Indizien manipulierter Verkehrsunfälle

LG Osnabrück, Urteil vom 27.7.2012 — Aktenzeichen: 10 O 1565/11

Leitsatz
Zu den Voraussetzungen unter denen man einen manipulierten Verkehrsunfall annehmen kann.

Sachverhalt
Der Kläger behauptet, er sei mit seinem Fahrzeug schuldlos in einen Unfall mit dem Pkw des Beklagten zu 1) verwickelt worden. Zum damaligen Zeitpunkt sei der Kläger mit seinem Neffen unterwegs gewesen. Dabei habe er eine Straße befahren, auf der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h existierte. Vor der dortigen Hausnummer 40 habe dann der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw, welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, in einer Bucht am rechten Fahrbahn geparkt und sei genau in dem Moment auf die Straße gefahren, als der Kläger vorbeigefahren sei. Dabei sei ein erheblicher Streifschaden entstanden.

Da der beklagte Kfz-Haftpflichtversicherer den Verdacht hegte, dass es sich um ein manipuliertes Unfallgeschehen handeln könnte, bei dem auch der eigene Versicherungsnehmer — Beklagter zu 1) – beteiligt war, wurde letzterer nicht von den vom Versicherer beauftragten Rechtsanwälten vertreten, sondern es wurde ihm der Streit verkündet, um die Nebeninterventionswirkung herbeizuführen.

Entscheidung
Nach durchgeführter Beweisaufnahme — Zeugen, Sachverständigengutachten -, kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass hinreichende Anknüpfungspunkte für einen gestellten Verkehrsunfall vorliegen würden. Das Besondere an dieser Entscheidung ist, dass sehr akribisch eine Vielzahl von typischen, auf einen manipulierten Unfall hindeutende Indizien mit aktueller Rechtsprechung versehen aufgeführt und dargestellt werden. Diese Entscheidung eignet sich deshalb quasi als „Blaupause/Checkliste“ für die Herangehensweise an möglicherweise gestellte Unfallsituationen. Die vom Landgericht aufgeführten Kriterien sind insbesondere:

– Die Art der beteiligten Fahrzeuge;
– Kurzfristige Besitzverhältnisse an dem betreffenden Pkw;
– Unfallörtlichkeit und Unfallzeit;
– der behauptete Unfallablauf;
– das Vorliegen nicht kompatibler Schäden;
– eine Haftungslage, welcher die Darstellung als „unfall“ erleichtern soll;
– Schuldeingeständnis einer der unfallbeteiligten Personen…

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Kongruenz i.R.d. §§ 116, 119 SGB X — ALG II?

OLG Jena, Urteil vom 28.2.2012 — Aktenzeichen: 4 U 527/11 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz
Das Arbeitslosengeld II ist bedarfsorientiert und hat somit keine Lohnersatzfunktion. Der unfallbedingte Verlust stellt mithin keinen Erwerbsschaden im Sinne des § 842 BGB dar.

Sachverhalt
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung. Als solche klagt sie aus übergegangenem Recht gemäß §§ 116, 119 SGB X gegen den voll eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer unfallbedingte Rentenleistungen und entgangene Rentenbeiträge ein, die sie für ihre bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2007 verletzte Versicherte erbracht hat. Die Versicherte war (seit 1992) Langzeitarbeitslose und bezog bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe und ab 2005 bis Ende November 2010 Arbeitslosengeld II, was ihr für die anschließende Zeit wegen des Unfalls nicht mehr gewährt wurde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Übergangsfähigkeit der geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der streitgegenständlich erbrachten Rentenleistungen und des Beitragsregresses verneint.

Entscheidung
Auch das OLG hat die für den Anspruchsübergang gem. §§ 116, 119 SGB X erforderliche sachliche und zeitliche Kongruenz zwischen dem unfallbedingt weggefallenen ALG II als Schaden und etwaigen Ersatzleistungen der Klägerin verneint. Mit Inkrafttreten des SGB II sei das Arbeitslosengeld II an die Stelle von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe getreten. Die Arbeitslosenhilfe war eine Entgeltersatzleistung, die sich der Höhe nach auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung bezog (Lohnausfallprinzip). Vorausgesetzt war, dass der Leistungsempfänger vor dem Bezug von Arbeitslosenhilfe eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Nach Ansicht des OLG sei demgegenüber das Arbeitslosengeld II aber nur bedarfsorientiert. Es orientiere sich am individuell zu ermittelten Bedarf des Leistungsempfängers (Bedürftigkeitsprinzip). Die Ausübung einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit sei deshalb nicht erforderlich. Es genüge, dass der Leistungsempfänger erwerbsfähig sei. Damit sei ein (vom Gesetzgeber gewollter) Systemwechsel verbunden, der im Ergebnis bedeutet, dass dem Arbeitslosengeld II eine Lohnersatzfunktion abgesprochen werden müsse.

Im Rahmen seiner Begründung setzt sich das OLG expliziet mit der Entscheidung des des BGH vom 08.04.2008 – VI ZR 49/07 (NJW 2008, 2185 f.) auseinander, in welcher der BGH einen (übergangsfähigen) Erwerbsschaden in dem teilweisen Ausgleich für entgangenen Arbeitsverdienst durch die Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III gesehen hat. Da beim ALG II die vom BGH zur Begründung seiner, die Kongruenz bejahenden Entscheidung herangezogene Lohnersatzfunktion jedoch gerade fehle, könnten im Umkehrschluss für einen unfallbedingten Wegfall des ALG II erbrachte Rentenleistungen auch keinen übergangsfähigen Erwerbsschaden im Sinne von § 842 BGB darstellen.

Es ist zu erwarten, dass sich demnächst erneut der BGH mit dieser praxisrelevanten Frage befassen wird.

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Anspruchsübergang bei zum Schadenszeitpunkt noch nicht bestehendem Sozialversicherungsverhältnis

BGH, Urteil vom 24.4.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 329/10

Leitsatz
1. Bei Sozialleistungen, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.

2. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers zu übertragen.

Sachverhalt
Die Klägerin, ein Regionalträger der gesetzlichen Rentenversicherung, hat gegen die Beklagten – Kfz-Haftpflichtversicherer und Pkw-Halter — mit der im Jahre 2007 erhobenen Feststellungsklage Ersatzansprüche aus gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenem Recht der Geschädigten geltend gemacht, die als Sechsjährige bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Die Geschädigte war allerdings bis Juli 2005 nicht Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Parteien stritten darüber, wann auf Rentenbeiträge gerichtete Ansprüche der Geschädigten auf die Klägerin übergegangen waren. Während sich die Beklagten auf den Standpunkt stellten, erst im Jahre 2005 sei ein für den Anspruchsübergang entscheidendes Rentenversicherungsverhältnis entstanden, war die Klägerin der Auffassung, ein Übergang habe bereits im Zeitpunkt desd Unfalls vorgelegn, weil in Anbetracht der eingetretenen Verletzungen bereits dann zu erwarten gewesen wäre, dass ein frühzeitiges Rentenversicherungsverhältnis zu erwarten sei.

Entscheidung
Das Berufungsgericht hatte der Klägerin zunächst Recht gegeben. Für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs seien die Grundsätze anzuwenden, die von der Rechtsprechung für Sozialleistungen entwickelt worden sind, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden — Sozialhilfe und Leistungen der Agentur für Arbeit. Bei solchen Sozialleistungen sei – was auch richtig ist — für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Dies sei hier bereits mit dem Unfallereignis der Fall gewesen.

Der BGH widerspricht dem und stellt klar, dass die vorbezeichneten Grundsätze nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers übertragbar seien. Bei Sozialleistungen aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses setzt ein Rechtsübergang zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass zu diesem Zeitpunkt schon ein Versicherungsverhältnis besteht. Nur in einem solchen Fall ist bereits im Augenblick des Schadenseintritts die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar. Die Klage war deshalb im Ergenbnis abzuweisen, weil — was im Rahmen dieses Beitrages nicht ausgeführt werden soll — etwaige erst im Jahr 2005 übergegangenen Ansprüche mittlerweile verjährt waren.

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Aufsatz: Die Aufsicht in öffentlichen Bädern — Eine Zusammenfassung (VersR 2012, 833 — 837)

In der haftungsrechtlichen Praxis beruhen viele Schadensfälle darauf, dass Inhalt und Umfang der Aufsichtspflichten der Betreiber öffentlicher Bäder nicht hinlänglich bekannt sind. Mit Zunahme des Angebots an Attraktionen und der hierfür erforderliche Technik, haben sich die Aufsichtspflichten in den letzten Jahren zudem ausgeweitet und sind vielschichtiger geworden. Im Rahmmen einer zusammenfassenden Darstellung befasste sich der Aufsatz mit den Schwerpunkten der Aufsichtspflichten, ihren Anforderungen sowie den bestehenden Haftungsrisiken. Beleuchtet werden insbesondere…

– die Grundlagen der Aufsicht und ihrer Organisation nach der DIN EN 15288-2: „Sicherheitstechnische Anforderungen an den Betrieb“ sowie der Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V 94.05: „Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflicht in öffentlichen Bädern während des Badebetriebes“,

– die Umsetzung der Becken- bzw. Wasseraufsicht anhand der Fragen: Wieviel Aufsichtskräfte sind zu stellen? Wie hat die Wahrnehmeung der Aufsicht konkret zu erfolgen? Welche Maßnahmen müssen bei unvermeidbarer Abwesenheit der Aufsichtsperson getroffen werden? Kann die Aufsicht aus sog. „Schwimmmeisterräumen“ heraus erfolgen?…sowie

– die weiteren besonderen Aufsichtspflichten hinsichtlich Fußböden, Freibädern, Sprunganlagen, Wasserrutsch- und Spielanlagen, beim Schulschwimmen…etc

unter Berücksichtigung praxisrelevanter Fallgestaltungen und aktueller Rechtsprechung.

Der Gesamtkomplex „Aufsicht“ ist mittlerweile so umfangreich geworden, dass Badbetreibern und deren Haftpflichtversicherern nur angeraten werden kann, sich hiermit eingehend zu befassen. Der Aufsatz soll hierzu Hilfestellungen und Orientierungslinien geben. Nur wer über ein ganzheitliches Konzept zur Vermeidung von Schadensfällen verfügt, kann die Haftungsrisiken weitestgehend begrenzen.

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Kein Regress auch bei nur nicht nachgewiesenem Zugang an das neue VVG angepasster AKB

OLG Celle, Urteil vom 29.9.2011 — Aktenzeichen: 8 U 58/11

Leitsatz
Ein Versicherer kann sich zur Begründung seines Regressanspruchs gegen den VN auch dann nicht auf seine alten AKB berufen, wenn er diese zwar umgestellt hat, aber deren Zugang nicht beweisen kann, und der VN vorsätzlich gegen Obliegenheiten verstoßen hat (hier: Trunkenheitsfahrt 2009)

Sachverhalt
Zwischen den Parteien bestand ein Haftpflichtversicherungsvertrag für einen Pkw. Diesem lagen die AKB des auf Regress wegen Obliegenheitsverletzung klagenden Versicherers mit Stand vom 1.5.2005 zugrunde. § 2 b Abs. 2 AKB sieht Leistungsfreiheit vor, wenn der VN das Fahrzeug u.a. wegen Alkoholgenusses nicht mehr sicher führen kann (Trunkenheitsklausel). Zum 1.1.2009 stellte der Versichrer seine AKB entsprechend dem neuen VVG um. IM Jahr 2009 verursacht der VN im rahmen einer Trunkenheitsfahrt einen Drittschaden, dessen Aufwendungen die Klägerin bezahlt und im Wege der Klage bei VN regressieren möchte. Der VN beruft sich darauf, dass ihm die neuen AKB, nach denen die Klägerin tatsächlich leistungsfrei geworden ist, nicht zugegangen sein. In den alten AKB fehlte der Hinweis auf den nach § 28 VVG n.F. grundsätzlich zulässigen Kausalitätsgegenbeweis.

Entscheidung
Das OLG stellt zunächst die strengen Anforderungen an den Zugang vertragswesentlicher Unterlagenn heraus. Der Einwand der Kl., sie habe ihre Bedingungen umgestellt, könne lediglich den Zugang nicht nachweisben, greife zu kurz. Aus Art. 1 Abs. 3 EGVVG ergebe sich nicht nur das Recht zur einseitigen Vertragsänderung durch Anpassung der AVB an die neue Rechtslage, sondern auch, dass die Änderung dem VN mitgeteilt werden müsse. Nach allgemeinen Regeln habe den Zugang der Absender, mithin hier die Kl., zu beweisen. Für irgendwelche Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherers sei schon in Anbetracht des Wortlauts von Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Raum. Zwar könnte vorliegend der vorsätzlich handelnde VN als weniger schutzbedürftig erscheinen, wenn der Versicherer seine AVB immerhin angepasst hat, es aber „nur“ an dem Nachweis des Zugangs an den VN fehlt. Jedoch erscheinen solche auf den Einzelfall bezogenen Fragen nach fehlender Schutzbedürftigkeit oder -würdigkeit nicht geeignet, die formale Frage des Zugangs zu umgehen.

Danach gilt vorliegend zwar für die Tatbestandsseite, dass die in Betracht kommenden Obliegenheiten unverändert geblieben sind, was auch der Bekl. nicht in Abrede genommen hat. Anders aber verhält es sich auf der Rechtsfolgenseite. Die neuen, nicht wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogenen AKB enthalten, der Neufassung des § 28 VVG entsprechend, den Hinweis auf die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises. Dieser Hinweis fehlt naturgemäß in den alten AKB 05, die darüber hinaus die nun nicht mehr zutreffende Aussage enthalten, auch im Fall des Vorsatzes sei der Versicherer – in bestimmten Grenzen — von der Verpflichtung zur Leistung frei. Dass sich der Hinweis auf den Kausalitätsgegenbeweis aus der Neufassung des VVG selbst ergibt, kann nicht zu einer „Heilung“ des Widerspruchs zwischen vertraglicher Vereinbarung und Gesetz führen. Schon Art. 1 Abs. 3 EGVVG zeigt, dass der VN gerade nicht gehalten sein soll, statt in den Vertrag ins Gesetz zu sehen. Auch in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall ( VersR 2010, 1592 ) verhielt es sich so, dass die Neuregelung für den VN günstiger als die von dem Versicherer verwendeten Versicherungsbedingungen war. Im Ergebnis wie hier hat das OLG Köln entschieden, dass es dann an einer wirksamen Vereinbarung i. S. v. § 28 VVG fehlt.

Die Abweichung der neuen von den alten AKB führe dann jedoch zur Unanwendbarkeit der alten AKB, weil eine unangemessenen Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB gegeben sei. Nach Ansicht des Senats gebe hier den Ausschlag, dass der Bekl. unter Zugrundelegung der alten AKB möglicherweise von der Wahrung seiner Rechte aus dem Versicherungsverhältnis abgehalten wird, weil für den Fall vorsätzlichen Handelns er davon ausgehen muss, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, dem Verdikt der Leistungsfreiheit des Versicherers und des Regresses zu entgehen. Eine solche Irreführung des VN, die zu vermeiden Sache des Versicherers als Verwender der Bedingungen war, kann nicht hingenommen werden. Eine geltungserhaltende Reduktion komme nicht in Betracht. Weiter habe auch eine ergänzende Vertragsauslegung zu unterbleiben.

Die Entscheidung führt erneut vor Augen, wie scharf das Schwert des fehlenden Zugangsnachweises ist. Der Versicherer hatte es hier aber ferner versäumt, sich auf Auffangregelungen zu berufen. Beispielhaft seien die Regelungen über die Gefahrerhöhung nach §§ 23 ff. VVG, die Bestimmungen über die Herbeiführung des Versicherungsfalls gem. § 81 VVG und die Obliegenheiten nach § 82 VVG gennannt. Auch wenn es an einem nachweisbaren Zugang oder an einer Novellierung überhaupt fehlt, kann im Einzelfall über diese Vorschriften Leistungsfreiheit erreicht werden.

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Sturz im Pflegeheim — Umfang der Verkehrssicherungspflicht

OLG Schleswig, Urteil vom 13.4.2012 — Aktenzeichen: 17 U 28/11

Leitsatz
1. Stürzt ein Heimbewohner bei einer Pflegemaßnahme (hier: begleiteter Toilettengang) und ist der Unfallhergang nicht aufklärbar, kommen dem Geschädigten hinsichtlich einer Verletzung von Obhuts- und Verkehrssicherungspflichten Beweiserleichterungen zugute, wenn er sich in einer konkreten Gefahrensituation befunden hat.

2. Eine konkrete Gefahrensituation liegt vor, wenn die nach der Pflegedokumentation des Heimbetreibers erforderlichen Schutzmaßnahmen vor Stürzen (hier: „fester Halt‟) nicht beachtet worden sind. Der Umstand allein, dass der Heimbewohner in der Vergangenheit bei in ähnlicher Weise durchgeführten Toilettengängen nicht gestürzt ist, schließt die Annahme einer konkreten Gefahrensituation nicht aus.

Sachverhalt
Die Beklagte zu 1. ist Trägerin eines Pflegeheims. Die Beklagte zu 2. ist dort Krankenpflegehelferin. Die verletzte Heimbewohnerin erhielt Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II. In der Pflegeplanung dokumentierte die Beklagte zu 1. seit Februar 2006 ein „Risikomanagement Sturzgefahr“, welches Maßnahmen zur Vermeidung von Stürzen vorsah. Die Maßnahmen wurden durch die Beklagte zu 1. regelmäßig überprüft und beibehalten. In der Folgezeit stürzte die Versicherte nicht. Im September 2008 stürzte die Versicherte gegen in Gegenwart der Beklagten zu 2. beim Toilettentransfer, wobei der Unfallhergang im Einzelnen nicht mehr aufklärbar war. Im Pflegebericht der Beklagten hieß es: „Frau D. ist beim Umsetzen vom Toilettenstuhl zum Bett in sich zusammengesackt. Sie verlor die Kraft in den Beinen.“. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1. weigerte sich, die gestützt auf § 116 Abs. 1 SGB X geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin (Krankenkasse)auszugleichen.

Entscheidung
Im Prozess trugen die Beklagten vor, ihnen sei eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Sturz der Versicherten nicht vorzuwerfen. Vor dem Sturz habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Versicherte beim Toilettentransfer unvermittelt zusammensacken könnte. Bei dem Sturz habe sich das allgemeine Lebensrisiko der Versicherten verwirklicht. Mangels Sturzvorgeschichte der Versicherten sei eine Begleitung des Toilettentransfers durch zwei Pflegekräfte nicht erforderlich und nicht zumutbar gewesen.

Das OLG stellt zunächst klar, dass neben Ansprüchen aus Delikt — §§ 823 ff. BGB — in derartigen Konstellationen auch stets Ansprüche wegen Verletzung der Pflichten aus dem Heimvertrag gem. §§ 280 Abs. 1, 278 BGB in Betracht kommen.

Da die Versicherte während einer konkreten Pflegemaßnahme stürzte, kämen der Klägerin für die Darlegung der Verletzung einer Obhuts- und Verkehrssicherungsplicht Beweiserleichterungen zugute, wenn die Versicherte sich nach Überzeugung des Senats bei dem Toilettentransfer in einer konkreten Gefahrensituation – Sturzgefahr — befunden habe. Der Annahme einer konkreten Gefahrensituation stehe insbesondere der HInweis der Beklagten nicht entgegen, dass Toilettentransfers in der Vergangenheit in ähnlicher Weise ohne Probleme durchgeführt wurden, und dass die Versicherte zuvor nicht gestürzt sei. Früheren Stürzen hätten nach Ansicht des OLG lediglich eine indizielle Wirkung. Entscheidend sei, ob sich eine konkrete, wenn auch noch nicht realisierte Sturzgefahr aus konkreten Umständen ergeben habe. Im vorliegenden Fall leitete das OLG die für die Beweislastumkehr erforderliche Sturzgefahr — wie so oft in derartigen Fällen — aus den eigenen Krankenunterlagen der Beklagten zu 1. ab. Nach Maßgabe der Pflegeplanung litt die Versicherte an erheblichen körperlichen und geistigen Einschränkungen. Im Vordergrund standen eine Coxarthrose sowie eine Gonarthrose jeweils beidseitig, eine daraus folgende eingeschränkte Bewegungsfähigkeit mit schneller Erschöpfung und ein dementieller Abbauprozess. Zudem war ausdrücklich von „Problemen beim Toilettengang“ die Rede. Zur Vermeidung von Stürzen sah die Pflegeplanung deshalb bereits seit Februar 2006 u.a. vor, der Versicherten in der Nacht einen Toilettenstuhl bereit zu stellen und ihr Hilfestellung beim Toilettengang zu leisten. Hieraus hat das OLG geschlossen, dass die Versicherte der KLägerin jederzeit, auch unerwartet, stürzen konnte, was ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer konkreten Sturzgefahr rechtfertigten. Jedenfalls bestand nach Überzeugung des Senats eine konkrete Sturzgefahr der Versicherten deshalb, weil ein fester Halt beziehungsweise Haltegriff während des Toilettentransfers nicht vorhanden war. Ein Haltegriff im Sinne einer technischen Vorrichtung am Bett oder in der Nähe, an welcher sich die Versicherte gegebenenfalls hätte festhalten können, war nicht vorhanden. Die Armlehne des Toilettenstuhls und die Bettkante seien mit einem festen Haltegriff nicht vergleichbar, weil das Aufstützen auf einen – mutmaßlich auch noch beweglichen — Gegenstand nicht die gleiche Sicherheit bietet, wie das Umfassen eines festinstallierten Griffs. Somit wurde die Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten bejaht. Diese konnten sich insbesondere deshlab nicht entlasten, weil nach Ansicht des OLG eine weitere Pflegekraft hätte hinzugezogen werden müssen und können. Der Einsatz einer zweiten Pflegekraft, sei unter den gegebenen Umständen erforderlich und zumutbar gewesen. Zusätzliche Kosten wären damit für die Beklagte zu 1. nicht verbunden gewesen, da eine zweite Pflegekraft im Dienst gewesen sei.

Die Entscheidung zeigt sehr plastisch und beispielhaft den Ablauf von Prozessen nach Stürzen in Pfegeeinrichtungen. Häufig lassen sich die konkreten Sachverhalte nicht mehr nachträglich rekonstruieren. Der auch in dieser Entscheidung angesprochenen Beweislastumkehr zugunsten der Geschädigten und ihrer leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger kommt deshalb eine erhebliche Bedeutung zu. Wie in dieser Entscheidung, sind in deräger einer Einrichtung „voll beherschbaren Risikos“ — hier: laufende Pflegemaßnahme — das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation schon bei geringfügigen zu bejahen. Neben dieser Intention der Entscheidung ist sie auch deshalb interessant, weil nach ihr bei Sturzgefahr das Hinzuziehen einer zweiten (anwesenden) Pflegekraft ebenso erforderlich sein soll, wie feste Haltegriffe erforderlich sein sollen. Damit zeigt sich das OLG sehr „geschädigtenfreudlich“.

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Auslegung eines Teilungsabkommens — Trennungsprinzip

BGH, Urteil vom 20.9.2011 — Aktenzeichen: VI ZR 337/10

Leitsatz
Wenn in einem zwischen einem Haftpflichtversicherer und einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung geschlossenen Teilungsabkommen auf die „Prüfung des Rechtsübergangs“ bzw. den Einwand der mangelnden Übergangsfähigkeit verzichtet wird, erstreckt sich dieser Verzicht grundsätzlich nur auf das Fehlen der für den Regress vorausgesetzten Kongruenz zwischen einzelnen Schadenspositionen und den Versicherungsleistungen sowie auf das Eingreifen des Familienprivilegs.

Sachverhalt
Zwischen der klagenden Berufsgenossenschaft und dem anlässlich eines Verkehrsunfalls aus § 116 SGB X in Anspruch genommenen Kfz-Haftpflichtversicherer existiert ein Teilungsabkommen. In diesem heißt es:

§ 1:
Werden von der BG aufgrund von Vorschriften der §§ 116 ff. SGB X Ersatzansprüche gegen eine natürliche oder juristische Person erhoben, die gegen die gesetzliche Haftpflicht aus dem der Forderung zugrunde liegenden Schadensereignis bei dem HV [Haftpflichtversicherer versichert ist, so verzichtet der HV auf die Prüfung der Haftungsfrage und beteiligt sich nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen an den Aufwendungen der BG.

§ 2:
Für die Anwendung des Teilungsabkommens gelten die folgenden Voraussetzungen:

… (5)Im Kraftfahrzeug-Haftpflichtbereich (KH-Schaden) muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs im Sinne der Rechtsprechung des BGH bestehen.“

§ 4:
… (12) Von den Barleistungen der BG (Übergangsgeld, Verletztengeld, Renten) werden die ersten DM 10.000,00 … hälftig ohne Rücksicht darauf geteilt, ob die Leistungen zivilrechtlich übergangsfähig sind. Soweit Leistungen der BG den vorstehenden Betrag von DM 10.000 übersteigen, ist dagegen der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit zulässig. Die Beweislast obliegt ausschließlich der BG.

…(13) Hinsichtlich der schadensbedingten Sachleistungen der BG, die der HV nach diesem Abkommen mit 50 % erstattet, ist der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit zulässig.

Die Berufsgenossenschaft hat für ihren beim Unfall verletzen Versicherten Sach- und Barleistungen erbracht. Der Haftpflichtversicherer hat vorprozessual jedoch nur teilweise entsprechend der in § 4 (12) und (13) TA enthaltenen Wertgrenzen gezahlt. Darüber hinausgehende Zahlungen lehnte er mit der Begründung ab, die weiteren Aufwendungen der Berufsgenossenschaft – neben einem unstreitig unfallbedingten Wirbelbruch kam es im Krankenhaus später noch zu einer Einblutung ins Gehirn — seien nicht kausal adäquat durch den Verkehrsunfall verursacht worden. In § 4 (12) und (13) TA sei für derartige Fälle der „Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit“ ausdrücklich zulässig.

Entscheidung
Der BGH hat entschieden, der Haftpflichtversicherer verkenne die Bedeutung des in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzips, welches auch für die Auslegung des hier fraglichen Teilungsabkommens maßgeblich sei. Der in § 4 (12) und (13) TA geregelte Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit betreffe weder die Haftungs- noch die Deckungsfrage, sondern allein die Frage, ob der Sozialversicherungsträger gemäß § 116 SGB X zur Geltendmachung des Anspruchs des Geschädigten berechtigt ist. ALs Einwand sei deshalb nur noch die Prüfung zulässig, ob der Anspruch, wenn er bestünde, gemäß § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangen wäre. Der Begriff der „zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit“ bedeute, dass der Leistung des Sozialversicherers ein auch sachlich kongruenter Anspruch des Geschädigten gegenüberstehen müsse. Wenn in einem Teilungsabkommen auf die „Prüfung des Rechtsübergangs“ bzw. den Einwand der mangelnden Übergangsfähigkeit verzichtet werde, erstrecke sich dieser Verzicht grundsätzlich nur auf das Fehlen der für den Regress vorausgesetzten Kongruenz zwischen einzelnen Schadenspositionen und den Versicherungsleistungen sowie auf das Eingreifen des Familienprivilegs. Hiervon sei die Prüfung der Haftungsfrage, zu der auch die vom Haftpflichtversicherer angesprochene Frage der haftungsbegründenden bzw. haftungsausfüllenden Kausalität gehört, klar zu trennen. Hierauf habe die Beklagte in § 1 TA ausdrücklich und ohne Einschränkung verzichtet.

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Für den Verjährungsbeginn der Ansprüche aus §§ 116, 119 SGB X ist ausschließlich auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Regressabteilung abzustellen

BGH, Urteil vom 17.4.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 108/11

Leitsatz
Im Deliktsrecht ist für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit abzustellen.

Eine dem Sozialversicherungsträger zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis kann vorliegen, wenn die für den Regress zuständige Organisationseinheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass ein Regress veranlasst sein kann. Sie kommt ferner in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können.

Bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben ist, sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast anwendbar.

Sachverhalt
Bei einem Unfall vom 23.10.1987 wurde der Versicherte des klagenden Sozialversicherungsträgers verletzt. Mitte 1997 wurde dessen Leistungsabteilung aufgrund eines Antrags auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Unfall befasst. Einen weiteren (Arbeits-)Unfall hatte der Versicherte 1994 erlitten. Nur hinsichtlich dieses Unfalls erfolgte eine Abgabe an das für den Regress zuständige Rechtsreferat der Klägerin. In späteren Leistungsanträgen wurde auf beide Unfälle hingewiesen. Auch im nachfolgenden Rentenverfahren erfolgten Hinweise auf die vorangegangenen Unfälle. Das Rechtsreferat der Klägerin wurde über den Unfall vom Jahre 1987 jedoch erst im Februar 2009 informiert, obgleich die Klägerin seit 1984 Büroverfügungen erlassen hatte, nach denen die Unterlagen dem Rechtsreferat zuzuleiten seien, wenn sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen Vorgängen ergebe, dass ein Regress möglich sei.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Entscheidung
Das Berufungsgericht hat sich zunächst auf die Seite der Beklagten gestellt und Verjährung der Regressansprüche mit Ende des Jahres 2008 angenommen. Zur Begründung führte es aus, der in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB neu aufgenommene Verjährungsbeginn bei grob fahrlässiger Unkenntnis sei allgemein zu verstehen, so dass sich ein Sozialversicherungsträger nunmehr auch grob fahrlässige Unkenntnis seiner Leistungsabteilung zurechenen lassen müsse. Diesem Ansatz ist der BGH nicht gefolgt. Auch im Lichte des neuen Verjährungsrechts sei für den Verjährungsbeginn regressrechtlicher Ansprüche weiterhin allein auf die Kenntnis oder Unkenntnis der Regressabteilung abzustellen. Nur insoweit sei eine Wissenszurechnung gerechtfertigt, da Behörden ansonsten schlechter gestellt würden, als andere Gläubiger. Sind in einer regressbefugten Behörde somit mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber unmaßgeblich und zwar nach dieser Entscheidung selbst dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine Regressmöglichkeit ergeben. Allerdings hat der BGH auf der anderen Seite die strengen Anforderungen an die Sachbearbeitung und Informationsgewinnung in Regressabteilungen hervorgehoben und die Sache deshalb mit Hinweisen auf eine möglicherweise grob fahrlässige Unkenntnis der konkret zuständigen Regressabteilung ans Berufungsgericht zurückverwiesen. Regressabteilungen haben ihnen zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Es sei ferner Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise sicher zu stellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten. Als grob fahrlässige Unkenntnis könnte nach Ansicht des BGH etwa zu werten sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers hier erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig waren oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam.

Der BGH bestätigt somit zwar seine ständige Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit der Kenntnis/Unkenntnis der Regressabteilung. Darüber hinaus steckt er den Rahmen, in dem sich die entsprechenden Organisationseinheiten Kenntnisse verschaffen müssen, gleichzeitig jedoch sehr weit ab.

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Reichweite des Haftungsprivilegs gem. § 105 Abs. 1 SGB VII bei Hilfeleistungen betriebsfremder Personen

OLG Düsseldorf, Urteil vom 1.3.2011 — Aktenzeichen: 1 U 94/10

Leitsatz
Führt ein betriebsfremder Helfer auf Wunsch des betriebsangehörigen Lkw-Fahrers einen Gefahrguttransport durch und verursacht er dabei einen Unfall, bei dem der Fahrer verletzt wird, ist der Helfer als „Wie-Beschäftigter“ nach § 2 Abs. 2 SGB VII auch dann nach § 105 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert, wenn er seine Tätigkeit lediglich unentgeltlich aus Gefälligkeit ausgeführt hat, da er ursprünglich nur beim Abladen mithelfen sollte und die Übernahme der Führung des Gefahrguttransporters, zu der der Helfer aus Altersgründen noch nicht berechtigt war, nicht dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach.

Sachverhalt
Der gemeinsam mit dem Fahrzeughalter und dessen Kfz-Haftpflichtversichrer auf Schadensersatz in Anspruch genommene Beklagte zu 1. steuerte einen von seinem Onkel und Arbeitgeber der Klägerin, dem Beklagten zu 2., gehaltenen Gefahrguttransporter auf der BAB 1. Die Klägerin war Beifahrerin. Der zum Unfallzeitpunkt 19-jährige, bei seinem Vater angestellte, Beklagte zu 1. sollte die Klägerin auf Wunsch des Beklagten zu 2. eigentlich nur als Beifahrer begleiten und dieser beim Ausladen der Ware behilflich sein, da die Klägerin am Finger verletzt war. Wegen ihrer Verletzung bat die Klägerin den Beklagten zu 1. jedoch, auch die Fahrt zu übernehmen. Auf dem Weg zum Auftraggeber kam der Beklagte zu 1. von der Fahrbahn ab und stürzte den Lkw um. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt. Das gesetzlich erforderliche Mindestalter zum Führen eines Gefahrguttransporters beträgt 21 Jahre.

Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass zugunsten sämtlicher Beklagten das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII eingreift. Gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII haften Angehörige desselben Betriebes in Schadensfällen grundsätzlich nicht untereinander. Zwar sei der Beklagte zu 1. nicht im Betrieb des Beklagten zu 2. angestellt gewesen. Zum Unfallzeitpunkt sei er nach Ansicht des OLG jedoch im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII „wie ein Beschäftigter“ für den Beklagten zu 2. tätig geworden. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die Haftungsprivilegierung des § 105 Abs. 2 SGB auch auf Personen, die

1. eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende,
2. dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit
3. von wirtschaftlichem Wert erbringen,
4. die regelmäßig von abhängig Beschäftigten verrichtet wird.

Diese Voraussetzungen hat das OLG hier allesamt bejaht. Insbesondere stünde einer Einordnung als „Wie-Beschäftigter“ auch nicht entgegen, dass der unstreitig zum Führen eines Gefahrguttransporters nicht berechtigte Beklagte zu 1. hierzu vom Beklagten zu 2. nicht beauftragt worden sei und Letzterer hiermit auch nicht einverstanden gewesen sein dürfte. Der Begriff der „betrieblichen Tätigkeit“ sei allerdings weit auszulegen und primär objektiv zu bestimmen. Insoweit könne eine betriebliche Tätigkeit auch dann nicht verneint werden, wenn der betriebsfremde Helfer tatsächlich Tätigkeiten über seinen eigentlich vorgesehenen Arbeitsauftrag hinaus für den Betrieb vornehme, wozu er von dem eigentlich für diese Tätigkeit vorgesehenen Arbeitnehmer aufgefordert worden sei. Dem stünde auch nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1. aus verwandt- oder freundschaftlicher Verbundenheit oder aus Gefälligkeit tätig war. Auch eine solche Tätigkeit falle unter § 2 Abs. 2 SGB VII, solange diese Motivation des Helfenden der Tätigkeit nicht ihr Gepräge gebe.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass entgegen dem Grundstz der restriktiven Auslegung von Haftungsbeschränkungen die Haftungsprivilegien der §§ 104 ff. SGB VII mitunter sehr weit gefasst werden. Damit nimmt das OLG Düsseldorf offensichtlich auch in diesem wirklich sehr weit gehenden Fall keine Sonderstellung ein, wie die Billigung der Entscheidung durch den BGH, der die gegen das Urteil von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbewscherde negativ beschieden hat, zeigt. Der sozialpolitische Hintergrund der §§ 104 ff. SGB VII — „Abkaufen“ des Haftungsrisikos durch die Beiträge des Arbeitgebers zur Unfallversicherung, Wahrung des Betriebsfriedens — steht im Vordergrund. Im Einzelfall selbst dann, wenn die Tätigkeit eindeutig dem tatsächlichen und/oder mutmaßlichen Willen des Betriebsinhabers widerspricht.

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Für den Verjährungsbeginn von Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen i.S.d. § 197 BGB a.F. ist die Kenntnis von der Regressmöglichkeit durch die Regressabteilung eines SVT unerheblich

BGH, Urteil vom 10.1.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 96/11

Leitsatz
Die ausschließliche Anwendbarkeit des § 197 BGB a.F. gilt auch hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist. Deshalb können Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen bereits vor Kenntniserlangung verjährt sein.

Sachverhalt
Die BRD machte gegen den beklagten Landkreis P. auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche des K. geltend. K. war Halbwaise nach einem verstorbenen Hauptfeldwebel der Bundeswehr. Er erlitt aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers in einem Krankenhaus der Beklagten im September 1989 einen Gesundheitsschaden. Die Bund zahlte an K. über die eigentliche Bezugsdauer hinaus Waisengeld sowie Beihilfe und Pflegegeld. Im Juli 2002 wurde die Sache an das zuständige Regressdezernat des Bundes zwecks Prüfung einer Regressmöglichkeit abgegeben. Daraufhin wandte sich die dort zuständige Sachbearbeiterin im August 2002 erstmals direkt an den Kommunalen Schadensausgleich (KSA) als Versicherer des beklagten Landreises. Dieser berief sich teilweise auf Verjährung der Forderungen. Im Juli 2006 erhob der Bund Klage und machte u.a. Regressansprüche für von ihm bis zum 31.12.1997 erbrachte Leistungen geltend. Der KSA berief sich erneut auf Verjährung.

Entscheidung
Der hiermit befasste BGH bestätigt die Ansicht des Berufungsgerichts, welches die von der Klägerin geltend gemachten Regressansprüche hinsichtlich der Beihilfe, des Pflegegeldes sowie der Waisenrente als wiederkehrende Leistungen i.S.d. § 197 a.F. eingestuft habe, die hinsichtlich der von ihr bis zum 31.12.1997 erbrachten kongruenten Leistungen jedoch bereits zum 1.1.2002 verjährt waren. Nach § 197 BGB a.F. BGB verjährten Ansprüche auf Rückstände von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen in vier Jahren. Die Verjährung habe bereits mit dem Schluss des Jahres begonnen, in welchem der Anspruch entstanden ist (§ 201 Satz 1, § 198 Satz 1 BGB a.F.). Dem Gesetz sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass in dem Fall, in dem wiederkehrende Leistungen als Schadensersatz wegen einer unerlaubten Handlung zu erbringen sind, für den Beginn und die Dauer der Verjährung § 852 Abs. 1 BGB a.F. anzuwenden sei, wonach der Anspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährt, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Für eine Gesetzeslücke, die bei Ersatzansprüchen wegen unerlaubter Handlungen einen Abgleich zwischen § 197 BGB a.F. und § 852 Abs. 1 BGB a.F. erfordern könnte, sei nichts ersichtlich. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen verjährungsrechtlich vom jeweiligen Stammrecht abzuspalten und der gesonderten Verjährungsfrist des § 197 BGB a.F. zu unterstellen.

Trotz ihres Bezuges zum alten Recht hat die Entscheidung des BGH weiterhin in denjenigen „Altfällen“ Bedeutung, in denen Regressansprüche erst Jahre nach dem Schadenereignis geltend gemacht werden. In der Regulierungspraxis herrschte bisher die Ansicht, dass hinsichtlich des Verjährungsbeginns auch der in § 197 BGB a.F. angesprochenen Ansprüche die Kenntnis vom Schaden und Schädiger Voraussetzung für den Verjährungsbeginn sei. Nach Ansicht des BGH bginnt/begann die Verjährung jedoch tatsächlich stets mit Jahresschluss mit der Folge, dass sich SVT in „Altfällen“ nicht mehr mit Erfolg auf fehlende Kenntsnis der Regressabteilung berufen können. Unter Berücksichtigung der Übergangsvorschriften zum „neuen“ Verjährungsrecht in § 6 EGBGB 229 steht mit diesem Urteil zudem fest, dass spätestens am 31.12.2004 sämtliche Rentenansprüche verjährt sind, die bis zum 31.12.2001 entstanden sind.

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