Drittschutz einer Amtspflicht

Bernhard GurgesBernhard Gurges

BGH im Urteil vom 26.04.2018, Az. III ZR 367/16

Leitsatz:
Eine dem Vertragspartner des von einer Amtspflicht primär Geschützten (hier dem von dem Eigentümer beauftragten Generalunternehmer eines Bauvorhabens) gegebene Auskunft ist jedenfalls dann im Interesse des Auskunftsempfängers erteilt, wenn sich – ähnlich der Situation der Drittschadensliquidation – das (wirtschaftliche) Risiko der Falschauskunft vollständig auf ihn verlagert hat, während dem vorrangig geschützten Betroffenen der entsprechende Schaden nicht entsteht.

Sachverhalt:
Die Klägerin ist Generalbauunternehmerin. Sie wurde von der Bauherrin mit der Durchführung eines Bauvorhabens beauftragt. Von der zuständigen Baubehörde wurde eine Baugenehmigung erteilt, die unter Nummer 7 folgende Auflage vorsah:

„Bis zur Schlussabnahme bzw. Ingebrauchnahme der baulichen Anlage
ist der Bauaufsicht eine Bescheinigung des zuständigen Bezirksschorn-
steinfegermeisters über die sichere Benutzbarkeit der Feuerungsanlage
vorzulegen.
Zuständig ist Herr Bezirksschornsteinfeger D.
[der Beklagte],
(…).‟

Der beklagte Bezirksschornsteinfeger war in der Bauphase vor Ort, führte eine Abstandsmessung durch und gab „grünes Licht“ für die geplante Ausführung, wodurch er in Aussicht stellte, die erforderliche Bescheinigung nach Ziffer 7 der Baugenehmigung auszustellen.

Entscheidungsgründe

  1. Der Bezirksschornsteinfeger als Beliehener
    Die Beleihung des (niedersächsischen) Bezirksschornsteinfegermeisters (des „Bezirksbevollmächtigten‟) mit – anderenfalls durch eine Behörde
    vorzunehmenden – „klassischen‟ Kontrollaufgaben ist auch trotz der Einschränkung des Aufgabenbereiches unberührt geblieben .
    Der Bezirksschornsteinfeger ist trotz der vorgenommenen Einschränkung der hoheitlichen Aufgabenbereiche also weiterhin mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben beliehen. Hierzu gehören neben der Ausstellung von Bescheinigungen zu Bauabnahmen nach Landesrecht und der Feuerstättenschau ausdrücklich auch Tätigkeiten, die aus Gründen der Betriebs- und Brandsicherheit sowie des Umwelt- und Klimaschutzes dem Bezirksbevollmächtigten als Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben vorbehalten geblieben sind.
  2. Die konkrete öffentlich-rechtliche Tätigkeit
    Der (niedersächsische) Bezirksschornsteinfeger wird innerhalb des öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereichs und nicht privatrechtlich tätig, wenn er Messungen zur Ausstellung von Bescheinigungen über die Tauglichkeit und sichere Benutzbarkeit von Abgasanlagen durchführt. Denn gemäß § 40 Abs. 6 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) dürfen Feuerungsanlagen […] erst in Betrieb genommen werden, wenn der Bezirksschornsteinfegermeister […] ihre sichere Benutzbarkeit sowie die Tauglichkeit und sichere Benutzbarkeit der zugehörigen Schornsteine […] geprüft und bescheinigt hat.
    Die vorbereitende Beratung nebst der dabei erteilten Auskunft über den vorschriftsgerechten Standort des Schornsteins stand mit der – erwarteten – nachfolgenden Bescheinigung zur Inbetriebnahme in einer unmittelbaren Wechselbeziehung. Die Auskunft über die geeignete Ausführung und den zulässigen Standort des Schornsteins diente ersichtlich dazu, beim Bau die Anforderungen öffentlich-rechtlicher Regelungen
    einzuhalten, die erforderliche Bescheinigung zur Inbetriebnahme zu erhalten und künftige Beanstandungen bei der Sicherheitsprüfung zu vermeiden.
    Die Auskunft und die nachfolgende Abnahme stellen einen einheitlichen Vorgang dar, der nicht künstlich in teils hoheitliche, teils bürgerlich-rechtliche Akte aufgespalten werden kann.
  3. Allgemeine Pflichten bei Auskunft durch Ämter
    Auskünfte, die ein Amtsträger erteilt, müssen dem Stand seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend sachgerecht, das heißt vollständig, richtig und unmissverständlich sein, so dass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann.
    Für die Frage, ob die Auskunft den zu stellenden Anforderungen genügt, kommt es entscheidend darauf an, wie sie vom Empfänger aufgefasst wird und werden kann und welche Vorstellungen zu erwecken sie geeignet ist. Dabei hängt der Umfang der Auskunftspflicht auch vom Inhalt der Frage ab, die der Auskunftssuchende an die Behörde richtet. Eine amtliche Auskunft ist selbst dann richtig, klar, unmissverständlich und vollständig zu erteilen, wenn keine Pflicht zu ihrer Erteilung besteht oder der Beamte fachlich dafür nicht ausgebildet oder befugt ist.
  4. Von Amtspflicht geschützte Personen
    Die Amtspflicht kann nicht nur gegenüber der Person bestehen, die die Information anfordert, sondern auch gegenüber demjenigen – vorliegend dem Generalbauunternehmer – , der wirtschaftlich die Risiken der Rechtmäßigkeit bzw. Richtigkeit der Amtspflicht trägt.
    Das folgt aus der Drittgerichtetheit der Amtspflicht, die sowohl haftungsbegründende als auch begrenzende Funktionen hat. Begründend ist sie, soweit klargestellt wird, gegenüber welchem Geschädigten die Verantwortlichkeit des Staates eintritt, begrenzend, soweit anderen Personen, die nicht zum Kreis der Dritten zählen, ein Anspruch auch dann zu versagen bleibt, wenn sich das pflichtwidrige Handeln des Amtsträgers für sie nachteilig ausgewirkt hat.
    Ob der Geschädigte geschützter Dritter ist, bestimmt sich danach, ob die Amtspflicht zumindest neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke auch den Sinn hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts muss sich ergeben, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen; darüber hinaus kommt es darauf an, ob in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Hierfür ist die unmittelbare Beteiligung am Amtsgeschäft ebenso wenig notwendige Voraussetzung wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen auf die in Rede stehende Amtshandlung.
    Allerdings genügt es nicht allein, dass sich die Verletzung der Amtspflicht für den Geschädigten nachteilig ausgewirkt hat. Da eine Person, der
    gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als Dritter anzusehen sein muss, ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll
    Die Amtspflicht zu richtiger Auskunft besteht gegenüber jedem Dritten, in dessen Interesse oder auf dessen Antrag sie erteilt wird. „Dritter“ ist regelmäßig nicht derjenige, der nur aufgrund besonderer rechtsgeschäftlicher Abmachungen mit dem unmittelbar Verletzten von Nachwirkungen der Amtshandlung betroffen wird. Amtspflichten bestehen weiter nicht in Bezug auf Vertragspartner, denen gegenüber sich der Betroffene auf die Amtshandlung berufen hat.
  5. Amtspflicht schützt Generalunternehmer
    Die Auskunft des Bezirksschornsteinfegers ist vorliegend (jedenfalls auch) im Interesse der Generalunternehmerin erteilt worden, die daher als Dritte anzusehen ist. Denn aus den Bestimmungen des Schornsteinfegerhandwerksgesetzes und den
    dort in Bezug genommenen weiteren Vorschriften folgt nichts anderes, ebenso wenig aus ihrer Stellung als Generalunternehmerin.
    Zwar liegen die streitgegenständlichen Normen insbesondere im allgemeinen Interesse und im Interesse von Eigentümern und Nachbarn.
    Eine der Generalunternehmerin gegebene Auskunft ist jedenfalls dann im Interesse des Auskunftsempfängers erteilt, wenn sich das (wirtschaftliche) Risiko der Falschauskunft vollständig auf sie verlagert hat, während dem Grundstückseigentümer ein Schaden nicht entsteht.
    Dies war vorliegend der Fall, weil die Eigentümerin das mangelhaft erstellte Werk nicht abnehmen musste, bis der Mangel beseitigt war. Denn der Werkunternehmer schuldet die Errichtung eines abnahmefähigen Bauwerks, das frei von Sachmängeln istAlso trug die Generalunternehmerin die (alleinige) Verantwortung, für einen den Anforderungen der Feuerstättenschau entsprechenden Schornstein zu sorgen. Darüber hinaus oblag der Generalunternehmerin, die vorliegend auch als Bauleiterin tätig war, die Pflicht, darüber zu wachen, dass die Baumaßnahme entsprechend den öffentlich-rechtlichen Anforderungen durchgeführt wird, weswegen die Auskunft des Schornsteinfegers auch dazu diente, der Generalunternehmerin diese Pflichterfüllung zu ermöglichen.Deshalb liegt keine nur zufällige Benachteiligung der Generalunternehmerin vor.

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Rechtsschutzpflicht begründet keinen Anwaltsvertrag

Bernhard GurgesBernhard Gurges

BGH, Urteil vom 10. Januar 2019, Az. IX ZR 89/18

amtlicher Leitsatz:
Ob ein Rechtsanwalt einen haftpflichtigen Versicherten in dessen Auftrag oder im Auftrag des Haftpflichtversicherers vertritt, hängt von den Umständen des Falles ab. Allein die Befugnis und die Verpflichtung des Versicherers, dem Versicherten durch Bestellung eines Rechtsanwalts Rechtsschutz zu gewähren, macht ihn nicht zum Vertragspartner des Rechtsanwalts.

Tatbestand:
Streitig ist, ob ein Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch für durchgeführte Tätigkeit gegenüber einem Haftpflichtversicherer hat. Der Anwalt vertritt die Ansicht, diesen unmittelbar aus dem Anwaltsvertrag herleiten zu können, weil der Vertrag zwischen Versicherer und Anwalt zustande gekommen sei und nicht zwischen dem Anwalt und den Versicherten. Hilfsweise verfolgt er Ansprüche aus abgetretenem Recht.

Dem Rechtsanwalt wurde zunächst in einem baurechtlichen selbständigen Beweisverfahren ein Mandat für drei getrennte GbR erteilt, nachdem diesen der Streit von der Antragstellerin verkündet worden war. Die Antragstellerin führte das selbständige Beweisverfahren gegen die mit der Bauausführung beauftragte Firma. Weil aber die drei Streitverkündeten wegen jeweils eigenständiger Pflichtverletzungen den vermeintlichen Baumangel zu vertreten haben konnten, wurde ihnen der Streit verkündet.

Nachdem die Streitverkündeten den Anwalt beauftragt hatten und mit dem Anwalt eine Honorarvereinbarung geschlossen hatten, unterrichteten sie ihren Versicherungsmakler, dass das Mandat zunächst ausgesetzt sei, und empfahlen über den Makler dem Versicherer, den Anwalt zu beauftragen.
In den Versicherungsbedingungen heißt es:

„Kommt es zum Prozess über den Haftpflichtanspruch, so hat der Versicherungsnehmer die Prozessführung den Versicherern zu überlassen, dem von den Versicherern bestellten oder bezeichneten Anwalt Vollmacht und alle von diesem oder den Versicherern für nötig erachteten Aufklärungen zu geben.‟

Sodann gab es ein Telefonat zwischen dem Anwalt und dem Versicherer sowie ein anschließendes Schreiben des Anwalts. Darin warb der Rachtsanwalt beim Versicherer um die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats. Der Versicherer erklärte über den Makler nach dem Erhalt des Schriebens des Anwalts:

„…bestätigen wir gern, dass wir im vertraglichen Umfang Rechtsschutz für das Beweisverfahren gewähren. Wie besprochen, sind wir auch damit einverstanden, dass sich die IB. und die … (IP. ) … vorsorglich durch Rechtsanwalt L. in dem Beweisverfahren vertreten lassen, wenn wir von Herrn Rechtsanwalt L. über den Fortgang des Verfahrens unterrichtet gehalten werden und das Vorgehen auch mit uns abgestimmt wird.‟

Der Anwalt stellte dem Versicherer eine Vorschussrechnung, die vollständig beglichen wurde. Später stellte der Anwalt eine weitere Rechnung, die teilweise von dem Versicherer bezahlt wurde.
Die Versicherten traten ihre Ansprüche gegen den Versicherer an den Anwalt ab.

Das selbständige Beweisverfahren endete. Der Anwalt rechnete gegenüber dem Versicherer weitere Gebühren ab. Der Versicherer lehnte eine weitere Leistung ab.
Die Klage des Anwaltes gegen den Versicherer auf Zahlung seiner Gebühren aus eigenem Recht, hilfsweise aus abgetretenem Recht, blieb in den Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Der BGH bestätigte die Entscheidungen. Der Anwalt konnte gegen den Versicherer keinen Honoraranspruch durchsetzen.

  1. Kein Anspruch aus einem Anwaltsvertrag zwischen Anwalt und Versicherer
    Die Instanzgerichte haben die Ansicht vertreten, dass kein Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und dem Versicherer geschlossen wurde.
    Die Bewertung, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wurde, obliegt dem Tatrichter. Die Revision kann nur überprüfen, ob bei der Erarbeitung des tatrichterlichen Ergebnisses Auslegungsfehler eingeflossen sind bzw. maßgebliche Umstände unberücksichtigt gelassen wurden.
    Der BGH konnte keine Auslegungsfehler der Instanzen erkennen. Denn diese hatten berücksichtigt, dass ein Anwaltsvertrag auch durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden kann, wobei an das Zustandekommen eines Anwaltsvertrages durch schlüssiges Verhalten aber zur Rechtssicherheit hohe Anforderungen zu stellen sind. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte die Kostenzusage des Versicherers für das Beweisverfahren unter Berücksichtigung des Anwaltsschreibens und des Telefonats vom Vortag ausgelegt haben. In dem Schreiben habe der Anwalt für die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats geworben, welches von den Versicherten an den Anwalt herangetragen worden war. Die Auslegung der Instanzen, dass der Versicherer Deckung für das Anwaltsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und den Versicherten bestätigte, sei revisionsrechtlich nicht angreifbar. Im Übrigen habe auch der Versicherungsmakler die Erklärung des Versicherers augenscheinlich so verstanden.
    Dem Ergebnis widerspricht insbesondere nicht, dass der Versicherer Rechnungen des Anwalts beglich. Denn Zahlungen des Haftpflichtversicherers an den Rechtsanwalt, der die Interessen des Versicherungsnehmers gegenüber einem Geschädigten vertritt, stellen sich regelmäßig auch für den Rechtsanwalt als Leistungen auf der Grundlage der versicherungsvertraglichen Pflicht des Versicherers zur Tragung solcher Kosten dar. Denn die Abwehr unberechtigter Ansprüche ist eine Hauptleistungspflicht des Versicherers und umfasst die Führung des Haftpflichtprozesses auf seine Kosten einschließlich der Auswahl und Beauftragung des Anwalts.
    Allein aus der versicherungsvertraglichen Hauptleisungspflicht zur Anwaltsbestellung könne jedoch nicht auf deren Einhaltung geschlossen werden. Ob ein eigener Auftrag des Versicherers gegenüber dem Rechtsanwalt vorliegt, ist nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen. Dabei habe das Berufungsgericht mit Recht auch der Bestimmung in dem Versicherungsvertrag keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, wonach der Versicherer die Prozessführung überlassen bleibe. Diese Bestimmung beinhalte aber lediglich eine Obliegenheit der Versicherungsnehmer, lasse aber keinen Schluss darauf zu, dass der Versicherer Vertragspartner werden wolle.
  2. Kein Anspruch aus § 150 VVG a.F. / § 101 VVG n.F.
    Die Pflicht des Versicherers, die Kosten der Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers zu tragen, begründet einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Freistellung oder Zahlung, aber keinen unmittelbaren Direktanspruch des Rechtsanwalts gegen den Versicherer.
  3. Kein Anspruch aus abgetretenem Recht
    Aus abgetretenem Recht der Versicherten stand dem Anwalt auch kein Anspruch gegen den Versicherer zu. Denn die Versicherten waren gegenüber dem Anwalt nicht verpflichtet, so dass der Versicherer auch keine Freistellung schuldete. Die Versicherten konnten dem Anwalt also keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abtreten.

    1. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Rechtsverfolgungskosten
      Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keine Bezahlung von Honorar für seine anwaltliche Tätigkeit. Denn der Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und den Versicherten war nichtig. Denn der Anwalt hat gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen, indem er die drei Versicherten und damit widerstreitende Interessen vertrat.
      § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) konkretisiert das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war. Die Regelung in § 43a Abs. 4 BRAO verbietet es dem Rechtsanwalt allerdings nicht schlechthin, in derselben Rechtssache mehrere Mandanten zu vertreten. Zulässig ist die Vertretung mehrerer Mandanten, wenn das Mandat auf die Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen der Mandanten begrenzt ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn mehrere Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden und ihr gemeinsames Interesse im konkreten Verfahren ausschließlich auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist. Die bloße (latente) Möglichkeit, dass später bei einem Ausgleich unter den Gesamtschuldnern unterschiedliche Interessen zutage treten, steht dem nicht entgegen. Die Vertretung mehrerer Mandanten ist dem Rechtsanwalt daher nur verboten, wenn dabei nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt. Ein solcher Interessenkonflikt war im Streitfall, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei Übernahme des Mandats durch den Anwalt gegeben. Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens, in dem den Versicherten der Streit verkündet wurde, war ein vermeintlicher Baumangel. Der beauftragte Sachverständige sollte nicht nur das Schadensbild festhalten, sondern auch Feststellungen zu den Ursachen des Schadensbildes treffen. Die Antragstellerin begründete die Streitverkündungen gegenüber den Planungsgemeinschaften damit, dass als Schadensursache neben Ausführungsfehlern der Antragsgegner auch Handlungen der Fachplaner und Ingenieure in Betracht kämen. Weil das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens in einem späteren Hauptsacheverfahren verwertet werden konnte, musste den Streitverkündeten daran gelegen sein, möglichen Feststellungen zu eigenen Verursachungsbeiträgen bereits jetzt entgegenzuwirken. Die jeweiligen Interessen der Streitverkündeten waren dabei nicht gleichgerichtet. Im Interesse der mit der Entwurfsplanung und der Prüfung von Sondervorschlägen der Bieter beauftragten streitverkündeten GbR lag es, dass der Schaden nicht durch Fehler aus ihrem Bereich verursacht wurde, sondern durch Fehler bei der Ausführungsplanung, die von den Antragsgegnern zu erstellen und von der weiteren Streitverkündeten zu prüfen war, oder durch Fehler bei der Bauausführung durch die Antragsgegner und damit möglicherweise auch durch Fehler der weiteren Streitverkündeten im Rahmen der von ihr geschuldeten Bauüberwachung. Auch die anderen Streitverkündeten hatten konträre Interessen.
      Ein Interessenwiderstreit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherten bei demselben Versicherer versichert sind. Denn ob widerstreitende Interessen vertreten werden, hängt von den Interessen der Mandanten ab und nicht von dem Interesse des hinter ihnen stehenden Versicherers. Weil der Tatbestand der Verbotsnorm objektiv erfüllt ist und ein Verschulden des Rechtsanwalts nicht erforderlich ist, war der Anwaltsvertrag nichtig, § 134 BGB. Auf die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags durfte sich der Versicherer auch berufen. Zwar könne Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Aber der Versicherer hat die gemeinsame Vertretung der Streitverkündeten nicht gewünscht oder gar bestimmt, sondern ihr lediglich zugestimmt.
    2. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Vergütungsansprüchen aus GoA
      Weil die Tätigkeit des Anwalts gesetzwidrig war und der Anwalt sie deshalb nicht den Umständen nach für erforderlich halten durfte, schuldeten die Versicherten dem Anwalt auch keine Vergütung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Sie hatten deshalb auch diesbezüglich keinen Anspruch gegen den Versicherer, den sie hätten abtreten können.
    3. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Verpflichtungen nach Bereicherungsrecht
      Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keinen Ausgleich nach Bereicherungsrecht. Zwar kommt ein Anspruch auf Wertersatz nach § 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 BGB bei Leistungen auf einen nach § 134 BGB nichtigen Anwaltsvertrag grundsätzlich in Betracht. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach der üblichen, vom Vertragspartner ersparten Vergütung. Dem Wertersatzanspruch steht aber vorliegend die Regelung des § 817 Satz 2 BGB entgegen. Denn der Leistende (Anwalt) hat sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen. Der Anwalt kannte das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO sowie alle Umstände, die das Tätigkeitsverbot in diesem Fall begründeten. Aus diesen Feststellungen muss sich der Anwalt zumindest leichtfertig der Einsicht in das Gesetzwidrige seiner Tätigkeit verschlossen haben. Die Anwendung von § 817 Satz 2 BGB ist nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen. Denn das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, richtet sich an den Rechtsanwalt. Es dient nicht nur dem Schutz des Mandanten, sondern auch Interessen der Rechtspflege. Der (auch) generalpräventive Schutzzweck wäre gefährdet, wenn ein Rechtsanwalt stets damit rechnen könnte, trotz seines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz einen an den gesetzlichen Gebühren orientierten Wertausgleich zu erhalten.

Anmerkung:
Auch wenn der Anwaltsvertrag nichtig war, waren die Prozesshandlungen wirksam. Denn die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages schlägt nicht auf die Vollmacht durch, vgl. BGH im Urteil vom 14.05.2009, Az. IX ZR 60/08

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Bei Schwarzarbeit kein Versicherungsschutz

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 23.5.2011 — Aktenzeichen: 16 U 141/10

Leitsatz
Der Privathaftpflichtversicherer braucht seinem Versicherungsnehmer keinen Versicherungsschutz zu gewähren, wenn dieser „schwarz“ arbeitet. Verlegt und verschweißt ein angestellter Dachdeckergeselle Dachpappe an einem Gebäude und gerät dieses in Brand, ist der Versicherer nicht eintrittspflichtig, wenn es sich nicht lediglich um eine Gefälligkeit handelt, z. B. nachbarschaftliche Hilfe.

Sachverhalt
Ein angesteller Dachdeckergeselle unterhält eine Privathaftpflichtversicherung. In seiner Freizeit verlegte und verschweißte der Versicherungsnehmer Dachpappe an einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Gebäudeeigentümer und Dachdecker kannten sich. Beim Verschweißen der Dachpappe geriet das Haus in Brand, weil sich altes und trockenes Stroh entzündet hatte, das zur Wärmedämmung unter den Eternit-Dachplatten lag. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von mehreren 100.000,00 Euro.

Der Dachdecker nahm seinen Haftpflichtversicherer aus der Privathaftpflichtversicherung in Anspruch. Das Landgericht gab dem Dachdecker recht. Das Schleswig-Holsteinische OLG hob das Urteil auf und wies die Klage ab.

Entscheidung
Das Schleswig-Holsteinische OLG war der Auffassung, dass der Ausschlusstatbestand nach den Versicherungsbedingungen erfüllt ist, wonach die Gefahren u.a. eines Berufes vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Der Kläger sei hier im Kernbereich seiner beruflichen Ausbildung und Tätigkeit tätig geworden. Er sei ausgebildeter Dachdecker, angestellt bei einem Dachdeckerbetrieb, habe mit professionellem Dachdeckerwerkzeug unter Heranziehung des ihm auch sonst zugeordneten Auszubildenden Dachdeckerarbeiten ausgeführt. Zwar seien vom Versicherungsschutz in der Privathaftpflichtversicherung erfaßt Gefälligkeits- und Gelegenheitsarbeiten, wenn sie zwar zum Beruf des Versicherten gehörten, aber nicht zum Zweck des Erwerbs ausgeführt würden.

Vorliegend fehle es aber an derartigen, die Privatheit des Handelns begründenden Momenten.

Es fehle bereits an einem Nachbarschafts- oder Freundschaftsverhältnis zwischen dem Dachdecker und Gebäudeeigentümer. Es könne dahinstehen, ob der Dachdecker den Gebäudeeigentümer vom Sehen her kannte oder nicht. Unstreitig sei es zu den Arbeiten dadurch gekommen, dass der Gebäudeeigentümer sich an den Geschäftsführer des Dachdeckerunternehmens gewandt habe wegen Arbeiten an einem neu zu errichtenden Anbaues, die zu machen seien, „aber nicht über eine Dachdeckerfirma“. Der Inhaber des Dachdeckerbetriebs auf seinen Mitarbeiter verwiesen, der zum Gebäudeeigentümer gefahren sei, um die Ausführung der Arbeiten zu planen und zu vereinbaren. Eine solche Anbahnung und Gestaltung habe mit nachbarschaftlicher Hilfe nichts zu tun. Im Vordergrund stände vielmehr die Nachfrage nach professioneller Arbeit außerhalb eines regulären (betriebsbezogenen) Auftragszusammenhangs, also nach einer umsatzsteuerfreien Leistung, im allgemeinem Sprachgebauch: nach Schwarzarbeit.

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Ende der Privilegierung der VOB/B bei Verbraucherverträgen

OLG Hamm, Urteil vom 20.12.2004 — Aktenzeichen: 22 U 41/04

Zum Sachverhalt
Die Parteien stritten über Schadensersatzansprüche der Käufer eines Wohnhauses. Vor Vertragsschluss erfolgten mehrere Besichtigungen. Hinweise auf Feuchtigkeit im Kellerbereich gaben die Beklagten nicht. Tatsächlich waren die Kellerwände teilweise feucht. Der Feuchtigkeitsbefall stieg von den Böden und den Sockeln in die Wände auf. Die Kläger (= Käufer) behaupteten, den Beklagten (= Verkäufer) seien die Feuchtigkeitserscheinungen bekannt gewesen. Die Beklagten haben sich der Klage mit der Begründung entgegengestellt, dass zwar teilweise Feuchtigkeitsspuren feststellbar gewesen seien, diese Feuchtigkeitsspuren seien einer Besichtigung jedoch ohne weiteres zugänglich gewesen. Mängel seien nicht kaschiert worden. Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 41.000,00 € zuzüglich Zinsen verurteilt, die von uns vertretenen Beklagten haben in der Berufungsinstanz eine Abänderung erreicht. Der 22. Zivilsenat des OLG Hamm hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Zur Begründung
Der Senat hat ausgeführt, dass ein Schadensersatzanspruch nicht bestehe.

Zwar liege ein Sachmangel vor, auch hat der Senat unterstellt, dass die Feuchtigkeit bei Abschluss des Kaufvertrages bereits vorlag. Dennoch hat der 22. Zivilsenat eine Verletzung der Aufklärungspflicht nicht gesehen. Der Senat hat insoweit differenziert. Soweit es um die Durchfeuchtungen im Sockelbereich gegangen sei, habe eine Aufklärungspflicht nicht bestanden. Dass die Beklagten von weiteren Durchfeuchtungen Kenntnis gehabt hätten, hätten die Kläger nicht bewiesen.

Ausgegangen ist der Senat von der Eigenverantwortlichkeit jeder Partei. Eine Aufklärungspflicht besteht nur dann, wenn der andere Teil (hier: Käufer) nach Treu und

Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten darf. Eine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Vertragsteils von Bedeutung sein könnten, besteht nicht. Bei Verkauf eines Hausgrundstücks bedeutet dies, dass eine Pflicht zur Offenbarung regelmässig nur wegen verborgener, nicht unerheblicher Mängel oder solcher nicht erkennbarer Umstände anzunehmen ist, die nach der Erfahrung auf das Entstehen bestimmter Mängel schliessen lassen. Dagegen kann ein Käufer Aufklärung über solche Mängel, die einer Besichtigung zugänglich oder ohne weiteres erkennbar sind, nicht erwarten, weil er solche Mängel bei der im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst wahrnehmen kann.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat ausgeführt, dass die Kläger gerade deshalb nicht hätten aufgeklärt werden müssen, weil sie die Feuchtigkeit an den Wänden und Böden des Kellers bei der Besichtigung hätten erkennen können.

Da es noch um weitere Feuchtigkeitserscheinungen ausserhalb des Sockelbereiches ging, hat der Senat weiter ausgeführt, dass bezüglich der sonstigen Feuchtigkeit nicht bewiesen sei, dass die Beklagten Kenntnis hiervon gehabt hätten und aus diesem Grunde arglistig gehandelt hätten. Arglistig handelt nur, wer einen Fehler der Kaufsache kennt oder zumindest für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.

Praxistipp
Das obige Urteil zeigt die sorgfältige Abwägung und Abgrenzung der Käuferinteressen von den Verkäuferinteressen. Das Urteil beschäftigt sich mit dem typischen Fall, dass Feuchtigkeit im Kellerbereich auftritt. Die obige Entscheidung ist wichtig für all jene Fälle, bei denen „das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Besser ist es, bei erkennbaren Feuchtigkeitsmängeln diese unter örtlicher Bezeichnung ganz klar als Feuchtigkeitsstellen im notariellen Kaufvertrag zu erwähnen. Alternativ kommt eine gesonderte Erklärung gleichen Inhalts in Betracht, die vom zukünftigen Käufer zu unterzeichnen ist. Mit einer derartigen Erklärung sichert sich der Verkatte von der Existenz der Feuchtigkeitsstellen.

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„Kavalierstart“ ist grob fahrlässig und führt zur Leistungsfreiheit in der Kaskoversicherung

OLG Hamm, Urteil vom 10.8.2007 — Aktenzeichen: 20 U 218/06

Der für Versicherungsfragen zuständige 20. Zivilsenat des OLG Hamm hat durch Urteil vom 10. August 2007 die auf Leistungen aus einer Vollkaskoversicherung gerichtete Klage einer Versicherungsnehmerin wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls, § 61 VVG, abgewiesen, weil der Ehemann der Kläger den Schadenfall durch einen „Kavalierstart“ verursacht habe und sich dies in der konkreten Situation als objektiv und subjektiv grob fahrlässig darstelle.

Die Klägerin hatte bei der beklagten Versicherung einen PKW Nissan, Typ Z 350, vollkaskoversichert. Das Fahrezug nutzte der Ehemann der Klägerin, der auch die laufenden Kosten trug, ständig. Am Schadenstag stand der Ehemann der Klägerin mit dem PKW zunächst vor einer roten Ampel an einem großräumigen Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich. Er wollte nach links abbiegen. Für Linksabbieger gab es zwei Richtungsfahrbahnen. Der Ehemann der Klägerin stand auf der linken dieser beiden Fahrspuren. Rechts daneben stand ein weiterer Sportwagen der Marke Corvette. Als die Ampel auf grün umsprang, beschleunigte der Ehemann der Klägerin massiv und verlor sodann in der zu durchfahrenden Linkskurve die Kontrolle über das Fahrzeug. Dieses schleuderte und wurde erheblich infolge eines Leitplankenkontakts beschädigt. Andere Fahrzeuge erlitten keine Schäden.

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung zunächst klargestellt, dass die klagende Versicherungsnehmerin sich das Verschulden ihres Ehemanns nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung zurechnen lassen müsse. Die Klägerin habe ihm das Fahrzeug zur eigenverantwortlichen Benutzung ständig überlassen, weil der Ehemann den PKW ständig gefahren und auch die laufenden Kosten eigenständig getragen habe. Dies reiche zur Annahme einer Repräsentantenstellung (vgl. BGH VersR 1996, 1929; OLG Hamm VersR 1995, 1086; Prölls/Martin, VVG, 27. Auflage, § 6 VVG, Rdn. 58).

Der nach der Beweisaufnahme feststehende „Kavalierstart“ des Ehemanns der Klägerin führe zur Leistungsfreiheit der beklagten Versicherung gem. § 61 VVG.

Das Fahrverhalten stelle nämlich ein auch subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten dar, dass ein gewöhnliches Maß erheblich übersteige. Die beklagte Versicherung habe den ihr dazu obliegenden Beweis erbracht.

Objektiv stehe aufgrund der Aussage des vom OLG Hamm im Berufungsverfahren vernommenen Zeugen B, vor dessen Augen sich der Unfall ereignet habe, fest, dass der Ehemann der Kläger mit einem „Kavalierstart“ von der Ampel bei Umschalten gestartet und damit mit weit überhöhter, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht angepasster Fahrweise (Verstoß gegen § 3 Abs.1 StVO) in die Kurve eingefahren sei.

Aus diesem festgestellten äußeren Geschehensablauf sei auch auf ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten zu schließen (vgl. BGH VersR 2003, 364 f.; BGHZ 119,147, 151). Es sei Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen, da der Versicherer außerhalb der konkreten Geschehenabläufe, die zum Versicherungsfall geführt hätten, stehe. Der Versicherer kenne daher die maßgebenden Tatsachen nicht. Die Substantiierungslast liege daher auf Seiten des Versicherungsnehmers, ohne dass dies an der Beweislast — der Versicherer habe die grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des § 61 VVG zu beweisen — etwas ändere (BGH VersR 2003, 364 f.; OLG Hamm VersR 2002, 603).

Entlastende Gesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Dem Ehemann der Klägerin seien die Straßenverhältnisse in der Örtlichkeit bekannt gewesen, da er dort häufiger vorbeikomme. Eine durch die Klägerin behauptete Fahrbahnverschmutzung sei weder der polizeilichen Unfallakte zu entnehmen noch vom Ehemann der Klägerin angegeben worden. Entlastend wirke auch nicht, dass der Ehemann der Klägerin vergessen habe, dass ESP einzuschalten. Denn ein derartiges Sicherheitssystem solle dazu dienen, das Schleudern eines Fahrezugs in Grenzsituationen zu verhindern. Ein ESP gebe allerdings Fahrern keinen Freibrief für ein Fahren mit unangepasster Geschwindigkeit. In der konkreten, alltäglichen Abbiegesituation, noch dazu bei einem doppelspurigen Abbiegen mit daraus resultierende Risiken für parallel anfahrende Fahrzeuge, sei es nicht zu entschuldigen, dass der Ehemann der Klägerin den PKW aus dem Stand in eine Grenzsituation beschleunigt habe, die er nicht — oder bestenfalls durch ein Eingreifen des ESP — beherrschen konnte.

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Haftpflichtrecht; Besondere Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe

Landgerichts Essen, Urteil vom 7.4.2005 — Aktenzeichen: 4 O 339/04

Auslegung der Risikobeschränkung in den Besonderen Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe – AH 569–10.98, wonach Schäden an den Pensionstieren sowie die persönliche Haftpflicht der fremden Tierbenutzer nicht versichert sind.

(Leitsatz des Verfassers)

Sachverhalt
Der Kläger betreibt in Düsseldorf eine Reitschule, zu der eine Pferdepension gehört. Der Kläger ist bei der Beklagten betriebshaftpflichtversichert.

Im August 2003 ereignete sich in der Reithalle des Klägers ein Unfall, bei dem ein Pensionspferd durch das Ausschlagen eines Schulpferdes des Klägers erhebliche Verletzungen erlitt, die dazu führten, dass das Pensionspferd eingeschläfert werden musste. Das Schulpferd des Klägers wurde im Rahmen eines Reitunterrichtes, das Pensionspferd außerhalb des Reitunterrichtes durch den Sohn des Klägers zum Vergnügen geritten. Mit der Eigentümerin des Pensionspferdes bestand ein Pensionsvertrag, der auch die Benutzung der Reithalle gestattete. Die Eigentümerin des Pensionspferdes hat Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kläger geltend gemacht.

Dem Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten, der die Risiken der Reitschule absichern sollte, lagen die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB)sowie Besondere Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe zugrunde (AH 569-10.98), die wie folgt lauten:

„Nicht versichert sind Schäden an den Pensionstieren, sowie die persönliche Haftpflicht der fremden Tierbenutzer.“

Der Kläger verlangte von der Beklagten Versicherungsschutz. Er war der Ansicht, der Ausschlusstatbestand der AH 569-10.98 greife im vorliegenden Fall nicht ein, da kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Pensionsbetrieb bzw. der Unterbringung des Pferdes in der Pension auf der einen Seite und dem Schadenseintritt auf der anderen Seite bestanden habe. Das Pensionspferd sei nicht im Rahmen des Pensionsvertrages, sondern lediglich zum Vergnügen geritten worden.

Das Landgericht Essen hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung
Das Landgericht Essen hat einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Gewährung von Versicherungsschutz aus § 149 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag verneint.

Gemäß § 1 Ziffer 2 lit b) der allgemeinen Vertragsbedingungen erstrecke sich der Versicherungsschutz auf das im Versicherungsschein angegebene versicherte Risiko. Das Unfallereignis gehöre jedoch nicht zu den versicherten Risiken, da es von der Einschränkung der Besonderen Vereinbarung AH 569-10.98 erfasst werde. Durch den Unfall sei ein Schaden an einem Pensionstier entstanden, da zwischen dem Kläger und der Eigentümerin des Pferdes ein Pensionsvertrag geschlossen worden sei.

Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Risikobegrenzung. Hintergrund der Risikobegrenzung sei, dass aus der Sicht des Versicherungsunternehmens eigene Sachen des Versicherungsnehmers und Sachen, die in seine Obhut gegeben werden, wirtschaftlich eine Einheit darstellen. Fremde Sachen in der Obhut des Versicherungsnehmers seien dessen Einwirkungen ebenso ausgesetzt wie eigene Sachen, für die Versicherungsschutz nicht gewährt werde.

Zwar greife die Risikobegrenzung nach ihrem Sinn und Zweck dort nicht mehr, wo ein Zusammenhang zwischen dem Pensionsbetrieb und dem schadensstiftenden Ereignis fehle. Für die Risikobegrenzung sei kein Raum, wenn ein Pferd, für das ein Pensionsvertrag geschlossen worden sei, wie ein beliebiges „Fremdpferd“ in den Einwirkungsbereich des Klägers gelange und durch ein von diesem zu verantwortendes Ereignis geschädigt werde.

Ein solcher Fall sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Insbesondere komme es nicht darauf an, ob das Pferd zum eigenen Vergnügen oder aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung aus dem Pensionsvertrag geritten worden sei. Selbst wenn die Eigentümerin des Pferdes dieses selbst geritteners nicht aufgehoben gewesen. Das Pferd sei in der Reithalle des Klägers geritten worden. Hierbei handele es sich typischerweise um einen Ort, in dem auch die Pensionspferde des Klägers bewegt würden und damit seiner Einwirkung ausgesetzt seien. So stehe es den Vertragspartnern des Klägers frei, nicht nur die Stallungen des Pensionsbetriebes, sondern auch die Reithalle des Klägers für ihre Tiere zu nutzen. Der Kläger könne nicht nur in den Stallungen, sondern auch in seiner Reithalle konkret auf die Benutzung Einfluss nehmen, etwa indem er durch Anweisungen dafür Sorge trage, dass bestimmte Pferde oder Reitgruppen voneinander getrennt würden und so für eine möglichst gefahrlose Nutzung Sorge trage.

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Vertragsstrafeversprechen, Verzugseintritt

OLG Hamm, Urteil vom 26.4.2005 — Aktenzeichen: 21 U 15/04

Wird eine kalendermäßig bestimmte Leistungszeit wegen Baubehinderungen aufgehoben, ist für die Vereinbarung einer neuen kalendermäßig bestimmten Leistungszeit ein Konsens der Parteien erforderlich. Nicht ausreichend hierfür ist das Schreiben einer Vertragspartei, wegen einzelner Baubehinderungen werde eine Verlängerung der Leistungszeit um 2 Tage anerkannt, eine weitere Verlängerung wegen anderer Baubehinderungen werde jedoch nicht anerkannt.
Voraussetzungen für eine wirksame Mahnung ist die Fälligkeit der Leistung. Vorher ausgesprochen, ist die Aufforderung zur Leistung wirkungslos.

(Leitsätze des Verfassers)

Sachverhalt
Bei der Klägerin handelte es sich um die Bauherrin eines Bauvorhabens in Berlin. Der Beklagte war der von der Klägerin beauftragte Architekt.

Die Klägerin schloss mit einer Garten- und Landschaftsbaufirma G. einen Vertrag über Landschaftsbauarbeiten. Als Fertigstellungstermin war der 30.9.1997 bestimmt. Im Vertrag war ein Vertragsstrafeversprechen für den Fall des Verzuges mit der Leistung enthalten.

Während der Ausführung ihrer Arbeiten zeigte die Fa. G. gegenüber der Klägerin Baubehinderung durch andere auf der Baustelle tätige Unternehmen an. Mit Schreiben vom 17.9.1997 erkannte die Klägerin eine Verlängerung der Leistungszeit um 2 Tage wegen einzelner Baubehinderungen an, wies aber zugleich darauf hin, dass eine von der Fa. G. darüber hinaus beanspruchte weitere Verlängerung wegen weiterer Baubehinderungen nicht anerkannt werde.

Zwischen dem 17.9.1997 und 26.9.1997 forderte die Klägerin die Fa. G schriftlich auf, die Außenanlagen fertig zu stellen.

Anfang Januar 1998 erfolgte die Abnahme der Außenanlagen durch den Beklagten für die Klägerin. Dabei wurde ein Vorbehalt der Vertragsstrafe nicht erklärt.

Die Klägerin war der Ansicht, die Fa. G. sei mit den Außenarbeiten in Verzug gewesen und habe daher die Vertragsstrafe verwirkt. Den Ausfall des Vertragsstrafenanspruchs gegenüber der Fa. G. aufgrund der unterlassenen Erklärung des Vorbehalts machte die Klägerin nunmehr gegenüber dem beklagten Architekten geltend.

Das OLG Hamm hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung
Das OLG Hamm war der Auffassung, dass sich eine Verwirkung der Vertragsstrafe nicht feststellen lasse.

Die Fa. G. sei nicht ohne Mahnung in Verzug geraten. Eine kalendermäßige Leistungszeit sei zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) vertraglich bestimmt gewesen. Zwar sei als Leistungszeit i.S.d. § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. ursprünglich im Vertrag der 30.9.1997 vereinbart gewesen. Diese Vereinbarung über die Leistungszeit sei jedoch wegen Baubehinderungen aufgehoben worden. Nach der Aufhebung der ursprünglich vereinbarten Leistungszeit sei kein neuer Fertigstellungstermin vereinbart worden. Eine solche Vereinbarung sei insbesondere nicht im Schreiben der Klägerin vom 17.9.1997 zu sehen. In dem Schreiben sei für einige Baubehinderungen eine Verlängerung der Leistungszeit anerkannt worden und für andere nicht. Damit ergebe sich schon aus dem Schreiben selbst, dass kein Konsens über eine neue Leistungszeit bestanden habe.

Die Fa. G. sei auch nicht durch eine Mahnung der Klägerin gem. § 284 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. in Verzug geraten. Die an die Fa. G. gerichteten Schreiben der Klägerin aus September 1997 stellten keine Mahnungen im Rechtssinne dar. Die Aufforderung zur Leistung müsse nach Fälligkeit erfolgen; vorher ausgesprochen, sei sie wirkungslos.

Die Fälligkeit der Arbeiten sei gem. § 271 BGB frühestens mit dem von der Klägerin behaupteten Fertigstellungstermin am 3.10.1997 eingetreten.

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AUB 94, Der Unfallbegriff nach § 1 III und IV Anforderungen an die ärztliche Feststellung i.S.v. § 7 I (1) S. 3

OLG Hamm, Urteil vom 28.4.2004 — Aktenzeichen: 20 U 245/03 = Urteil des LG Essen vom 08.10.2003 (1 O 83/03)

Der Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung aus einer Unfallversicherung (AUB 94). Während eines stationären Aufenthalts in einer Reha-Klinik am 14.06.2000 verspürte der Kläger bei Übungen an einem Seilzug, dessen Gewicht auf 15 kg eingestellt war, ein plötzliches Knacken begleitet von einem stechendem Schmerz in der rechten Schulter.

Der Kläger konnte seitdem keine schweren Gegenstände mehr heben. Ärztlicherseits wurde im Jahre 2002 eine beginnende Arthrose und ein Engpasssyndrom festgestellt.

Der Kläger war der Auffassung, infolge des Ereignisses vom 14.06.2000 stände ihm ein Anspruch wegen Invalidität zu. Infolge des Ereignisses sei bei ihm eine Schultergelenksverletzung aufgetreten. Der Grad seiner Invalidität betrage 25 % eines Armes.

Demgegenüber hat der beklagte Versicherer die Auffassung vertreten, es läge begrifflich weder ein Unfall im Sinn von § 1 III AUB 94 vor, noch eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinn von § 1 IV AUB 94. Darüber hinaus hat der Versicherer neben weiteren Einwendungen die Kausalität zwischen dem angeblichen Unfallereignis und der behaupteten Invalidität bestritten.

Die Entscheidungen

1.
Das LG Essen hat die Klage abgewiesen und ist der Argumentation des Versicherers gefolgt.

1.1.
Nach § 1 III AUB 94 läge ein Unfall nur vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleide. Sei eine Eigenbewegung für die Gesundheitsschädigung verantwortlich, läge gerade keine Einwirkung von außen, sondern ein innerer Vorgang vor. Vorliegend sei es unstreitig zu der Schulterverletzung infolge des Nutzens eines Seilzuges gekommen, mithin gerade durch eine eigene Körperbetätigung und somit nicht durch ein Ereignis von außen.

1.2.
Auch ein Fall des § 1 IV Nr. 1 oder Nr. 2 AUB läge nicht vor. Danach gälte als Unfall auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule
1. ein Gelenk verrenkt werde oder 2. Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen würden.

Insbesondere läge kein Fall nach § 1 IV Nr. 1 AUB vor. Dabei hat das Landgericht Zweifel geäußert, ob nach dem allgemeinen Sprachgebrauch das Schultergelenk anatomisch ein Gelenk an einem Gliedmaß sei. Gließmaßen seien nämlich die Extremitäten, also Arme und Beine. Das Schultergelenk bestände anatomisch aus insgesamt 7 Gelenken, von denen lediglich das Humerus-Gelenk eine Verbindung zum Oberarm aufweise, während die weiteren Gelenke lediglich die Schulterknochen verbänden, die nach allgemeinem Sprachgebrauch dem Rumpf zugerechnet würden. Dass gerade eine Verletzung des Humerus-Gelenks betroffen gewesen sei, habe der Kläger nicht vorgetragen.

Selbst wenn entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch die Schulter den Armen zugerechnet würde, läge ein Unfallereignis im Sinn von § 1 IV AUB nicht vor. Der Kläger habe nicht behauptet, dass das Ereignis am 14.06.2000 zu einem Verrenken eines Schultergelenks geführt habe. Bei dem von ihm vorgetragenen Engpasssyndrom handele es sich um ein Einklemmen eines Muskels zwischen den Knochen, aber gerade nicht um die Diskontinuität zwischen zwei gelenkbildenen Knochen.

2.
Das OLG Hamm hat im Rahmen eines Beschlusses nach § 522 II S. 2 ZPO die Entscheidung für zutreffend erachtet unter Hinweis auf das weitergehende Schlüssigkeitsbedenken, dass die Invalidität nicht binnen 15 Monaten nach dem Ereignis ärztlich festgestellt worden sei (§ 7 I (1) S. 3 AUB).

Das OLG Hamm befasst sich mit verschiedenen vom Kläger zu den Akten gereichten ärztlichen Attesten, die sämtlich keinen Hinweis auf ein Unfallgeschehen und eine dadurch bewirkte Verletzung der rechten Schulter enthielten. Im Hinblick darauf hat das OLG Hamm festgestellt:

„Angesichts dieser Befunde sind keinerlei Anknüpfungstatsachen vorgetragen, aufgrund derer ein vom Kläger beantragtes Sachverständigengutachten eine unfallbedingte Verletzung des Schultergelenks am 14.06.2000 feststellen könnte. Entgegen der Ansicht des Klägers reicht es nicht aus, dass durch ärztliche Bescheinigungen therapierresistente Beschwerden oder auch dauernde Beeinträchtigungen der Beweglichkeit der Schulter festgestellt werden, wenn diese Bescheinigungen keinen Unfallbezug erkennen lassen. Eben sowenig kommt es auf die vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung attestierte Arbeitsunfähigkeit an. Es kann unterstellt werden, dass der Kläger im Bereich der rechten Schulter dauerhaft beeinträchtigt ist. Dass diese Beeinträchtigung jedoch auf einem nirgendwo ärztlich dokumentierten Unfallgeschehen vom 14.06.2000 beruht und nicht, wie von Prof. … ausgeführt, verschleißbedingt ist, wird sich mangels vorgetragener Anknüpfungstatsachen nicht feststellen lassen.“

Praxishinweise

1.
Die Entscheidung stellt zunächst zu Recht darauf ab, dass bei einer die Gesundheitsbeschädigung auslösenden Eigenbewegung der Unfallbegriff nicht erfüllt ist, da kein von außen auf den Körper wirkendes – ungewolltes – Ereignis vorliegt.

Ungeachtet dessen bieten die AUB 94 Versicherungsschutz durch die Fiktion nach § 1 IV AUB, wonach bei unter den dort genannten Voraussetzungen eine erhöhte Kraftanstrengung als Unfall „gilt“.

Ob eine Übung an einem Seilzug mit einem Gewicht von 15 kg eine solche erhöhte Kraftanstrengung darstellt oder nicht bereits wegen des vergleichsweisen geringen Muskeleinsatzes einem normalen Bewegungsablauf des täglichen Lebens darstellt, hat das Landgericht Essen – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – offen gelassen.

Das Landgericht hat Zweifel gehabt, ob das Schultergelenk den Gliedmaßen im Sinn von § 1 IV überhaupt zugerechnet werden kann. Dieses könnte allenfalls noch für das (hier nicht betroffene) Humerus-Gelenk gelten.

Die Entscheidung schärft den Blick für die mitunter schwierigen Abgrenzungsprobleme, die der Unfallbegriff nach § 1 III und IV AUB aufwirft.

2.
Der Beschluss des OLG Hamm verdeutlicht, dass der Versicherungsnehmer (VN) innerhalb der Fristen des § 7 AUB die unfallbedingte Invalidität ärztlich feststellen lassen muss. Allein die Feststellung der Invalidität und die vom Versicherungsnehmer schriftsätzlich behauptete Kausalität reichen nicht. Einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung muss die ärztlicherseits angenommene Ursache der Invalidität und die Art ihrer Auswirkung zu entnehmen sein. Wenn auch an die ärztliche Feststellung im übrigen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (etwa die Angabe eines bestimmten Invaliditätsgrades nicht erforderlich ist), muss die ärztliche Feststellung unabdingbar die Unfallursächlichkeit beinhalten. Bringt der VN innerhalb dieser 15-Monatsfrist diese ärztliche Feststellung nicht bei, hat er den Anspruch nicht schlüssig dargelegt. Diese Anspruchsvoraussetzung wird häufig übersehen, so dass es in manchen Klageverfahren der Einholung eines gerichtlichen Gutachtens nicht bedarf, vielmehr derartige Klagen an der fehlenden Schlüssigkeit scheitern müssen.

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Keine Haftung des Finanzdienstleisters wegen des Vermögensschadens eines Anlegers im Zusammenhang mit der Insolvenz der BFI-Bank AG

LG Bielefeld, Urteil vom 17.1.2005 — Aktenzeichen: 1 O 305/04

Der Fall
Der Kläger beauftragte den Beklagten, der sich als Makler u.a. mit Kapitalanlagen befasst, eine Anlagebank zu finden, bei der eine Finanzierungssumme ohne etwaige Risiken angelegt werden könnte. Anfang 2001 veranlaßte der Beklagte, dass insgesamt 250.000,00 DM in Sparbriefen mit unterschiedlichen Laufzeiten angelegt wurden. Streitgegenständlich war die Anlage im April 2001 in Form eines Sparbriefes über 50.000,00 DM, der eine Laufzeit von drei Jahren hatte und der sowohl seitens des Klägers als auch der BFI-Bank unkündbar war. Zu der für April 2004 vorgesehenen Auszahlung jener 50.000,00 DM kam es nicht, weil am 15.07.2003 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der BFI-Bank AG eröffnet wurde. Der Kläger erhielt von der Entschädigungseinrichtung Deutscher Banken AG einen Entschädigungsbetrag von 20.000,00 €. Auf die Höhe dieser Einlagensicherung hatte die BFI-Bank in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen, die der Kläger erhalten hatte.

Der Kläger war der Ansicht, der Beklagte habe sich ihm gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht, da er nicht nur eine Geldanlage ohne finanzielle Risiken hätte wählen müssen, vielmehr ihn auch darüber hätte aufklären müssen, dass im Falle einer Insolvenz der Bank die Entschädigungssumme auf lediglich 20.000,00 € begrenzt gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen!

Die Entscheidung:

1.
Das Landgericht hat eine Pflichtverletzung des Beklagten verneint. Dieser habe eine sichere, nicht risikobehaftete Vermögensanlage gewählt, als er Anfang 2001 den Betrag des Klägers in Höhe von 50.000,00 DM in einen Sparbrief investiert habe. Eine solche Anlage sei nämlich nicht von Kursschwankungen oder ähnlichen Unwägbarkeiten abhängig. Zudem sei die Verzinsung von
5,45% p.a überdurchschnittlich hoch gewesen.

Die Anlage des Geldes bei der BFI-Bank könne dem Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Denn es sei gerichtsbekannt, dass das Image der Bank im Jahre 2001 noch als sehr positiv betrachtet worden sei.

Schließlich sei dem Beklagten nicht vorzuwerfen, den Kläger auf den beschränken Schutz der zu Gunsten der Bank erbrachten Einlagen nicht hingewiesen zu haben. Hierzu hat das Landgericht ausdrücklich offen gelassen, ob einem Finanzmakler grundsätzlich die Pflicht obliegt, gegenüber seinen Kunden auf bestehende Obergrenzen etwaiger Entschädigungsansprüche im Fall der Insolvenz des Geldinstituts hinzuweisen. Denn vorliegend seien dem Kläger die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank ausgehändigt worden. Er sei also jederzeit in der Lage gewesen, durch Einsichtnahme dieser Bedingungen von der begrenzten Einlagensicherung Kenntnis zu nehmen.

2.
Neben diesen zutreffenden Feststellungen zur fehlenden Pflichtverletzung hat das Landgericht die Entscheidungsgründe auf einen zweiten Gesichtspunkt gestützt, den der fehlender Kausalität. Es hat ausgeführt, dass der Kläger auch bei entsprechender Belehrung seine Geldgeschäfte bei der BFI-Bank getätigt hätte, weil im Falle einer Risikoaufklärung seitens des Beklagten Anhaltspunkte für eine Solvenz des Geldinstituts nicht vorgebracht worden wären. Das Konzept der BFI-Bank sei nämlich im Jahre 2001 noch besonders hervorgehoben worden.

Der Kommentar
Die Entscheidung verdient Zustimmung, weil sie zu Recht die Pflichtverletzung des Finanzdienstleisters verneint. Dies gilt nicht nur für die Auswahl der Bank. Denn die Insolvenz Mitte 2003 war bei der Geldanlage 2001 nicht ansatzweise erkennbar. Einschlägige Fachpublikationen haben sowohl im Jahre 2001 als auch im Jahre 2002 die besonderen Qualitäten der Bank hervorgehoben.

Insbesondere ist der Entscheidung auch deshalb beizupflichten, weil der Finanzdienstleister gerade nicht auf die Begrenzung der Einlagensicherung hinweisen muss, jedenfalls dann nicht, wenn die Bank entsprechend ihrer § 23 a KreditwesenG entsprechenden Verpflichtung selbst auf die gesetzliche Einlagensicherung und deren Höhe exakt hinweist.

Hieraus ergibt sich bereits das Fehlen einer Pflichtverletzung und nicht erst das erhebliche, wenn nicht ganz überwiegende Mitverschulden, das dem Kläger in jedem Fall hätte angelastet werden müssen.

Die Feststellungen des Landgerichts zur fehlenden Kausalität sind lebensnah. Dem Kläger kam es erkennbar auf eine Gewinnmaximierung an. Hätte er eine „absolute Sichderheit“ haben wollen, hätte er nicht die Dienste des Beklagten in Anspruch zu nehmen brauchen. Vielmehr hätte er die Geldanlage bei seiner Hausbank (einer örtlichen Sparkasse) tätigen können, sich aber auch mit bescheideneren Konditionen zufrieden geben müssen.

Hätte der Beklagte den Kläger auf die gesetzliche Einlagensicherung in Höhe von maximal
20.000,00 € hingewiesen, hätte der Kläger die Anlage gleichwohl getätigt. Vernünftigerweise hätte er den Beklagten nach seiner Einschätzung über die Solvenz der Bank befragt. Der Beklagte hätte auf die überaus positiven Publiktionen verwiesen mit der Maßgabe, dass jemand in der Situation des Klägers die Anlage ungeachtet der Begrenzung auf die gesetzliche Einlagensicherung vorgenommen hätte.

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Kasko, Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles

OLG Hamm, Urteil vom 5.11.2003 — Aktenzeichen: 20 U 5/03
  1. Wer beim Überholen gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO verstößt, also nicht übersehen kann, dass während des Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist, handelt objektiv grob fahrlässig. Ist die Durchführbarkeit des Überholvorganges auch nur zweifelhaft, so verstößt der Verkehrsteilnehmer, der sich dennoch zum Überholen entschließt, in besonders hohem Maße gegen die erforderliche Sorgfalt.
  2. Wer trotz Herannahens eines Pkw, bei nasser Fahrbahn, bei fehlender Erfahrung mit einem 400 PS-starken Ferrari und mit erheblich höherer als der ihm bekannten erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überholt, handelt auch subjektiv grob fahrlässig.
  3. Der Umstand der fehlenden Fahrpraxis mit einem PS-starken Pkw kann den Fahrer nicht entschuldigen, da dieser wegen dieser Unerfahrenheit gerade besonders vorsichtig fahren muss.

(Leitsätze des Verfassers)

Sachverhalt
Der Kläger begehrte von dem beklagten Versicherer Zahlung aus der Vollkaskoversicherung wegen der Beschädigung eines Ferraris durch einen von ihm verursachten Verkehrsunfall.

Der Kläger befuhr mit einem 400 PS starken Ferrari, Typ 360 Modena F1, eine gerade verlaufende und in jeder Fahrtrichtung einspurige Straße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h. Die Straße war auf beiden Seiten von Bäumen gesäumt. Es regnete leicht; die Fahrbahn war nass.

Der Kläger versuchte, zwei vor ihm fahrende Fahrzeuge – einen Lkw mit Anhänger sowie diesem folgend einen Pkw – zu überholen. Hierzu beschleunigte er den Ferrari auf eine Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h. Dabei geriet der Ferrari ins Schleudern, prallte gegen einen Baum am linken Straßenrand und stieß dann mit einem sich auf der Gegenfahrbahn (aus Sicht des Klägers) befindlichen Pkw zusammen. Der mit zulässiger Geschwindigkeit von 50 km/h fahrende Fahrer dieses Pkw hatte, als er den Ferrari auf seiner Fahrbahn entgegenkommen sah, sogleich gebremst und seinen Wagen zum Stillstand gebracht. Der Ferrari erlitt einen Totalschaden. Der andere Pkw wurde ebenfalls beschädigt.

Dem Kläger war bewusst, dass der Ferrari – u.a. wegen des PS-starken Motors und des vergleichsweise geringen Gewichts – bei Beschleunigung anders reagiert als ein PS-schwächeres oder schwereres Fahrzeug. Der Kläger hatte keine nennenswerte Fahrpraxis mit einem Ferrari oder einem anderen derart leistungsstarken Wagen.

Das Landgericht Dortmund hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Das OLG Hamm hat die landgerichtliche Entscheidung bestätigt.

Entscheidung
Das OLG Hamm urteilte, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt. Der Versicherer sei daher gem. § 61 VVG leistungsfrei.

Grob fahrlässig handelt nach ständiger Rechtsprechung, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Neben den besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt muss der Vorwurf eines subjektiv nicht entschuldbaren Fehlverhaltens treten, das ebenfalls erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgeht.

Nach der Entscheidung des OLG Hamm war das Überholen durch den Kläger objektiv grob fahrlässig, da der Kläger beim Überholen gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO verstoßen habe. Danach dürfe nur überholen, wer übersehen könne, dass während des Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen sei. Das habe der Kläger nicht gekonnt. Der entgegenkommende Pkw sei sogar erheblich behindert worden, da dessen Fahrer durch das Überholen des Klägers veranlasst worden sei, sein Fahrzeug anzuhalten, um nach Möglichkeit einen Zusammenstoß mit dem Ferrari zu vermeiden.

Bereits der Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO rechtfertige den Vorwurf grober Fahrlässigkeit. Die Beachtung des § 5 Abs. 2 StVO gehöre wegen der schweren Folge möglicher Frontalzusammenstöße zu den wichtigsten Grundregeln im Straßenverkehr. Sei die Durchführbarkeit des Überholvorganges auch nur zweifelhaft, so verstoße der Verkehrsteilnehmer, der sich dennoch zum Überholen entschließe, in besonders hohem Maße gegen die erforderliche Sorgfalt.

Erschwerend komme hinzu, dass die Straße regennass gewesen sei und der Kläger einen 400 PS starken Wagen gefahren habe, mit welchem er keine nennenswerte Fahrpraxis hatte. Objektiv habe unter diesen Umständen eine besondere Gefahr bestanden, dass der Wagen ins Schleudern geraten könne. Außerdem habe der Kläger die maximal zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten.

Der Kläger habe auch subjektiv grob fahrlässig gehandelt, indem er trotz Herannahens eines Pkw, bei nasser Fahrbahn, bei fehlender Erfahrung mit einem 400 PS-starken Ferrari und mit erheblich höherer als der ihm bekannten erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überholt habe. Dieses Verhalten gehe erheblich über das normale Maß eines fahrlässigen Verkehrsverstoßes hinaus. Insoweit könne vom äußeren Geschehensablauf auf die inneren Vorgänge beim Kläger und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden.

Insbesondere könne den Kläger der Umstand der fehlenden Fahrpraxis mit einem Ferrari nicht entschuldigen, da er wegen dieser Unerfahrenheit gerade besonders vorsichtig hätte fahren müssen. Auch wenn der Lkw lediglich mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gefahren sei, sei das Verhalten des Klägers schlechthin unentschuldbar.

Selbst wenn es im Unfallzeitpunkt so stark geregnet hätte, dass der Kläger den entgegenkommenden Pkw beim Ausscheren nicht hätte sehen können, ändere sich an dieser Beurteilung nichts. Es wäre dann aus diesem Grunde eine rücksichtslose Einstellung des Klägers gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu konstatieren.

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