Der Architekt als Rechtsanwalt – Wo ist die Grenze?

Nach Ansicht von Gerichten muss ein Architekt ein Alleskönner sein – auch ein Rechtsanwalt?

Ein Architekt ist zwar prinzipiell weder berechtigt noch verpflichtet, rechtsberatende Tätigkeit auszuüben. Bei der Mitwirkung an der Vergabe werden aber vom Architekten Grundkenntnisse im Werkvertragsrecht und über die VOB erwartet; dazu gehören Gewährleistungsfristen wie auch Regelungen über Vertragsstrafen, über Sicherheitseinbehalte. Dem Architekten ist daher anzuraten, auf solche Vertragstexte zurückzugreifen, die dem geltenden Werkvertragsrecht und auch der geltenden Rechtsprechung entsprechen. Bei Unsicherheit sollte er den Bauherrn veranlassen, anwaltschaftlichen Rat beizuziehen, wenn es um rechtliche Fragen geht.

Wie riskant die Mitwirkung des Architekten an der Vertragsgestaltung ist, zeigt die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in dem es um eine doch eher unscheinbare Skontoklausel ging (BGH, Urteil 9.11.2023, VII ZR 190/22).

Sachverhalt

Der beklagte Architekt war mit Architektenleistungen der Leistungsphasen 1 bis 8 hinsichtlich eines Neubaus eines Fabrikations- und Verwaltungsgebäudes befasst. Dabei stellte er der Klägerin, seiner Auftraggeberin, einen Bauvertragsentwurf mit einer von ihm formulierten Skontoklausel zur Verfügung, den diese bei der Beauftragung von bauausführenden Unternehmern verwandte. Die Skontoklausel lautete: „Die Fa. J. gewährt … ein Skonto von 3 % bei Zahlungen der durch die Bauleitung geprüften und angewiesenen Abschlagszahlungen bzw. Schlussrechnung innerhalb 10 Arbeitstagen nach Eingang bei der Bauherrschaft.‟ Konsequenterweise hielt die Auftraggeberin von der Schlussrechnung der Fa. J. einen Skontoabzug in Höhe von rd. 100.000 Euro ein. Darüber gerieten die Klägerin mit der Fa. J. in Streit. Die Fa. J. hielt den Skontoabzug für nicht gerechtfertigt unter Hinweis darauf, dass die Skontoklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam sei. Dies wurde in dem Verfahren so gesehen. Denn nach der Skontoklausel begann die Skontofrist erst nach der Prüfung der Rechnung durch den Architekten und der Weiterleitung der geprüften Rechnung mit dem Eingang beim Auftraggeber, ohne dass der Auftragnehmer auf diesen Zeitraum vom Eingang der Rechnung beim Architekten bis zu deren Eingang beim Auftraggeber irgendeinen Einfluss hatte. Damit konnte der Beginn der Skontofrist von Seiten des Auftraggebers auf einen vom Auftragnehmer nicht beherrschbaren Zeitraum verschoben werden, der unter Umständen Monate nach Rechnungseingang beim Architekten liegen kann. Darin sah man eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers. Deshalb schuldete die Klägerin die zu Unrecht gezogenen Skontobeträge noch. In diesem Umfang machte sie dann ihren Architekten, den Beklagten, verantwortlich.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an die Berufungsinstanz zurückverwiesen.

Zur Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass der Architekt durch die Zurverfügungstellung der von ihm selbst entworfenen Skontoklausel gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen hat. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt habe das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht geprüft und deshalb eine hierauf gestützte Haftung des Beklagten in seine Erwägungen nicht einbezogen. Deshalb muss sich nun das Berufungsgericht damit noch befassen.

Auch der Bundesgerichtshof ist zunächst davon ausgegangen, dass der Architekt einen Vertragstext mit der von ihm selbst entworfenen Skontoklausel der Klägerin zu deren Verwendung in ihren eigenen Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern zur Verfügung gestellt hat. Die Klägerin habe – so der Bundesgerichtshof – diese Klausel in der Annahme, dass sie ihrer Interessenlage gerecht wird, bei Vertragsabschlüssen mit bauausführenden Unternehmern – darunter die Fa. J. – verwendet. Dass ein Architekt nicht über entsprechende juristische Kenntnisse verfüge, könne man nicht regelhaft annehmen; ein solcher Erfahrungssatz bestehe nämlich nicht. Dem Besteller als im Regelfall Laien auf dem Gebiet des Bauens und des Rechts erschlösse sich grundsätzlich nicht, was von der Kompetenz des Architekten noch umfasst werde oder ausschließlich zum Aufgabenbereich eines Rechtsanwalts gehöre.

Jedenfalls habe der Architekt gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen, indem er der Klägerin eine vermeintlich ihrer Interessenlage entsprechende Skontoklausel zur Verwendung in den Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern zur Verfügung gestellt habe. Zwar könnten – so der Bundesgerichtshof – Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt sein, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehörten. Eine Skontoklausel zur Verwendung in den Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern stelle aber keine Nebenleistung dar, die zum Berufs- oder Tätigkeitsbild des Architekten gehöre. Grundsätzlich habe ein Architekt, der einem Rechtsberater des Bauherrn nicht gleichzusetzen sei, Leistungen zu erbringen, die erforderlich seien, um die mit dem Besteller vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen. Dieses Aufgabengebiet und damit das Berufsbild des Architekten habe in vielfacher Hinsicht Berührungen zu Rechtsdienstleistungen. So könne es zum Erreichen der vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele notwendig sein, über Kenntnisse des öffentlichen und privaten Baurechts zu verfügen und diese in der Beratung des Bauherrn umzusetzen. Die Zurverfügungstellung einer der Interessenlage der Klägerin entsprechenden Skontoklausel zur Verwendung in den Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern gehe allerdings über die typischerweise mit der Verwirklichung von Planungs- und Überwachungszielen verbundenen Aufgaben und damit über das Berufsbild des Architekten hinaus. Denn die Erfüllung einer solchen Pflicht erfordere qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur in der Anwaltschaft vorhanden seien. Der Architekt müsse den Bauherrn nur darauf hinweisen, dass ihm eine solche Tätigkeit nicht erlaubt sei und sich der Bauherr insoweit an einen Rechtsanwalt zu wenden habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht, wenn der Architekt ein Entgelt für das „Mitwirken bei der Auftragserteilung‟ erhalte. Der Verordnungsgeber der HOAI sei nicht ermächtigt, Erlaubnistatbestände für die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen zu regeln.

Praxishinweis

Das Urteil zeigt die Grenzen auf, was ein Architekt an Rechtsberatung noch machen darf und was nicht. Die bisherige Handhabung, dass Architekten ihren Auftraggebern komplette Vertragsentwürfe zur Verfügung stellen, ist für den Architekten riskant. Regelmäßig enthalten diese Verträge auch Klauseln, die auf erste Sicht mit den Architektenleistungen nichts zu tun haben. Dazu zählt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedenfalls eine Skontoklausel, mit der ja letztlich nur eine schnelle Zahlung belohnt werden soll. Eine solche Klausel gehöre nicht zum Berufsbild eines Architekten. Nun ist es so, dass der Versicherungsschutz eines Architekten grundsätzlich nur dann greift, wenn der Schaden im direkten Zusammenhang mit der Ausübung des versicherten Berufsbildes entstanden ist. Der Architekt läuft also zusätzlich Gefahr, in solchen Fällen keinen Versicherungsschutz zu haben. Architekten sollten ihre Auftraggeber an erfahrene Baurechtsanwälte verweisen, die dann eine juristische Kontrolle vornehmen.

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Streit um Nachträge – Darf der Werkunternehmer die Arbeiten einstellen?

Streit um Nachträge – Darf der Werkunternehmer die Arbeiten einstellen?

Bauvorhaben entwickeln sich regelmäßig anders als die Parteien bei Vertragsschluss vorausgesetzt haben. Darüber geraten die Bauvertragsparteien dann nicht selten in Streit. Wenn der Auftragnehmer eine zusätzliche Vergütung verlangt und einen Nachtrag stellt, stellt sich die Frage, ob er die Arbeiten einstellen darf, bis der Auftraggeber den Nachtrag akzeptiert. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Dies zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil 17.08.2021, 10 U 423/20, rechtskräftig).

Die Beklagte beauftragte mit VOB-Vertrag die Klägerin mit der Ausführung von Putzarbeiten. Nachdem sich die Parteien über die Berechtigung von Nachtragsforderungen nicht verständigen konnten, drohte die Klägerin, die Baustelle zu räumen, wenn die Nachträge durch die Beklagten nicht bestätigt würden. Die Beklagte widersprach dieser Vorgehensweise im Hinblick auf die drohende Verzögerung. Als dann die Klägerin ihren Worten Taten folgen ließ und kein Mitarbeiter der Klägerin mehr auf der Baustelle erschien, kündigte die Beklagte den Vertrag, ohne allerdings der Klägerin zuvor eine Frist zu setzen und die Kündigung anzudrohen.

Im Rechtsstreit stritten die Parteien um die Wirksamkeit der Kündigung. Das Oberlandesgericht hat der beklagten Auftraggeberin Recht gegeben und ausgeführt, dass der Klägerin kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich ihrer Werkleistung zugestanden habe. Vielmehr habe sie gegen das Kooperationsgebot verstoßen, indem sie die Arbeiten eingestellt habe. Das Kooperationsgebot solle gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden müsse, entstandene Meinungsverschiedenheiten möglichst einvernehmlich beigelegt werden. Streitfälle berechtigten den Auftragnehmer nicht, die Arbeiten einzustellen. Dies gelte auch für ungeklärte Nachtragsforderungen. Vielmehr sei es einem Auftragnehmer zuzumuten, die geschuldete Werkleistung zu erbringen und die Berechtigung der Nachträge im Nachhinein zu klären. Das Oberlandesgericht hat die außerordentliche Kündigung durch die Beklagte für wirksam gehalten. Eine nach den Regelungen der VOB/B vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung sei hier entbehrlich gewesen; das Oberlandesgericht hat die Formalien einer Auftragsentziehung hinter dem Verstoß gegen die Kooperationspflicht zurücktreten lassen. Dieses oberlandesgerichtliche Urteil ist mit Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.06.2022, VII ZR 826/21 rechtskräftig geworden.

Hinweis für die Praxis:

Nachvollziehbarerweise wünschen Auftragnehmer frühzeitig Klarheit über ihre Nachtragsforderungen. Der Versuch, die Weiterarbeit von der Unterzeichnung des Nachtrags abhängig zu machen oder gar die Arbeiten einzustellen, wenn der Nachtrag nicht akzeptiert wird, erweist sich allerdings als Spiel mit dem Feuer, wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt. Gleiches gilt für den „Trick“, die ausgeführte Nachtragsposition kurzerhand mit einer Abschlagsrechnung geltend zu machen und nach Zahlungsverzug die Arbeiten einzustellen. Festzuhalten ist: Wer als Auftragnehmer wegen Nachtragsstreitigkeiten die Arbeiten vollständig einstellt, riskiert eine Kündigung. Deshalb ist Auftragnehmern zu raten, zunächst zu versuchen, die Differenzen im Gespräch beizulegen. Klappt dies nicht, sollte er die streitige Nachtragsleistung ausführen und die Vergütung notfalls hinterher einklagen. Nicht zu entscheiden hatte das Oberlandesgericht den Fall, dass ein Auftraggeber sich endgültig weigert, einen berechtigten Nachtrag zu bezahlen. So hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 24.06.2004, VII ZR 271/01 entschieden, dass ein Auftragnehmer eine angeordnete zusätzliche Leistung nicht ausführen muss, wenn der Auftraggeber deren Vergütung endgültig verweigert.

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Streit um Nachträge – Darf der Werkunternehmer die Arbeiten einstellen?

Sachverhalt

Die Beklagte beauftragte mit VOB-Vertrag die Klägerin mit der Ausführung von Putzarbeiten. Nachdem sich die Parteien über die Berechtigung von Nachtragsforderungen nicht verständigen konnten, drohte die Klägerin, die Baustelle zu räumen, wenn die Nachträge durch die Beklagten nicht bestätigt würden. Die Beklagte widersprach dieser Vorgehensweise im Hinblick auf die drohende Verzögerung. Als dann die Klägerin ihren Worten Taten folgen ließ und kein Mitarbeiter der Klägerin mehr auf der Baustelle erschien, kündigte die Beklagte den Vertrag, ohne allerdings der Klägerin zuvor eine Frist zu setzen und die Kündigung anzudrohen.

Entscheidung

Im Rechtsstreit stritten die Parteien um die Wirksamkeit der Kündigung. Das Oberlandesgericht hat der beklagten Auftraggeberin Recht gegeben und ausgeführt, dass der Klägerin kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich ihrer Werkleistung zugestanden habe. Vielmehr habe sie gegen das Kooperationsgebot verstoßen, indem sie die Arbeiten eingestellt habe. Das Kooperationsgebot solle gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden müsse, entstandene Meinungsverschiedenheiten möglichst einvernehmlich beigelegt werden. Streitfälle berechtigten den Auftragnehmer nicht, die Arbeiten einzustellen. Dies gelte auch für ungeklärte Nachtragsforderungen. Vielmehr sei es einem Auftragnehmer zuzumuten, die geschuldete Werkleistung zu erbringen und die Berechtigung der Nachträge im Nachhinein zu klären. Das Oberlandesgericht hat die außerordentliche Kündigung durch die Beklagte für wirksam gehalten. Eine nach den Regelungen der VOB/B vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung sei hier entbehrlich gewesen; das Oberlandesgericht hat die Formalien einer Auftragsentziehung hinter dem Verstoß gegen die Kooperationspflicht zurücktreten lassen. Dieses oberlandesgerichtliche Urteil ist mit Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.06.2022, VII ZR 826/21 rechtskräftig geworden.

Praxishinweis

 Nachvollziehbarerweise wünschen Auftragnehmer frühzeitig Klarheit über ihre Nachtragsforderungen. Der Versuch, die Weiterarbeit von der Unterzeichnung des Nachtrags abhängig zu machen oder gar die Arbeiten einzustellen, wenn der Nachtrag nicht akzeptiert wird, erweist sich allerdings als Spiel mit dem Feuer, wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt. Gleiches gilt für den „Trick“, die ausgeführte Nachtragsposition kurzerhand mit einer Abschlagsrechnung geltend zu machen und nach Zahlungsverzug die Arbeiten einzustellen. Festzuhalten ist: Wer als Auftragnehmer wegen Nachtragsstreitigkeiten die Arbeiten vollständig einstellt, riskiert eine Kündigung. Deshalb ist Auftragnehmern zu raten, zunächst zu versuchen, die Differenzen im Gespräch beizulegen. Klappt dies nicht, sollte er die streitige Nachtragsleistung ausführen und die Vergütung notfalls hinterher einklagen. Nicht zu entscheiden hatte das Oberlandesgericht den Fall, dass ein Auftraggeber sich endgültig weigert, einen berechtigten Nachtrag zu bezahlen. So hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 24.06.2004, VII ZR 271/01 entschieden, dass ein Auftragnehmer eine angeordnete zusätzliche Leistung nicht ausführen muss, wenn der Auftraggeber deren Vergütung endgültig verweigert.

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Zur Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertrag und Ansprüche des Bestellers vor Werkabnahme

OLG Hamm, Entscheidung vom 27.09.2022, Az. 24 U 57/21

Das OLG Hamm hatte zwei Fragen zu klären: Zum einen wie Kauf- und Werkvertrag voneinander abzugrenzen sind, zum anderen, inwieweit der Besteller vor Abnahme des Werkes Ansprüche gegen den Unternehmer haben kann.

Sachverhalt

Der Auftraggeber war Bauherr einer Doppelhaushälfte. Der Auftragnehmer war von ihm werkvertraglich mit der Lieferung und dem passgenauen Einbau von Fenster- und Türelementen beauftragt. Nach Ausführung der Arbeiten teilte der Auftragnehmer mit, seine Leistungen seien fertig; die Leistungen wurden zur Abnahme angeboten. Noch vor der Abnahme rügte der Auftraggeber Mängel und setzte fruchtlos Mängelbeseitigungsfristen. Erst dann erklärte der Auftraggeber die Abnahme. Der Auftraggeber verlangt Zahlung von Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung. Der Auftragnehmer stellte sich auf den Standpunkt, dass ein Kaufvertrag geschlossen sei, kein Werkvertrag, und dass vor der Abnahme jedenfalls keine wirksame Nacherfüllungsfrist gesetzt werden konnte, die aber Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei.

Entscheidung

Das OLG Hamm hat zunächst entschieden, dass der zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geschlossene Vertrag als Werkvertrag zu charakterisieren sei. Die Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertrag erfolge anhand des Schwerpunktes des Vertrages. Liege dieser vorrangig darin, dem Gläubiger das Eigentum an der Sache zu verschaffen, also in der Übergabe und Übereignung i.S.d. § 929 BGB, ist von einem Kaufvertrag nach § 433 BGB auszugehen. Liege der Fokus des Vertrages hingegen auf der Herbeiführung eines Erfolges dergestalt, dass der Schuldner entweder eine neue Sache herzustellen hat oder Einzelteile in eine Sache einfügt, sei eher ein Werkvertrag anzunehmen. Hier bejahte das OLG im Hinblick auf das passgenaue Herstellen und den Einbau von Fenstern und Türen davon aus, dass ein Werkvertrag geschlossen worden sei.  Die Abgrenzung zwischen einem Kaufvertrag mit Montageverpflichtung und einem Werkvertrag erfolgt nach der Rechtsprechung danach, ob der Schwerpunkt der vertraglichen Pflichten des Auftragnehmers in der bloßen Übergabe und Übereignung von (herzustellenden) Sachen liegt oder in der Herbeiführung eines Gesamterfolgs durch Lieferung und Montage von Einzelteilen. Für einen Werkvertrag ist dabei entscheidend, dass bei einer qualitativen Gesamtbewertung die Herstellung eines funktionstauglichen Werks im Vordergrund steht. Dabei kam es gerade auf den passgenauen Einbau durch den Auftragnehmer an. Ohne passgenauen Einbau war die fachgerechte Herstellung des Gebäudes nicht möglich.

Da nach Ansicht des OLG Hamm ein Werkvertrag geschlossen wurde, kam es auch die weitere Frage der Abnahme – diese gibt es beim Kaufvertrag nach dem Gesetz nicht – an. Grundsätzlich gibt es Mängelrechte erst nach Abnahme; damit geht das Vertragsverhältnis von der Erfüllungsebene auf die Gewährleistungsebene über. Das OLG Hamm hat im vorliegenden Fall aber einen Anspruch des Auftraggebers auf Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung bejaht; eine Nacherfüllungsfrist gem. § 637 BGB könne bereits vor der Abnahme wirksam gesetzt werden, sofern der Erfüllungsanspruch fällig ist, der Unternehmer das Werk als fertig gestellt zur Abnahme anbietet und der Nacherfüllungsanspruch später fällig wird. Zwar werde der Nacherfüllungsanspruch im Grundsatz erst mit der Abnahme fällig (im Ausnahmefall kann die Abnahme auch entbehrlich sein). Jedoch sind der Erfüllungs- und der Nacherfüllungsanspruch dann, wenn es um die Beseitigung von fehlerhaften Leistungen nach Fertigstellung(sanzeige) einander so ähnlich und auf das gleiche Ziel gerichtet, dass es nach Abnahme keiner (erneuten) Nachbesserungsfrist durch den Auftraggeber mehr bedürfe.

 

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Mietzahlungspflicht trotz coronabedingter Absage einer Hochzeitsfeier

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 02.03.2022 – XII ZR 36/21

 

Sachverhalt

Die schon seit 2018 verheirateten Kläger mieteten bei der Beklagten Räume für ihre am 01.05.2020 geplante nachträgliche Hochzeitsfeier. Man vereinbarte eine Miete von 2.600 €. Noch vor der Feier stellte die Beklagte den Betrag in Rechnung; die Kläger bezahlten auch sofort. Jedoch konnte die Hochzeitsfeier, zu der etwa 70 Personen eingeladen waren, aufgrund der am 27.04.2020 in NRW erlassenen Coronaschutzverordnung nicht stattfinden. Die Beklagte hatte einige Alternativtermine angeboten, um die Hochzeitsfeier zu verschieben. Die Kläger verlangten allerdings Rückzahlung der geleisteten Miete und erklärten gleichzeitig den Rücktritt vom Vertrag.

In erster Instanz hat das Amtsgericht die Klage auf Rückzahlung der vollen Miete abgewiesen. Das Landgericht hingegen hat in der Berufungsinstanz entschieden, dass die Beklagte die Hälfte des Betrags (1.300 €) an die Kläger zurückzahlen musste. Die Sache ging zum BGH.

 

Entscheidung

Die Kläger gingen am Ende leer aus. Der BGH teilte die Auffassung des Amtsgerichts, hob das Berufungsurteil auf und stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her.

Der BGH hat gemeint, dass die vorliegende Nutzung der Mieträume durch die Einschränkungen der Pandemie nicht unmöglich im Sinne der §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB geworden sei. Durch die Coronaschutzverordnung werde weder der Beklagten die Überlassung der Mieträumlichkeiten noch den Klägern die Nutzung der angemieteten Räume tatsächlich oder rechtlich verboten.

Die Beklagte hätte zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeit den Klägern den Gebrauch des Mietobjekts zur Verfügung stellen können, trotz der in NRW geltenden Regelungen, die Veranstaltungen – wie eine Hochzeitsfeier – untersagten und Kontaktbeschränkungen anordneten. Der BGH hat auch keinen Anspruch auf Anpassung des Mietvertrags dahingehend gesehen, dass die Kläger von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Miete vollständig oder teilweise befreit wären. Zwar käme – so der BGH – nach seiner Rechtsprechung (Urteil 12.01.2022, XII ZR 8/21) für den Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolge, ein solcher Anpassungsanspruch grundsätzlich in Betracht. Nach der vorliegenden Entscheidung gälte dies auch für Räume, die zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet wurden, wenn die Feier aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht stattfinden konnte. Dies bedeutete aber nach Ansicht des BGH nicht, dass der Mieter in diesen Fällen stets eine Anpassung der Miete verlangen kann. Ob ihm ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Hier wurde den Klägern zum Verhängnis, dass sie das Angebot des Beklagten, die Feier zu verlegen, nicht akzeptieren wollten. Dies wäre – so der BGH – den Klägern aber zumutbar gewesen.

 

Anmerkung

Auch dieser Fall zeigt, dass sich pauschale Betrachtungsweisen verbieten. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist oder nicht. Wie so oft sind sämtliche Umstände des Einzelfalls maßgeblich. In diesem Fall verbleibt auch kein Störgefühl, weil die Mieter einen der zahlreichen Ausweichtermine hätten auswählen können; vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die Hochzeitsfeier aus anderen Motiven nicht mehr stattfinden sollte.

 

Beitrag zum BGH Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 

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§ 110 SGB VII: Keine Verschuldenszurechnung gem. § 278 BGB

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urt. v. 09.12.2021 – VII ZR 170/19

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rückgriffsanspruch des gesetzlichen Unfallversicherers gegen den Unternehmer gem. § 110 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, gemäß § 278 BGB kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Beklagte zu 1) wurde beauftragt, Dachdeckerarbeiten durchzuführen. Der Bauleiter und zugleich Beklagter zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Zur Durchführung dieser Arbeiten beauftragte die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 3) mit der Errichtung eines Gerüsts. Diese wiederum beauftragte die Beklagte zu 5) als Subunternehmerin, die das Gerüst schließlich errichtete.

D., Dachdeckergeselle bei der Beklagten zu 1), stürzte während der Arbeiten vom Dach und verletzte sich schwer. Das am Gerüst errichtete Fanggitter, welches vor Abstürzen schützen sollte, genügte nicht vollständigen den Anforderungen. Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, bei dem die Beklagte zu 1) Mitgliedsunternehmen ist, erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte Leistungen an D und verlangte daraufhin von den Beklagten klageweise Rückerstattung der von ihr erbrachten Leistungen infolge des Arbeitsunfalls.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bejahte den Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3) und 5). Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Klägerin stehe ein Anspruch des D. auf Aufwendungsersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages zugunsten Dritter aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu. Die Beklagte zu 5) habe das Gerüst nicht mit Fangnetzen oder Fanggittern ausgestattet und dadurch ihre Vertragspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung sei der Beklagten zu 1) gem. § 278 BGB zuzurechnen.

Die Beklagte zu 1) hafte der Klägerin gem. § 110 Abs. 1 SGB VII. Sie sei als Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert und handelte grob fahrlässig, da sie sich das Verhalten der Beklagten zu 5) gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Dass entgegen der Sicherheitsvorschriften gänzlich von den Sicherheitsvorkehrungen abgesehen wurde, rechtfertige den Schluss auf ein subjektives gesteigertes Verschulden, welches zu dem objektiv groben Verstoß gegen elementare Sicherungsvorkehrungen hinzukomme.

Mit dieser Entscheidung konnte man nicht einverstanden sein. Mit der Revision verfolgt die Beklagte zu 1) ihr Begehren, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidung

Der BGH hebt das Urteil des Revisionsgerichts, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 1) beschieden wurde, auf. Der geltend gemachte Anspruch scheide – so der BGH – gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus, nach dem Unternehmen den Versicherungen, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, die den Versicherungsfall verursacht haben, nur zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1-4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Beklagte zu 1) hafte daher D. nicht, da D. mit der Beklagten zu 1) in einem Ausbildungsverhältnis stand und bei seiner betrieblichen Tätigkeit verunglückt sei. Die Beklagte zu 1) ist als Unternehmerin und Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII privilegiert.

Ein Rückgriffsanspruch gem. § 110 Abs. 1, § 111 S. 1 SGB VII könne so auch nicht dargestellt werden. Gem. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII haften nach §§ 104-107 SGB VII haftungsbeschränkte Personen den Sozialversicherungsträgern nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Nach § 111 S. 1 SGB VII haften die Vertretenen nach § 110 SGB VII jedoch, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmen in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Eine Haftung nach § 110, § 111 SGB VII setzt also voraus, dass ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Insofern findet nach § 111 S. 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens der vertretungsberechtigten Organe, jedoch keine Zurechnung des Verschuldens der beauftragten Nachunternehmer statt. Im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII kommt keine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB in Betracht.

Hierfür spreche – so der BGH –  auch der Wortlaut und die Systematik der §§ 110, 111 SGB VII. Der Gesetzgeber habe die Verschuldenszurechnung in den §§ 110 ff. SGB VII bewusst ausgestaltet und keine weitergehenden Zurechnungsnormen geschaffen. Daher widerspreche es dem Willen des Gesetzgebers, weitergehende Zurechnungsnormen anzuwenden. Für diese Ansicht spreche ebenso der Zweck der Regelungen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen. Angeknüpft werde daher an das besonders missbilligenswerte Verhalten der durch § 104 ff. SGB VII privilegierten Begünstigten oder z.B. ihrer vertretungsberechtigten Organe.

Die Voraussetzungen des § 278 BGB liegen nach Ansicht des BGH ebenfalls nicht vor. Für eine Zurechnung nach § 278 BGB müsse ein bereits vor dem Unfall bestehendes Schuldverhältnis zwischen den Gläubiger und dem Schuldner vorliegen. Hier entstehe das Schuldverhältnis gem. § 110 ff. SGB VII jedoch erst mit Eintritt des Versicherungsfalles.

Deshalb hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache in die II. Instanz zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich damit auseinander zu setzen haben, ob der Beklagte zu 2) als vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten zu 2) den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, indem er in seinen Aufgabenbereich fallende vertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten verletzt habe.

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Keine „taggenaue Berechnung‟ bei Schmerzensgeld

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH Urteil vom 15. Februar 2022 – VI ZR 937/20

 

Sachverhalt

Der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten 500 Tage im Krankenhaus. Unter anderem musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Er ist nun zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und kann nur bedingt einer Arbeit nachgehen.

Vor Gericht sollte geklärt werden, wie hoch das Schmerzensgeld ist, das der Unfallverursacher dem geschädigten Kläger zahlen muss.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Schmerzensgeld „taggenau berechnet“ und hat so ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro ermittelt. Der Bundesgerichtshof erteilt dieser Berechnungsmethode des Oberlandesgericht Frankfurt eine Absage und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

 

Nach der vom Oberlandesgericht Frankfurt hierbei angewendeten Methode der sog. „taggenauen Berechnung‟ des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Oberlandesgericht hat diese Tagessätze für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau‟ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Oberlandesgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Oberlandesgericht in diesem Fall keinen Gebrauch gemacht.

Der Bundesgerichtshof hat dies nicht mitgemacht. Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes seien im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das unfallbedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei gehe es nicht um eine isolierte Betrachtung einzelner Umstände, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei seien in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lasse.

Diesen Grundsätzen werde – so der Bundesgerichtshof – die vom Oberlandesgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung‟ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht habe und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch werde leben müssen, lasse wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So sei unbeachtet geblieben, welche Verletzungen der Kläger erlitten habe, wie die Verletzungen behandelt worden seien und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst worden sei. Gleiches gelte für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trage der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung.

 

Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

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Fristlose Kündigung aufgrund Mietrückstand

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 08. Dezember 2021, VIII ZR 32/20

(Leitsätze)

Die Erheblichkeit des zur außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs berechtigenden Mietrückstands ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 2, § 569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB allein nach der Gesamthöhe der beiden rückständigen Teilbeträge zu bestimmen. Danach ist der Rückstand jedenfalls dann nicht mehr unerheblich, wenn er die für einen Monat geschuldete Miete übersteigt. Für eine darüberhinausgehende gesonderte Bewertung der Höhe der einzelnen monatlichen Rückstände im Verhältnis zu jeweils einer Monatsmiete und damit für eine richterliche Anhebung der Anforderungen an eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs lässt das Gesetz keinen Raum.

 

Sachverhalt

Die Klägerin, Vermieterin einer Wohnung in Berlin, kündigte der beklagten Mieterin wegen Zahlungsrückständen in Höhe von insgesamt 839 Euro im Februar 2018.

Die Mieterin schuldete ihr von der monatlichen Miete in Höhe von 704 Euro im Januar 2018 noch 135 Euro und im Februar die gesamte Miete.
Der Mieterin wurde daraufhin gekündigt und eine Räumungsfrist bis zum 31.01.2019 zugeschrieben. Zur Zeit der Kündigung sei die Beklagte mit der Miete für zwei aufeinanderfolgende Monate in Verzug gewesen, weshalb die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam sei.

Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Gesamtbetrag des Rückstands zwar eine Monatsmiete übersteige, jedoch der Verzug im ersten Monat nur “19 % der Gesamtmiete“ ausmache. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass ein erheblicher Rückstand der Miete – der nach § 543 II 1 Nr. 3 a Alt. 2 BGB erforderlich ist – erst beim Verzug eines Mietanteils von etwa der Hälfte einer monatlichen Miete gegeben sei.

 

Entscheidung

Der Mietsenat des BGH widerspricht dem Landgericht und hebt das Urteil auf.

Erforderlich für eine außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ist laut Gesetz ein wichtiger Grund i.S.v. § 543 BGB. Dieser liegt laut Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a Alt. 2 dann vor, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist.

Die für alle Mietverhältnisse geltende Vorschrift § 543 II 1 Nr. 3a Alt. 2 BGB lässt offen, wann von einem „nicht unerheblichen Teil“ der Miete auszugehen ist. Der Gesetzeswortlaut in dieser Vorschrift „für zwei aufeinanderfolgende Termine“ bezieht sich darauf, dass der Mieter „für“ beide Termine im Verzug mit der Miete ist. Es bestehe kein Zusatz, der verlangt, dass beide aufeinanderfolgenden Einzelrückstände jeweils als „nicht unerheblich“ zu gelten hätte. Daher müsse dies unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgelegt werden.

Dem Schutzzweck des § 569 III Nr. 1 S. 1 BGB gebiete es nicht die Erheblichkeitsschwelle über den Gesamtrückstand hinaus auch zusätzlich an dem Verhältnis der Einzelrückstände zu der jeweils geschuldeten Monatsmiete zu messen. In dieser Norm solle lediglich die kündigungsbewehrte Schwelle der Erheblichkeit des Mietrückstands unter Beachtung beiderseitigen Interessen ausgewogen bestimmt werden. Bei einem Verzug von mehr als zwei aufeinanderfolgenden Terminen sei die Fortsetzung des Mietverhältnisses dann für den Vermieter unzumutbar.

Laut BGH sei das Mietverhältnis der streitenden Parteien somit zurecht durch eine außerordentliche fristlose Kündigung beendet worden, da die Mieterin mit einem erheblichen Teil der Miete in Verzug gewesen sei. Eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzug sei nach der Gesamthöhe der beiden rückständigen Teilbeträge zu bestimmen. Als nicht unerheblich gelte daher bereits ein Betrag, der die geschuldete Miete für einen Monat übersteige (§ 569 III Nr. 1 S. 1 BGB). Dem stehe auch nicht entgegen, dass die geschuldete Miete vom Januar (135 Euro von 704 Euro) für sich allein betrachtet als unerheblich zu werten sei.

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Mietminderung aufgrund pandemiebedingter Geschäftsschließung?

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21

 

Leitsätze

  1. Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
  2. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
  3. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.

 

Sachverhalt

Die Klägerin vermietet an die Beklagte Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs.
Aufgrund des im März 2020 in Deutschland verbreiteten SARS-CoV-2-Virus erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales Allgemeinverfügungen, aufgrund deren die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft schließen musste. Infolge der behördlich veranlassten Schließung zahlte die Beklagte keine Miete mehr. Die Klägerin klagte die Miete ein. Das Landgericht verurteilte die Beklagte, die vollständige Miete zu zahlen. Das Berufungsgericht war demgegenüber der Auffassung, dass nur die Hälfte der Miete zu zahlen sei unter dem Aspekt einer Störung der Geschäftsgrundlage. Beide Parteien waren mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und gingen zum Bundesgerichtshof.

 

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil des Berufungsgerichts auf und weist die Sache an dieses zurück.

Die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung begründe – so der Bundesgerichtshof – nicht schon einen Mangel. Voraussetzung hierfür sei, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stehe. Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung nicht. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des Virus begünstige und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden solle. Durch die Allgemeinverfügung werde – so der Bundesgerichtshof – jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen, noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt habe daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung gestanden.

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen könne aber – so der Bundesgerichtshof – im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 sei die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter verstehe man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien sei dadurch schwerwiegend gestört worden, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit hat schließen müssen. Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt sei, spreche die Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Danach werde vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert habe, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar seien.

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtige – so der Bundesgerichtshof – jedoch noch nicht automatisch zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne. Beruhe die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftliche Benachteiligung, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten habe, beruhe nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie seien vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden könne. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst werde. Das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeute aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedürfe einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb komme die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt werde, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein treffe, nicht in Betracht. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung sei, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden seien. Diese bestünden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Berücksichtigt werden könne auch, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen habe, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu mindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen dürfe, seien – so der Bundesgerichtshof – bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt habe. Dabei können nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein; staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, hingegen nicht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreiche. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei nicht erforderlich.

Das Berufungsgericht hat nach der Zurückverweisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

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Haftung eines Landwirts bei Nutzung einer Mähmaschine

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 21.09.2021, Az. VI ZR 726/20

 

Sachverhalt
Der beklagte Landwirt mähte mit einer Mähmaschine, und zwar mit einem Traktor und dem von diesem angetriebenen Kreiselmäher, eine Wiesenfläche auf seinem Weideland. Während der Mäharbeiten wurde der Kläger, der sich auf dem angrenzenden Grundstück am Rande des dort befindlichen Reitplatzes aufhielt, durch einen Stein am rechten Auge getroffen und schwer verletzt.

 

Entscheidung

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass die Haftungsvoraussetzungen für einen Anspruch aus § 7 StVG, § 115 VVG nicht gegeben seien. § 7 StVG setze im Absatz 1 die Verletzung oder Beschädigung der Rechtsgüter eines anderen beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus. Der Begriff „beim Betrieb“ wird dabei weit ausgelegt, um den umfassenden Schutzzweck der Norm zu gewährleisten. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe.

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen sei es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) bestehe. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfalle daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt werde.

Hier liege die Besonderheit vor, dass der Traktor mit der Mähmaschine kein Kfz im klassischen Sinne sei. Der Traktor werde als Arbeitsmaschine genutzt und diene nicht ausschließlich der Fortbewegung. Eine gefährdungsunabhängige Haftung greife nur dann für Arbeitsmaschinen, wenn diese einen Unfall in der Nähe von Straßenverkehrsflächen verursachten. Auf landwirtschaftlichen Flächen mit ausreichend Abstand zum Straßenverkehr liege hingegen kein Haftungszweck vor.

Dabei sei unbedeutend, ob der Stein tatsächlich während des Arbeitsvorgangs des Mähens oder lediglich bei der Fahrt hochgeschleudert worden sei. Hier bestehe kein hinreichender Zusammenhang.

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