Gestörtes Gesamtschuldnerverhältnis bei Verkehrsunfällen

OLG Brandenburg, Urteil vom 18.5.2017 — Aktenzeichen: 12 U 192/06

Sachverhalt
Der Kläger macht gegenüber den Beklagten – Halterin und Haftpflichtversicherung des streitgegenständlichen Unfallfahrzeuges – Ansprüche insbesondere auf Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem der Kläger als Insasse erheblich verletzt wurde. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist den Beklagten der Beweis gelungen, dass der Kläger bei der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit für den Fahrer des verunglückten Fahrzeuges unterwegs gewesen ist. Bei dem Unfallfahrzeug handelte es sich um ein Mietfahrzeug, welches auf Kosten des Fahrers angemietet wurde. Die Benzinkosten trug ebenfalls ausschließlich der Fahrer. Der Kläger durfte ohne Kostenbeteiligung mitfahren. Das erstinstanzliche Landgericht ging vorliegend von einem Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII aus und schloss Ansprüche gegen die Beklagten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerverhältnisses aus. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der beim OLG eingelegten Berufung. Das zwischenzeitlich angerufene Sozialgericht stellte rechtskräftig fest, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Unfall für den Kläger um einen Arbeitsunfall handelte.

Entscheidung
Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg.

Nach Auffassung des OLG hat das Landgericht eine Haftung der Beklagten nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG a.F. verneint. Zugunsten des Fahrzeugführers, dem Arbeitgeber des Klägers, greift die Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 S. SGB VII ein, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall um einen Arbeitsunfall handelt. Dies steht aufgrund der für den Senat nach § 108 Abs. 1 SGB VII bindenden rechtskräftigen Entscheidung des Sozialgerichtes fest. Allein der Umstand, dass der Fahrer anstelle seines eigenen Fahrzeuges einen Mietwagen angemietet hat, nehme der Fahrt nicht ihr innerbetriebliches Gepräge. Insoweit sei der Mietwagen dem betriebseigenen Fahrzeug gleichzusetzen, zumal der Kläger angegeben hat, er habe kostenlos mitfahren dürfen, so der Senat.

Greift somit zugunsten des Fahrzeugführers das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII ein, liegt ein gestörtes Gesamtschuldverhältnis vor mit der Folge, dass der Kläger weder die Beklagte zu 1) als Halter des verunfallten Fahrzeuges nach § 7 Abs. 1 StVG noch die Beklagte zu 2) als zuständigen Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen kann. Die Haftung eines Zweitschädigers beschränke sich im Verhältnis zum Geschädigten auf die Quote des Schaden, die auf diesem im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre. Im Streitfallbeschränke sich der Mitverursachungsanteil der Beklagten zu 1), die allein aus der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG hier hafte, in dem Zurverfügungstellen des Mietfahrzeuges. Im Innenverhältnis ist es daher gerechtfertigt, den Erstschädiger gegenüber der Beklagten zu 1) allein haften zu lassen. Etwas anderes mag gelten, wenn dem Kfz-Halter ein eigenes Verschulden zur Last zu legen ist. Ein solches eigenes Verschulden der Beklagten zu 1) liegt im Streitfall jedoch nicht vor. Es mache zudem keinen Unterschied, so der Senat, ob der Unfall mit einem betriebseigenen oder einem anderen, angemieteten Fahrzeug verursacht wird, dass nur deswegen benutzt wird, weil sich das eigene Fahrzeug des Unternehmers vorübergehend in Reparatur befindet.

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Tiefbauunternehmen darf auf Bestandsauskunft des Versorgungsunternehmens vertrauen

OLG Brandenburg, Urteil vom 05.04.2017 – Az.: 4 U 24/16

Sachverhalt
Der Kläger, ein kommunaler Wasserverband, begehrt von der Beklagten 1), als u.a. auf Anlagenbau spezialisiertes Unternehmen, sowie von der Beklagten zu 2), als von der Beklagten zu 1) beauftragtes Tiefbauunternehmen, Schadenersatz wegen der Beschädigung einer Grundstücksanschlussleitung zur Schmutzwasserleitung im Rahmen von Kabelverlegungsarbeiten mittels Bohrverfahren, welche in der an die Beklagte zu 1) erteilte Bestandsauskunft des Klägers nicht eingezeichnet gewesen ist.

Nachdem die Klage in I. Instanz abgewiesen worden ist, vertritt der Kläger in der Berufung weiterhin die Auffassung, dass die Beklagte zu 2) damit hätte rechnen müssen, dass einzelne Leitung nicht oder nicht korrekt in der Bestandauskunft eingezeichnet gewesen sind. Insbesondere hätte sich die Existenz weiterer Leitung aufgedrängt, da ein Gebäudekomplex dieser Größe regelmäßig über mehr als einen Anschluss verfüge. Außerdem hätte die Beklagte zu 2) sich einweisen lassen müssen, wie es in dem an die Beklagte 1) übermittelten Merkblatt ausgeführt ist. In diesem wurde u. a. ausgeführt:

„Dem W. liegen nicht in jedem Fall vermessene Bestandsunterlagen vor. Daher können die Eintragungen im Lageplan vom tatsächlichen Trassenverlauf abweichen. Die Tiefenlage der Leitungen, Kanäle und Kabel kann sich durch nachträgliche Geländeregulierungsarbeiten entgegen den Angaben im Bestandsplan geändert haben. Zur Vermeidung von Schäden an unseren Anlagen, sind in jedem Fall vor Beginn der Bauarbeiten örtliche Einweisungen zu vereinbaren.“

Jedenfalls hafte die Beklagte zu 1), da sie die Beklagte zu 2) über die Sicherheitsinformationen nicht hinreichend unterrichtet habe bzw. die Beklagte zu 2) nicht ausreichend überwacht habe.

Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen.

Entscheidung
Das OLG betont nochmals, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Schädigung auszuschließen. Insbesondere auf Grund der unverhältnismäßig großen Gefahren, die durch eine Beschädigung von Versorgungsleitungen hervorgerufen werden können, sind an die Verkehrssicherungspflichten von Tiefbauunternehmen besonders hohe Anforderungen zu stellen. Daher ist vor allem bei der Verwendung von Baggern oder anderem schwerem Arbeitsgerät äußerte Vorsicht geboten. Daher hat das Tiefbauunternehmen sich über die Lage von Versorgungsleitungen Gewissheit zu verschaffen. Hierzu genügt nicht die Einholung einer Auskunft der kommunalen Bauämter, da die Versorgungsleitungen regelmäßig ohne deren Beteiligung verlegt werden. Vielmehr besteht die Erkundigungspflicht gegenüber dem zuständigen Versorgungsunternehmen. Sollte dies nicht ausreichen, muss durch andere Maßnahmen, wie etwa Probebohrungen oder Ausschachtungen, die erforderliche Gewissheit verschafft werden. Diesen Anforderungen haben die Beklagten nach Ansicht des OLG genügt.

Im weiteren Verfahren unstreitig, hat die Beklagte zu 1) sowohl die Bestandsauskunft als auch das Merkblatt des Klägers an die Beklagte zu 2) weitergeleitet. Daher war die Einholung einer eigenen Bestandauskunft durch die Beklagte zu 2) nicht erforderlich. Weitere Erkundigungen waren nicht erforderlich. Insbesondere durften die Beklagten auf den Inhalt der Bestandsauskunft vertrauen. Weitere Erkundigungen waren auch nach dem Merkblatt nicht erforderlich, da sich dieses bereits nach dem Wortlaut auf die Lage eingezeichneter Versorgungsleitung bezieht. Die beschädigte Leitung war jedoch weder eingezeichnet, noch den Beklagten anderweitig bekannt. Daher war auch eine örtliche Einweisung nicht erforderlich.

Auch die Größe des versorgten Gebäudekomplexes kann nicht das Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der Bestandsauskunft erschüttern, da es unstreitig technisch möglich ist, den Gebäudekomplex mit nur einem Anschluss zu versorgen.

Abschließend weist das OLG noch darauf hin, dass selbst wenn eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angenommen werden könnte, der Anspruch an einem Mitverschulden des Klägers scheitert, da unstreitig dem Bereichsleiter Schmutzwasser/Entsorgung des Klägers die Existenz der beschädigten Leitung bekannt gewesen ist und dieses Wissen dem Kläger entsprechend § 166 BGB zuzurechnen ist. Daher hat der Kläger wider besseres Wissen den Beklagten eine unzutreffende Bestandsauskunft erteilt.

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Streitigkeiten bei arbeitsteiliger Auftragsabwicklung

Häufig werden Leistungen am Bau arbeitsteilig erbracht. Sind die eigenen Kapazitäten z.B. aufgrund eines personellen Engpasses begrenzt, kommt die Einbeziehung eines Subunternehmers in Betracht. Häufig erteilen Auftraggeber auch den Auftrag zur Fertigstellung einer bereits begonnenen Leistung gegenüber einem anderen Unternehmen. Die hier besprochene Entscheidung des OLG Köln zeigt, dass dies mit Risiken sowohl für den Auftraggeber als auch für den Auftragnehmer verbunden ist.

Zum Fall
Die Klägerin, ein TGA-Fachunternehmen, beauftragte das Unternehmen A mit der Installation von Wasserleitungen in einem größeren Bauvorhaben. Im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Wasserleitungen kam es zu einem erheblichen Wasserschaden. Die maßgebliche Ursache lag darin, dass an einem Leitungsende eine Abschlusskappe fehlte. Die eigentliche Inbetriebnahme wurde jedoch nicht mehr von dem Unternehmen A ausgeführt. Vielmehr beauftragte das TGA-Unternehmen für die Inbetriebnahme — wohl aufgrund eines personellen Engpasses des Unternehmens A — das Unternehmen B. Im Zuge der Inbetriebnahme kam es wie schon ausgeführt zu dem Wasserschaden, der letztlich mit erheblichem Aufwand behoben werden musste. Wegen der dadurch entstandenen Kosten nahm die Klägerin beide Unternehmen in Anspruch. Das lediglich mit der Inbetriebnahme beauftragte Unternehmen B wandte nun ein, seine Tätigkeit sei lediglich ein untergeordneter Hilfsdienst gewesen. Es sei offensichtlich gewesen, dass er ohne Kenntnis von den Plänen und ohne Überblick über die gesamte Anlage nicht habe prüfen können und sollen, ob alles in Ordnung sei. Die Kontrolle einer Dichtigkeit sei auch durchaus komplex. Z.B. habe die Wasseruhr verdeckt in einer Revisionsöffnung gelegen. Sofern also die Klägerin behaupte, die Wasseruhr sei ein Indiz dafür gewesen, dass eine Undichtigkeit bestehe, habe man diese nicht einfach ablesen können. Bei Dichtigkeit des Leitungssystems reiße auch der Wasserstrom nicht schon nach kurzer Zeit ab, sondern müssten sich zuvor alle Leitungen und WC-Spülkästen mit Wasser füllen. Auch deshalb sei der Hinweis auf die Wasseruhr unzutreffend.

Das Oberlandesgericht Köln folgt der Argumentation des mit der Inbetriebnahme beauftragten Unternehmens B nicht, sondern sieht diesen gleichfalls in der Haftung. Das Gericht stellt heraus, dass der Unternehmer B zwar nicht Ersteller des Leitungsnetzes gewesen sei; er sei auch lediglich aufgrund fehlender Erreichbarkeit des Unternehmens A beauftragt worden, eine Inbetriebnahme durchzuführen. Insofern könne zwar nicht verlangt werden, das Leitungsnetz vor Inbetriebnahme komplett zu überprüfen. Die Pflichten gingen jedoch weiter, als lediglich den „Hahn aufdrehen zu müssen“, so der Senat wörtlich. Immerhin handele es sich auch bei Unternehmen B um einen Fachbetrieb, der bestimmte Grundregeln bei der Inbetriebnahme eines Leitungsnetzes beachten müsse. Es sei unschwer möglich gewesen, festzustellen, ob das Leitungsnetz dicht sei. So sei es dem Unternehmen B zumutbar gewesen, auf die Wasseruhr zu achten und zu überprüfen, ob nach einer bestimmten Zeit der Zähler der Wasseruhr nicht mehr weiter lief. Vor diesem Hintergrund kam der Senat zu einer Haftung des mit der Inbetriebnahme beauftragten Unternehmens. Allerdings – so der Senat – sei der Klägerin ein mindestens 25 %iges Mitverschulden bei der Schadensentstehung anzulasten. Denn die Klägerin, ihres Zeichens selbst ein Fachunternehmen, habe im Zuge der Beauftragung nicht darauf hingewiesen, dass eine Druckprüfung des Leitungssystems in der bei Inbetriebnahme vorliegenden Form bislang nicht stattgefunden habe. Sie habe gewusst, dass das System in der Form, wie es nunmehr in Betrieb genommen werden sollte, einer Druckprüfung noch nicht unterzogen worden war. Sofern ein fachkundiger Unternehmer in einer solchen Situation einen Dritten mit der Endfertigstellung oder Inbetriebnahme des Leitungsnetzes beauftrage, gehöre es zu seinen Pflichten, den Dritten auf diesen Umstand hinzuweisen. Welche genauen Abstimmungen erfolgt waren, ließ sich letztlich nicht mehr aufklären und war für die Entscheidung offenbar auch nicht relevant. Es liegt allerdings nahe, dass die Klägerin letztlich den Unternehmer B in Abstimmung mit dem Unternehmer A beauftragt hatte, aufgrund eines dortigen personellen Engpasses die Inbetriebnahme vorzunehmen. Der Klägerin sei zur Last zu legen, dass sie hier angesichts der Einzelfallumstände gebotene Informationen nicht erteilt habe. Dieser Verursachungs- und Verschuldensanteil könne nicht als so geringfügig angesehen werden, dass es gerechtfertigt sei, den Unternehmer B den Schaden alleine tragen zu lassen.

Fazit
Die Entscheidung veranschaulicht die an den Schnittstellen im Bauablauf immer wieder auftretenden Risiken. Ein als „Feuerwehrmann“ eingesprungenes Unternehmen tut gut daran, nicht darauf zu vertrauen, dass alle Vorarbeiten fachlich richtig erledigt wurden. Andererseits können auch den Auftraggeber umfassende Aufklärungspflichten treffen, vor allem wenn – wie hier geschehen – bekannt ist, dass die zuvor ausgeführten Arbeiten unvollständig oder mangelhaft sind (OLG Köln, Az: 3 U 181/09).

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Bauüberwachung einer Balkonsanierung

OLG Dresden, Urteil vom 3.4.2017 — Aktenzeichen: 13 U 74/16

Leitsatz
1. Der Architekt und der Unternehmer sind im Umfang ihrer Haftung Gesamtschuldner. Dem Auftraggeber steht es grundsätzlich frei, ob er wegen eines Mangels am Bauwerk den Unternehmer oder den Architekten, der seine Aufsichtspflicht verletzt hat, in Anspruch nehmen will.

2. Allerdings kann sich die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners als rechtsmissbräuchlich darstellen. Der Gläubiger darf bei seinem Entschluss, gegen welchen Gesamtschuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme auf den anderen vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben, § 242 BGB.

3. Wenn der Auftraggeber durch seine unberechtigte Auftragsentziehung gegenüber dem Unternehmer, der seine Bereitschaft zur Nachbesserung gezeigt hatte, eine einfachere und billigere Beseitigung der Mängel, die er ohne unzumutbare Schwierigkeiten hätte erlangen können, unterbunden hat und nunmehr den Architekten wegen des Schadens in Anspruch nehmen will, dessen Ersatz er von dem Unternehmer aufgrund seines eigenen Vorgehens nicht mehr verlangen kann, ist dies treuwidrig.

Sachverhalt
Der klagende Bauherr lässt vom beklagten Architekten eine Kindertagesstätte planen und deren Errichtung überwachen. Der ebenfalls beklagte Bauunternehmer führt auf der Grundlage eines VB/B Bauvertrages die Außenputzarbeiten, das WDVS und die Abdichtungsarbeiten aus.

Dabei treten Mängel auf. Nach einer entsprechenden Aufforderung zur Mangelbeseitigung erklärt sich der beklagte Bauunternehmer schließlich bereit, die Mängel zu beseitigen. Daraufhin verhandeln der Bauherr und die Bauunternehmer über einen längeren Zeitraum über die Art und Weise der Nachbesserung, wobei der Bauunternehmer auch ein Nachbesserungskonzept vorlegt und mit den Nachbesserungsarbeiten beginnt. Während dieser Zeit kündigt der Bauherr den Vertrag mit dem Architekten. Die Verhandlungen mit dem Bauunternehmer beendet der Bauherr, indem er zum einen eine Frist zur Mangelbeseitigung bis 16.08. setzt, mit weiteren Schreiben die Vorlage bestimmter Unterlagen unter Fristsetzung verlangt sowie die „Entziehung des Nachbesserungsrechts“ und die Ersatzvornahme androht. Schon am 30.07. „entzieht“ er dann dem Bauunternehmer „das Nachbesserungsrecht“, führt die Ersatzvornahme durch und macht deren Kosten sowohl gegen den Bauunternehmer als auch gegen den Architekten geltend. Mit Erfolg?

Entscheidung
Ohne Erfolg.

Der Bauherr nimmt den Bauunternehmer sowie den bauüberwachenden Architekten gesamtschuldnerisch in Anspruch. Die Klage gegen den Bauunternehmer wird abgewiesen, weil dem Bauunternehmer zu Unrecht gekündigt worden ist. Der Bauunternehmer habe die Mangelbeseitigung nicht endgültig verweigert. Einen Schadensersatzanspruch gegen den bauleitenden Architekten hat das OLG ebenfalls für unbegründet erachtet. Die geltend gemachten Ersatzvornahmekosten könne der Bauherr nach Treu und Glauben nicht vom bauleitenden Architekten verlangen. Zwar stehe es dem Auftraggeber frei, ob er wegen Mängel den Unternehmer oder den seine Bauüberwachungspflicht verletzenden Architekten in Anspruch nehme, allerdings könne sich die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners als rechtsmissbräuchlich darstellen. Bei seinem Entschluss, gegen welchen Gesamtschuldner vorgegangen werden solle, dürfe der Bauherr nicht jede Rücksichtnahme auf andere vermissen lassen. Vielmehr habe er seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben. So könne der Bauherr ausnahmsweise gehindert sein, einen bauüberwachenden Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Bauunternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen könne. Dem Bauherrn sei nicht zuzumuten, sich nennenswerten Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegen den Bauunternehmer auszusetzen, um den ebenfalls haftenden Architekten zu schonen. Ergeben sich solche Schwierigkeiten, so wird es dem Bauherren regelmäßig unbenommen sein, sich ohne Einschränkung zügig an den Architekten zu halten. Das gilt insbesondere, wenn der Bauherr nur durch einen Prozess gegen den Unternehmer zu seinem Recht kommen könne. Gleichwohl ist das OLG Dresden im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, der Bauherr sei nach Treu und Glauben gehindert, die Kosten der Ersatzvornahme gegenüber dem bauüberwachenden Architekten geltend zu machen. Infolge der unberechtigten Entziehung des Auftrages gegenüber dem Bauunternehmer, welcher zur Nachbesserung bereit gewesen sei, habe der Bauherr eine einfachere und billigere Beseitigung der Mängel, die er ohne unzumutbare Schwierigkeiten hätte erlangen können, unterbunden. Wenn der Bauherr dann den bauüberwachenden Architekten wegen des Schadens in Anspruch nehmen will, dessen Ersatz von dem Bauunternehmer aufgrund seines eigenen Vorgehens nicht verlangen kann, so ist dies treuwidrig.

Anmerkung
Das Urteil weicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab, entspricht aber Forderungen in der Literatur. Das neue Bauvertragsrecht enthält dazu in § 650 s BGB eine Lösung.

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Der aufgewirbelte Stein als unabwendbares Ereignis

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 30.3.2017 — Aktenzeichen: 2 S 2191/16

Sachverhalt
Auszugehen ist von folgendem Sachverhalt: Die Klägerin ist mit ihrem Pkw im Baustellenbereich hinter dem Lkw der Beklagten gefahren. Im befahrenen Bereich war allerdings nicht mit auf der Fahrbahn liegenden Steinen zu rechnen, da dort keine Arbeiten durchgeführt wurden. Dennoch wurde durch den Lkw ein auf der Straße liegender Stein aufgewirbelt und hat den Pkw der Klägerin beschädigt.

Entscheidung
Beim zugrundezulegenden Sachverhalt ist eine Haftung der Beklagten aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich zunächst ohne weiteres zu bejahen, da der Schaden am Klägerfahrzeug beim Betrieb des versicherten Beklagten-Lkw entstanden ist. Nicht beantwortet hat aber das erstinstanzliche Gericht die Frage, ob die Haftung der Beklagten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, weil der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Das ist nach Auffassung des Berufungsgerichts, des LG Nürnberg-Fürth, hier der Fall.

Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1, 2 StVG liegt nicht nur bei absoluter Unvermeidbarkeit des Unfalls vor, sondern auch dann, wenn dieser bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus, so dass der Fahrer der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, sich wie ein Idealfahrer verhalten haben muss (BGH NJW 1998, Seite 2222). Damit verlangt § 17 Abs. 3 Satz 1, 2 StVG, dass der Idealfahrer in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH VersR 2006, Seite 369).

Ein solch abwendbares Ereignis kann vorliegen, wenn ein auf der Straße liegender Stein von den Rädern eines Lkw aufgewirbelt und auf ein nachfolgendes Fahrzeug geschleudert wird (z.B. LG Heidelberg NZV 2012, 299; AG Buchen r+s 2016, Seite 362 m.w.N.; vgl. auch BGH VersR 1974, Seite 1030).

Zwar müsse nach Auffassung des Landgerichts im Baustellenbereich grundsätzlich mit herumliegenden Steinen gerechnet und die Geschwindigkeit entsprechend angepasst werden, um andere Fahrzeuge nicht zu beschädigen. In diesem Fall fanden die eigentlichen Arbeiten jedoch an einer anderen Stelle statt. Mit dennoch herumliegenden Steinen müsse dann nicht gerechnet werden; dass vorliegend dennoch ein Stein aufgewirbelt wurde, hätte selbst bei Beachtung der äußersten möglichen Sorgfalt nicht verhindert werden können. Aufgrund dessen könne sich die Beklagte zurecht auf einen Haftungsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen eines unabwendbaren Ereignisses berufen. Die Klage war deshalb abzuwarten.

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Der Versicherer bezahlt ein Privatgutachten: Sind diese Kosten festsetzungsfähig?

BGH, Beschluss vom 25.10.2016, Az VI ZB 8/16

Leitsatz
Der Geltendmachung der für die Inanspruchnahme eines Privatgutachters angefallenen Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren steht nicht entgegen, dass die entsprechenden Aufwendungen nicht von der Partei selbst, sondern von einem hinter der Partei stehenden (im Streitfall: Haftpflicht-) Versicherer getragen wurden.

Sachverhalt
Die Klägerin nahm den beklagten Zahnarzt wegen eines Behandlungsfehlers in Anspruch. Die Klage und auch die gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegte Berufung hatten keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren hatte der Beklagte vier von seinem Berufshaftpflichtversicherer während des Berufungsverfahrens eingeholte (privat)gutachterliche Stellungnahmen vorgelegt; zudem war der Privatgutachter im Termin zur Berufungsverhandlung, in der einer der vom Gericht bestellten Sachverständigen ergänzend angehört wurde, anwesend, stellte Fragen und machte eigene Ausführungen. Der Beklagte begehrte im Kostenfestsetzungsverfahren die Festsetzung der — von seinem Berufshaftpflichtversicherer getragenen — Aufwendungen für den Privatgutachter in Höhe von 8.350,73 Euro. Das Landgericht — Rechtspflegerin — wies den Kostenfestsetzungsantrag bezüglich dieser Kosten zurück. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das OLG Köln als Beschwerdegericht führte aus, dass die Kosten, die nicht der Partei selbst, sondern Dritten entstanden seien, grundsätzlich nicht in dem einem Rechtsstreit nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren als bloßem Betragsverfahren festgesetzt werden könnten.

Entscheidung
Dies sieht der BGH anders, hebt die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf und verweist die Sache dorthin zurück. Dem Beklagten kann die Festsetzung der für den Privatgutachter angefallenen Kosten nicht versagt werden. Nach Auffassung des BGH ist alleinige Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten, dass sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Davon ist auszugehen, wenn die Kosten dem Versicherungsnehmer bei zweckentsprechender Rechtsverteidigung — die Aufwendungen des Versicherers hinweggedacht — in gleichem Umfang entstanden wären. Ihre Rechtfertigung findet diese Rechtsprechung in der Erwägung, dass die Übernahme der Prozesskosten, die Teil des versicherten Risikos sind, durch den Versicherer allein dem Versicherungsnehmer dient, nicht aber den Prozessgegner des Versicherungsnehmers von Kostenrisiken entlasten soll. Der BGH zieht insoweit eine Parallelwertung zu der bereits entschiedenen Frage, inwiefern die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts angesetzt werden können (vgl. BGH VersR 2011, 1584 Rn. 13). Für die Gutachterkosten gelten dieselben Erwägungen: Soweit der Versicherer die hier zu beurteilenden Kosten des Privatgutachters übernommen habe, sei dies nicht mit dem Zweck erfolgt, den Prozessgegner des Versicherungsnehmers von Kostenrisiken zu entlasten. Wären die entsprechenden Kosten nach den allgemeinen Grundsätzen also im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erstattungsfähig, wenn sie der Versicherungsnehmer als Partei des Rechtsstreits selbst aufgewendet hätte, so spreche nichts dafür, sie anders als vom Versicherer übernommene Rechtsanwaltskosten zu behandeln und sie nur deshalb im Kostenfestsetzungsverfahren nicht für erstattungsfähig zu halten, weil sie nicht der Versicherungsnehmer, sondern sein Versicherer getragen habe.

Praxishinweis
Sofern die Voraussetzungen des § 91 ZPO vorliegen und die Beauftragung eines Sachverständigen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich war (vgl. BGH VersR 2013, 1194), sind die entstandenen Kosten festsetzungsfähig und sollten im Kostenfestsetzungsverfahren angemeldet werden. Gerade in Rechtsstreitigkeiten, in denen es um Fragen der Bauhaftung geht, wird die Entscheidung des BGH oft relevant werden.

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Subjektbezogene Schadenbetrachtung bei Abtretung der Sachverständigengebühren an ein Inkassounternehmen

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.2.2017 — Aktenzeichen: 6 ZR 76/16

Leitsatz
1. Die Kosten für die Begutachtung des bei einem Verkehrsunfall beschädigten Fahrzeugs gehören zu denen mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. 2. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen der Schätzung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs bei subjektbezogener Schadenbetrachtung gem. § 287 ZPO bei Fehlen einer Preisvereinbarung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen und Abtretung des Schadenersatzanspruchs an den Sachverständigen bei Erteilung des Gutachtenauftrags an die übliche Gebühr gem. § 632 Abs. 2 BGB anknüpft, denn der verständige Geschädigte wird unter diesen Umständen im Regelfall davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Gebührenvergütung zusteht.

Sachverhalt
Die Klägerin – ein Inkassounternehmen – begehrt von der beklagten Haftpflichtversicherung aus abgetretenem Recht Ersatz restlicher Sachverständigenkosten aus einem Verkehrsunfall von Januar 2015. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Geschädigte beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zur Schadenhöhe und trat ihm ihren Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten in Höhe des Bruttoendbetrags der Rechnung des Sachverständigen erfüllungshalber ab. Im Gutachtenauftrag ist festgehalten, dass der Sachverständige sein Honorar nach der ermittelten Schadenshöhe zzgl. der entstandenen Nebenkosten berechnet. Für die Begutachtung erstellte er eine Rechnung über 867,00 € brutto, die ein Grundhonorar von 603,00 € und Nebenkosten in Höhe von 125,57 € auswies. Mit Vertrag vom 10.01.2015 trat der Sachverständige die Ansprüche an die Klägerin ab. Hierauf zahlte die Beklagte an die Klägerin 761,60 €. Hinsichtlich des Mehrbetrags von 105,40 € macht sie geltend, dass sowohl das Grundhonorar als auch die Nebenkosten überhöht seien. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 48,91 € zu bezahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidung
Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Die Revision wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen die vom Berufungsgericht angenommene Höhe der für die Begutachtung des beschädigten Fahrzeugs erforderlichen Kosten.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um ein möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Den Geschädigten trifft gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB grundsätzlich die Darlegungslast hinsichtlich des erforderlichen Herstellungsaufwandes. Dieser Darlegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlegung der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeuges beauftragten Sachverständigen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrags zur Schadensbehebung reicht dann grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bildet nicht der vom Sachverständigen in Rechnung gestellte Betrag als solcher, sondern allein der vom Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung tatsächlich erbrachter Aufwand einen Anhalt zur Bestimmung der Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Der Grund für die Annahme einer Indizwirkung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung liegt darin, dass bei der Bestimmung des erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkte Erkenntnismöglichkeiten, zu berücksichtigen sind. Dies schlage sich regelmäßig in tatsächlich aufgewendeten Beträgen nieder, nicht hingegen in der Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solche.

Diese Grundsätze gelten auch bei einer Abtretung der Forderung auf Ersatz der Sachverständigenkosten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung zwar nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des Erstzessionars, also des Sachverständigen, abzustellen, denn der Zessionar erwirbt die Forderung in der Form, wie sie zuvor in der Person des Zedenten bestand. Dennoch ist es unter Umständen des Streitfalls nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den für die Erstellung des Gutachtens erforderlichen Aufwand in Höhe der gem. § 632 Abs. 2 BGB üblichen Vergütung für einen Kraftfahrzeugsachverständigen geschätzt hat. Der verständige Geschädigte, der keine Honorarvereinbarung trifft und den Schadensersatzanspruch bei Erteilung des Gutachtensauftrags abtritt, wird im Regelfall davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht. Der Senat hat den subjektiven Schadenbegriff vorliegend verdrängt, indem er die Perspektive des Geschädigten gegen die des Sachverständigen austauscht. So führt er aus, dass der Geschädigte den auf das Honorar bezogenen Schadenersatzanspruch bereits vor Rechnungsstellung an den Sachverständigen abgetreten habe. Entscheidend sei daher nicht seine, sondern die Perspektive des Sachverständigen.

Da beim Sachverständigen keinerlei beschränkte Erkenntnismöglichkeit vorliegt, kann dieser in Ermangelung einer konkreten Preisabrede auch nur den nach § 632 Abs. 2 BGB ortsüblichen und angemessenen Tarif für seine Leistung abrechnen.

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Kein Versicherungsschutz für unerlaubte Behandlungsmethoden

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.06.2017 – Aktenzeichen: IV ZR 141/16

Leitsatz
Der private Krankenversicherer muss die Behandlungskosten für eine im Ausland zulässige, im Inland jedoch verbotene Behandlung nicht übernehmen.

Sachverhalt
Die bisher kinderlose Klägerin ließ im Jahr 2012 in der Tschechischen Republik in einem Zentrum für In-vitro-Fertilisation (IVF) mehrere Versuche einer Eizellenspende mit IVF-Behandlung sowie verlängerter Embryokultivierung (Blastozystentransfer) durchführen. Hierzu wurden den Spenderinnen Eizellen entnommen und befruchtet. Der letzte Versuch war erfolgreich und führte zu einer Schwangerschaft der Klägerin. Die hierfür aufgewandten Behandlungskosten in Höhe von 11.000,00 € begehrte die Klägerin von ihrem privaten Krankenversicherer, der einen Versicherungsschutz ablehnte. In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen.

Entscheidung
Der BGH hat die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Problematisch war, dass nach den dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankversicherung 2009 (MB/KK 2009) der Versicherungsschutz sich auf Heilbehandlungen in Europa erstreckt. Diese Regelung ist jedoch aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers als Regelung des räumlichen Geltungsbereiches zu verstehen und bedeutet eben nicht, dass der Versicherer die Kosten für eine Behandlung übernehmen muss, die in Deutschland verboten ist, in einem anderen Staat, wie vorliegenden in der Tschechischen Republik, erlaubt ist. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Versicherungsverhältnis nach den Bedingungen deutschem Recht unterliegt und daher ausschließlich Aufwendungen für Heilbehandlungen zu erstatten sind, die in Deutschland zulässig sind.

Da die künstliche Befruchtung mittels Eizellenspende nach § 1 Abs. 1 Ziffer 2 Embryonenschutzgesetz untersagt ist, bestand kein Versicherungsschutz und die Beklagte musste die Kosten nicht übernehmen.

Einen Verstoß gegen europäisches Recht hat der BGH durch diese Auslegung verneint und die etwaige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit jedenfalls für gerechtfertigt angesehen.

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Touristenfahrten können wirksam aus der Kaskoversicherung ausgeschlossen werden

OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2017 – Aktenzeichen: 20 U 213/16

Leitsatz
Der bedingungsgemäße Ausschluss des Versicherungsschutzes einer Touristenfahrt in der Kaskoversicherung ist nicht zu beanstanden.

Sachverhalt
Der Kläger nahm an einer von dem Betreiber einer Rennstrecke als Touristenfahrt bezeichneten Fahrt auf dem Nürburgring teil. Nach einem während der Touristenfahrt eingetretenen Unfall begehrt der Kläger von dem beklagten Kaskoversicherer Versicherungsleistungen für sein beschädigtes Fahrzeug. Unter Verweis auf die vereinbarte Ziff. A.2.17.4 AKB, in welchem es unter der Überschrift „Touristenfahrten“ heißt: „Kein Versicherungsschutz besteht für Touristenfahrten auf offiziellen Rennstrecken.“ lehnte der Kaskoversicherung eine Leistung ab. Nachdem bereits das Landgericht Hagen (9 O 366/15) die Klage abgewiesen hat, hat das OLG Hamm die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.

Entscheidung
Nach Auffassung des OLG Hamm ist die vorgenannte Klausel AGB-rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere sei für den maßgeblichen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbar, dass mit dieser Klausel, das erhöhte Risiko von Unfällen auch im Rahmen von „freien Fahrten“ auf einer Rennstrecke außerhalb offizieller Rennveranstaltungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden soll. Denn bei der gebotenen verständigen Würdigung, aufmerksamen Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs wird auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass die Strecke nicht zeitgleich als Rennstrecke genutzt werden muss, sondern es ausreichend ist, wenn die Strecke als offizielle Rennstrecke dient und außerhalb dieser Zeiten dem öffentlichen Straßenverkehr nicht zugänglich ist.

Da die vom Kläger besuchte Veranstaltung ausweislich der Fahrordnung und der Sicherheitsregeln ausdrücklich als Touristenfahrt bezeichnet worden ist, greift die Ausschlussklausel und der Versicherungsschutz wurde zu Recht versagt.

Hierbei ist der Einwand der Berufung, dass die Teilnahme an dem öffentlichen Straßenverkehr oftmals wesentlich unfallträchtiger sei, unerheblich. Entscheidend ist der vom Versicherer zum Ausdruck gebrachte Wille, dass er keinen Versicherungsschutz für Touristenfahrten auf einer offiziellen Rennstrecke gewähren möchte.

Auch eine Bezugnahme auf die der Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urteil vom 15.04.2014 – 12 U 149/13) zu Grunde liegende Ausschlussklausel, in welcher ein Rückausnahmetatbestand für Fahrsicherheitstrainings vereinbart worden ist, welcher in der hier vorliegenden Klausel nicht enthalten ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, da ein Fahrsicherheitstraining sich von einer Touristenfahrt bereits nach dem Wortverständnis abgrenze, da bei ersterem zwingend eine Person teilnimmt, die das Fahrverhalten anleitet bzw. beobachtet und Hilfestellung für das Vermeiden von Fahrfehlern gibt und somit bereits begrifflich von der Ausschlussklausel nicht mit umfasst ist.

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Bauunternehmer bereit zur Nachbesserung: Inanspruchnahme des Bauüberwachers treuwidrig

OLG Dresden, Urteil vom 3.4.2017 — Aktenzeichen: 13 U 74/16

Leitsat
1. Der Architekt und der Unternehmer sind im Umfang ihrer Haftung Gesamtschuldner. Dem Auftraggeber steht es grundsätzlich frei, ob er wegen eines Mangels am Bauwerk den Unternehmer oder den Architekten, der seine Aufsichtspflicht verletzt hat, in Anspruch nehmen will.

2. Allerdings kann sich die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners als rechtsmissbräuchlich darstellen. Der Gläubiger darf bei seinem Entschluss, gegen welchen Gesamtschuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme auf den anderen vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben, § 242 BGB.

3. Wenn der Auftraggeber durch seine unberechtigte Auftragsentziehung gegenüber dem Unternehmer, der seine Bereitschaft zur Nachbesserung gezeigt hatte, eine einfachere und billigere Beseitigung der Mängel, die er ohne unzumutbare Schwierigkeiten hätte erlangen können, unterbunden hat und nunmehr den Architekten wegen des Schadens in Anspruch nehmen will, dessen Ersatz er von dem Unternehmer aufgrund seines eigenen Vorgehens nicht mehr verlangen kann, ist dies treuwidrig.

Sachverhalt
Der klagende Bauherr lässt vom beklagten Architekten eine Kindertagesstätte planen und deren Errichtung überwachen. Der ebenfalls beklagte Bauunternehmer führt auf der Grundlage eines VB/B Bauvertrages die Außenputzarbeiten, das WDVS und die Abdichtungsarbeiten aus.

Dabei treten Mängel auf. Nach einer entsprechenden Aufforderung zur Mangelbeseitigung erklärt sich der beklagte Bauunternehmer schließlich bereit, die Mängel zu beseitigen. Daraufhin verhandeln der Bauherr und die Bauunternehmer über einen längeren Zeitraum über die Art und Weise der Nachbesserung, wobei der Bauunternehmer auch ein Nachbesserungskonzept vorlegt und mit den Nachbesserungsarbeiten beginnt. Während dieser Zeit kündigt der Bauherr den Vertrag mit dem Architekten. Die Verhandlungen mit dem Bauunternehmer beendet der Bauherr, indem er zum einen eine Frist zur Mangelbeseitigung bis 16.08. setzt, mit weiteren Schreiben die Vorlage bestimmter Unterlagen unter Fristsetzung verlangt sowie die „Entziehung des Nachbesserungsrechts“ und die Ersatzvornahme androht. Schon am 30.07. „entzieht“ er dann dem Bauunternehmer „das Nachbesserungsrecht“, führt die Ersatzvornahme durch und macht deren Kosten sowohl gegen den Bauunternehmer als auch gegen den Architekten geltend. Mit Erfolg?

Entscheidung
Ohne Erfolg.

Der Bauherr nimmt den Bauunternehmer sowie den bauüberwachenden Architekten gesamtschuldnerisch in Anspruch. Die Klage gegen den Bauunternehmer wird abgewiesen, weil dem Bauunternehmer zu Unrecht gekündigt worden ist. Der Bauunternehmer habe die Mangelbeseitigung nicht endgültig verweigert. Einen Schadensersatzanspruch gegen den bauleitenden Architekten hat das OLG ebenfalls für unbegründet erachtet. Die geltend gemachten Ersatzvornahmekosten könne der Bauherr nach Treu und Glauben nicht vom bauleitenden Architekten verlangen. Zwar stehe es dem Auftraggeber frei, ob er wegen Mängel den Unternehmer oder den seine Bauüberwachungspflicht verletzenden Architekten in Anspruch nehme, allerdings könne sich die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners als rechtsmissbräuchlich darstellen. Bei seinem Entschluss, gegen welchen Gesamtschuldner vorgegangen werden solle, dürfe der Bauherr nicht jede Rücksichtnahme auf andere vermissen lassen. Vielmehr habe er seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben. So könne der Bauherr ausnahmsweise gehindert sein, einen bauüberwachenden Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Bauunternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen könne. Dem Bauherrn sei nicht zuzumuten, sich nennenswerten Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegen den Bauunternehmer auszusetzen, um den ebenfalls haftenden Architekten zu schonen. Ergeben sich solche Schwierigkeiten, so wird es dem Bauherren regelmäßig unbenommen sein, sich ohne Einschränkung zügig an den Architekten zu halten. Das gilt insbesondere, wenn der Bauherr nur durch einen Prozess gegen den Unternehmer zu seinem Recht kommen könne. Gleichwohl ist das OLG Dresden im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, der Bauherr sei nach Treu und Glauben gehindert, die Kosten der Ersatzvornahme gegenüber dem bauüberwachenden Architekten geltend zu machen. Infolge der unberechtigten Entziehung des Auftrages gegenüber dem Bauunternehmer, welcher zur Nachbesserung bereit gewesen sei, habe der Bauherr eine einfachere und billigere Beseitigung der Mängel, die er ohne unzumutbare Schwierigkeiten hätte erlangen können, unterbunden. Wenn der Bauherr dann den bauüberwachenden Architekten wegen des Schadens in Anspruch nehmen will, dessen Ersatz von dem Bauunternehmer aufgrund seines eigenen Vorgehens nicht verlangen kann, so ist dies treuwidrig.

Anmerkung
Das Urteil weicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab, entspricht aber Forderungen in der Literatur. Das neue Bauvertragsrecht enthält dazu in § 650 s BGB eine Lösung.

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