Verlust der Amtsfähigkeit als Geschäftsführer einer GmbH bei vorangegangener strafrechtlicher Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung

OLG Celle, Beschluss vom 29.08.2013 — Aktenzeichen: 9 W 109/13

Leitsatz
Nicht nur die strafrechtliche Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung in Form des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sondern auch die strafrechtliche Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung in Form der nicht rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Amtsunfähigkeit des Verurteilten als Geschäftsführer einer GmbH zur Folge.

Sachverhalt
In dem der Entscheidung des OLG Celle zugrundelegenden Fall war der Geschäftsführer einer GmbH im Frühjahr 2013 rechtskräftig wegen Insolvenzverschleppung in Form der nicht rechtzeitigen Insolvenzantragsstellung verurteilt worden. Darauf hin beabsichtigte das Registergericht, die Eintragung des Geschäftsführers im Handelsregister zu löschen, da dieser gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 lit.a GmbHG nicht mehr Geschäftsführer der Gesellschaft sei, weil nämlich die Verurteilung automatisch zum Wegfall seiner Bestellung geführt habe. Hiergegen wendete sich die betroffene Gesellschaft.

Entscheidung
Das angerufene OLG Celle wies darauf hin, dass in Übereinstimmung mit der Auffassung des Registergerichts nicht nur die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung in Form des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung in Form der nicht rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens trotz der missverständlichen Formulierung von § 6 Abs. 2 Nr. 3 lit.a GmbH zur Amtsunfähigkeit als Geschäftsführer einer GmbH führe. Zur Begründung verwies das OLG Celle auf die Begründung der Vorschrift im Gesetzgebungsverfahren sowie auf den Normzweck.

Persönliche Anmerkung
Dieser Entscheidung des OLG Celle vom 07.11.2012 ist beizupflichten, denn es ist kein Aspekt für eine gebotene Einschränkung ersichtlich, mit der ausgerechnet die verspätete Stellung eines Insolvenzantrags insoweit aus dem Begriff der Insolvenzverschleppung ausgenommen sein sollte.

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Die Abzugsfähigkeit von Strafverteidigungskosten nach § 33 EStG

BFH, Urteil vom 16.4.2013 — Aktenzeichen: IX R 5/12

Leitsatz
Ist ein Steuerpflichtiger wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden, sind die durch die Strafverteidigung entstandenen Kosten nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig.

Sachverhalt
Der Bundesfinanzhof hatte sich in dieser Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob für einen Steuerpflichtigen, der wegen einer vorsätzlichen Tat, die nicht durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist, strafrechtlich verurteilt worden ist, die aus seiner Strafverteidigung entstandenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG) zum Abzug zugelassen werden können.

Entscheidung
Eingangs dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof zunächst darauf hingewiesen, dass ohne jeden Zweifel der betroffene Steuerpflichtige die entstandenen Kosten seiner Strafverteidigung schon deshalb nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten (§§ 4 IV, 9 I EStG) in Abzug bringen könne, weil die dem Steuerpflichtigen im konkreten Fall zur Last gelegte Tat nicht in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden sei. Dabei erneuerte der Bundesfinanzhof den Leitsatz, dass Strafverteidigungskosten nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar sind, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist; dies sei der Fall, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist und somit die dem Steuerpflichtigen vorgeworfene Tat ausschließlich und unmittelbar aus seiner betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit heraus erklärbar sein muss. Mithin komme — so der Bundesfinanzhof — ein Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug nur bei einer eindeutig der steuerbaren beruflichen Sphäre zuzuordnenden Tat in Betracht, woran es jedoch im konkreten Fall fehle.

Im Anschluss daran hat sich der Bundesfinanzhof mit der Frage befasst, ob die streitigen Strafverteidigungskosten nicht zumindest als außergewöhnliche Belastungen abziehbar seien. Dabei hat der Bundesfinanzhof zunächst in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass Strafprozesskosten eines verurteilten Steuerpflichtigen nach allgemeiner Meinung nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden können; dieser Grundsatz gelte jedenfalls dann uneingeschränkt, wenn es sich um Strafverteidigungskosten handelt, die wegen einer vorsätzlichen Tat des verurteilten Steuerpflichtigen entstanden sind.

Anmerkung
Ob der Grundsatz der fehlenden Abzugsfähigkeit von Strafverteidigungskosten als außergewöhnliche Belastungen nicht nur bei einer vorsätzlichen Tat sondern auch bei einem fahrlässig begangenen Delikt des verurteilten Steuerpflichtigen besteht, ergibt sich mit der gebotenen Klarstellung leider nicht aus diesem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16.04.2013.

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Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wegen seiner vorprozessualen Privatgutachtertätigkeit für eine Partei

OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.07.2012 — Aktenzeichen: 2 W 38/12

Leitsatz
Ist ein gerichtlich bestellter Sachverständiger vorprozessual in der selben Angelegenheit für eine Partei als Privatgutachter tätig geworden, rechtfertigt dies die Annahme der Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen, da erfahrungsgemäß nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Privatgutachter dazu neigt, die Erwartungen seines Auftraggebers zu bestätigen.

Sachverhalt
In einem selbstständigen Beweisverfahren, in dem es um die mangelhafte Ausführung von Putzarbeiten ging, hatte das LG einen Sachverständigen als Gutachter bestellt, obwohl dieser bereits vorprozessual in dieser Angelegenheit für das antragstellende Bauunternehmen tätig geworden war. Nachdem das LG den Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen zurückgewiesen hatte, gab das OLG Oldenburg der sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluss statt.

Entscheidung
Nachdem das OLG einleitend ausgeführt worden war, dass eine Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen bereits dann gegeben sei, wenn ein Grund vorliege, der bei verständiger Würdigung Anlass für ein Misstrauen der Partei gegenüber dem Sachverständigen rechtfertigen kann, machte das OLG deutlich, dass dies dann der Fall sei, wenn ein Sachverständiger vorprozessual für eine Partei als Privatgutachter tätig geworden sei, da nämlich erfahrungsgemäß nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein Privatgutachter dazu neigt, die Erwartungen seines Auftraggebers zu bestätigen; zudem bestehe auch die Gefahr, dass er bei seinem Gutachten die Angaben seines Auftraggebers ohne Weiteres zugrunde lege.

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Sachverständigenhaftung

OLG Koblenz, Beschluss vom 06.08.2012 — Aktenzeichen: 5 W 420/12

Leitsatz
Vor Inkrafttreten des § 839 a BGB haftet ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger für eine Falschbegutachtung nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB.

Entscheidung
Das OLG Koblenz hatte zu entscheiden, ob und inwieweit ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger vor Inkrafttreten des § 839 a BGB für eine Falschbegutachtung in Anspruch genommen werden kann, nachdem er in einem Vorprozess entgegen der überwiegenden Lehrmeinung eine Hysterektomie als indiziert erachtet hatte.

Dabei wies das OLG Koblenz zunächst darauf hin, dass vor dem Inkrafttreten des § 839 a BGB (01.08.2002) ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB haftet.

Sodann führte das OLG Koblenz aus, dass vom Vorliegen dieser in § 826 BGB normierten Voraussetzungen nur dann ausgegangen werden könne, wenn der Sachverständige in bedenken- und gewissenloser Weise eine falsche Begutachtung zum Nachteil des Geschädigten abgegeben und dessen Schädigung zumindest billigend in Kauf genommen habe. Auch wenn der Sachverständige im vorliegenden Fall entgegen der überwiegenden Lehrmeinung im Vorprozess eine Hysterektomie als indiziert erachtet habe, könne damit nicht vom Vorliegen der in § 826 BGB normierten Voraussetzungen ausgegangen werden, weil ein Gutachterstreit und eine kontroverse Diskussion zum Wesen wissenschaftlich ausgerichteter Betätigung gehöre und kein Beleg für eine von vorneherein vorhandene Unredlichkeit sei.

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Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung bei grobem Foulspiel

OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.9.2012 — Aktenzeichen: 9 U 162/11

Leitsatz
1. Grätscht ein Fußballspieler mit 20 bis 30 m Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner, ohne den Ball erreichen zu können, so dass sein Gegner in erheblichem Umfang verletzt wird, so lässt der äußere Hergang eines solchen groben Foulspiels grundsätzlich nicht auf einen die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers ausschließenden Verletzungsvorsatz gemäß § 103 VVG schließen.
2. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Spieler zuvor den Gegner mit dem Hinweis bedroht hat, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen.

Sachverhalt
Der Kläger verlangte von dem beklagten Haftpflichtversicherer die Freistellung von Ansprüchen des Zeugen S., dem er durch ein grobes Foul bei einem Fußballspiel zweier Vereinsmannschaften u. a. einen Wadenbeinbruch zugefügt hatte.

Nachdem die Klage im erstinstanzlichen Verfahren durch Urteil des LG abgewiesen worden war, hatte auch die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

Entscheidung
Das OLG Karlsruhe hat zunächst in seinem Berufungsurteil nochmals darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn ein Spieler mit 20 bis 30 m Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner hinein grätscht, ohne den Ball erreichen zu können, diese Indizien in Anbetracht des schnellen und kampfbetonten Fußballsports für sich genommen noch nicht ausreichen, um den Verletzungsvorsatz zu begründen. Nach den weiteren Ausführungen des OLG Karlsruhe kann dieser Grundsatz jedoch dann nicht mehr gelten, wenn der Spieler kurze Zeit vor dem Foulspiel seinem Gegner gedroht habe, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen. Eine solche Drohung lasse jedenfalls in der Zusammenschau mit dem besonderen Umständen im äußeren Hergang des Foulspiels auf einen entsprechenden Vorsatz schließen.

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Umfang des Akteneinsichtsrechts bei Verfahren wegen Geschwindigkeitsübertretungen

OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012 — Aktenzeichen: 2 Ss (Bz) 100/12

Leitsatz
In Verfahren wegen Geschwindigkeitsübertretungen umfasst das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht auch Bedienungsanleitungen des Messgeräteherstellers.
Sachverhalt
Der Betr. war durch Urteil des AG wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt worden. Der vom Verteidiger des Betr. in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen unzureichender Gewährung von Akteneinsicht, insbesondere wegen fehlender Einsicht in die Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgerätes war zuvor vom Einzelrichter abgelehnt worden. In der weiteren Rechtsbeschwerdeinstanz hatte der Betr. darauf hin mit seiner Verfahrensrüge Erfolg.

Entscheidung
Das OLG Naumburg hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, dass der Verteidiger im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen hat, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Dies folge schon aus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Nur wenn dem Verteidiger alle Unterlagen zur Verfügung stehen würden, die auch dem Sachverständigen zugänglich sind, sei es ihm möglich, das Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht ausreichend, den Verteidiger auf allgemein zugängliche Sekundärliteratur zu verweisen, in denen die Funktions- und Bedienweise von Geschwindigkeitsmessgeräten erklärt wird.

Persönliche Anmerkung
Seit langem beschäftigt die Rechtsprechung und Literatur der Streit um den Umfang des Akteneinsichtsrechts — insbesondere in die Gebrauchsanweisung des eingesetzten Messgeräts. Der kostenintensive Kauf der Gebrauchsanweisung beim Hersteller der Messgeräte durch den Verteidiger kann keine Alternative sein. Es ist deshalb zu begrüßen, dass mit dem Beschluss des OLG Naumburg eine Entscheidung getroffen worden ist, aus der sich ergibt, dass das Recht auf Akteneinsicht auch die Bedienungsanleitung des Messgerätes umfasst.

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Aufhebung der PKH-Bewilligung aufgrund unrichtiger Angaben des Antragstellers nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO

BGH, Beschluss vom 10.10.2012 — Aktenzeichen: IV ZB 16/12

Leitsatz
Für die Aufhebung der PKH-Bewilligung wegen vorsätzlicher oder aus grober Nachlässigkeit gemachter Angaben des Antragstellers ist nicht Voraussetzung, dass die Bewilligung gerade auf den Falschangaben beruht.

Sachverhalt
Dem Beklagten, der in der seinem PKH-Antrag beigefügten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben hatte, dass er weder über eigenes Einkommen noch über Vermögen verfüge, war durch Beschluss des LG ratenfreie PKH bewilligt worden. Nachdem das Klageverfahren am Tage des PKH-bewilligenden Beschlusses durch Vergleich zum Abschluss gebracht worden war, wandte sich ca. 6 Monate später der Kläger an das LG mit der Anregung, die PKH-Bewilligung wegen Falschangaben des Beklagten aufzuheben, was auch sodann durch Beschluss des LG geschah. Dagegen erhob der Beklagte beim zuständigen OLG sofortige Beschwerde mit dem Hinweis, dass seine Falschangaben nicht kausal für die PKH-Bewilligung gewesen seien. Die sofortige Beschwerde wurde seitens des OLG zurückgewiesen. Auch die zugelassene Rechtsbeschwerde beim BGH hatte keinen Erfolg.

Entscheidung
Der BGH wies zunächst darauf hin, dass bislang in der Rechtsprechung und Literatur die Beantwortung der Frage umstritten sei, ob die Aufhebung der PKH-Bewilligung wegen absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachter falscher Angaben nach § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO voraussetze, dass die falschen Angaben des Antragstellers konkret zu einer objektiv unrichtigen Bewilligung geführt haben. Sodann beantwortete der BGH diese umstrittene Rechtsfrage dahingehend, dass von § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO nicht vorausgesetzt werde, dass die PKH-Bewilligung konkret kausal auf den Falschangaben beruhe. Zur Begründung führte der BGH aus, dass Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO dafür sprechen würden, dass das Gericht die Prozesskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufgehoben werden könne, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sondern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu beeinflussen. Die genannten Regelungen würden nämlich darauf beruhen, dass das Gericht im Bewilligungsverfahren, welches sich im Interesse des Antragstellers an einer schnellen Entscheidung mit einer Glaubhaftmachung der Bewilligungsvoraussetzungen begnüge, im besonderen Maße auf ein redliches Verhalten des Antragstellers angewiesen sei. Begründe der Antragsteller in vorwerfbarer Weise Zweifel an seiner Redlichkeit, erscheine es deshalb angemessen, ihm die nachgesuchte finanzielle Unterstützung zu versagen, weil ein summarisches Prüfungsverfahren dann nicht mehr möglich sei.

Persönliche Anmerkung
Diese Entscheidung des BGH ist bedenklich. Auch wenn der bewilligende Prozesskostenhilfebescheid kein Verwaltungsakt im engeren Sinne ist, darf nicht übersehen werden, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Begünstigten beispielsweise nach § 45 II 3 Nr. 2 SGB X voraussetzt, dass der begünstigende Verwaltungsakt ganz konkret auf den Falschangaben beruht.

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Ablehnung eines Sachverständigen wegen Geschäftsbeziehung zur Partei

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2012 — Aktenzeichen: 14 W 46/11

Leitsatz
Nur intensive Geschäftsbeziehungen zwischen dem Sachverständigen und einer Partei können einem Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.

Sachverhalt
Im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem der Kläger von der beklagten Versicherung aus Anlass eines Verkehrsunfalls wegen erlittener Verletzungen einen Erwerbsausfallschaden verlangte, wurde vom Gericht ein Sachverständiger mit der Erstellung des notwendigen neurologischen Gutachtens beauftragt, der im Vorjahr der Beauftragung zwölf Aufträge (von insgesamt 1608) von der beklagten Versicherung erhalten hatte. Dies nahm der Kläger zum Anlass, einen Befangenheitsantrag zu stellen.

Entscheidung
Das OLG Karlsruhe hat in diesem Beschluss die Auffassung vertreten, dass nur intensive Geschäftsbeziehungen zwischen dem Sachverständigen und einer Partei einen Ablehnungsgrund darstellen können. Allein der Umstand, dass ein Sachverständiger in einem nicht ins Gewicht fallenden Umfang in der Vergangenheit für einen Versicherer tätig geworden sei, könne nicht die Annahme rechtfertigen, dass eine wirtschaftliche oder sonstige Abhängigkeit zu befürchten sei, die einen Ablehnungsgrund begründe. Im Hinblick auf die im vorliegenden Fall in keiner Weise ins Gewicht fallende frühere Tätigkeit sei noch nicht einmal der Sachverständige dazu gehalten, bei Annahme des Gutachtenauftrags diese übliche Gutachtentätigkeit aus seiner Vergangenheit offen zu legen.

Persönliche Anmerkung
Diese Entscheidung des OLG Karlsruhe kann nur bedingt überzeugen. Nach diesseitiger Auffassung muss der Sachverständige bei einer solchen Fallkonstellation sehr wohl verpflichtet sein, diese vorausgegangene Gutachtertätigkeit zu einer Partei bei Annahme des Gutachtenauftrags offen zu legen, um der anderen Partei zumindest Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

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Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit

OLG Koblenz, Beschluss vom 24.05.2012 — Aktenzeichen: 2 U 1179/09

Leitsatz
Hat der gerichtlich bestellte Sachverständige von dem Prozessbevollmächtigten einer Partei übermittelte Unterlagen (z. B. Schriftverkehr/Arztberichte) im Rahmen seines Gutachterauftrags ausgewertet und zum Gegenstand seines Gutachtens gemacht, ohne dies dem Gericht und der gegnerischen Partei vorab mitzuteilen, so rechtfertigt dieser Umstand einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit durch die benachteiligte Partei.

Sachverhalt
In einem Rechtsstreit, in dem die Frage der Wirksamkeit eines notariellen Vertrages wegen umstrittener Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Mittelpunkt stand, wurden dem vom Gericht mit der Erstellung des Gutachtens bzgl. der umstrittenen Geschäftsunfähigkeit beauftragten Sachverständigen seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der zugleich auch dessen Betreuer war, umfangreiche Unterlagen (Schriftverkehr/Arztberichte) übermittelt und sodann im Rahmen seines Gutachterauftrags analysiert und zum Gegenstand seines schriftlichen Gutachtens gemacht. Die Verwertung geschah ohne vorherige entsprechende Informationen des Gerichts sowie der anderen Partei, die erst nach Vorlage des Gutachtens aufgrund dessen Lektüre von diesem Sachverhalt Kenntnis erhielt. Dies nahm die benachteiligte Partei zum Anlass, dem gerichtlich bestellten Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Entscheidung
Das OLG Koblenz hat dem Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erachtet. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen insbesondere dann anzunehmen sei, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Eine solche Situation könne vor allem dann vorliegen, wenn der Sachverständige zur Vorbereitung des Gutachtens nur eine Person herangezogen oder sich Informationen von ihr beschafft habe. Der benachteiligten Partei, die erst nach Vorlage des Sachverständigengutachtens davon Kenntnis erlangt habe, dass dem Sachverständigen von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers umfangreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt worden seien, sei nämlich dadurch die Möglichkeit beraubt worden, vor Erstellung des Gutachtens zu den vom Kläger übermittelten Unterlagen Stellung zu nehmen, um auf diese Weise sicher zu stellen, dass auch ihre Stellungnahme mit in die Gesamtbeurteilung des Gutachtens einbezogen wird.

Persönliche Anmerkung
Immer wieder muss der Verfasser miterleben, dass dem gerichtlich bestellten Sachverständigen (mit oder ohne ausdrückliche Anforderung durch den Sachverständigen) Unterlagen durch eine Partei im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens übermittelt werden, ohne dass dieser Sachverhalt vorab dem Gericht oder der gegnerischen Partei unverzüglich offenbart wird. Dies führt dazu, dass damit der gegnerischen Partei die Möglichkeit genommen wird, vor Abschluss des Gutachtens sich mit dem von der Gegenseite übermittelten Unterlagen auseinanderzusetzen, so dass etwaige Einwände und Stellungnahmen zu den übermittelten Unterlagen nicht in die Gesamtbeurteilung des Gutachtens des Sachverständigen einfließen können. Eine solche Verfahrensweise stellt damit zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der anderen Partei dar, so dass zu Recht das OLG Koblenz von einer Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen wegen Unparteilichkeit bzw. Unvoreingenommenheit ausgegangen ist.

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Tierhalterhaftung bei Unterbringung von Tieren verschiedener Tierhalter auf einer gemeinsamen Koppel bei Unaufklärbarkeit desjenigen Tieres, das mit seiner Tiergefahr konkret für den Unfall schadensursächlich gewesen ist.

OLG München, Urteil vom 19.4.2012 — Aktenzeichen: 14 U 2687/11

Leitsatz
Haben verschiedene Tierhalter ihre Tiere in einem gemeinsamen Pferch untergebracht, so ist eine Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB i.V.m. § 830 Abs. 1 S. 2 BGB auch dann anwendbar, wenn sich nur bei einem Tier die Tiergefahr konkret schadensverursachend verwirklicht hat, es sich aber nicht mehr feststellen lässt, bei welchem von mehreren verschiedenen Haltern zuzuordnenden Tieren.

Sachverhalt
Der Beklagte sowie ein Dritter hatten auf einer mit einem Elektrozaun versehenen Koppel mehrere Schafe untergebracht, von denen ein Teil dem Beklagten und der übrige Teil dem Dritten gehörten. Unstreitig wurde der Kläger in der Nähe dieser Koppel von einem auf dieser Koppel untergebrachten Schafe umgestoßen, wobei sich jedoch nicht feststellen ließ, welches der Tiere konkret die Koppel verlassen und den Unfall verursacht hatte.

Entscheidung
Eine Tierhalterhaftung des Beklagten nach § 833 S. 1 BGB kam nur in Betracht, wenn der Beklagte nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB trotz Unaufklärbarkeit des den Schaden konkret verursachenden Tieres haften würde.

Dies ist vom OLG München bejaht worden. Nach Auffassung des Senats sei nämlich § 830 Abs. 1 S. 2 BGB auch dann anwendbar, wenn sich nur bei einem Tier die Tiergefahr konkret schadensverursachend verwirklicht habe, es sich aber nicht mehr feststellen lasse, bei welchem von mehreren verschiedenen Haltern zuzuordnenden Tieren. Dies gelte jedenfalls, wenn dieses Tier zu einer gemeinsamen Herde von Tieren verschiedener Halter gehört, die sich in einem gemeinsamen Pferch befindet oder anderweitig einer einheitlichen und gemeinsamen Überwachung unterliegt.

Begründet wird diese Auffassung des Senats mit dem Hinweis, das für die Haftung nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche anspruchsbegründende Verhalten des Beklagten und des weiteren Tierhalters bestehe in der Haltung der Tiere in einem gemeinsamen Pferch, also in einer konkreten Situation, mit der sie Andere der von einem Tier ausgehenden, nur unzulänglich beherrschbaren Gefahr aussetzen. Beklagter und Dritter hätten gemeinsam eine auf den konkreten Ort und die konkrete Situation im Schadenszeitpunkt bezogene Gefahrenlage geschaffen.

Persönliche Anmerkung
Nach Auffassung des Verfassers ist dieses Urteil des OLG München sehr bedenklich. Allein der Umstand der Unterbringung von Tieren verschiedener Tierhalter auf einer gemeinsamen Koppel kann noch nicht das für die Haftung nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche anspruchsbegründende Verhalten rechtfertigen.

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