Nachbesserungsbereitschaft kann sich rächen – 5-jährige Gewährleistungsfrist beginnt erneut!

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

OLG Oldenburg, Beschluss 18.10.2018, 12 U 44/18 (Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 08.08.2019, VII ZR 14/19 Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Leitsätze

1. Ein zum Neubeginn der Verjährung von Mängelansprüchen führendes Anerkenntnis liegt vor, wenn sich aus dem tatsächlichen Verhalten des Auftragnehmers klar und unzweideutig ergibt, dass er sich zur Mängelbeseitigung verpflichtet hält und der Auftraggeber angesichts dessen darauf vertrauen darf, dass sich der Auftragnehmer nicht auf den Ablauf der Verjährungsfrist berufen wird.
2. In der Erklärung des Auftragnehmers, dass „er sich … kümmern werde‟, liegt kein zum Neubeginn der Verjährung führendes Anerkenntnis. Erforderlich ist zumindest, dass der Auftragnehmer solche Maßnahmen ergreift, die unmittelbar der Vorbereitung der Mangelbeseitigung dienen.

Zum Fall

Der Auftraggeber (AG) hatte den Auftragnehmer (AN) mit der Lackierung von Holzeinbauten in seinem Wohnhaus betraut. Nach Fertigstellung, Abnahme und Bezahlung der Arbeiten in 2008 zeigten sich im Laufe der Zeit grünliche Verfärbungen, wegen deren die Parteien erstmals in 2010 bis ins Jahr 2014 hinein miteinander kommunizierten. AN sagte zu, sich um die Verfärbungen zu kümmern; dazu fertigte er Fotos der beanstandeten Arbeiten und schaltete auch den Hersteller ein – mehr passierte aber nicht. Im Anschluss nahm der AG den AN auf auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von knapp 40.000 Euro in Anspruch.  AN berief sich im Prozess auf Verjährung. Der AG wandte ein, dass sich der AN doch des Mangels angenommen habe; darin liege ein Anerkenntnis, weshalb die Gewährleistungszeit neu zu laufen begonnen hätte. Der AN verteidigte sich damit, dass er lediglich mitgeteilt habe, sich kümmern zu wollen; darin liege kein die Verjährung hemmendes Anerkenntnis.

Entscheidung

Dem folgten sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht und wiesen die Klage ab. Zwar sei die Verjährung wegen der kurzzeitigen Verhandlungen für diese Zeit gehemmt gewesen; die Verjährungsfrist sei aber jeweils wieder weiter gelaufen, die Verhandlungen wieder „eingeschlafen‟. Das Anfertigen von Fotos und die Mitteilung des AN, er werde sich um die Verfärbungen kümmern, stelle kein Anerkenntnis im Sinne des § 212 BGB dar, welches ggf. zu einem Neubeginn der Verjährung führt. Die Zusage, „sich kümmern‟ zu wollen, habe eher vertröstenden Charakter. Auch dem Anfertigen von Fotos könne kein Erklärungswert beigemessen werden; darin liege auch keine Maßnahme zur Vorbereitung der Mängelbeseitigung, sondern diene nur der Dokumentation.

Praxishinweis

Diese Einzelfallentscheidung dürfte richtig sein; sie zeigt, dass die Anforderungen an ein Anerkenntnis, welches zu einem Neubeginn der Verjährung führt, streng sind. Sie zeigt aber auch, wie sehr es auf die Einzelfallumstände, sogar die konkrete Wortwahl ankommen kann. Hätte der AN z.B. mitgeteilt, er „bringe dies in Ordnung‟, wäre die Sache wohl besser für den AG gelaufen. Im Rechtlichen ist es so, dass die Verjährung erneut beginnt (also weitere fünf Jahre!), wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt, also wenn etwa der Werkunternehmer dem Besteller gegenüber den Mängelanspruch anerkennt. Dies ist dann der Fall, wenn sich aus dem tatsächlichen Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger klar und unzweideutig ergibt, dass sich der Schuldner des Bestehens der Schuld bewusst ist und angesichts dessen der Berechtigte darauf vertrauen darf, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen wird. Häufig wird eine Nachbesserung oder auch schon deren Versuch ein Anerkenntnis des Mängelhaftungsanspruchs darstellen. Gleiches gilt für die Erklärung, die Mängel beseitigen zu wollen. Also Vorsicht: Wenn die Ursache für ein Mangelsymptom noch gar nicht klar ist, sollte ein AN niemals seine Bereitschaft bekunden, Mängel zu beseitigen. Will ein Unternehmer vermeiden, dass der Besteller die durchgeführten Nachbesserungsarbeiten als ein Anerkenntnis qualifiziert, muss er klar zum Ausdruck bringen, dass er die Arbeiten ausschließlich aus Kulanz vornimmt.

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Haftungsprivileg des § 105 SGB VII, wenn der Privathund mit in den Betrieb gebracht wird? Ja sagt das LAG Hamm.

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 26.06.2019 — Aktenzeichen: 2 Sa 237/19

Tierhalter haften aufgrund der Gefährdungshaftung nach § 833 BGB ohne Verschulden. Was aber ist, wenn ein Mitarbeiter im Einvernehmen mit der Geschäftsführung seinen privaten Hund mit in die Firma nimmt und der Hund einen Kollegen verletzt? Ist der „Kollege Hund dann haftungsprivilegiert‟? Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in diesem Fall die Betriebsbezogenheit bejaht und die Klage abgewiesen, weil die Haftung nach § 105 SGB VII ausgeschlossen ist.

Orientierungssätze
1. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 105 SGB VII ist nach Sinn und Zweck der Haftungsprivilegien des SGB VII weit auszulegen.

2. Für die Haftungsfreistellung ist maßgeblich, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit oder nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb verursacht wurde; die Betriebsbezogenheit entfällt, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und Intention des Schädigers nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft.

3. Das Mitbringen und Halten eines Hundes während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz kann betriebsbezogen sein und zu der Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII führen.

Sachverhalt
Die Klägerin ist Reinigungskraft. Um im Zuge des Feierabends ihre Reinigungsutensilien bei ihrem Arbeitgeber abzugeben, betrat sie das Betriebsgelände. Dort wurde sie von dem Hund ihrer beklagten Kollegin zur Begrüßung angesprungen. Dabei stürzte die Klägerin unglücklich und zog sich diverse Frakturen und Prellungen zu. Der Unfall wurde von der Berufsgenossenschaft als Versicherungsfall anerkannt. Die Beklagte hatte ihren Hund schon als Welpen mit in den Betrieb gebracht, der sich während der Arbeitszeit der Beklagten auf dem Betriebsgelände aufhielt. Der Arbeitgeber war damit einverstanden und begrüßte dies ausdrücklich. Auf der Homepage des Unternehmers wurde der Hund mit Bild als „Firmenhund‟ vorgestellt. Die Klägerin verlangte von der Beklagten als Tierhalterin Schmerzensgeld und Schadensersatz. Die Beklagte lehnte ab, weil nach ihrer Ansicht ein Haftungsprivileg greife. So trafen sich die Parteien vor der Arbeitsgerichtsbarkeit.

Entscheidung
Sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht bejahten in diesem Fall das Eingreifen des Haftungsprivilegs nach § 105 SGB VII. Zwar sei allein der Umstand, dass Klägerin und Beklagte Arbeitnehmerinnen desselben Arbeitgebers seien, noch nicht ausreichend, das Haftungsprivileg zu bejahen. Vielmehr sei erforderlich, dass das Schadensereignis durch eine Tätigkeit des Schädigers verursacht worden sei, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen gewesen oder die im Betriebsinteresse ausgeführt worden sei. Ausgehend vom Sinn und Zweck der §§ 104 ff. SGB VII sei der Begriff der betrieblichen Tätigkeit weit auszulegen. Zwar wird man die Mitnahme und das Halten eines Hundes während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz in einem Fall, in dem der Hund für die Ausübung der Tätigkeit nicht benötigt wird, grundsätzlich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zurechnen können, selbst wenn damit positive Nebeneffekte beim Arbeitnehmer wie z.B. Leistungssteigerung oder Stressminderung eintreten. Vorliegend ging das Landesarbeitsgericht allerdings davon aus, dass die beklagte Hundehalterin aus ihrer subjektiven Sicht im Betriebsinteresse gehandelt habe, da sie den Hund auf ausdrücklichen Wunsch des Firmengründers seit jeher mit in den Betrieb genommen habe und ihr Hund sogar auf der Homepage des Unternehmerns mit einem eigenen Bild als „Firmenhund‟ vorgestellt worden sei. Dementsprechend habe die beklagte Hundhalterin davon ausgehen können, dass die Mitnahme und der Aufenthalt des Hundes auf dem Betriebsgelände nicht (nur) ihren persönlichen Lebensbereich betrifft, sondern jedenfalls auch im betrieblichen Interesse lag.

Praxishinweis
Hunde können gut fürs Betriebsklima und sogar die Gesundheit der Mitarbeiter sein. Die positiven Effekte der tierischen Kollegen sind wissenschaftlich belegt. Nichtsdestotrotz hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, seinen Hund oder sonstige Haustiere mit zu seinem Arbeitsplatz zu nehmen. Wenn dies aber vom Arbeitgeber gewünscht und gefördert wird, ist es nur konsequent, das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII greifen zu lassen. Dies hat das Landesarbeitsgericht in vorgenannter Entscheidung, die noch nicht rechtskräftig ist, umgesetzt. Handelt es sich um den Hund des Unternehmers selbst, greift § 104 SGB VII unmittelbar, so dass es auf die Betriebsbezogenheit nicht ankommt.

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Architektenleistungen „ohne Rechnung“? Keine Rechte!

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

OLG Celle, Urteil 09.03.2017, 16 U 169/16; Bundesgerichtshof, Beschluss 24.07.2019, VII ZR 74/17

Dass Schwarzarbeit für die Partner eines Bauvertrages höchst riskant ist, hat sich zwischenzeitlich herumgesprochen; vereinbaren die Vertragspartner Leistungen „ohne Rechnung“, führt dies zur Nichtigkeit des Vertrages, selbst wenn man dies im Nachhinein verabredet. Man muss wissen: Schwarzgeldabreden = keine Rechte. Nichts anderes gilt bei Architektenverträgen. Dies ist Ergebnis einer Entscheidung des OLG Celle.

Zum Fall
Der Auftraggeber macht gegen seinen Architekten Ansprüche in Höhe von mehreren zehntausend Euro geltend. Der Architekt hatte die Aufgabe, Umbaumaßnahmen am Gewerbeobjekt des Auftraggebers zu planen und zu beaufsichtigen. Nach Realisierung des Vorhabens wurde festgestellt, dass das Vorhaben eine Baugenehmigung (Nutzungsänderung) erforderte. Der Auftraggeber macht geltend, der Architekt habe darüber nicht aufgeklärt. Ferner war es so, dass der Auftraggeber seinerseits für den Architekten dessen Fahrzeug repariert hat und hierfür keine Rechnung geschrieben hatte. Auch der Architekt hatte keine Rechnung geschrieben, weshalb argumentiert wurde, es habe hier eine „Ohne-Rechnung-Abrede“ bestanden.

Zur Entscheidung
Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien die Klage als unbegründet abgewiesen, weil der Vertrag wegen Verstoßes gegen das „Schwarzarbeitsgesetz“ nichtig sei. Der beklagte Architekt habe – unstreitig – keine Abrechnung für seine Tätigkeit gestellt. Der klagende Besteller habe – ebenfalls unstreitig – eine Fahrzeugreparatur für den Architekten durchgeführt, ohne dafür etwas zu berechnen. Die gesamten Umstände ließen nur den Schluss zu, dass der beklagte Architekt Schwarzarbeit geleistet und für seine Vergütung keine Rechnung habe stellen sollen und auch nicht gestellt habe, der klagende Besteller seinerseits die durchgeführte Fahrzeugreparatur nicht ordnungsgemäß abgerechnet habe und deshalb die Voraussetzungen für die Annahme der Nichtigkeit vorlägen.

Dies sah das OLG Celle im Ergebnis ebenso. Die gesamten Umstände ließen nur den Schluss zu, dass beide Parteien Schwarzarbeit geleistet und für ihre Vergütung keine Rechnung gestellt haben und auch nicht stellen sollten. Das Schwarzarbeitsgesetz begründet das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrags, wenn dieser Regelungen enthält, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. Das Verbot führt jedenfalls dann zur Nichtigkeit des Vertrags, wenn der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt. Hier sah das OLG Indizien, die für eine Schwarzgeldabrede sprachen. Dabei fiel zunächst ins Gewicht, dass der Architekt – entgegen den steuerlichen Pflichten – für seine Leistungen bei dem Bauvorhaben keine Rechnung gestellt hat, obwohl seine Tätigkeit seit einigen Jahren abgeschlossen war.

Praxishinweis
Von Schwarzarbeitsabreden kann man nur abraten. Ungeachtet der Strafbarkeit sind die Parteien schlicht rechtlos. Der Schwarzarbeiter hat keinen Anspruch auf Geld, selbst wenn er bereits umfangreich tätig war. Der Besteller hat keine Mängelrechte, selbst wenn die Arbeiten gravierende Fehler aufweisen. All dies gilt auch bei Architekten. Wer heute noch solche Abreden trifft, ist selber schuld.

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Wird der Regress des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII bedeutungslos?

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Landgericht Berlin, Urteil vom 17.6.2019 — Aktenzeichen: 28 O 457/15

Ansprüche aus § 110 SGB VII verjähren (kenntnisunabhängig und taggenau) in drei Jahren nach bindender Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers. Gilt dies auch für den Regress des Rentenversicherungsträgers? Oder ist für den Verjährungsbeginn dann auf die Leistungsfeststellung des Rentenversicherungsträgers abzustellen? Das Landgericht Berlin stellt auf den Unfallversicherungsträger ab. Damit stünde der Regress des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII vor der Bedeutungslosigkeit.

Leitsatz
Für den Beginn der Verjährung von Ansprüchen des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII kommt es nach § 113 SGB VII auf die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers an, nicht auf die des Rentenversicherungsträgers.

Sachverhalt
Es geht um eine Klage des Rentenversicherungsträgers.

Im Betrieb der Beklagten ereignete sich im Jahr 2007 ein Arbeitsunfall. Ein Leiharbeiternehmer griff mit den Händen in den Pressbereich einer Exzenterpresse und verletzte sich dabei erheblich, so dass die Hände amputiert werden mussten. Die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) erbrachte unmittelbar nach Feststellung des Arbeitsunfalls Leistungen, u.a. wurde am 30.10.2007 Verletztengeld gezahlt. Darüber hinaus wurde mit Bescheid vom 09.04.2008 Pflegegeld bewilligt.

Der zuständige Rentenversicherungsträger bewilligte mit Bescheid vom 15.07.2009 eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die BG hatte zwischenzeitlich Klage gegen die Beklagten, also den Unfallbetrieb und deren Geschäftsführer, nach § 110 SGB VII erhoben mit der Behauptung, diese hätten den Arbeitsunfall grob fahrlässig herbeigeführt. Die Beklagten wurden durch die Instanzen rechtskräftig zu Aufwendungsersatz an die BG verurteilt.

Auch der Rentenversicherungsträger hatte Ansprüche angemeldet. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten verzichtete gegenüber dem Rentenversicherungsträger mit Schreiben vom 20.09.2011 wiederholt bis Ende 2015 auf die Einrede der Verjährung, soweit nicht Verjährung schon eingetreten ist. Man wollte das Klageverfahren der BG abwarten. Nach deren Abschluss klagte auch die Rentenversicherung.

Die Parteien stritten u.a. um Verjährung. Der klagende Rentenversicherungsträger stellte sich auf den Standpunkt, es komme für den Beginn der Verjährung auf ihren eigenen Bescheid als bindende Leistungsfeststellung an, der erst im Juli 2009 ergangen sei. Demgegenüber stellte sich die Beklagtenseite auf den Standpunkt, maßgeblich sei allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers.

Hintergrund ist die gesetzliche Regelung in § 113 SGB VII. Während die Anspruchsgrundlage des § 110 SGB VII selbst von Sozialversicherungsträgern spricht und damit auch die Rentenversicherungsträger einschließt, spricht die spezielle Verjährungsregelung in § 113 SGB VII explizit betreffend den Verjährungsbeginn von der bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers. Wäre für Ansprüche des Rentenversicherungsträgers auf die bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers abzustellen, wären in Ansehung der dreijährigen kenntnisunabhängigen taggenauen Verjährungsfrist Ansprüche verjährt; denn der Verjährungsverzicht wäre erst danach erklärt worden. Wäre auf den Bescheid der Rentenversicherung abzustellen, wäre die Forderung nicht verjährt.

Entscheidung
Das Landgericht hielt die Forderung der Klägerin nach § 110 SGB VII für verjährt. Es hat sich bei der Auslegung an dem klaren Wortlaut des Gesetzestextes orientiert. Zwar sei auch ein Rentenversicherungsträger grundsätzlich nach § 110 SGB VII, der von Sozialversicherungsträgern spreche, aktivlegitimiert. Allerdings werde in § 113 SGB VII als Verjährungsbeginn der Tag, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend wird, bestimmt. Der insoweit eindeutige Wortlaut unterscheide daher hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger.

Dem (zutreffenden) Argument der Klägerin, dass der Anspruch schon verjährt sein könne, bevor ihre Leistungspflicht überhaupt entstanden sei, begegnete das Landgericht mit dem Hinweis, dass die Problematik bereits bei den Vorgängernormen der §§ 640, 642 RVO bekannt gewesen sei. Trotz der bekannten Problematik habe der Gesetzgeber bei Schaffung des SGB VII keine abändernde Entscheidung getroffen. Deshalb sei kein Raum für eine analoge Anwendung, da keine Regelungslücke vorliege. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Praxishinweis:
Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, bedeutete dies faktisch wohl das Aus für den § 110-Regress für die Rentenversicherung. Denn regelmäßig erfahren die Rentenversicherungsträger erst viel später vom Arbeitsunfall. Zunächst ist nämlich der Unfallversicherungsträger zuständig; zum Zeitpunkt der bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers stehen Leistungen der Rentenversicherung regelmäßig noch nicht zur Debatte.

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Ist der Nachhauseweg unfallversichert, wenn man nur kurz beim Bäcker etwas einkaufen möchte?

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.4.2019 — Aktenzeichen: L 8 U 63/16

Immer wieder streiten Verunfallte mit ihren Unfallversicherungsträgern darum, ob ein Autounfall auf dem Weg von oder zur Arbeitsstelle als Arbeitsunfall zu qualifizieren ist. Bisweilen hängt dies von Sachverhaltsnuancen ab, wie auch dieser Fall zeigt.

Leitsatz
Die Annahme einer ganz geringfügigen und deshalb unbeachtlichen Unterbrechung des versicherten Wegs ist dann ausgeschlossen, wenn die nach außen erkennbare Handlungstendenz des Versicherten im Unfallzeitpunkt auf ein Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums der von der Arbeitsstätte zur Wohnung führenden Straße gerichtet war.

Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Verkehrsunfall als Arbeitsunfall zu qualifizieren ist oder nicht. Der Kläger ist Mitarbeiter eines Windkraftunternehmens und war mit seinem Wagen auf dem üblichen Nachhauseweg. Unterwegs kam ihm der Gedanke, noch etwas einzukaufen. Dazu setzte er den Blinker links und begann mit einem Abbiegevorgang in eine Querstraße hinein, um auf der gegenüberliegenden Seite in einem Bäckereifachgeschäft einzukaufen. Dabei kollidierte er mit einem ihm entgegenkommenden Motorrad. Der Kläger verletzte sich erheblich.

Der Kläger stellte bei der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft den Antrag, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Dies wurde abgelehnt mit der Begründung, nur der unmittelbare Weg zum Wohnort des Klägers sei versichert gewesen, nicht aber der Umweg zur Bäckerei. Den „Arbeitsweg“ habe der Kläger durch das begonnene Abbiegemanöver verlassen.

Mit dieser Entscheidung war der Kläger nicht einverstanden. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass er den öffentlichen Verkehrsraum nicht verlassen und es sich bei der geplanten Unterbrechung um eine geringfügige private Verrichtung gehandelt habe, durch die der Versicherungsschutz nicht entfallen sei.

Dies sah das Sozialgericht auch so. Die Berufsgenossenschaft wurde verpflichtet, das Unfallereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Nachweis des versicherten Weges entgegen der Auffassung der Beklagten erbracht sei. Festzustellen sei zwar, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt den Blinker gesetzt gehabt habe, um links abzubiegen. Es habe sich bei dem Vorhaben jedoch um eine derart geringfügige Änderung des direkten Nachhausewegs gehandelt, dass diese nicht als Abweichung vom versicherten Weg zu qualifizieren sei. Die Handlungstendenz des Klägers sei weiterhin darauf gerichtet gewesen, unmittelbar und direkt nach Hause zu kommen.

Dagegen ist die Berufsgenossenschaft in die Berufung gegangen — und zwar mit Erfolg.

Entscheidung
Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hat festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Berufsgenossenschaft den Unfall als Arbeitsunfall anerkennt.

Dabei hat das LSG zunächst ausgeführt, dass eine versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ist. Voraussetzung für einen Unfallversicherungsschutz auf dem Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit sei der innere (sachliche) Zusammenhang der Zurücklegung des Weges mit der versicherten Tätigkeit. Dieser sei gegeben, wenn und solange das Zurücklegen des Weges wesentlich dazu dient, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung die eigene Wohnung oder einen anderen (versicherten) Endpunkt des Weges zu erreichen. Hingegen sei der innere (sachliche) Zusammenhang zu verneinen, wenn und solange der Versicherte auf einem solchermaßen dem Grunde nach versicherten Weg eine private, nicht dem Zurücklegen des Weges dienende Verrichtung einschiebt.

Für die Abgrenzung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin (dann: versicherter Wegeunfall) oder wesentlich eigenwirtschaftlichen Interessen diene (dann: unversicherte Tätigkeit) sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seit dem 9. Dezember 2003 (nur noch) die Handlungstendenz des Versicherten entscheidend, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfall bestätigt würde. Daran gemessen habe sich der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr auf einem versicherten Weg befunden, weil es mangels entsprechender Handlungstendenz an einem inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Handlung und der versicherten Tätigkeit fehlte. Der Umstand, dass der Kläger abgebogen sei, um beim Bäcker einzukaufen, sei entscheidend. Seine Handlungstendenz habe sich damit schon im Unfallzeitpunkt auf eine allein eigenwirtschaftliche Tätigkeit gerichtet, nämlich den Einkauf von Lebensmitteln für den eigenen Verzehr. Selbst wenn diese Einkäufe der Erhaltung seiner Arbeitskraft für den darauffolgenden Tag gedient haben sollten, wie der Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen hat, würde dies am eigenwirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit nichts ändern. Dass das Zurücklegen des Weges ein besonderes Hungergefühl verursacht hätte, welches zur Fortsetzung der Fahrt den Einkauf von Lebensmitteln zwingend erforderlich gemacht hätte, sei nicht vorgetragen und angesichts der geringen verbleibenden Wegstrecke zu seiner Wohnung nicht wahrscheinlich. Die eigenwirtschaftliche, auf eine private Verrichtung gerichtete Handlungstendenz (Unterbrechung des Heimwegs, um Einkäufe zu tätigen) sei — so der Senat — spätestens mit dem Setzen des Blinkers, allerspätestens aber mit dem Einsetzen des Linksabbiegevorgangs, der selbst zum Unfall geführt hat, objektiv nach außen in Erscheinung getreten. Dabei sei bereits vom Bundessozialgericht entschieden worden, dass die Anerkennung eines Arbeitsunfalls bereits wegen des Verlangsamens der Geschwindigkeit, um den mit der beabsichtigten privaten Verrichtung (damals ging es um Erdbeeren, die an einem Verkaufsstand auf der gegenüberliegenden Straßenseite erworben werden sollten) einhergehenden Abbiegevorgang einzuleiten, ausgeschlossen sei.

Unerheblich sei — so das Gericht -, dass sich der Kläger im Zeitpunkt des Unfallgeschehens noch in Fahrtrichtung, wenngleich auf der Gegenfahrbahn befunden habe und den zum Nachhauseweg gehörenden öffentlichen Verkehrsraum noch nicht verlassen habe.

Unerheblich sei auch die Geringfügigkeit der Unterbrechung des Weges. Geringfügigkeit sei dann anzunehmen, wenn die Unterbrechung auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Wegs nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen sei, weil sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führe, insbesondere, wenn die private Verrichtung „im Vorbeigehen“ und „ganz nebenher“ erledigt werde; eine nach diesen Maßstäben ganz geringfügige Unterbrechung hat das LSG hier verneint. Denn der Kläger habe doch den Straßenraum verlassen wollen, um im Bäckereigeschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite Brötchen für den eigenen Verzehr einzukaufen. Dieser Vorgang stelle eine erhebliche Zäsur dar, die nach Überzeugung des erkennenden Senats der Annahme einer ganz geringfügigen Unterbrechung bei wertender Betrachtung zwingend entgegenstand. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass andere Unterbrechungen, die einen zeitlich und räumlich ähnlich begrenzten Charakter aufwiesen, wie insbesondere das Betanken des Kraftfahrzeugs an einer unmittelbar am Heimweg gelegenen Tankstelle, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden. Die Anerkennung einer ganz geringfügigen Unterbrechung im vorliegenden Fall würde auch vor diesem Hintergrund erhebliche Wertungswidersprüche begründen.

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Anhörung des Sachverständigen – Ein in der Verfassung verbürgtes Recht

Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6.3.2019 — Aktenzeichen: VII ZR 303/16

Gerichte müssen Sachverständige in einer mündlichen Verhandlung anhören, wenn eine Partei dies beantragt. Dies gebietet das Verfassungsrecht des rechtlichen Gehörs.

Sachverhalt
Der Beklagte errichtete eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere hieraus entstehende Kosten und Schäden.

Die Klägerin behauptet, der Aufbau des Tiefgaragenbodens und seine Entwässerung entspreche nicht den anerkannten Regeln der Technik. Zur Beseitigung des Mangels müsse insbesondere ein Oberflächenschutzsystem auf den Boden der Tiefgarage aufgebracht werden. Die Kosten für die Beseitigung des Mangels beliefen sich auf mehr als 96.000 Euro.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der bestellte Sachverständige mehrere Gutachten erstellt hat.

Das Landgericht hat den Mangel auf der Grundlage der Begutachtung für bewiesen erachtet und dem Klageantrag stattgegeben. Die Berufung des Beklagten, mit der er das Urteil in weitergehendem Umfang angefochten hatte, hat insoweit keinen Erfolg gehabt. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Beschwerde des Beklagten, der nach Zulassung der Revision die Aufhebung dieser Verurteilung und Klageabweisung erreichen möchte.

Entscheidung
Zunächst mit Erfolg. Den Vorinstanzen wurde zum Verhängnis, dass der Sachverständige nicht angehört wurde, obschon dies von Seiten der Beklagte beantragt worden war.

Der BGH hält dazu fest:

Das Berufungsgericht habe den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art.103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es den in der Berufungsbegründung gestellten Antrag des Beklagten auf mündliche Anhörung des Sachverständigen D. zur Erläuterung seines Gutachtens übergangen hat.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift verlange auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu gehöre der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen, und zwar auch des Sachverständigen aus einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren. Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfachrechtlich nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Dies sah der BGH hier als gegeben. Der Beklagte habe mit seiner Berufungsbegründung unter Verweis auf seinen Schriftsatz in erster Instanz eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt, weil dieses seinen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen übergangen habe. Damit habe der Beklagte zugleich ersichtlich an diesem Antrag auch für die Berufungsinstanz festgehalten.

Das Berufungsgericht habe diesen Antrag weder in der angefochtenen Entscheidung erwähnt noch sei ersichtlich, warum es den Sachverständigen nicht angehört hat. Dabei komme es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändere. Weiter sei unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweise. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien bestehe unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO. Für einen Ausnahmefall sei nichts ersichtlich.

Auf diesem Verfahrensverstoß beruhe — so der BGH — die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts. Denn das Berufungsgericht stütze seine Verurteilung auch auf das schriftliche Sachverständigengutachten. Es sei daher nicht auszuschließen, dass es nach einer Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Vor diesem Hintergrund erfolgte eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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Sturz auf dem Wochenmarkt – Keine Haftung der Stadt

Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 26.7.2018 — Aktenzeichen: 1 U 149/18

Stürzt ein Marktbesucher über eine unebene Pflasterung des Wochenmarktes, ist häufig die Neigung sehr ausgeprägt, hierfür jemanden haftbar zu machen. Dies verspricht häufig keinen Erfolg, wie auch diese Entscheidung des OLG Koblenz zeigt.

Leitsatz
1. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag.

2. Ein Fußgänger hat Niveauunterschiede und Unebenheiten im Bereich von Straßen und Plätzen hinzunehmen. Eine Verkehrssicherungspflicht beginnt erst dort, wo auch für den aufmerksamen Fußgänger eine Gefahrenlage völlig überraschend eintritt oder nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Dabei sind Niveauunterschiede von ca. 2 bis 3 cm vom Fußgänger regelmäßig hinzunehmen.

3. Die Verwendung von Natursteinpflaster — hier Basaltplatten und -pflaster — stellt trotz seiner Unebenheiten und unterschiedlichen Fugenbreiten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten dar, wenn diese Gegebenheiten deutlich zu erkennen sind.

Sachverhalt
Eine Marktbesucherin stürzt auf dem Wochenmarkt der Stadt und verletzt sich erheblich. Der Markt liegt in einer Straße, die mit alten Basaltsteinen gepflastert ist. Es gibt teilweise Höhenunterschiede und Unregelmäßigkeiten. Dies ist der Grund dafür, dass die Marktbesucherin gestürzt ist. Ihre Schmerzensgeldklage gegen die Stadt hatte gleichwohl keinen Erfolg.

Entscheidung
Das OLG Koblenz verneint Ansprüche der klagenden Marktbesucherin. Grundsätzlich obliege nach den einschlägigen Landesvorschriften der beklagten Stadt die Pflicht, die Straßen zu unterhalten. Dazu gehört nicht nur die Überwachung der Verkehrssicherheit , sondern auch, die öffentlichen Verkehrsflächen möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmer aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand drohen.

Das OLG Koblenz zeigt deutlich die Grenzen auf. Die Verpflichtung bedeute nicht, dass die Straße tatsächlich vollkommen gefahrlos sein müsse. Grundsätzlich müsse nämlich der Straßenbenutzer sich vielmehr den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet.

Ein Fußgänger hat daher in gewissem Umfang Niveauunterschiede und Unebenheiten im Bereich von Straßen und Plätzen hinzunehmen. Die Verkehrssicherungspflicht beginne erst dort, wo auch für den aufmerksamen Fußgänger eine Gefahrenlage völlig überraschend eintrete oder nicht ohne Weiteres erkennbar sei. Ein Niveauunterschied von ca. 2 bis 3 cm des Bodenbelags sei hierbei regelmäßig vom Fußgänger hinzunehmen. Die Verwendung von Natursteinpflaster stelle trotz seiner Unebenheiten und unterschiedlichen Fugenbreiten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten dar, wenn diese Gegebenheiten deutlich zu erkennen sind. Auf erkennbar unebenen und holprigen Flächen könne eine höhere Aufmerksamkeit des Fußgängers erwartet werden. Das OLG verneinte damit eine Haftung der Stadt.

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Stillschweigende Annahme von Nachtragsangeboten

Kammergericht Berlin, Urteil vom 31.10.2008 — Aktenzeichen: 7 U 169/07

Leitsatz
Fordert der Auftraggeber zusätzliche Leistungen und gibt der Auftragnehmer hierfür ein Nachtragsangebot ab, kommt eine stillschweigende Annahme dieses Nachtragsangebotes dadurch in Betracht, dass der Auftraggeber die Leistungen abfragt und entgegen nimmt, ohne dem Nachtragsangebot zu widersprechen.

Sachverhalt
Das Bauunternehmen verlangte restlichen Werklohn für einen Nachtrag. Dabei rechnete der Bauunternehmer die Einheitspreise seines Nachtragsangebotes ab, welches der Besteller nicht explizit angenommen hatte. Die zusätzlichen im Nachtragsangebot enthaltenen Leistungen wurden im Einvernehmen mit dem Besteller ausgeführt. Erst danach erhob der Besteller Einwendungen gegen die Angemessenheit des Nachtragsangebotes. Der Besteller kürzte die Rechnung.
Entscheidung
Das Kammergericht half dem Bauunternehmen. Der Besteller habe das Nachtragsangebot konkludent durch die Entgegennahme der Arbeiten angenommen. Auf die erst nach Ausführung der Arbeiten erhobenen Einwendungen könne sich der Besteller nicht berufen. Es sei treuwidrig, erst die Leistungen in Kenntnis des Nachtragsangebotes widerspruchslos anzunehmen und später die Preise herabzusetzen. Damit werde dem Bauunternehmen das Recht genommen, die Arbeiten zu verweigern, wenn man keine Einigung über das Nachtragsangebot erreiche.

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Tierhalterhaftung und Reitbeteiligung

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 4.10.2017 — Aktenzeichen: 4 U 116/13

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter aus bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haften kann, welche durch das Pferd verursacht werden. Ist die Geschädigte im Moment des Unfalls Tieraufseherin, besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß trifft und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden ist. Der Pferdehalter haftet dann nur zu 50%.

Leitsatz
1. Die Vereinbarung einer Reitbeteiligung zwischen einer Pferdehalterin und einer Reiterin, die es der Reiterin erlaubt, gegen Zahlung eines regelmäßigen Entgelts und Mithilfe im Stall an festgelegten Tagen selbständige Ausritte mit dem Pferd machen zu dürfen, begründet keine Mithaltereigenschaft der Reiterin.

2. Eine derartige Reitbeteiligung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Annahme eines konkludent vereinbarten Haftungsausschlusses, wenn Unfälle im Rahmen einer Reitbeteiligung vom Versicherungsschutz der Pferdehalterin ausgenommen sind.

3. Stürzt die Reiterin bei einem selbständigen Ausritt vom Pferd und kann sie sich nicht entlasten, so ist bei der Prüfung ihrer Ersatzansprüche gegen die Pferdehalterin ein vermutetes Mitverschulden der Reiterin als Tieraufseherin anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

4. Bei Unaufklärbarkeit der näheren Umstände des Sturzes können die Haftungsanteile der Halterin und der Reiterin gleich hoch zu bewerten sein.

Sachverhalt
Die Klägerin begehrt als gesetzliche Krankenversicherung die Feststellung von auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüchen ihres Mitglieds aufgrund eines Reitunfalles. Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der Geschädigten. Zwischen dieser und der Beklagten bestand eine Vereinbarung dahingehend, dass die Geschädigte das im Eigentum der Beklagten stehende Pferd „S…“ an drei Tagen pro Woche nach Belieben ausreiten durfte und hierfür monatlich 100,00 Euro an die Beklagte zu zahlen hatte. Die Geschädigte stürzte am 08.10.2009 gegen 14.30 Uhr bei einem Ausritt auf der Koppel von dem Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung. Die Klägerin behauptet, die Geschädigte sei davon ausgegangen, dass das Pferd der Beklagten ordnungsgemäß versichert gewesen sei. Alle Kosten für die Unterhaltung des Pferdes, insbesondere für Stallmiete, Steuern, Versicherung und Fütterung habe die Beklagte getragen. An den Tagen, an denen die Geschädigte das Pferd reiten durfte, habe sich diese teilweise auch um das Füttern und Einstreuen gekümmert. Die Nutzung des Pferdes durch die Geschädigte habe längstens vier Monate gedauert. Es habe keine festen Nutzungstage gegeben, vielmehr seien diese jeweils abgesprochen worden. Der Unfall habe sich auf der eingezäunten Koppel so zugetragen, dass das Pferd unerwartet durchgegangen sei, den Kopf nach vorne gerissen und die Geschädigte abgeworfen habe, woraufhin diese kopfüber zu Boden gestürzt sei. Im Zusammenhang mit dem Unfall seien der Klägerin Kosten für die Heilbehandlung und Pflege sowie für Krankengeld von bislang insgesamt 129.177,83 Euro entstanden

Entscheidung
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter auch bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haftet, welche durch das Pferd verursacht werden.

Die Tatsache, dass eine Pferdehalterin mit einer Reiterin eine sog. Reitbeteiligung abgeschlossen habe, ändere nichts an der Haltereigenschaft. Es sei auch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass in diesen Fällen ein stillschweigender Haftungsausschluss zwischen Halterin und Reiterin vereinbart worden sei, so das Oberlandesgericht.

Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung der geschädigten Reiterin. Diese hatte mit der Beklagten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie deren Pferd an drei Tagen pro Woche gegen Bezahlung eines Betrages von 100 Euro pro Monat nach Belieben ausreiten durfte. Die Geschädigte stürzte bei einem Ausritt auf der Koppel vom Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung, wobei das Verhalten des Pferdes für das Unglück ursächlich war. Die Reitbeteiligung ist von der Haftpflichtversicherung der Beklagten nicht erfasst. Die Klägerin hatte Klage zum LG Nürnberg-Fürth erhoben und dort beantragt festzustellen, dass die Beklagte ihr den gesamten Schaden zu ersetzen habe, welcher im Rahmen der unfallbedingt notwendigen ärztlichen Behandlungen entstanden war bzw. noch entstehen wird. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Auslegung des abgeschlossenen Vertrages über die Reitbeteiligung ergebe, dass die Geschädigte und die Beklagte stillschweigend einen Haftungsausschluss vereinbart hätten.

Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Das OLG Nürnberg hat grundsätzlich eine Haftung der Beklagten bejaht, aber lediglich eine Haftungsquote von 50% angenommen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ändert die Reitbeteiligung nichts daran, dass die Beklagte zum Unfallzeitpunkt alleinige Halterin des Pferdes war. Sie habe das Bestimmungsrecht über das Tier und trage sämtliche Aufwendungen, wie etwa für Futter, tierärztliche Behandlungen oder die Versicherung. Die Geschädigte habe hingegen nur ein geringes Entgelt für die gelegentliche Nutzung des Pferdes gezahlt. Für die Haftung des Tierhalters komme es alleine darauf an, ob sich eine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Dies sei hier der Fall, weil das Pferd ohne Grund plötzlich losgerannt sei und es deshalb zu dem Unglück kam.

E sei kein Haftungsausschluss zwischen der Geschädigten und der Beklagten vereinbart worden. Diese Frage sei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ein Haftungsausschluss läge etwa dann vor, wenn die Geschädigte an der Überlassung des Tieres ein besonderes Interesse gehabt hätte. Die Reitbeteiligung habe zuvor nur wenige Monate bestanden. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass etwaige Schäden auch im Hinblick auf die Reitbeteiligung von ihrer Versicherung gedeckt seien.

Die Beklagte haftet aber nur mit einer Quote von 50%. Die Geschädigte sei im Moment des Unfalls Tieraufseherin gewesen. In diesem Fall bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß treffe und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden sei. Der Geschädigten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Nachdem letztlich der Reitunfall nicht mehr aufklärbar sei, führe dies dazu, dass das vermutete Mitverschulden der Geschädigten an dem Unfall den Anspruch mindere. Das Oberlandesgericht hält eine Quote von 50% für angemessen.

Praxishinweis
Denken muss man in solchen Fällen stets an das Haftungsprivileg nach den Regeln des SGB VII. So gibt es Rechtsprechung, wonach in bestimmten Fällen das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII greifen kann, insbesondere bei arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten. Beispiel: Eine ausgebildete und als solche nebenberuflich tätige Reitlehrerin, die im Rahmen eines Freundschaftsdienstes auf Bitten eines Pferdezüchters ein Video über den Ausbildungsstand eines Pferdes aufnimmt, um über das weitere Vorgehen seines Trainings bzw. Verkaufs entscheiden zu können, und in diesem Zusammenhang beim Vorführen und Longieren des Pferdes verletzt wird, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen den Pferdehalter, weil dieser als haftungsbefreiter Unternehmer i.S.d. § 104 SGB VII anzusehen ist, und es sich bei der Reitlehrerin um eine als „Wie-Beschäftigte“ versicherte Person nach § 2 Abs. 2 SGB VII handelt (LG Stendal, Urteil 30.10.2013).

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Verkehrssicherungspflicht an Baustellen

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.7.2017 — Aktenzeichen: 6 U 18/17

An Baustellen muss man mit damit rechnen, dass Werkzeug herumliegt. Stolpert jemand über eine abgelegte Schüppe, fehlt es schon an der Realisierung des Tatbestands einer Verkehrssicherungspflichtverletzung.
Leitsatz

Keine Verkehrssicherungspflicht eines Gartenbauunternehmers, der im Zuge von Arbeiten im Grenzbereich zweier Grundstücke Werkzeug in gut erkennbarer Weise und mit dem Einverständnis des Nachbarn auf dessen Grundstück ablegt.

Sachverhalt
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Verkehrssicherungspflichtverletzungen nach einem Sturz vom 04.03.2015 geltend. Der inzwischen verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1), die dessen Alleinerbin ist, führte im Auftrag des Nachbarn der Klägerin im Bereich der Grundstücksgrenze mit seinen Mitarbeitern, den Beklagten zu 2) und 3), Gartenbauarbeiten durch. Die im Jahr 1933 geborene Klägerin, für die der Ehemann der Beklagten zu 1) in der Vergangenheit ebenfalls wiederholt gearbeitet hatte, kam hinzu, um mit diesem anstehende Arbeiten auf ihrem eigenen Grundstück zu besprechen. Im Laufe dieses Gespräches stürzte die Klägerin über eine am Boden liegende Schüppe des Ehemannes der Beklagten zu 1) und verletzte sich.

Die Klägerin verlangt u.a. Schmerzensgeld. Die darauf gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen und ausgeführt: Es fehle bereits an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Baustelle sei für die Klägerin als Nachbarin ohne weiteres als Gefahrenstelle erkennbar gewesen. Wenn die Klägerin sich dann in diesen als gefahrträchtig erkennbaren Bereich begeben habe, hätten die Beklagten damit rechnen dürfen, dass sie im eigenen Interesse mit Vorsicht agiere. Erschwernisse, die bereits mit beiläufigem Blick erkennbar seien und durch eine besonders vorsichtige Gehweise ausgeglichen werden könnten, müssten hingenommen werden. Entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin sei auch nicht feststellbar gewesen, dass die Gerätschaften während des Gespräches der Klägerin mit dem Ehemann der Beklagten zu 1) unmittelbar hinter der Klägerin abgelegt worden seien.

Entscheidung
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat nach Ansicht des OLG Hamm eine ihre Klageforderung stützende Pflichtverletzung der Beklagten bereits nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Daher bestehen die geltend gemachte Ansprüche weder wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht. Allein aus dem unstreitigen Sachverhalt, dass die Klägerin über eine – ggf. teilweise auf dem Grundstück der Klägerin liegende – Schaufel gestürzt ist, ergibt sich noch nicht das Vorliegen eines objektiv verkehrswidrigen Zustandes. Das Landgericht hat insbesondere zutreffend angenommen, dass die den Ehemann der Beklagten zu 1) treffende Verkehrssicherungspflicht nicht so weit ging, dass er gehalten gewesen wäre, Schaufeln etc. von der Baustelle zu räumen.

Derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind.

Anhand dieses Maßstabes hat das Landgericht zutreffend auf die Erkennbarkeit der Baustellensituation und der verwendeten Gerätschaften abgestellt. Die Frage der Erkennbarkeit der Gefahr ist entgegen der Argumentation der Berufung nicht nur hinsichtlich des Mitverschuldens – für das der Schädiger die Beweislast trägt – von Bedeutung, sondern bestimmt bereits den Umfang der erforderlichen Vorkehrungen und damit den objektiven Umfang der Verkehrssicherungspflicht. Der Senat teilt die Bewertung des Landgerichts, dass in der konkreten Situation keine weitergehenden Schutzmaßnahmen erforderlich waren. Es handelte sich um eine gut erkennbare Baustelle. Soweit in anderen Situation wie beispielsweise in den Geschäftsräumen von Einzelhandelsunternehmen oder bezogen auf Versorgungsleitung auf einer Kirmes besonders strenge Anforderungen an die Verkehrssicherung gestellt werden, beruht dies auf der gewollten besonderen Ablenkung der Kunden bzw. Besucher. Im Bereich einer Kirmes wird das Stolper- und Sturzrisiko des Fußgängers deutlich erhöht. Dem kann dieser nur dadurch entgegenwirken, dass er seinen Blick in kurzen Abständen nicht nur nach vorne, sondern nach unten unmittelbar vor ihm richtet. Das wird aber in der konkreten Situation dadurch erschwert, dass das Kirmesgeschehen in kurzfristigen Abständen wechselnde Attraktionen bietet, die das Augenmerk der Kirmesbesucher bewusst und beabsichtigt auf sich ziehen sollen, so dass dessen Aufmerksamkeit hinsichtlich des vor ihm liegenden Bodenbereiches stark eingeschränkt ist. Mit einer solchen Situation ist die konkrete Situation der vom Ehemann der Beklagten betriebenen Baustelle nicht zu vergleichen. Es bestand daher keine Verpflichtung, die im Baustellenbereich vorhandenen Werkzeuge beiseite zu räumen oder besonders zu sichern, weil sich die Klägerin – freiwillig – in diesen Bereich begeben hat, um mit dem Ehemann der Beklagten zu 1) zu sprechen.

Da eine Haftung der Beklagten bereits am Fehlen einer Pflichtverletzung scheitert, kommt es auf die weiteren mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen der Klägerin nicht an. Die Berufung bietet keine Aussicht auf Erfolg.

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