf liegenzulassen, statt sich sofort damit zu befassen, lassen wir mal offen. Die uns bekannten Richterinnen und Richter würden das niemals tun. Falls jemand dieser Meinung sein sollte, werden die Ratschläge 1-4 umso wichtiger.

Es gilt die Prognose, dass dies nicht der letzte Anwaltshaftungs-/ Wiedereinsetzungsfall rund um beA gewesen ist. Immer für einen Fehler gut ist auch das Versenden nur einfach signierter Nachrichten aus dem Postfach eines Kollegen oder über das Sekretariat. Recht einfach ist es auch, beim Klicken ein falsches Gericht zu erwischen und die Post dorthin zu versenden, gerade auch bei Unterstützung durch Anwaltssoftware.

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

 

 

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Haftung des Architekten für Rechtsrat – aus unerwarteter Richtung

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

OLG Koblenz, Beschluss vom 07.05.2020, 3 U 2182/19

 

Leitsatz

  1. Erteilt ein beauftragter Architekt dem Bauherrn in einer unklaren Vertragssituation den Rat, ein konkretes Gestaltungsrechte (hier: Kündigung) auszuüben, handelt es sich dabei um eine Rechtsdienstleistung i. S. d. § 2 RDG, die nur im gesetzlich zugelassenen Umfang zulässig ist (§ 3 RDG).
    2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsdienstleistung des Architekten denn nach § 5 Abs. 1 RDG als Nebenleistung zulässig ist, ist zwar ein großzügiger Maßstab anzulegen. Die Grenzen der erlaubte Nebenleistung werden aber spätestens dort verlassen, wo der Architekt konkrete Sekundärrechte im Außenverhältnis geltend macht. Denn hier handelt es sich in der Regel um komplexe Rechtsdienstleistungen, die häufig ein erhebliches Risikopotenzial für den Auftraggeber haben und damit – nach dem Zweck des RDG – den rechtsberatenden Berufen vorbehalten sind.

Sachverhalt:

Der Bauherr eines Einfamilienhauses gerät mit einem Bauunternehmer noch vor Ausführung der Arbeiten in einen Streit über Termine und Fristen. Daraufhin rät der Architekt zur Kündigung.
Der gekündigte Handwerker macht‟ entgangenen Gewinn‟ in Höhe von rund 12.000,00 € geltend. Anwaltlich beraten einigt sich der Bauherr schließlich auf einen Betrag von rund 5.000,00 €.
Diesen verlangt er nun von seinem Architekten zurück.

Entscheidung:

Mit Erfolg! Das Landgericht gibt dem Bauherrn Recht, das Oberlandesgericht Koblenz führt mit dem Hinweisbeschluss aus, die Berufung im schriftlichen Verfahren zurückweisen zu wollen. Der Architekt verstößt gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), wenn er in einer komplexen Vertragssituation Rat zu konkreten Problemen erteilt und an der Umsetzung mitwirkt.
Das Rechtsdienstleistungsgesetz lässt zwar rechtlich geprägte Nebenleistungen zu, wenn sie zu einem Berufsbild gehören. Dies gilt für Architekten vielleicht in besonderem Maße, da die Bearbeitung bestimmter rechtlicher Aspekte geradezu zu deren Pflichtaufgaben gehören.

Hierzu gehört aber nicht die Beratung und Vertretung des Bauherrn in einem konkreten rechtlichen Konflikt mit einem Auftragnehmer. Diese Tätigkeit, die der Architekt auch nach außen hin entfaltet hat, verlässt den Rahmen der erlaubten Nebenleistung nach § 5 RDG. Der Architekt hat die Kündigung veranlasst und dem Handwerker gegenüber deren Wirksamkeit bestätigt.

Da diese Rechtsdienstleistung nicht erlaubter Teil des Architektenvertrages sein kann, ergeben sich konsequent keine vertraglichen Ansprüche. Der Verstoß stellt sich aber als fahrlässiger Verstoß gegen ein Schutzgesetz dar (§ 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 2 Abs.1 und 3 RDG). Die rechtliche Beratung war dem Architekten verboten.

Dieser Verstoß hat einen zurechenbaren Schaden zur Folge gehabt. Das Gericht lässt sogar offen, ob die Kündigung bei vertiefter Prüfung aus wichtigem Grund gerechtfertigt war oder nicht. Jedenfalls sei eine schwierige rechtliche Konstellation entstanden, die durch die verbotene Tätigkeit des Architekten herausgefordert worden sei und in der es vernünftig war, den Streit mit einem Vergleich zu beenden.

 

Anmerkung:

Zunächst einmal gilt mein Mitgefühl an dieser Stelle allen Architekten (und dementsprechend tätigen Ingenieuren). Auf der einen Seite verlangen Bauherren als Teil der Planungsleistung selbstverständlich gute rechtliche Kenntnisse und erwarten, dass der Dienstleister baurechtliche Fragen aller Art im Griff hat. Da wird manchmal sogar mit Schadensersatz gedroht, wenn der Architekt bestimmte rechtliche Aufgaben nicht übernehmen will, z.B. die Erarbeitung eines „ausgefuchsten‟ Vertrages.

Auf der anderen Seite droht jedoch das „Zuviel‟. Der Architekt soll sich nicht als Ersatz- Rechtsanwalt in juristischer Auseinandersetzungen einmischen; dies verstößt gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Kein Wunder, wenn das Unsicherheiten schafft!

Falsch ist die Entscheidung jedoch nicht.

Wie stets in solchen Fällen muss die erlaubte „rechtliche Nebenleistung‟ von der nicht mehr erlaubten „rechtlichen Hauptleistung‟ abgegrenzt werden. Dies macht das OLG Koblenz plausibel unter Zuhilfenahme des Zwecks des Gesetzes, nämlich den Rechtssuchenden vor nicht ausreichend qualifizierter Rechtsdienstleistung zu schützen.

Für Architekten (und Ingenieure) gilt die Faustformel:

Was bei der Begleitung eines Bauvorhabens auch bei ordentlichen Verlauf an rechtlicher Tätigkeit wiederkehrend erforderlich wird, darf im Normalfall auch geleistet werden, so etwa

  • Diskussion mit der Baubehörde über bauplanungsrechtliche Fragen
  • Beurteilung vergaberechtlicher Fragen bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber
  • Verwendung eines Standardvertrages
  • Aufforderung zur Mangelbeseitigung, Gespräche über Mängel, Nachträge oder andere Vertragsfragen, wenn das Recht nicht offensichtlich im Vordergrund steht

Die Warnlampe sollte immer dann angehen, wenn tiefgreifender Streit zwischen Bauvertragsparteien entsteht oder wenn rechtlich geprägte endgültige Entscheidungen von einiger Bedeutung getroffen werden.

Auffällig ist übrigens, dass der verursachte Schaden anders hergeleitet wird als bei anwaltlichem Rat.
Da die Pflichtverletzung schon in der Beratung als solcher liegt (egal, ob der Rat gut oder schlecht war), besteht der Schaden ggf. bereits in Kosten, die der Bauherr vernünftigerweise aufwendet, um der geschaffenen Situation zu entkommen. Der Anwalt könnte sich durchaus darauf berufen, der Bauherr sei nach ausführlicher Beratung ein Risiko bewusst eingegangen (keine Pflichtverletzung). Der Architekt kann das so nicht, denn seine Pflichtverletzung ist unabhängig von der Qualität des Ratschlags gegeben. Bei klar richtigen Empfehlungen wird der Bauherr aber in keine Situation kommen, in der durch den Rat in eine objektiv schwierige Lage gerät.

Vertrackter Nebeneffekt eines solchen Urteils: Die Haftpflichtversicherung deckt im Normalfall nur, was zum Berufsbild gehört. Und dazu gehört verbotene Rechtsdienstleistung definitionsgemäß nicht. Der Architekt muss den Schaden also hier wohl aus eigener Tasche bezahlen.

Kleiner Trost nach so vielen schlechten Neuigkeiten: So ein Urteil kann auch das Argument sein, unbequeme Rechtsberatung überzeugend ablehnen zu können! Schließlich ist die Aussicht auf Beratung über komplizierte juristische Feinheiten kaum je der Grund, warum der Architekt oder die Ingenieurin ihre Berufe ergriffen haben…

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Notarpflichten bei zweifelhaftem Status als Verbraucher oder Unternehmer

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH Urteil vom 28.05.2020, III ZR 58/19

 

Leitsatz:

  1. Der Notar muss klären, ob es sich um einen Verbrauchervertrag im Sinne des § 17 Abs. 2a Beurkundungsgesetz handelt, sofern der Status der Urkundsbeteiligten nicht offensichtlich ist.
  2. Verbleiben Zweifel an der Verbrauchereigenschaft des Urkundsbeteiligten, muss der Notar den sichersten Weg wählen und den Beteiligten wie einen Verbraucher behandeln. Auf die Einhaltung der Wartefrist ist in diesem Fall hinzuwirken.

 

Sachverhalt und Entscheidung:

 

Der Kläger – ein angestellter Pharmavertreter – kaufte 4 Eigentumswohnungen in einem Mehrfamilienhaus zum Kaufpreis von insgesamt 140.000,00 €. Zur Finanzierung nahm er Darlehen auf, erhielt allerdings auch vom Vermittler eine „Kickback-Zahlung“ in Höhe von 20.000,00 €.

 

Der beklagte Notar hatte dem Kläger vor dem Beurkundungstermin keinen Vertragsentwurf zur Verfügung gestellt und nicht darauf hingewirkt, dass die Wartefrist von 14 Tagen bei Verbraucherverträgen eingehalten wurde.

 

Der Kläger nimmt den Beklagten Notar auf Schadensersatz in Anspruch. Bei richtigem Vorgehen, so behauptet er, hätte er die Zweiwochenfrist des § 17 Abs. 2a Beurkundungsgesetz genutzt, um anwaltlichen Rat einzuholen. Den Vertrag hätte er dann nicht mehr abgeschlossen.

 

Im Kern ging es aber darum, ob der Kläger die Eigentumswohnungen zu gewerblichen Zwecken erworben hatte, wovon der Notar offenbar ausgegangen war.

 

Das Oberlandesgericht hatte die Klage abgewiesen, weil der voll finanzierte Erwerb von 4 Eigentumswohnungen eine gewerbliche Nebentätigkeit darstelle. Hilfsweise zeigte sich das Gericht überzeugt, dass der Kläger die Beurkundung nach Ablauf der Regelfrist genauso hätte vornehmen lassen.

 

Entscheidung:

 

Der BGH hat die Revision für begründet erklärt und das angefochtene Berufungsurteil aufgehoben. Die Sache wurde an die Vorinstanz zurückverwiesen.

 

Der BGH hat zunächst auf die Pflicht des Notars hingewiesen, bei Grenzfällen den Sachverhalt zu erforschen und den Status der Beteiligten als Verbraucher oder Unternehmer zu klären. Hiergegen habe der Notar verstoßen.

 

Sei eine abschließende Klärung nicht möglich, müsse er dem Gebot des sichersten Weges folgen und die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers beachten. Er müsse dann einen Entwurf zur Verfügung stellen und die Wartefrist von 14 Tagen einhalten.

 

Das Oberlandesgericht hat nach Auffassung des Senats die Abgrenzung zwischen Verbraucher- und Unternehmereigenschaft verkannt. Es kommt darauf an, ob das Verhalten der Sache nach dem privaten – dann Verbraucherhandeln – oder dem gewerblich–beruflichen Bereich – dann unternehmerisches Handeln – zuzuordnen ist. Auch eine nebenberufliche Tätigkeit fällt unter den Unternehmerbegriff des § 14 BGB.

 

Eine gewerbliche Tätigkeit ist ein planmäßiges, auf gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt unter Teilnahme am Wettbewerb, wobei ein gewisser organisatorischer Mindestaufwand vorausgesetzt wird.

 

Der Erwerb, die Vermietung und Weiterveräußerung von Immobilien könne auch der Vermögensverwaltung zuzuordnen sein. Ein unternehmerischer Grundstückshandel komme erst in Betracht, wenn ein bestimmtes Maß überschritten wird. Dabei sind nicht, wie es das Oberlandesgericht maßgeblich getan hatte – die steuerrechtlichen Abgrenzungskriterien heranzuziehen, sondern es ist eine eigenständige zivilrechtliche Abgrenzung vorzunehmen .

 

Allein die Tatsache, dass gleichzeitig vier Wohnungen erworben wurden, stellt also allein noch keine gewerbliche Tätigkeit dar.

 

Die Hilfsüberlegung des Oberlandesgerichts, wonach der Kläger auch als Verbraucher den Vertrag mit Wartepflicht genauso abgeschlossen hätte, trug nicht. Denn das Oberlandesgericht hatte die angebotenen Beweise nicht ausgeschöpft, sondern sich die Meinung vorab gebildet.

 

Daher hat der BGH die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

 

Anmerkung:

 

Nachdem die Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a Beurkundungsgesetz die Notare und über Jahre in Atem gehalten hat, haben die allermeisten Notariate selbstverständlich reagiert. Auch dieser Fall aus dem Jahr 2010 ist eher ein „Nachzügler“. Er bietet aber dem BGH Gelegenheit, die Rechtsprechung zum Thema abzurunden.

 

Die wesentlichen Erkenntnisse sind:

 

Es gibt Grenzbereiche zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblicher Tätigkeit. In einem Fall handelt der Käufer als Verbraucher, im anderen Fall als Unternehmer. Wenn die Sache nicht klar ist, muss der Notar den Status klären.

 

Dies gilt übrigens für beide Seiten des Geschäfts. Denn ein Verbrauchervertrag liegt nur dann vor, wenn bei dem Immobiliengeschäft auf der einen Seite ein Verbraucher und auf der anderen Seite ein Unternehmer steht. Beide Rollen können zweifelhaft sein.

 

Kann der Notar nicht abschließend feststellen, ob ein Verbrauchergeschäft vorliegt, soll der Notar im Zweifel davon ausgehen, dass dies so ist. Bei den doch komplexen und auf immer den Einzelfall bezogenen Abgrenzungsregelungen, die der BGH in diesem Urteil noch einmal anschaulich zusammenfasst, wird man wohl davon ausgehen müssen, dass dem Notar eine zweifelsfreie Klärung vorab ziemlich oft nicht gelingt. Im Grenzbereich wird also manchmal vorsorglich so gehandelt werden müssen, als ob ein Verbrauchergeschäft vorliegt.

 

Eine im Urteil enthaltene Erkenntnis ist aber auch die: Verletzt der Notar seine Aufklärungspflicht, stellt sich aber bei einer nachträglichen Betrachtung heraus, dass die betreffende Vertragspartei doch als Unternehmer tätig war, gibt es für diesen keinen Schadensersatz. Der dann ggf. entstandene Schaden, weil der Notar etwa nicht den „sichersten Weg“ gegangen ist, ist vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst. Denn der Schutzzweck der Norm erfasst nur solche Vertragsparteien, die tatsächlich als Verbraucher gehandelt haben.

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Wann muss der Notar keinen Verdacht auf sittenwidrige Preisgestaltung entwickeln?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH Urteil vom 05.12.2019, III ZR 112/18

 

Leitsatz

  1. Eine besonders große Differenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis eines Grundstücks bei kurz aufeinander folgenden Verträgen ist ein Indiz für die Verfolgung unredlicher Zwecke, an welchen der Notar nicht mitwirken darf.
  2. Dieser Anhaltspunkt kann jedoch nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls nicht durchgreifen, insbesondere wenn der Preisunterschied erklärbar ist oder erscheint.

 

Sachverhalt:

Ein Immobilienhändler erwarb Eigentumswohnungen, die an Angehörige der britischen Streitkräfte vermietet waren, zu Kaufpreisen von jeweils 44.000,00 €. Er veräußerte diese Eigentumswohnungen als Anlageobjekte weiter, wobei der Preis dann rund 120.000,00 € betrug. Hierhin waren rund 5.000,00 € Sonderumlage enthalten, welche die Verkäuferin zu Sanierungszwecken übernommen hatte.

 

Dem Notar waren zum Zeitpunkt der Beurkundung Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für andere Wohnungen in demselben Wohnkomplex bekannt. Übertrug man die dort ermittelten Quadratmeterpreise auf die in Rede stehende Wohnung, dann wäre ein Verkehrswert von rd. 120.000,00 € herausgekommen.

 

Der klagende Käufer wirft dem beklagten Notar vor, das Geschäft nicht unterbunden zu haben, obwohl er von der Diskrepanz der Ankaufs- und Verkaufspreise auf Grund seiner Beurkundungen (die am selben Tag stattfanden) Kenntnis gehabt habe.

 

Der echte Verkehrswert der Wohnung lag offenbar wesentlich unter dem Kaufpreis, denn das Landgericht hatte nach Einholung eines Gutachtens der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Das Oberlandesgericht hatte die Klage hingegen abgewiesen.

 

Entscheidung:

Der BGH hat das Urteil des OLG Schleswig bestätigt.

 

Der Notar darf an Beurkundungen nicht mitwirken, wenn er davon überzeugt ist, dass diese einem unerlaubten oder unredlichen Zweck dienen. Bei Immobiliengeschäften geht es üblicherweise um eine sittenwidrige Kaufpreisgestaltung, weil der Kaufpreis den tatsächlichen Wert des Objekts drastisch übersteigt – die Grenze liegt bei „knapp dem Doppelten“ bzw. 90 % Zuschlag. Oder aber der Kaufpreis unterschreitet den Verkehrswert drastisch, dem Verkäufer wird also die Immobilie billig „abgeluchst“.

 

Die Differenz der Kaufpreise bei solchen „Kettenkaufverträgen“ ist ein Indiz für den unredlichen Charakter des Geschäfts. Dieses Indiz führt aber nicht sofort zu einem Verdacht, sondern der Notar muss Überlegungen anstellen, ob sachlich gerechtfertigte Gründe erkennbar sind, warum diese Preissteigerung erfolgt.

 

Dabei ist zu beachten, dass auch der Ankaufspreis den tatsächlichen Verkehrswert gar nicht abbilden muss, denn es gibt vielerlei Gründe für einen Verkäufer, sich von Immobilien zu einem niedrigen Preis zu trennen, weshalb beim Weiterverkauf hohe Preisspannen entstehen können. Der BGH kann im konkreten Fall bei der Beurteilung des Oberlandesgerichts keine Rechtsfehler erkennen. Auf die dem Notar bekannten Gutachten zu anderen Wohnungen im Wohnkomplex durfte der Notar sich verlassen, auch wenn sie – was wohl der Fall war – nicht den Eindruck besonders sorgfältiger Ausarbeitung vermittelten. Auch wenn beide Verträge am selben Tag abgeschlossen wurden, waren außerdem zwischenzeitlich in Vorgriff auf den Eigentumserwerb schon Sanierungsarbeiten getätigt worden, sodass von einer Wertsteigerung durch diese ausgegangen werden konnte.

 

Anmerkung:

 

Fälle, in denen dem Notar wegen solcher Preisaufschläge unredliches Verhalten vorgeworfen wird, sind nicht selten.

 

Es ist gut, dass der BGH noch einmal die wesentlichen Aspekte in den Blick rückt. Ein Verdacht, der den Notar zur Verweigerung der Mitwirkung – zumindest aber zur Information der Beteiligten über die erkannten Zusammenhänge – veranlassen muss, liegt dann vor, wenn sich eine drastische Preisdifferenz ohne Erkennbarkeit eines rechtfertigenden Grundes darstellt.

 

Positive Anzeichen für eine Sittenwidrigkeit sind danach:

 

  • Drastische Preiserhöhung auf das Doppelte des Ankaufspreises (oder knapp darunter). Rechnerisch soll die Grenze zur Sittenwidrigkeit bei einem Aufschlag von 90 % liegen.
  • Gegenanzeichen bzw. Erklärungen können sein:
  • Anzeichen dafür, dass der Ankauf für den Weiterverkäufer unter besonders günstigen Konstellationen zustande kam, also ggf. der Ankaufpreis selbst nicht dem objektiven Verkehrswert entsprach.
  • Wertgutachten zu diesem (oder ggf. ähnlichen) Objekten, auf die sich der Notar verlassen kann.
  • Die Kenntnis von durchgeführten Sanierungsmaßnahmen.
  • Wesentliche verstriche Zeiträume, weil sich der Markt in der Zwischenzeit geändert haben kann oder ein höherer Preis gerechtfertigt ist, weil die Immobilie inzwischen z.B. saniert oder erfolgreich langfristig vermietet werden konnte, sodass sie für Kapitalanleger interessant ist.

 

Abseits dieser Fragen ist an weitere Verteidigungsmöglichkeiten aus Sicht des Notars zu erinnern:

 

Zum einen darf die „Kenntnis“ von der Preisdifferenz nicht unbegrenzt weit gezogen werden. Sicherlich: Wenn der Notar an einem Tag mehrere Kaufverträge der „Kette“ beurkundet, wird man diese Kenntnis annehmen müssen. Liegt in einem lebhaften Notariat die Beurkundung des Ankaufsvertrages jedoch mehrere Monate zurück oder ist sie von einem Notarvertreter vorgenommen worden, kann eine Kenntnis dem Notar nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

 

Außerdem muss immer auch der objektive Verkehrswert ermittelt werden, um festzustellen, ob tatsächlich eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises vorlag. Denn für sich gesehen sind weder der Ankaufspreis der Immobilie noch der Verkaufspreis identisch mit dem „objektiven Wert“. Beide Preise können wesentlich von diesem abweichen. Sittenwidrig ist aber eine Abgabe des Grundstücks zum etwa Doppelten des objektiven Verkehrswerts (und nicht per se zum Doppelten des Einkaufspreises).

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Notar muss nicht auf Erfordernis des Vertragsstrafenvorbehalts schon bei Beurkundung hinweisen

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Urteil OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2020, Az.: 18 U 133/19

 

Leitsatz:

  1. Eine Klausel in einem Immobilienkaufvertrag, wonach ein Werklohnanteil von 35.000,00 € nicht gezahlt werden muss, sofern der Verkäufer bestimmte Sanierungsleistungen nicht pünktlich fertigstellt, ist rechtlich eine Vertragsstrafe für nicht gehörige Erfüllung. Die Geltendmachung erfordert den Vorbehalt der Vertragsstrafe im Zeitpunkt der Annahme der Leistung (§ 341 Abs. 3 BGB).
  2. Der Notar, der eine solche Abrede beurkundet, muss auf diesen Umstand bei der Beurkundung nicht hinweisen.

 

Sachverhalt:

 

Der beklagte Notar beurkundete einen Immobilienkaufvertrag über ein Mehrfamilienhaus. Die Parteien hatten sich darauf geeinigt, dass die Verkäuferin u.a. noch Maßnahmen zum Brandschutz durchführen sollen. Bis zu deren Erfüllung sollte ein Kaufpreisanteil von 35.000,00 € noch zurückbehalten werden dürfen. Es heißt dann:

 

„Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass, sofern der Verkäufer seine vorgeschriebenen Leistungsverpflichtungen nicht fristgerecht mangelfrei erfüllt, der Käufer berechtigt ist, diese Leistungen selbst auf eigene Kosten auszuführen bzw. die Mängel beseitigen zu lassen. Der auf diese Leistungen entfallende Kaufpreisanteil in Höhe von 35.000,00 € ist in diesem Fall vom Käufer insgesamt nicht mehr zu leisten, es sei denn, es liegen nur unwesentliche Mängel vor oder es sind nur unwesentliche Teilleistungen nicht erbracht.“

 

Die Leistungen zur Beseitigung der brandschutztechnischen Mängel – und zwar vor allem die behördliche Abnahme und die TÜV-Besichtigung – wurden nicht fristgerecht erledigt, sondern wurden noch einige Zeit danach komplettiert. Die Käufer, welche im Ergebnis keine Leistungen selbst ausführen lassen mussten, zahlten den restlichen Kaufpreis von 35.000,00 € nicht.

 

Im Vorprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass mangels eigener Leistungen zur Mängelbeseitigung durch die Käufer der Verfall der 35.000,00 € nicht eingetreten sei. Der Vertrag sei dahin zu verstehen, dass der Verfall eigene Mangelbeseitigungsleistungen der Käufer nach Fristablauf erfordere.

 

Die Käufer verlangen nun vom beklagten Notar Schadensersatz. Man sei sich mit dem Käufer damals einig gewesen, dass die Verfallklausel allein für die Zeitüberschreitung – ohne Rücksicht darauf, ob eine Ersatzvornahme durch die Käufer veranlasst werden musste – greifen sollte. Der Notar habe diese Abrede nicht zutreffend in die Urkunde umgesetzt.

 

Entscheidung:

 

Das OLG Düsseldorf – wie zuvor das Landgericht – weist die Klage ab.

 

Es kann offenbleiben, ob der beklagte Notar den übereinstimmenden Willen der Kaufvertragsparteien nicht zutreffend beurkundet hat, oder ob die Formulierung nur unklar war, so dass jede Seite ihr eigenes, voneinander abweichendes, Verständnis hineinlesen konnte.

 

Jedenfalls fehle es an dem erforderlichen kausalen Schaden:

 

Bei der Verfallklausel handelt es sich um eine Vertragsstrafe für nicht ordnungsgemäße Leistung. Diese verlangt nach § 341 Abs. 3 BGB einen Vorbehalt bei der Annahme der Leistung.

 

Die Käufer haben eine solche Vorbehaltserklärung bei Annahme der Leistung nicht abgegeben. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Kaufvertragsparteien stillschweigend auf eine solche Vorbehaltserklärung verzichtet hätten.

 

Demnach hätte auch die präziseste notarielle Formulierung nichts genutzt, weil die Käufer auch dann den erforderlichen Vorbehalt vergessen hätten.

 

Den beklagten Notar traf keine Amtspflicht, die Klägerin und ihren Ehemann über das Erfordernis des Vertragsstrafenvorbehalts bei der Beurkundung zu belehren. Die Belehrungspflicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Beurkundungsgesetz reicht nur so weit, wie eine Belehrung für das Zustandekommen einer Urkunde erforderlich ist, die den wahren Willen der Beteiligten vollständig und unzweideutig wiedergibt.

 

Der Notar ist dagegen nicht gehalten, ohne Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten sämtliche enthaltenen Klauseln eingehend zu erläutern. Dies würde nicht nur die notarielle Verhandlung überfrachten, sondern die Aufmerksamkeit der Beteiligten von den wesentlichen Punkten ablenken. Eine Fallgestaltung, in der es zu einer Störung der vereinbarten geschuldeten Leistungen gekommen ist und eine Erläuterung, was in einem solchen Fall genau zu tun sei, ist von dieser Belehrungspflicht nicht umfasst.

 

Anmerkung:

 

Die Entscheidung ist aus zwei Gründen interessant.

 

Sie lehrt zum einen, dass eine präzise Prüfung des kausalen Schadens zuweilen lange Beweisaufnahmen zur Frage erspart, was bei der Beurkundung Wille der Parteien war und mit welchen anderen Regelungen – unterstellt man einen noch fehlenden Konsens – beide Seiten einverstanden gewesen wären.

 

Zum anderen begrenzt das Urteil richtig die notariellen Pflichten. Man kann eine Verfallklausel vereinbaren. Wie diese später im Konfliktfall zu verwirklichen ist, liegt außerhalb der notariellen Belehrungspflicht. Dafür kann die betroffene Partei anwaltlichen Rat einholen. Es trifft zwar zu, dass der erforderliche Vorbehalt der Vertragsstrafe eine „Fußangel“ bei der Durchsetzung einer solchen Verfallklausel ist. Andererseits steht diese Hürde im Gesetz und wird vom Gesetzgeber den Parteien einer solchen Vertragsstrafenvereinbarung bewusst zugemutet. Ein gesonderte Warn- oder Belehrungspflicht über eventuelle Klippen bei der späteren Abwicklung von Leistungsstörungen würde die Leistungsfähigkeit des Notariats überfrachten. Auf alle denkbaren Eventualitäten kann eben nicht hingewiesen werden.

 

Das Urteil überzeugt daher.

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