Grobes Foul rechtfertigt Schadensersatzanspruch

OLG Hamm, Urteil vom 22.10.2012 — Aktenzeichen: I-6 U 241/11

Leitsatz
Ein rücksichtsloses Foul beim Fußball kann einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen.

Sachverhalt
Bei einem Meisterschaftsspiel der Kreisliga A 3 des Kreises Dortmund kam es zwischen zwei Spielen der gegnerischen Mannschaften zu einem Zusammenstoß mit Folgen. Der Beklagte hatte den Kläger mit gestrecktem Bein zu Fall gebracht. Der Schiedsrichter ahndete das Foul mit einer gelben Karte.

Der Kläger jedoch konnte als Folge des Fouls seinen Beruf als Maler und Lackierer nicht mehr ausüben, weshalb er den (haftpflichtversicherten) Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. ca. 50.000 € in Anspruch nahm.

Entscheidung
Das OLG Hamm bestätigte die für den Kläger günstige Entscheidung des LG Dortmund, wonach der Beklagte für die Schäden und Schmerzen des Klägers einzustehen hat.

Grundsätzlich hafte ein Fußballspieler nicht, wenn er einen anderen bei regelrechter Spielweise und dem Fairnessgebot entsprechend verletze; eine Haftung komme aber dann in Betracht, wenn — wie hier — grob rücksichtslos gehandelt und damit gegen Nr. 12 der DFB-Fußballregeln verstoßen werde.

Praxishinweis
Die Entscheidung bewegt sich in einem heiklen Bereich, da taktische Fouls und damit Verstöße gegen Nr. 12 der DFB-Fußballregeln nicht nur im professionellen Fußball an der Tagesordnung sind. Den feinen Unterschied dürfte hier wohl die Feststellung des Gerichts ausmachen, dass der Zweikampf ohne jede Rücksicht auf die Gefahr und die Folgen des Einsteigens geführt wurde. Denn bei vorsätzlicher und grob fahrlässiger Regelwidrigkeit sowie dem Überschreiten der Grenze zwischen noch gerechtfertigter Härte und einem unfairen Regelverstoß geht die Rechtsprechung bei fremdverursachten Sportverletzungen regelmäßig von einer Haftung des Schädigers aus (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 04.07.2005, NJW-RR 2005, 1477; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2004, RuS 2005, 435).

Im Bereich des Profi-Fußballs ist diese Rechtsprechung noch weiter einzuschränken: Da Berufsfußballer als Beschäftigte ihres Vereins unfallversichert sind und beim Spiel auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig werden, haften sie nur für vorsätzlich herbeigeführte Versicherungsfälle, vgl. §§ 106 Abs. 3, 105 Abs. 1 SGB VII.

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Keine Haftung für zulässigen Off-Label-Use

OLG Stuttgart, Urteil vom 26.7.2011 — Aktenzeichen: 1 U 163/10

Leitsatz
1. Der Einsatz von Medikamenten, die für eine bestimmte Behandlung oder eine bestimmte Erkrankung in Deutschland nicht zugelassen sind, ist nicht per se unzulässig, allerdings an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Ein derartiger „Off-Label-Use“ ist genauso wie die Anwendung sonstiger neuer Behandlungsmethoden zulässig, wenn er unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile des nicht zugelassenen Medikaments im Vergleich zu den zugelassenen Substanzen vertretbar ist und medizinisch-sachlich begründet erscheint.

2. Zwar ist der Patient vor Einsatz eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels unabhängig von Unterschieden in Bezug auf Chancen und Risken gegenüber anderen Medikamenten entsprechend aufzuklären. Ein Haftung wegen unterbliebener Aufklärung scheidet jedoch aus, wenn sich im konkreten Fall ein Risiko verwirklicht hat, über das der Patient aufgeklärt wurde, und das er in Kauf genommen hat.

Sachverhalt
Der Kläger unterzog sich einer Achillessehnenoperation. Es kam zu anästhesiebedingten Herz-/Kreislaufkomplikationen, bei denen der Kläger einen Schaden erlitt. Bei der Spinalanästhesie wurde ein in Deutschland nicht mehr für diese Verwendung zugelassenes Medikament (Ultracain®, Wirkstoff Articain) verwendet.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist seit dem Urteil vom 19.03.2002 anerkannt, dass der Off-Label-Use unter strengen Voraussetzungen zulässig ist:

Es muss die Behandlung einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit angestrebt werden, es darf keine andere Therapie verfügbar sein und aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Der Kläger warf seinen Behandlern einen Behandlungsfehler und die fehlende Aufklärung über den Einsatz des Arzneimittels außerhalb seines Zulassungsgebietes vor.

Das LG Ellwangen wies seine Klage mit Urteil vom 20.10.2010 ab.

Entscheidung
Das OLG Stuttgart wies die Berufung des Klägers zurück und hielt das klageabweisende Urteil aufrecht.

Nach der Beweisaufnahme war der Einsatz des Medikaments nicht ursächlich für den Schaden des Klägers, sondern ein allgemeines Risiko der Spinalanästhesie.

Mit dem LG Ellwangen war das OLG überdies der Auffassung, dass kein Behandlungsfehler vorgelegen habe. Denn der Einsatz neuer Behandlungsmethoden sei zulässig, wenn eine verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der Vor- und Nachteile der herkömmlichen Methoden mit der angewandten Methode vertretbar und sachlich begründet erscheinen. Dies sei bei Ultracain® der Fall, da es ein im Ausland für die Spinalanästhesie zugelassenes Standardpräparat sei, was in Deutschland nur aus marktstrategischen Gründen nicht mehr zugelassen sei.

Zwar räumte das OLG ein, dass der Kläger über den Einsatz des Präparats hätte aufgeklärt werden müssen. Da sich jedoch ein allgemeines Risiko der Spinalanästhesie verwirktlicht habe, über das aufgeklärt worden war und welches der Kläger bewusst in Kauf genommen hatte, könne er keine Haftung aus dem Off-Label-Use und der unterlassenen Aufklärung hierüber ableiten.

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Fehlender Kenntnisstand von möglichen Fehlerfolgen steht Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler nicht entgegen

BGH, Urteil vom 19.6.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 77/11

Leitsatz
War ein grober Verstoß gegen den ärztlichen Standard grundsätzlich geeignet, mehrere Gesundheitsschäden bekannter oder (noch) unbekannter Art zu verursachen, kommt eine Ausnahme vom Grundsatz der Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler regelmäßig nicht deshalb in Betracht, weil der eingetretene Gesundheitsschaden als mögliche Folge des groben Behandlungsfehlers zum maßgebenden Zeitpunkt noch nicht bekannt war.

Sachverhalt
Der Kläger ging wegen fehlerhafter ärtzlicher Behandlung gegen das Klinikum vor, in dem er geboren worden war.

Seine Mutter befand sich dort zwischen der 12. und 17. Schwangerschaftswoche wegen vaginaler Blutungen in stationärer Behandlung. In der 32. Schwangerschaftswoche wurde die Schwangerschaft durch Kaiserschnitt beendet und der Kläger geboren. Nach 20 Stunden musste er infolge Atemstillstands intubiert werden und wurde fünf Tage lang maschinell beatmet. Das Beatmungsgerät war dabei zu intensiv eingestellt worden (Hyperventilation). Am zweiten Tag nach der Geburt diagnostizierte man nach einer Schädelsonographie einen beginnenden frühkindlichen Gehirnschaden (periventrikuläre Leukomalazie, kurz: PVL).

Der Kläger ist in Folge der PVL mehrfach behindert und geistig beeinträchtigt, weshalb er auf dauerhafte Pflege und Betreuung angewiesen ist.

Das OLG Frankfurt stellte nach Beweiserhebung zwar Behandlungsfehler in Form von zu intensiver Beatmung und dem Unterlassen engmaschiger Blutgasanalysen fest, verneinte jedoch den Kausalzusammenhang zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden.

Der Beweis konnte nicht geführt werden. Eine Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers hatte das OLG verneint, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen — ausgehend vom medizinischen Standardwissen zum Zeitpunkt der Geburt — die Reduzierung der Beamtung nur notwendig gewesen sei, um Schäden von der unreifen Lunge und den Augen abzuwenden. Da an diesen Körperteilen keine Schäden eingetreten seien, habe sich nicht das Risiko verwirklicht, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lasse.

Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung über den Schmerzensgeldanspruch des Klägers an das OLG Frankfurt zurückverwiesen.

Nach ständiger Rechtsprechung führt ein grober Behandlungsfehler regelmäßig zu einer Umkehr der Beweislast im Hinblick auf den Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Gesundheitsschaden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 08.01.2008, VersR 2008, 490; Urteil vom 11.06.1996, VersR 96, 1148).

Hiervon hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich war oder sich eben nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 16.06.1981, VersR 1981, 954).

Solch eine Ausnahme lag hier nach Auffassung des BGH aber gerade nicht vor.

Im Fall, den der BGH am 16.06.1981 entschieden hatte, habe sich von mehreren geschaffenen Risiken letztlich nur ein Risiko verwirklicht, das wegen seiner objektiv geringen Schwere nicht geeignet war, einen groben Behandlungsfehler zu begründen. Daher habe damals eine Beweislastumkehr nicht eingreifen können.

Da vorliegend aber der Behandlungsfehler aufgrund seiner elementaren Bedeutung als grob zu qualifizieren sei und generell geeignet war, den schweren Gesundheitsschaden zu verursachen bzw. mitzuverursachen, sei es für die Annahme der Beweislastumkehr unerheblich, wenn zum Zeitpunkt der Geburt die Kenntnis vom Zusammenhang zwischen Hyperventilation und möglicher Gehirnschädigung noch nicht zum medizinischen Standardwissen gehört hat.

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Einzelne Glätteflächen bedingen keine Streupflicht

BGH, Urteil vom 12.6.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 138/11

Leitsatz
Sind im Bereich eines Grundstücks nur vereinzelte Glättestellen ohne erkennbare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vorhanden, ist nicht von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen, die eine Streupflicht begründen könnte.

Sachverhalt
Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die Klägerin aufgrund eines Sturzes Schmerzensgeld und Ersatz materieller Schäden verlangte. Der Sturz geschah auf einem etwa zwei Meter breiten Weg, der zu dem Hauseingang der Beklagten führte. Dabei war die Klägerin auf einer nach eigenen Angaben 20 x 30 cm großen Eisfläche ausgerutscht, während andere Eisflächen nicht erkennbar waren. Der Weg war insgesamt — und dies unstreitig — nicht gestreut.

Entscheidung
Der BGH verneinte Ansprüche der Klägerin und wies darauf hin, dass die Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetzt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn es sich lediglich um eine kleine Eisfläche handelt und ansonsten in der näheren Umgebung keine vereisten Flächen aufzufinden sind.

Daneben käme eine Streupflicht nur in Betracht, wenn ausnahmsweise die Wetterlage Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr gebe, die zu vorbeugenden Maßnahmen veranlasse. Dies war indes bei der zu treffenden Entscheidung nicht der Fall, so dass die Klage nicht erfolgreich sein konnte.

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AMG: Bundestag verbietet Rabatte ausländischer Versandapotheken

Quelle: BT-Drucksache 17/9341, BT-Druckssache 17/10156; Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (16. AMG-Novelle)

Bis 2003 war der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland grundsätzlich untersagt.

Erst die Verfassungsbeschwerden zweier deutscher Apotheker (BVerfG, Beschl. v. 11. Februar 2003, Az. 1 BvR 1972/00 und 1 BvR 70/01) hielten den Gesetzgeber dazu an, den Versandhandel freizugeben. Gleichzeitig stellte der EuGH fest, dass der grenzüberschreitende Versandhandel mit Arzneimitteln prinzipiell mit dem europäischen Recht vereinbar sei (EuGH, Urteil v. 11. Dezember 2003 C-322/01).

Seit dem 01.01.2004 stehen daher deutsche Apotheken in Konkurrenz zu ausländischen Versandhändlern, die sich dadurch auszeichnen, dass sie den Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) nicht unmittelbar unterliegen und Rabatte und Boni gewähren können. Die AMPreisV legt für deutsche Apotehken Preisspannen für rezeptpflichtigee Arzneimittel fest, um zum Schutz der Endverbraucher keinen Preiswettbewerb unter den Apotheken entstehen zu lassen und eine gleichmäßige Arzneimittelversorgung in der Bevölkerung zu gewährleisten.

Nachdem bereits in der Rechtsprechung teilweise die Vorschriften der AMPreisV auch auf den ausländischen Versandhandel für anwendbar erklärt wurden (Hanseatisches OLG, Urteil vom 25.03.2010, Az. 3 U 126/09), hat der Gesetzgeber sich nun dafür entschieden, die Vorschriften explizit im Arzneimittelgesetz (AMG) auf ausländische Apotheken auszudehnen.

Für den Endverbraucher dürfte dies zunächst einen Preisanstieg für rezeptpflichtige Arzneimittel aus dem Ausland bedeuten, da die Gewährung von Rabatten und Boni nunmehr für alle Apotheken verboten ist. Die Marktposition der deutschen Apotheken wird damit wieder gestärkt.

Der Forderung, den Versandhandel für rezeptpflichtige Arzneimittel zu verbieten, ist der Bundestag allerdings nicht gefolgt.

Wenn der Bundesrat sich dem Entwurf anschließt, treten die Änderungen zum 01.10.2012 in Kraft. Abzuwarten bleibt, ob sich die europäischen Versandhändler dann klageweise gegen die Preisbindung zur Wehr setzen können.

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Annahme einer konkreten Gefahrensituation nicht durch unfallfreie Heimvergangenheit ausgeschlossen

OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.4.2012 — Aktenzeichen: 17 U 28/11

Leitsatz
In einer konkreten Gefahrensituationen, die für ein Pflegeheim voll beherrschbar sein müssen, kommen dem Geschädigten Beweiserleichterungen zu Gute. Nur weil der Heimbewohner in der Vergangenheit bei in ähnlicher Weise durchgeführten Toilettengängen nicht gestürzt ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass keine solche konkrete Gefahrensituation vorlag.

Sachverhalt
Die Klägerin, eine gesetzliche Kranken- und Pflegekasse, nahm die Trägerin eines Pflegeheims sowie eine Krankenpflegehelferin aufgrund des Sturzes einer Kranken- und Pflegeversicherten in Anspruch, der sich bei einem Toilettentransfer ereignete. Die Einzelheiten des Sturzes waren streitig. Das Pflegeheim behauptete, der Sturz sei unvermeidbar gewesen, da er vorher auf ähnliche Weise häufig und problemlos durchgeführt worden sei.

Entscheidung
Das OLG schloss sich der ständigen Rechtsprechung an, wonach in konreten Gefahrensituationen dem Geschädigten Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr zu Gute kommen. Dies bezieht sich sowohl auf den Nachweis einer Pflichtverletzung wie auf die Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2005, Az. III ZR 399/04).

Nach Auffassung des OLG steht der Annahme einer konkreten Gefahrensituation nicht entgegen, dass die Toilettentransfers in der Vergangenheit in ähnlicher Weise ohne Probleme durchgeführt worden sind und es dabei nicht zu einem Sturz gekommen war. Da gesundheitsbedingt konkret mit Stürzen zu rechnen war, wertete das OLG den Umstand, dass die Versicherte zuvor nicht gestürzt war, als belanglos.

Hiermit tritt das OLG einer weit verbreiteten Argumentation entgegen, wonach allein die Üblichkeit eines Pflegevorgangs der Annahme einer Pflichtverletzung entgegenstehen soll, weil das Pflegepersonal nicht mit einem vom eingeübten Pflegeablauf abweichenden Geschehensverlauf zu rechnen brauche.

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Kassenärzte machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar

BGH, Urteil vom 29.3.2012 — Aktenzeichen: GSSt 2/11

Leitsatz
Ein Kassenarzt macht sich nicht wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB oder Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB strafbar, wenn er für die Verordnung bestimmter Arzeinmittel eine Gegenleistung annimmt.

Spiegelbildlich macht sich der den Vorteil zuwendende Pharmareferent nicht wegen Bestechung (im geschäftlichen Verkehr) strafbar.

Sachverhalt
Eine Pharmareferentin hatte Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von ca. 18.000 € ausgestellt. Dieser Vorgang beruhte auf dem Prämiensystem eines Pharmaunternehmens für die Verschreibung von Arzneimitteln.

Sie wurde wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, weil das Gericht annahm, Kassenärzte seien wegen ihrer Verordnungsgewalt über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse und Einbindung in das öffentlich-rechtliche Krankenversicherungssystem als Amtsträger zu qualifizieren.

Über die hiergegen gerichtete Revision hatte der Große Senat des BGH zu entscheiden.

Entscheidung
Der Große Senat des BGH entschied nunmehr, dass Kassenärzte — auch wenn sie bei der Versorgung der gesetzlich Versicherten der Allgemeinheit im Sinne des Sozialstaates dienen — keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen und deshalb nicht als Amtsträger zu qualifizieren sind.

Die Tätigkeit des Arztes und die Begründung des Versorgungsvertrages beruhen auf der freien Auswahl durch den Versicherten, nicht der Bestellung durch die Krankenkasse. Die Verordnung eines Arzneimittels konkretisiere zwar den Anspruch des Versicherten gegenüber der Krankenkasse, dies sei aber nicht hoheitlich gesteuert, sondern richte sich allein nach dem Arzt-Patienten-Verhältnis und den ärztlichen Berufspflichten.

Auch die Beauftragteneigenschaft gemäß § 299 StGB sprach der Große Senat den Kassenärzten im Verhältnis zu den Krankenkassen ab, da sie sich nach der gesetzgeberischen Wertung auf einer Ebene der Gleichordnung mit den Kassen bewegen. Unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Kassen und Kassenärzten gibt es bis auf wenige Ausnahmen nicht.

Die strafrechtliche Sanktionierung der Einwirkungsversuche von Heil- und Hilfsmittelherstellern auf Kassenärzte wird damit zur Aufgabe des Gesetzgebers.

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Patientenrechtegesetz soll für Rechtssicherheit sorgen

Quelle: „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz), Referentenentwurf vom 16.01.2012

Inhalt des Referentenentwurfs:

Der vom Bundesministerium der Justiz und vom Bundesministerium für Gesundheit am 16.01.2012 vorgelegte Referentenentwurf zur Einführung eines Patientenrechtegesetzes überführt unter anderem die bisher im Arzthaftungsrecht ergangene Rechtsprechung in Gesetzesform.

Im Anschluss an die Vorschriften über den Dienstvertrag nach § 611 BGB sollen die neuen §§ 630 a bis 630 h BGB die Inhalte eines Behandlungsvertrages und die damit in Verbindung stehenden Folgen regeln. Damit wird zunächst klargestellt, dass es sich beim Behandlungsvertrag um einen eigenen Vertragstypus handelt, auf den die Regeln des Dienstvertrages nur entsprechend anzuwenden sind.

Geregelt wird nun, welche Anforderung an eine wirksame Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung zu stellen sind. Bisher ist die rechtfertigende Einwilligung als Rechtfertigungsgrund in der Rechtsprechung anerkannt, aber nicht im Gesetz vorgesehen gewesen. Der Entwurf regelt auch, wie eine ordnungsgemäße Aufklärung, die Voraussetzung für die Einwilligung in einen Eingriff ist, zu erfolgen hat.

Die gesamte Dokumentation im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten ist nach der Vorstellung der Bundesregierung sowohl in Papierform als auch elektronisch zu führen. Das Einsichtnahmerecht des Patienten in seine Unterlagen soll ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen werden. Bisher wurde das Einsichtnahmerecht teilweise als Nebenrecht aus dem Behandlungsvertrag begründet, teilweise wurde auch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgestellt (vgl. BGH vom 23.11.1983, VI ZR 222/79). Die Vererblichkeit dieses Anspruchs wird ausdrücklich geregelt (vgl. BGH vom 31.05.1983, VI ZR 259/81).

Im Bereich des Arzthaftungsrechts ist von besonderer Bedeutung, dass die von der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze zur Beweislastumkehr nun auch ihren Weg ins Gesetz finden. Bisher war es höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH, dass ein objektiver Behandlungsfehler und dessen Ursächlichkeit für einen Schaden vermutet werden, wenn eine Schädigung im vollbeherrschbaren Gefahrenbereich auftritt (vgl. BGH vom 24.01.1995, Az. VI ZR 60/94). Dokumentiert der Behandler eine Maßnahme nicht, wird vermutet, dass diese Maßnahme nicht erfolgt ist (vgl. BGH vom 03.02.1987, Az. VI ZR 56/86). Lässt sich ein grober Behandlungsfehler feststellen und ist dieser grundsätzlich geeignet gewesen, den vorliegenden Schaden herbeizuführen, so wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für den Eintritt des Schadens auch ursächlich war (vgl. BGH vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03).

Diese weitreichenden und den Patienten zugute kommenden Beweiserleichterungen werden nunmehr ins Gesetz übernommen.

Der Gesetzesentwurf berücksichtigt, dass derjenige, der einen Schadensersatzanspruch geltend macht, die für ihn günstigen Voraussetzungen darlegen und beweisen muss, insbesondere die Pflichtverletzung, den Schaden und dass die Pflichtverletzung für den Schaden ursächlich war. Da es einem Patienten regelmäßig schwer fällt, mangels Einblick in die Behandlungsabläufe einen Fehler nachzuweisen sowie den Nachweis der Ursächlichkeit zu erbringen, hat die Rechtsprechung dem Patienten bisher Hilfestellung geleistet. Diesen Schwierigkeiten soll nun das Gesetz selbst gerecht werden.

Praxishinweis:

Der Gesetzesentwurf bringt im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung inhaltlich keine Neuerungen mit sich; die Rechtssicherheit wird jedoch gestärkt. Mit Einführung des Gesetzes ist zu erwarten, dass die Bereitschaft der Behandler steigt, ordnungsgemäß aufzuklären und zu dokumentieren — auch wenn das ärztliche Berufsrecht hierzu schon Regelungen bereithält. Gleichzeitig steigt die Kenntnis der Patienten von ihren eigenen Rechten.

Klarheit wird auch im Bereich der Herausgabe von Patientenunterlagen geschaffen. Das Einsichtnahmerecht gils Schadens befasste Versicherungen, kann aber weiterhin an diese vom Patienten oder den Erben abgetreten werden.

Es bleibt abzuwarten, ob der Entwurf im Gesetzgebungsverfahren noch weitergehende Änderungen erfahren wird. Insbesondere Patientenorganisationen, Verbraucherschützer und Krankenkassen hatten sich auch inhaltliche Verbesserungen der Patientenrechte vom Gesetzgeber gewünscht und hoffen nun auf Nachbesserung. Sie hatten zum Teil gefordert, im Bereich der Arzthaftung eine vollständige Beweislastumkehr niederzuschreiben, die dem Arzt auferlegt, zu beweisen, dass er ordnungsgemäß behandelt hat.

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