Regress des Dienstherrn: Bindungswirkung „Dienstunfähigkeit‟

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, 16.03.2021, Az.: VI ZR 773/20

Leitsätze

Der Umfang der Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes wird von dessen Regelungsinhalt bestimmt und durch diesen begrenzt. Der Regelungsinhalt der Versetzung eines unfallverletzten Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit erstreckt sich nicht auf die Frage, ob und für welchen Zeitraum die Dienstunfähigkeit eine adäquate Folge des Unfalls

Sachverhalt

Die klagende Gemeinde macht als Dienstherrin des durch einen Dienstunfall geschädigten Beamten G. Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten geltend. Am 2. August 2010 kam es zwischen dem als Ordnungsbeamten eingesetzten G. und dem alkoholisierten Beklagten zu einer Auseinandersetzung, im Rahmen derer G. nach hinten auf den Boden fiel. G. war in der Zeit vom 3. August 2010 bis zum 31. März 2012 krankheitsbedingt nicht im Dienst. In diesem Zeitraum zahlte die Klägerin Bezüge in Höhe von 65.915,68 € an G. Mit Bescheid vom 1. März 2012 wurde G. mit Wirkung zum 1. April 2012 in den Ruhestand versetzt; ab diesem Zeitpunkt wurde die Zahlung der Bezüge von der Rheinischen Versorgungskasse (RVK) übernommen. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 30. September 2014 wurde G. ab dem 1. April 2012 ein erhöhtes Unfallruhegehalt nach § 37 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) gewährt, da G. aufgrund des Dienstunfalls dauernd dienstunfähig und bei Versetzung in den Ruhestand infolge des Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 % beschränkt gewesen sei.

Mit der Behauptung, dass der Beklagte den Beamten G. bei der Auseinandersetzung geschlagen habe, weshalb dieser körperliche und psychische Folgeschäden erlitten habe, die zur Dienstunfähigkeit sowie zur Versetzung in den Ruhestand geführt hätten, hat die Klägerin im Wege der Leistungsklage von dem Beklagten Ersatz der von ihr an G. gezahlten Bezüge in Höhe von 65.915,68 €. Der Beklagte hat behauptet, dass G. nicht aufgrund des Vorfalls vom 2. August 2010 dienstunfähig geworden sei, sondern seinen Dienst nicht mehr habe verrichten wollen.

Entscheidung

Nach der Rechtsprechung des BGH kommt die Nachprüfung von Verwaltungsakten den ordentlichen Gerichten grundsätzlich nicht zu. So hat der BGH etwa entschieden, dass die ordentlichen Gerichte an die Anerkennung eines Unfalls als Dienstunfall durch eine Verwaltungsbehörde bei der Entscheidung darüber, ob ein Schadensersatzanspruch durch § 46 BeamtVG ausgeschlossen ist, gebunden sind, selbst wenn es an einer ausdrücklichen Bestimmung zur Bindungswirkung fehlt. Der Umfang der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts wird aber von dessen Regelungsinhalt bestimmt und durch diesen begrenzt. Nur mit der in ihm verbindlich mit Wirkung nach außen getroffenen Regelung kommt dem Verwaltungsakt die sog. Tatbestandswirkung zu.

Handelt es sich bei dem Verwaltungsakt um die Versetzung eines unfallverletzten Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit, so erstreckt sich sein Regelungsinhalt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die Frage, ob die Zurruhesetzung adäquate Folge des Unfalls ist; diese Frage unterliegt – anders als etwa die Frage, ob die Zurruhesetzung von der Verwaltungsbehörde zu Recht ausgesprochen wurde – daher der selbständigen Prüfung durch die ordentlichen Gerichte, die über den auf den Dienstherrn übergegangenen Schadensersatzanspruch des dienstunfähigen Beamten zu entscheiden haben. Ebenso wenig regelt die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, ob und für welchen Zeitraum die Dienstunfähigkeit des Beamten (als Voraussetzung für die Zurruhesetzung) eine adäquate Folge des Unfalls ist.

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Klassiker: Auffahrunfall nach Fahrstreifenwechsel

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.12.2020, Az.: 1 U 108/19

 

Entscheidung zur Haftungsverteilung und Anscheinsbeweis

Wechselt ein Fahrzeugführer mit dem von ihm geführten PKW impulsiv auf die Überholspur der BAB, um eine Kollision mit einem unvermittelt auf die Autobahn auffahrenden PKW zu vermeiden, und kommt es auf der Überholspur der BAB zu einem Auffahrunfall zwischen dem die Fahrspur wechselnden Verkehrsteilnehmer und einem auf der linken Fahrspur (deutlich schneller) fahrenden Fahrzeug, dessen Fahrer nicht mehr rechtzeitig abzubremsen vermag, haftet der auf die BAB Auffahrende maßgeblich für den entstandenen Schaden. Das gilt auch dann, wenn es zu keiner Berührung mit dem auf die BAB auffahrenden Fahrzeug kam. Zu Lasten des Auffahrenden besteht der Anschein, den bevorrechtigten Verkehr nicht hinreichend beachtet zu haben und sorgfaltswidrig auf die BAB aufgefahren zu sein. Aufgrund der Atypizität des Geschehens besteht weder zulasten des die Fahrspur auf der BAB Wechselnden noch zulasten des Auffahrenden der Anschein, sorgfaltswidrig gefahren zu sein. Bei der Abwägung der Haftungsanteile ist in einem ersten Schritt die Quote in jedem der Rechtsverhältnisse getrennt zu ermitteln. In einem zweiten Schritt ist sodann im Rahmen einer Gesamtschau die Gesamtquote zu ermitteln. Der Innenausgleich zwischen mehreren Schädigern ist davon getrennt durchzuführen.

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Fortgeltung von Teilungsabkommen nach Zuständigkeitswechsel des SVT

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LG Köln, 14.08.2020, Az.: 7 O 286/19

Leitsätze

Bei einem Wechsel der sozialversicherungsrechtlichen Zuständigkeit gehen die Ersatzansprüche kraft Gesetzes auf den nun zuständigen Sozialversicherungsträger über, sofern die geschuldeten Versicherungsleistungen gleichartig sind. Dabei erlangt der nachfolgende Sozialversicherungsträger die Forderungen in dem Zustand, in dem sie sich bei Rechtsübergang befinden. Der „neue‟ Sozialversicherungsträger muss sich gemäß § 404 BGB grundsätzlich alle Einwendungen entgegenhalten lassen, die der Schuldner gegenüber seinem Vorgänger hätte erheben können. Dies auch aus einem Teilungsabkommen zwischen Haftpflichtversicherer und dem altem Sozialversicherungsträger, selbst wenn der Haftpflichtversicherer zum neuen Sozialversicherungsträger kein entsprechendes Teilungsabkommen unterhält.

Sachverhalt

Die klagende BG A ist Rechtsnachfolgerin der BG B. Zwischen B und dem beklagte Haftpflichtversicherer H bestand ein Teilungsabkommen, zwischen A und H indes nicht. Als A von B übergegangene Leistungen nach § 116 Abs. 1 SGB X gegen H regressieren will, wendet H ein, diese seien wegen besagten Teilungsabkommens ausgeschlossen. A ist der Ansicht, dass das zwischen der Beklagten und B geschlossene Teilungsabkommen, welches einen Ersatz des geltend gemachten Ersatzanspruches ausschließt, vorliegend zwischen den Parteien nicht anwendbar sei. Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse gelte das Teilungsabkommen als Rahmenvertrag lediglich zwischen dem Haftungsversicherer und der Berufsgenossenschaft, mit der dieses Teilungsabkommen ursprünglich geschlossen wurde. Geht der Anspruch aufgrund eines Wechsels der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft gemäß § 116 Abs. 1 SGB X analog auf eine andere Berufsgenossenschaft über, so gelte das Teilungsabkommen im Rechtsverhältnis zwischen der neuen Berufsgenossenschaft und der Haftpflichtversicherung nicht mehr.

Entscheidung

Dem widerspricht das LG Köln: Zwar sei der Klägerseite zuzustimmen, dass Vereinbarungen wie ein Teilungsabkommen grundsätzlich im vertraglichen Kontext aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse lediglich inter partes wirken würden. Bei einem gesetzlichen ebenso wie einem gewillkürten Forderungsübergang im Falle der Abtretung hafteten der einzelnen Forderung jedoch alle diesbezüglich getroffenen Vereinbarungen zwischen dem alten Gläubiger und dem Schuldner an, da der Zessionar die Forderung im Zustand zum Zeitpunkt des Forderungsübergangs derart übernehme, wie er sie vorfinde (BGH, Urteil vom 01.07.2014, VI ZR 391/13). Das Teilungsabkommen stelle auch keinen Rahmenvertrag dar, der vollkommen losgelöst von der einzelnen Forderung ausschließlich bei einer Abwicklung der Ansprüche zwischen den ursprünglichen Vertragspartnern bzw. deren Gesamtrechtsnachfolgern Wirkung entfalten solle. Vielmehr stelle das Teilungsabkommen in Bezug auf die einzelne Forderung einen Erlassvertrag in Bezug auf einen bestimmten prozentualen Anteil dar. Fälle der Neuzuordnung eines Betriebes zu einer anderen Berufsgenossenschaft könnten nicht zulasten des Haftpflichtversicherers gehen. Würde der Anspruch mangels Anwendbarkeit des zwischen der ehemaligen Berufsgenossenschaft und der Schuldnerin vereinbarten Teilungsabkommens wieder in voller Höhe bestehen, die neue Berufsgenossenschaft jedoch gleichzeitig von der Hemmung der Verjährung nach § 212 durch Zahlungen der Haftpflichtversicherung auf die Forderung an die ehemalige Berufsgenossenschaft profitieren, so würde die Haftpflichtversicherung unangemessen benachteiligt, da die Klägerseite sich einerseits auf die Kontinuität der Vertragsbeziehung für verjährungshemmende Eigenschaften stützen könnte, jedoch andererseits die Forderung in dem Zustand ihrer Entstehung erhalten würde.

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Haftungsbeschränkung des SGB VII gelten nicht für das Hinterbliebenengeld

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Koblenz, Urteil vom 21.12.2020, Az.: 12 U 711/20

Leitsätze

Die sich aus den Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung (Sperrwirkung) ist auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld i.S.v. § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar.

Entscheidung

Nach Überzeugung des Senats sind die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.02.2007, VI ZR 55/06 zugrunde liegenden Erwägungen, nach denen das in §§ 104, 105 SGB VII normierte Haftungsausschluss auf Ansprüche wegen erlittener Schockschäden nicht anwendbar ist, auch auf das vorliegend zu beurteilende Hinterbliebenengeld anwendbar. So habe der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung zu den Schockschäden insbesondere darauf abgestellt, dass für den Fall, das ein nicht zu dem Kreis der Versicherten im Sinne von § 2 SGB VII zählender Angehöriger oder Hinterbliebener selbst unmittelbar bei einem Arbeitsunfall des Versicherten zu Schaden kommen würde, ein eigener Anspruch des Angehörigen bzw. Hinterbliebenen nicht gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei. Für Gesundheitsbeeinträchtigungen, die Angehörige oder Hinterbliebene nicht unmittelbar bei einem Arbeitsunfall eines Versicherten erleiden würden, sondern die – wie Schockschäden – unmittelbar durch den Versicherungsfall hervorgerufen würden, könne nichts anderes gelten. Der Anspruch des Angehörigen bzw. Hinterbliebenen beruhe auch in einem solchen Fall auf der Verletzung eines eigenen Rechtsguts. Beruhe der Schockschaden hierbei auf einem tödlichen Arbeitsunfall eines Versicherten, sei auch dem, der Regelung der §§ 104, 105 SGB VII zugrunde liegenden „Friedensargument‟ der Boden entzogen. Schließlich spreche gegen die Erstreckung des Haftungsausschlusses auf Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger wegen eines Schockschadens auch der Umstand, dass die gesetzliche Unfallversicherung insoweit keine Leistungen vorsehe.

Eine Anwendung der §§ 104, 105 SGB VII auf das Hinterbliebenengeld sei insbesondere auch nicht aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Friedensarguments‟ angezeigt. Durch die Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII sollen innerbetriebliche Konfliktsituationen vermieden werden. Beruht der Schockschaden indes auf einem tödlichen Arbeitsunfall eines Versicherten, ist dem Friedensargument der Boden entzogen. Selbst wenn es in der Folgezeit sodann zu Streitigkeiten zwischen den Angehörigen/Hinterbliebenen mit den Betriebsinhabern bzw. dort beschäftigten Personen kommen sollte, handelt es sich hierbei jedenfalls nicht um innerbetriebliche, sondern um außerbetriebliche Streitigkeiten. Der Betriebsfrieden ist insoweit nicht beeinflusst. Nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts gehörte die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt zu dem Unternehmen des Beklagten zu 1.

Schließlich sei zu beachten, dass der Ausschluss von Ersatzansprüchen durch §§ 104, 105 SGB VII auch nicht gerechtfertigt ist, weil er durch das Leistungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung kompensiert werde, denn das System der gesetzlichen Unfallversicherung sieht ein Hinterbliebenengeld unstreitig nicht vor.

Anmerkung

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zugelassen worden. Die entschiedene Frage, ob die §§ 104, 105 SGB VII gegenüber dem in § 844 Abs. 3 BGB normierten Hinterbliebenengeld eine Sperrwirkung entfalten, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und hat grundsätzliche Bedeutung.

Im Übrigen wurde der Klägerin ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 8.000,00 € zugesprochen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Verstorbene als Schwiegertochter nicht zum engsten Kreis der Angehörigen, der den (Ehe-)Partner und leibliche Kinder umfasst, zählte, bei denen im Regelfall der Orientierungssatz von 10.000 € ausgeschöpft werden kann. Gemäß den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts bestand allerdings zwischen der Klägerin und der Verstorbenen ein besonders enges Verhältnis, das mit einem Mutter-Tochter-Verhältnis gleichzusetzen war.

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Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X bei Personenverschiedenheit Geschädigter/Sozialversicherter

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, Urteil vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 125/20

Leitsätze

Der Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt lediglich eine Leistungspflicht voraus. Geht es um die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers, knüpft diese regelmäßig an ein Sozialversicherungsverhältnis an. Für den Forderungsübergang ist es nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X unerheblich, ob der Geschädigte an diesem beteiligt oder durch die Leistungspflicht nur begünstigt ist (hier: Forderungsübergang auf den Rentenversicherungsträger, der nach einem Verkehrsunfall auf Antrag des bei ihm versicherten Vaters Leistungen für eine sog. Kinderheilbehandlung an die durch den Unfall geschädigte, nicht rentenversicherte Tochter erbracht hat).

Sachverhalt

Der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer macht gegen den beklagten Rentenversicherungsträger einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend. Der VN der Klägerin verletzte bei einem Verkehrsunfall im Juli 2016 die damals 14 Jahre alte Schülerin L. (Geschädigte) schwer. Die Beklagte erbrachte auf Antrag des bei ihr versicherten Vaters der Geschädigten für die nicht rentenversicherten Geschädigten Leistungen für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (sog. Kinderheilbehandlung). Sie forderte die Klägerin unter Berufung auf § 116 Abs. 1 SGB X auf, die Behandlungskosten zu erstatten. Die Klägerin kam dem unter Vorbehalt der Rückforderung nach. Mit der Klage hat sie Rückzahlung mit der Begründung verlangt, dass ein Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X nicht stattgefunden habe, weil die Geschädigte nicht rentenversichert sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

 

Entscheidung

Das Berufungsgerichts vertrat die Ansicht, dass zwischen dem Geschädigten und dem Inhaber bzw. Beteiligten des für den Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X erforderlichen Sozialversicherungsverhältnisses Personenidentität bestehen müsse. Es versagte demnach dem Rentenversicherungsträger den Anspruchsübergang, da Ansprüche des Vaters der Geschädigten aus der Rentenversicherung kein ausreichend verbindendes Element für den Forderungsübergang seien.

Dem widerspricht der BGH und führt aus, der Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setze lediglich eine Leistungspflicht („zu erbringen hat‟) voraus. Ginge es um die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers, knüpfe diese regelmäßig an ein Sozialversicherungsverhältnis an. Ob der Geschädigte an diesem beteiligt oder durch die Leistungspflicht nur begünstigt sei, sei nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich. Eine Personenidentität zwischen dem Schadensersatzberechtigten und dem tatsächlichen Empfänger der Sozialleistung reiche für den Forderungsübergang jedenfalls aus. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X gebiete es hingegen nicht, den Forderungsübergang von einem Sozialversicherungsverhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Geschädigtem abhängig zu machen. Zweck des § 116 SGB X sei es zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließenden Sozialleistungen haftungsfrei gestellt oder aber der Geschädigte doppelt entschädigt (bereichert) werde. Bereits der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 1542 RVO sei auf eine möglichst weitgehende Entlastung des öffentlichen Versicherungsträgers gerichtet gewesen. Dieser und nicht der Schädiger solle durch die vom Gesetz getroffene Regelung geschützt werden. Grundsätzlich verdiene daher eine Gesetzesauslegung den Vorzug, die es ermögliche, den verantwortlichen Schädiger heranzuziehen, und nicht den Schädiger auf Kosten des Sozialversicherungsträgers entlaste. Eine Entlastung der Klägerin als Haftpflichtversicherer des Schädigers mit dem Argument, dass der Geschädigten die Kinderheilbehandlung aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses gewährt wurde, an dem nicht sie, sondern ihr Vater beteiligt war, wäre mit dem Zweck des § 116 SGB X nicht vereinbar.

Anmerkung

Einen vom Haftpflichtversicherer und Berufungsgericht ausgemachten Widerspruch zum Senatsurteil vom 24. April 2012 – VI ZR 329/10 – erkennt der BGH nicht. In diesem Urteil, das sich mit dem Zeitpunkt des Forderungsübergangs gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X befasst, hat der Senat die Frage behandelt, ob die Forderung auch dann schon im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger übergeht, wenn das Sozialversicherungsverhältnis, an das die Sozialleistung des Versicherungsträgers anknüpft, zu diesem Zeitpunkt noch nicht besteht. Er hat diese Frage verneint. Ausgangspunkt der Entscheidung ist, dass – zum Schutz des Sozialversicherungsträgers vor Verfügungen des Geschädigten – der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang auf einen Sozialversicherungsträger dem Grunde nach bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses stattfindet, wenn eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Geschädigten irgendwie in Betracht kommt, also nicht völlig unwahrscheinlich ist. Bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen sind, setzt ein Rechtsübergang zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings voraus, dass schon zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis besteht. Denn nur in einem solchem Fall ist bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar. Bestand das Verhältnis zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht, kann der Forderungsübergang frühestens dann erfolgen, wenn es begründet wird. Bis dahin fehlt das besondere Band, das den Boden für den Forderungsübergang schafft.

Hierzu meint der BGH 2021 nun: Dass der Senat in dem Urteil vom 24. April 2012 für den Zeitpunkt des Forderungsübergangs auf das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses zwischen dem dort klagenden Rentenversicherungsträger und der dortigen Geschädigten abgestellt habe, sei allein dem Umstand geschuldet, dass es dort – wie in solchen Fällen typisch – um den Forderungsübergang wegen Sozialleistungen des dortigen Rentenversicherungsträgers ging, die aus eben diesem (erst Jahre nach dem Unfall begründeten) Versicherungsverhältnis mit der Geschädigten zu erbringen waren. Der Senat habe 2012 lediglich festgestellt, dass Ansprüche der Geschädigten aus einem eigenen Rentenversicherungsverhältnis keine Einheit bilden mit Ansprüchen, die zu ihren Gunsten aufgrund des Rentenversicherungsverhältnisses ihrer Mutter bestanden. Sozialleistungen aufgrund des Rentenversicherungsverhältnisses mit der Mutter konnten daher auch nicht als Grundlage dienen für den Forderungsübergang im Hinblick auf Leistungen, die aufgrund des (erst später begründeten) Rentenversicherungsverhältnisses mit der Geschädigten zu erbringen waren. Es ist nach alledem danach zu differenzieren, im Hinblick auf welche Sozialleistungen aus welchem Sozialversicherungsverhältnis der Forderungsübergang geltend gemacht werde.

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Amtspflicht zur Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten nach Beendigung einer Baustelle

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az.: 7 U 61/20

Leitsätze

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.

2. Das Verweisungsprivileg aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (subsidiäre Haftung) kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum grundsätzlich nicht zum Zuge.

3. Für die örtliche Zuständigkeit verschiedener Baulastträger untereinander wird grundsätzlich auf den Ort des Vorliegens der Straßenbeeinträchtigung abgestellt. Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gilt, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße trifft und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig ist.

4. Die Warnfunktion eines Baustellenschildes gilt solange fort, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben wurde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziert.

5. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf die Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten (hier die Beseitigung von Rollsplitt) nach Beendigung einer Baustelle. Es genügt nicht, im Zuge von Reinigungsarbeiten auf einer Landesstraße den vorhandenen Rollsplitt im Bereich von Einmündungen/Kreuzungen auf die benachbarte Gemeindestraße zu fegen. Ein Verweis des Landes auf die mangelnde örtliche Zuständigkeit für die in diesem Fall betroffene Gemeindestraße übersieht, dass es nicht um die Zustandshaftung für die Straße eines anderen Baulastträgers geht, sondern um die mangelhafte Kontrolle von Reinigungsarbeiten der eigenen Straße.
Sachverhalt

Die Klägerin (Krankenkasse) macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen das beklagte Land geltend. Streithelferin ist das von dem Beklagten mit der Straßensanierung einer Landstraße beauftragte Bauunternehmen. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorroller die Landesstraße. Für diese Straße wurde in der damaligen Zeit die Fahrbahndecke durch die Streithelferin erneuert. Von der Landesstraße bog der Geschädigte nach links in die Gemeindestraße ab. Bereits im Einmündungsbereich auf der Gemeindestraße befindlich kam der Geschädigte wegen dort befindlichen, aus der Baustelle der Landstraße stammenden Rollsplitt zu Sturz.

Das Land hat behauptet, soweit Rollsplitt vorhanden gewesen sei, sei jedenfalls durch entsprechende Hinweisschilder darauf hingewiesen worden. Die auf die Streithelferin übertragenen Verkehrssicherungspflichten seien regelmäßig durch die Straßenmeisterei überwacht worden, wobei Gefahren oder Unregelmäßigkeiten nicht festgestellt worden seien. Im Übrigen sei das Land für den Anspruch nicht passivlegitimiert, da der Unfall auf einer Gemeindestraße stattfand. Zudem träfe sie lediglich eine subsidiäre Haftung. Das Landgericht hat der Klage überwiegend, nämlich nach einer Haftungsquote von 70 % (30 % Mitverschulden des Geschädigten), stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Landes.

 

Entscheidung

Das OLG stellt zunächst klar, dass der Träger der Straßenbaulast für Verkehrssicherungspflichtverletzungen auf den von ihm vorgehaltenen Straßen hafte. Dem Land sei es auch nicht möglich, sich bei einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf den Grundsatz der nur subsidiären Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berufen. Denn das Verweisungsprivileg komme bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nicht zum Zuge. Der Haftung des Landes stehe ferner nicht grundsätzlich entgegen, dass es die Verkehrssicherungspflicht inkl. der baustellenbedingten Verkehrsregelungspflicht (Warnschilder) auf die Streitverkündete übertragen hat. Denn es verblieben Aufsichts- und Überwachungspflichten. Auch sei nicht von einem Verstoß der Verkehrsregelungspflicht auf der Landstraße auszugehen, da das bloße Vorhandensein von Rollsplitt auf der Fahrbahn noch keine Verkehrssicherungspflichtverletzung begründe und die Warnfunktion des hier 400 m vor der Kreuzung mit der Gemeindestraße auf des Landesstraße aufgestellte Baustellenschildes solange fortwirke, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben werde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziere, was hier nicht der Fall gewesen sei.

Im vorliegenden Fall habe das Land aber seine Kontroll- und Überwachungspflichten für die Reinigungsarbeiten auf der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Landesstarße verletzt. Zwar sei das Land nicht für die Kontrolle der Reinigung der Gemeindestraße zuständig gewesen und es sei nicht ohne Weiteres möglich, dem Träger der höheren Straßengruppe eine Verantwortung für die Verkehrssicherung auf der niederen Straßengruppe zuzuschreiben (s. auch BGH, 19.01.1989 – III ZR 258/87). Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gelte grundsätzlich, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße treffe und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig sei. Somit sei das Land für den Splitt auf der Gemeindestraße zwar nicht unmittelbar zuständig gewesen. Trotzdem sei das beklagte Land aber in diesem Fall zur Kontrolle verpflichtet gewesen. Denn, wenn eine Baufirma Reinigungsarbeiten im Zuge von Bauarbeiten übernehme, dann sei der Träger der Straßenbaulast, der die Bauarbeiten veranlasst hat, auch zur Kontrolle verpflichtet, ob im Zuge der Reinigungsarbeiten eine Beeinträchtigung anderer Straßenzüge eingetreten ist. Das gelte auch dann, wenn er für diese Bereiche (eigentlich) nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Es gehe dann nicht um eine Verkehrssicherung für die Straße eines anderen Baulastträgers, sondern um die hinreichende Kontrolle der Arbeiten einer Baufirma für die eigene Straße. Diese Kontrollpflicht habe die Beklagte nicht erfüllt, weil sie sich hierfür schon im Ansatz nicht zuständig wähnte.

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Anforderungen an den Vortrag zum Nachweis psychischer Unfallschäden

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Schleswig, Beschluss vom 09.06.2020 – 7 U 240/19

Orientierungssätze

1. Ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden ist dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (sog. Bagatelle).

2. Für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens wegen behaupteter posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und unfallbedingter Anpassungsstörungen sind entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen darzulegen. Daran fehlt es bei relativ leichten physischen Unfallfolgen und aufgrund des Umstandes, dass eine entsprechende Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals mehr als sieben Jahre nach dem Unfall stattgefunden hat.

 

Sachverhalt

Neben einer Prellung der Schulter und der Hüfte mit Symptomdauer 6 Wochen sowie einer HWS-Distorsion I mit Symptomdauer ebenfalls 6 Wochen behauptete der Kläger Als Folge eines Verkehrsunfalls im Jahr 2013 eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten zu haben, in deren Folge er monatelang arbeitsunfähig gewesen sei. Hierfür beruft er sich auf einen Attest seines Hausarztes aus 2013, in dem von „depressiven Symptomen‟ die Rede ist. Behandeln ließ sich der Kläger wegen psychischer Beeinträchtigungen jedoch erst 2018. Das Landgericht hat das vom Kläger als Beweis angetretene psychiatrische Sachverständigengutachtens abgelehnt, da die physischen Verletzungen als Bagatelle zu werten seien, so dass selbst bei bejahter psychischer Beeinträchtigung der Zurechnungszusammenhang als sekundärer psychischer Folgeschaden entfalle. Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der ausführt, ein Gutachten hätte zwingend eingeholt werden müssen, da eine Anpassungsstörung als Folgeerkrankung auch aufgrund weniger gravierender Ereignisse ausgelöst worden sein, wenn sich etwa der aus den Unfallverletzungen ergebende Leidensdruck geraume Zeit später eintrete.

 

Entscheidung

Das OLG bestätigt die Entscheidung, geht jedoch in seiner Begründung einen anderen Weg: Soweit der Kläger eine unfallbedingte, psychische Fehlverarbeitung (depressive Störung bzw. Anpassungsstörung) behaupte, habe das Landgericht zu Recht mangels Darlegung von Anknüpfungstatsachen kein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Für die Ursächlichkeit zwischen feststehender Primärverletzung und der Weiterentwicklung bzw. den Umfang des Schadens (haftungsausfüllende Kausalität) gelte § 287 ZPO mit der Folge, dass hierfür der Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genüge. In dem Bericht der Hausärztin sei von „depressiven Symptomen‟ die Rede, die erstmals im Sommer 2013 (nach einer Testung vom 14.08.2013) aufgetreten sein sollen und mit „Amitriptylin‟ behandelt worden sind. Zuvor war aber bereits ein nachweislich unfallunabhängige Bandscheibenprolaps (C5/6 links) aufgetreten. Es gäbe deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass die behaupteten psychischen Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen seien. Binnen der ersten 6 Monate nach dem Unfall sei von irgendwelchen psychischen Symptomen beim Kläger weder die Rede, noch sind diese ärztlich dokumentiert gewesen. Generell sei ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig war (sog. Bagatelle, vgl. BGH Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 m. w. N.). Unstreitig konnte der Kläger nur acht Tage nach dem Unfall, wieder seine Berufstätigkeit als Eisenschutzwerker-Maler bei der Werft H. aufnehmen. Angesichts der relativ leichten, unfallbedingten physischen Folgen sowie des Umstands, dass eine Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals im Jahr 2018 stattgefunden habe, fehle es an entsprechenden Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Klärung der Ursächlichkeit der behaupteten psychischen Störungen. Ohne die Darlegung entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen werden sich mehr als sieben Jahre nach dem Unfall keine sicheren Aussagen zur Unfallbedingtheit der behaupteten psychischen Beschwerden mehr treffen lassen. Zu Recht habe das Landgericht deshalb die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens abgelehnt.

 

Relevanz

In Personenschadenprozessen wird häufig erstmals in der Klage behauptet wird, dass durch das schädigende Ereignis ein psychischer Primär- oder Folgeschaden wie eine PTBS eingetreten sei. Oft fand trotz eines Jahre zurückliegenden Unfalls noch keine fachärztliche Behandlung statt. Mitunter fehlt sogar ein Attest – selbst der eines Hausarztes – dem man überhaupt die Diagnose PTBS entnehmen könnte. Zum Beweis wird regelmäßig Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt, dem viele Gerichte ohne scheu und kritisches Hinterfragen nachgehen. Ist ein Gutachten dann erstmal im Raum, ist es oft schwer, von dortigen Krankheitsdiagnosen wieder herunterzukommen.

Unabhängig von der Frage einer Bagatelle als physische Ausgangsverletzung führt das OLG aus, dass schlichtes Behaupten unfallbedingter psychischer Schäden nicht genügt – auch nicht für das Einholen eines Gutachtens. Fehlen Anknüpfungstatsachen, wobei das OLG hier den Attest des Hausarztes nicht genügen ließ, darf ein Gutachten nicht eingeholt werden. Insbesondere dann, wenn der Unfall lange zurückliegt und es in der Zwischenzeit keine Behandlungen gegeben hat, es m.a.W. an sog. Brückensymptome fehlt, die einen Unfallbezug zumindest als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen.

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Verjährungsbeginn §§ 110, 113 SGB VII: Bindende Leistungsfeststellung des UVT maßgeblich

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LG Berlin, Urteil vom 17.06.2019, Az.: 28 O 457/15

Orientierungssätze

1. Für eine bindende Leistungsfeststellung im Sinne des § 113 SGB VII genügt jeder – auch vorläufige – Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers, der die Leistungspflicht nur dem Grunde nach feststellt. Die Verjährung beginnt bereits zu laufen, wenn der Träger der Unfallversicherung von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Genügen kann auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde, ein förmlicher Bescheid ist nicht Voraussetzung.

2. Da der Wortlaut des § 113 SGB VII hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger unterscheidet, ist auch für den Regress andere Sozialversicherungsträger und den dortigen Verjährungsbeginn nach § 113 SGB VII allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers maßgebend. Der Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, dass eine Frist von 3 Jahren ab bindender Feststellung der Leistungspflicht, mithin also der Feststellung eines Arbeitsunfalls, ausreichend ist, damit sämtliche Sozialversicherungsträger das Bestehen eigener Ansprüche prüfen können. Insofern wird den Sozialversicherungsträgern eine Pflicht zur gegenseitigen Kommunikation auferlegt. Durch die Verlängerung der Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre haben die Rentenversicherer ausreichend Zeit, um das Bestehen eines Anspruches zumindest dem Grunde nach festzustellen und etwaige Ansprüche, ggf. im Wege einer Feststellungsklage, geltend zu machen.

3. Für eine Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB durch Verhandlungen ist ein irgendwie gearteter ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich. Das bloße Anmelden von Ansprüchen genügt – jedenfalls in der AH-Versicherung – nicht.

 

Sachverhalt

Am 17.9.2007 ereignete sich ein Arbeitsunfall, aufgrund dessen die zuständige Berufsgenossenschaft nach Feststellung des Arbeitsunfalles am 30.10.2007 Leistungen in Form von Verletztengeld an den Geschädigten erbrachte. Nach Antrag des Geschädigten vom 05.01.2009 bei der klagenden Rentenversicherung wurde mit Rentengutachten vom 15.05.2009 die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente empfohlen, die von der Klägerin durch Bescheid vom 15.07.2009 rückwirkend ab dem 01.12.2008 bewilligt wurde. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.03.2009 bis zum 31.12.2015 insgesamt Leistungen in Höhe von EUR 62.548,78 erbracht. Mit Schreiben vom 12.01.2009 forderte die Klägerin die Akte des Geschädigten von der BG ETEM an und meldete mit Schreiben vom 08.02.2010 Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung des Schädigers an. Ohne vorhergehende Korrespondenz mit der Klägerin gab die Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 20.09.2011 und 05.10.2012 Verjährungseinredeverzichtserklärungen bis einschließlich 31.12.2015 ab, die ausdrücklich nur für Ansprüche galt, die nicht bereits verjährt waren.

 

Entscheidung

Das LG stellt fest, für eine bindende Leistungsfeststellung im Sinne des § 113 SGB VII genügt jeder – auch vorläufige – Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers, der die Leistungspflicht nur dem Grunde nach feststellt. Die Verjährung beginnt bereits zu laufen, wenn der Träger der Unfallversicherung von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Genügen kann auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde, ein förmlicher Bescheid ist nicht Voraussetzung. Da der Wortlaut des § 113 SGB VII hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger unterscheidet, ist auch für den Regress andere Sozialversicherungsträger und den dortigen Verjährungsbeginn nach § 113 SGB VII allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers maßgebend. Der Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, dass eine Frist von 3 Jahren ab bindender Feststellung der Leistungspflicht, mithin also der Feststellung eines Arbeitsunfalls, ausreichend ist, damit sämtliche Sozialversicherungsträger das Bestehen eigener Ansprüche prüfen können. Insofern wird den Sozialversicherungsträgern eine Pflicht zur gegenseitigen Kommunikation auferlegt. Durch die Verlängerung der Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre haben die Rentenversicherer ausreichend Zeit, um das Bestehen eines Anspruches zumindest dem Grunde nach festzustellen und etwaige Ansprüche, ggf. im Wege einer Feststellungsklage, geltend zu machen.

Die Verjährungsfrist begann vorliegend am 31.10.2007, da unstreitig die BG ab dem 30.10.2007 Tag Verletztengeld an den Geschädigten zahlte. Dieses schlichte Verwaltungshandeln wurde von der BG im Bewusstsein vorgenommen aufgrund eines Arbeitsunfalls des Geschädigten zu leisten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der BG daher bewusst, dass ein Arbeitsunfall vorlag, sodass eine den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung einer Leistungspflicht anzunehmen ist. Nach taggenauer und kenntnisunabhängiger Berechnung nach § 113 SGB VII endete die Verjährung somit mit Ablauf des 31.10.2010. Da die Verjährungseinredeverzichtserklärungen der Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 20.09.2011 und 05.10.2012 ausdrücklich nur für Ansprüche galt, die zu diesem Zeitpunkt nicht bereits verjährt waren, sind die Ansprüche der Klägerin davon nicht mehr erfasst, da sie bereits am 31.10.2010 verjährt waren.

Da für eine Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB durch Verhandlungen zumindest ein irgendwie gearteter ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich ist, genügte das bloße Anmelden von Ansprüchen der Klägerin m Schreiben an den Haftpflichtversicherer vom 08.02.2010 nicht.

 

Relevanz

Für den Regress eines jeden Sozialversicherungsträgers ist nach Ansicht des LG Berlin die bindende Feststellung allein des Unfallversicherungsträgers maßgeblich, was von den Vertretern der Sozialversicherungsträger natürlich anders beurteilt wird. Dem folgt das LG nicht und lässt für die bindende Feststellung zudem sehr weitreichend genügen, wenn der Unfallversicherer nur von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Es scheint somit bereits die innere Festlegung durch den Unfallversicherer zu reichen. Einer Bekanntgabe an den Geschädigten braucht es demnach nicht zwingend. Genügen kann deshalb auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde. Damit stellt sich das LG in die Reihe derjenigen, die nur geringe Anforderungen an die bindende Leistungsfeststellung verlangen (vgl. zum Meinungsstand Möhlenkamp VersR 2013, 544; BGH, Urteil vom 25.07.2017 – VI ZR 433/16; BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 37/15).

Gerade für den Rentenversicherungsträger dürfte dies faktisch bedeuten, dass ein Regress nach § 110 SGB VII nahezu immer wegen Verjährung ausscheidet. Denn er dürfte in der Reihe der Sozialversicherungsträger regelmäßig der Letzte sein, der vom Schadensfall und Arbeitsunfall erfährt. Deshalb erwartet das LG von allen Sozialversicherungsträgern einen internen Austausch von Informationen. Dies ist ebenfalls sehr beachtlich.

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Grobe Fahrlässigkeit im Straßen­verkehr / Haushalts­führungs­schaden ab 75

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Celle, Urteil vom 08. Juli 2020 – 14 U 25/18 : Verursachung eines Verkehrsunfalls durch grob fahrlässiges Fahrverhalten – § 110 SGB VII

Für die Entscheidung, ob die Herbeiführung eines Verkehrsunfalls als grob fahrlässig zu qualifizieren ist, sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Grobe Fahrlässigkeit kann anzu-nehmen sein, wenn ein Fahrzeugführer auf gerader Strecke bei ungeminderter Erkennbarkeit von hinten auf ein ordnungsgemäß und hinreichend beleuchtetes Fahrzeug auffährt, ohne auszuweichen oder abzubremsen. Ist unstreitig oder steht nach einer Beweisaufnahme fest, dass der Verletzte bei dem Verkehrsunfall entgegen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO den Sicherheitsgut nicht angelegt hatte und die erlittenen Verletzungen in erheblichem Umfang auf diesem Umstand beruhen, ist der Aufwendungsersatzan-spruch gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII wegen des dem Sozialversicherungsträger zuzurechnenden Mitverschuldens des Versicherten in angemessenem Umfang – hier mit 40% bemessen – zu kürzen. Die Bemessung des Mitverschuldens erfolgt einheitlich; eine Differenzierung danach, ob einzelne Verletzungen oder Verletzungsfolgen bzw. die einzelnen Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers darauf zurückzuführen sind, dass der Geschädigte angegurtet war oder nicht, findet nicht statt.

 

OLG Celle, Urteil vom 01. Juli 2020 – 14 U 8/20: Verursachung eines Verkehrsunfalls durch grob fahrlässiges Fahrverhalten – § 110 SGB VII

Für die Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens bedarf es nach höchstrichterlicher Rechtspre-chung auch der Feststellung eines in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoßes gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ein Sekundenschlaf kann „einfach fahrlässig“ nicht vorhergesehen werden, weil objektiv vorhandene Übermüdungserscheinungen subjektiv nicht wahrgenommen werden. Es wäre nicht völlig unentschuldbar, wenn der Beklagte auf die Gegenfahrbahn geraten ist, weil er bei Dunkelheit und Nebel infolge einer Fahrbahnsenke die Lichter aus dem Gegenverkehr und die Rückleuchten der ihm vorausfahrenden Fahrzeuge aus den Augen verloren hätte und deswegen kurzzeitig orientierungslos gewesen wäre.

 

OLG Celle, Urteil vom 08. Juli 2020 – 14 U 27/20: Haushaltsführungsschaden – Darlegung / über das 75. Lebensjahr hinaus

Für den Haushaltsführungsschaden sind die konkreten Umstände des Falls maßgeblich. Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens muss der Geschädigte daher im Einzelnen darlegen, welche Tätigkeiten, die vor dem Unfall im Haushalt verrichtet wurden, unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeübt werden können; ein bloßer allgemeiner Verweis auf eine bestimmte prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit zur Haushaltsführung genügt nicht. Der Haushaltsführungsschaden ist nicht anhand von Tabellenwerken, sondern auf der Basis der konkreten Lebensverhältnisse des Geschädigten zu ermitteln. Eine zeitliche Begrenzung für den Ersatz des Haushaltsführungsschadens, z.B. bis zum 75. Lebensjahr, ist nicht vorzunehmen, sofern keine konkreten Umstände in der Person des Geschädigten vorliegen, die eine Begrenzung rechtfertigen würden. Eine Tenorierung, nach der die Zahlungen „auf Lebenszeit“ zu erbringen seien, ist unbedenklich und steht insbesondere einem etwaigen späteren Vorgehen des Schädigers nach § 323 ZPO (Abänderungsklage) nicht entgegen.

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Essensaufnahme als unfallversicherte Tätigkeit

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.12.2099, Az.: L 16 U 79/16

 

Leitsätze

1. Die Nahrungsaufnahme während einer versicherten schulischen Veranstaltung steht grundsätzlich als eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn, betriebliche bzw schulische Umstände oder Zwänge haben die Einnahme des Essens oder Trinkens wesentlich mitbestimmt (zB zur Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit).

2. Zum Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls eines volljährigen und im Alltag selbstständigen Schülers, der an behinderungsbedingten Problemen bei der Nahrungsaufnahme bzw unter häufigem Verschlucken von Speisen und Getränken leidet, wenn dieser sich beim Essen vom Buffet einer schulischen Abschlussveranstaltung dermaßen verschluckt hatte, dass er einen Herzatemstillstand und einen daraus resultierendem Hirnschaden erlitt.

 

Sachverhalt

Der im Jahre 1990 geborene Kläger litt seit seiner Kindheit an einer Cerebralparese mit spastischer Tetraparese. Es bestand Rollstuhlpflichtigkeit. Ferner litt der Kläger an einer Kehlkopfdeformität, aufgrund derer es bereits in der Vergangenheit häufig zum Verschlucken beim Essen und Trinken gekommen war. In der Zeit von August 2007 bis Juli 2009 absolvierte der Kläger ein zweijähriges Berufsvorbereitungsjahr. Er lebte dort in der Einrichtung des F. in N. Es handelt sich um eine Schule/Internat für körperbehinderte Menschen. Dort war er nach dem Schreiben des F. N. vom 11. September 2009 ein selbstständiger Schüler, der sowohl in der Lage war, seine Heimfahrten nach O. /P. zu organisieren und durchzuführen, seine schulischen Belange zu erledigen, sein Essen und seine Getränke selbstständig einzukaufen und seine Freizeit zu gestalten. In der Einrichtung durfte der Kläger ohne Einschränkungen alles essen und trinken. Er konnte alleine mit Hilfe einer Schnabeltasse trinken. Das Essen musste allerdings zerkleinert und angereicht werden.

Der Kläger nahm er am Abend des 08. Juli 2009 an einer von der Schulleitung genehmigten Abschlussfeier teil. Dort stand für die Teilnehmer ein Buffet zur Verfügung, an dem sie sich selbst bedienen konnten. Der Kläger ließ sich von einem Freund und Mitschüler eine Schale mit verschiedenen Salaten (Kraut-, Nudel- und Kartoffelsalat) mitbringen. Die Auswahl des Essens bestimmte er selbst. Das Essen wurde ihm von der sozialpädagogischen Fachkraft Q. kleingeschnitten und gereicht. Dabei zeigte er durch Gesten an, wann er die nächste Portion gereicht bekommen möchte. Nach Anreichung des kleingeschnittenen Mozzarellakäses zeigte er mit Gesten an, dass er Probleme beim Schlucken hatte. Nachdem die Schluckstörungen durch Klopfen auf den Rücken und Ausräumen des Mundes nicht behoben werden konnten, wurde von anderen auf der Feier anwesenden Personen der Notarzt gerufen. Infolge eines Herzatemstillstandes mit ausgeprägtem Sauerstoffmangel und daraus resultierendem Hirnschaden entwickelte sich in der Folge ein apallisches Syndrom.

Schüler sind während des Besuches von allgemein- oder berufsbildenden Schulen sowie während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen kraft Gesetzes gesetzlich unfallversichert. Der zuständige SVT lehnte die Anerkennung des Geschehens als Versicherungs- bzw. Arbeitsunfall im schulischen Bereich jedoch ab. Hiergegen richtete sich die Klage des Klägers vor dem LSG in zweiter Instanz.

 

Entscheidung

Das LSG verneint einen Versicherungsfall:

Erforderlich für das Vorliegen eines Versicherungsfalls sei, dass a) die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), b) die Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität),
und c) das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Ein unfallbringendes Verhalten sei dann eine versicherte Tätigkeit, wenn zwischen dem konkreten Verhalten und dem generell versicherten Tätigkeitsbereich des Versicherten ein rechtlicher Zusammenhang bestehe. Die Grenze der geschützten Tätigkeit sei wertend zu ermitteln. Es sei zu prüfen, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung reiche.

Zwar habe der Kläger als Schüler zum Kreis der versicherten Personen gehört, denn das offizielle Ende der Schulausbildungszeit sei der 10. Juli 2009 gewesen. Bei der Abschlussfeier am 8. Juli 2009 habe es sich zudem um eine grundsätzlich versicherte Schulveranstaltung gehandelt, die von der Schulleitung genehmigt worden sei. Die streitige Verrichtung, die Nahrungsaufnahme, habe allerdings nicht in einem inneren sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit gestanden. Seit jeher werde die Nahrungsaufnahme in der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich dem privaten, unversicherten Lebensbereich zugerechnet, wenn sie nicht aufgrund der besonderen Umstände der versicherten Tätigkeit ausnahmsweise unmittelbar Teil derselben sei. Zwar könne auch das Unternehmen ein vitales Interesse daran haben, dass Pausen zur Einnahme von Mahlzeiten genutzt werden, um die Leistungsfähigkeit des Versicherten zu erhalten. Für die Annahme eines inneren Zusammenhanges zwischen versicherter Tätigkeit und der Verrichtung „Essen“ reiche ein solches Interesse jedoch nicht aus. Denn mit „Essen und Trinken“ werde primär ein Grundbedürfnis gestillt, das ein jeder Mensch unabhängig davon hbet, ob er einer versicherten Tätigkeit nachgeh oder nicht.

Nur ausnahmsweise bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen dem Vorgang der Aufnahme von Nahrung oder Getränken und der versicherten Tätigkeit, nämlich dann, wenn betriebliche Umstände die Einnahme des Essens oder das Trinken wesentlich mitbestimmten.  Dies sei nach der älteren Rechtsprechung des BSG schon dann der Fall gewesen, wenn die betrieblichen Umstände ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl veranlasst haben, welches ohne die betriebliche Tätigkeit nicht oder erst später aufgetreten wäre, wenn also „Essen und Trinken“ unmittelbar der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dienten. Versicherungsschutz sei ferner bejaht worden, wenn der Versicherte sich bei seiner Mahlzeit infolge betrieblicher Zwänge besonders beeilen musste oder besondere betriebliche Zwänge den Versicherten veranlassten, seine Mahlzeit an einem besonderen Ort oder in besonderer Form einzunehmen, wenn die Umstände der Nahrungsaufnahme durch die versicherte Tätigkeit maßgebend geprägt worden seien. Darüber hinaus habe das BSG den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung während der Nahrungsaufnahme bejaht, wenn besondere betriebliche Umstände den Versicherten zwar nicht gezwungen, aber wenigstens veranlassten hätten, seine Mahlzeiten an einem bestimmten Ort, etwa in einer Werks- oder Schulkantine einzunehmen, wenn also betriebliche Umstände die Einnahme des Essens in der Kantine wesentlich mitbestimmten. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG müsse sich zusätzlich hierzu die Nahrungsaufnahme abweichend von dem normalen Trink- oder Essverhalten so abgespielt haben, dass eine Zuordnung zu der betrieblichen Tätigkeit auch objektiv nachvollziehbar sei. Dies sei etwa der Fall, wenn der Versicherte unmittelbar während der belastenden Arbeit esse oder trinke, so dass trotz Durst erregender oder besonders Kräfte zehrender Tätigkeit kein Versicherungsschutz bestehe, wenn Essen oder Trinken auf die Arbeitspause verschoben werden und nicht unmittelbar am Arbeitsplatz erfolgen würden.

An dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Nahrungsaufnahme und dem Schulbesuch des Klägers fehle es aber vorliegend. Betriebliche bzw schulische Umstände hätten die Einnahme des Essens und Trinkens nicht wesentlich mitbestimmt. Der Kläger habe sich zwar bei, aber nicht wegen der Abschlussfeier verschluckt. Nach Auskunft des Geschäftsführers hätte der Kläger auch in der Internatsgruppe essen können. Eine schulische Verpflichtung zum Essen habe nicht bestand . Der Kläger habe auf der Abschlussfeier – wie bei jedem anderen Essensvorgang auch – die von ihm gewünschten Speisen ausgewählt und sich von Hilfspersonen zusammenstellen lassen. Sodann habe er sie sich anreichen lassen. Er sei jedoch zur Auswahl und Aufnahmeentscheidung des Essens während der Abschlussfeier eigenverantwortlich in der Lage gewesen.  Zudem sei er in der Lage gewesen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob er vom Essensangebot im Rahmen der Abschlussfeier Gebrauch mache oder ob er vielmehr in der Internatsgruppe essen wollte. Es hätten damit keine besonderen Umstände vorgelegen, aufgrund derer ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz hätte entstehen müssen.

Ein „hartes‟ Urteil.

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