OLG Stuttgart, Urteil vom 25.03.2024 – 10 U 13/23
§§ 195, 199, 242, 307 Abs. 1, 640 BGB
Sachverhalt
Ein Bauträger (B) schließt Ende der 1990er Jahre Bauträgerverträge über die Sanierung eines Mehrfamilienhauses ab. In den AGB ist eine Abnahmeklausel enthalten, nach der die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch drei aus der Mitte der Erwerber zu wählenden Vertreter erfolgt. Die „Abnahmen‟ auf Grundlage dieser Klausel erfolgen bis in das Jahr 2001 hinein. Nach einem entsprechenden Beschluss leitet die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) im Jahr 2018 ein Beweisverfahren wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum gegen B ein. Anschließend klagt sie einen Kostenvorschuss von 292.000 Euro ein.
Das LG Stuttgart gibt der Klage vollumfänglich statt. B legt Berufung ein und erhebt die Einrede der Verjährung.
Entscheidung
Die Berufung hat Erfolg. Das OLG Stuttgart sieht die Abnahmeklausel als unwirksam an. Die Klausel verstoße gegen das originäre Erwerberrecht, nach dem jedem einzelnen Erwerber die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, über die Abnahme des Gemeinschaftseigentums selbst zu entscheiden. Daher stelle die Klausel eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB dar.
Da die Klausel unwirksam sei, wirke die Abnahme allenfalls für die drei Erwerber, die die Abnahme erklärten; im Hinblick auf alle übrigen Erwerber liege keine Vertretungsmacht und damit keine wirksame Abnahme vor. Auch eine konkludente Abnahme durch Ingebrauchnahme oder Zahlung des Kaufpreises scheide aus. Einer solchen stehe entgegen, dass alle Parteien (fälschlicherweise) davon ausgegangen seien, die Abnahme sei bereits aufgrund der Klausel wirksam erklärt worden. In den Handlungen sei folglich kein Abnahmewille zu sehen, so dass es in Bezug auf die übrigen Erwerber an einer Abnahme fehle.
Zugunsten der WEG sei aber nach Treu und Glauben die Abnahme zu unterstellen. Der B als Verwender der unwirksamen Klausel könne sich nicht darauf berufen, der Vertrag befinde sich mangels Abnahme noch im Erfüllungsstadium und es bestünden daher noch keine Mängelansprüche. Denn wer eine Klausel verwende und damit den Eindruck erwecke, dass das Erfüllungsstadium wegen erfolgter Abnahme beendet sei, müsse nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Nachteil tragen, dass er trotz fehlender Abnahme mit den Mängeln konfrontiert werde. Die WEG könne also für die übrigen Erwerber bereits Mängelrechte geltend machen.
Die aus Treu und Glauben abgeleitete „unterstellte Abnahme‟ dürfe nach dem OLG Stuttgart jedoch nicht zu einer faktischen Unverjährbarkeit von Mängelansprüchen führen, was der Fall wäre, wenn der B die Abnahme nicht mehr verlangen kann, weil die Herstellung des geschuldeten neuen Zustands nur mit einem unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, und der B damit eine zeitliche Begrenzung der Mängelansprüche nach den §§ 634 ff. BGB nicht mehr herbeiführen kann. Treu und Glauben (Abwägung der Interessen aller) geböten es daher, den rechtlichen Rahmen des BGB nicht zu überschreiten.
Zur Schließung der durch die Unwirksamkeit der Klausel entstehenden Lücke betreffend den Haftungszeitraum des B stellt das OLG Stuttgart einerseits auf die tatsächliche Verjährung des Erfüllungsanspruchs und andererseits auf den Zeitpunkt ab, in dem auch ein Gewährleistungsanspruch auf Grundlage der „unterstellten Abnahme“ und eines arglistigen Verschweigens eines Mangels verjährt wäre. Im Falle des arglistigen Verschweigens des B hätte die Verjährungsfrist für Mängelansprüche spätestens nach zehn Jahren begonnen und gem. § 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BGB fünf Jahre später geendet.
Deshalb war für das OLG Stuttgart nach 15 Jahren – 10 Jahre Absolutverjährung zuzüglich fünf Jahre Mängelverjährung – Schluss.
Dadurch, dass die erste verjährungshemmende Maßnahme i. S. d. § 204 BGB i. V. m. § 167 ZPO in Form der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens erst am 18.04.2018 und damit nach Ablauf der 15 Jahre erfolgt ist, beruft sich der B mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung.
Praxishinweis
Die Folge einer unwirksamen Abnahmeklausel ist, dass sich die Erwerbsverträge mangels Abnahme noch im Erfüllungsstadium befinden, die Erwerber aber nach Treu und Glauben bereits Mängelrechte geltend machen dürfen und die Mängelverjährung noch nicht begonnen hat. Das OLG Stuttgart sieht zugunsten der Bauträger eine absolute Verjährungsgrenze für Mängelansprüche gegenüber dem Bauträger.
Ob der BGH dies auch so sieht und die „Haftungsbegrenzung‟ auch europarechtlich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Laut bisheriger EuGH-Rechtsprechung darf ein nationales Gericht nur ausnahmsweise eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive nationale Vorschrift ersetzen. Voraussetzung sei, dass die Streichung der Klausel zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags führen würde und dies für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte. (EuGH, Urteil vom 08.09.2022 – C – 776/19).
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