Unfallverursacher haftet nicht für ausschließlich therapiebedingte Schäden eines anderen Unfallbeteiligten

OLG Hamm, Urteil vom 8.9.2005 — Aktenzeichen: 6 U 185/04

Der u.a. für Verkehrsrecht zuständige 6. Zivilsenat des OLG Hamm hat durch Urteil vom 08.09.2005 klargestellt, dass ein Unfallverursacher nicht für Gesundheitsschäden eines anderen Unfallbeteiligten haftet, die ausschließlich ihren Grund darin finden, dass im Anschluss an den Unfall eine (fehlerhafte) Arztbehandlung zu Gesundheitsverletzungen führt. In derartigen Fällen fehlt der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang, weil Unfall- und Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit machte der Kläger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Die 100%ige Haftung der Beklagten dem Grunde nach war zwischen den Parteien unstreitig. Streitig war allerdings die Frage, ob der Kläger durch den Unfall Körperverletzungen/Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten hatte, auf die er die geltend gemachten Ansprüche stützte.

Der Kläger begab sich kurze Zeit nach dem Unfall in ärztliche Behandlung, wobei ihm hier nach Erstellung eines Computertomogramms als Diagnose mitgeteilt wurde, bei ihm läge eine Wirbelbogenfraktur im Bereich des 6. Halswirbelkörpers (HWK) vor. In einer 2. Kontroll-Computertomographie wenig später ließ sich eine derartige Fraktur nicht nachweisen. Eine sodann vom Kläger unternommene Arbeitsbelastungserprobung wurde durch den Kläger abgebrochen. Der Kläger begab sich in neurologische/psychiatrische Behandlung, wobei durch unterschiedliche Ärzte unterschiedliche Befunde erhoben wurden. Attestiert wurde dem Kläger letztendlich über einen Zeitraum von nahezu 1 1/2 Jahren seit dem Unfalltag eine Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger behauptete, bei dem Unfall habe er sich eine Fraktur des 6. HWK sowie eine schwere HWS-Zerrung zugezogen, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von 1 1/2 Jahren geführt hätte. Darüber hinaus sei es zu Schlafstörungen, ständigen Kopfschmerzen und Schmerzen an der HWS und zu einer Schmerzverarbeitungsstörung gekommen.

Seitens der Beklagten – dem Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeuges und der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung – wurden unfallbedingte Verletzungen des Klägers bestritten.

Das angerufene Landgericht hatte nach Einholung eines technischen, eines fachchirurgischen und eines psychiatrischen Gutachtens der Klage überwiegend stattgegeben mit der Begründung, zwar sei nicht bewiesen, dass es unmittelbar durch den Unfall zu einer Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers gekommen sei. Eine Gesundheitsverletzung sei aber deswegen gegeben, weil sich eine Schmerzverarbeitungsstörung entwickelt habe, die auf den Unfall zurückzuführen sei.

Das OLG Hamm hob – nach erneuter Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen – das landgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab, da nicht festgestellt werden könne, dass der hier entscheidende Verkehrsunfall zu einer Körperverletzung des Klägers oder zu einer Gesundheitsverletzung geführt habe, die mit dem Unfall in einem haftungsrechtlichen Zusammenhang stehe.

Aufgrund der gutachterlichen Ausführungen stehe nicht fest, dass der Unfall unmittelbar eine Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers verursacht habe. Insbesondere belegten sämtliche objektiven Befunde aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall keinesfalls eine Fraktur des 6. Halswirbelkörpers.

Der durch das psychiatrische Sachverständigengutachten zwar grundsätzlich bestätigte psychische Schaden (Schmerzverarbeitungsstörung, Anpassungsstörung mit somatoformen Schmerzstörungen) habe seine Ursache in einer psychischen Reaktion des Klägers darauf gehabt, dass ihm durch die behandelnden Ärzte nach röntgenologischer und computertomographischer Erstuntersuchung erklärt worden sei, es läge eine Fraktur des 6. HWK vor mit der Gefahr einer Querschnittslähmung. Genau diese Ausgangsdiagnose sei allerdings objektiv zu keinem Zeitpunkt – ebenfalls nach den gerichtlich eingeholten Gutachten – gerechtfertigt gewesen.

In einer derartigen Konstellation fehle es an einer haftungsbegrinzig festzustellenden Gesundheitsbeeinträchtigung (psychische Erkrankungen). Denn der Unfallverursacher des Verkehrsunfalls hafte nicht für therapiebedingte Gesundheitsschäden, also solche Schäden, die ausschließlich dadurch entstehen, dass sich nach einem Unfall der bis dahin Unverletzte in ärztliche Behandlung begibt und hier durch Falschbehandlung eine Gesundheitsverletzung erleide. In dieser Konstellation fehlt der haftungsrechtliche Zusammenhang, weil der Unfall und die Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen. Da auch nicht feststellbar sei, dass das Unfallereignis für sich genommen bereits eine psychische Erkrankung des Klägers mit Krankheitswert ausgelöst habe, ließe sich auch keine Mitursächlichkeit im haftungsrechtlichen Sinne feststellen.

Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig.

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Haftung von Kindern bei Beschädigungen parkender Fahrzeuge

BGH, Urteil vom 30.11.2004 — Aktenzeichen: AZ: VI ZR 335/03 und VI ZR 365/03

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Urteilen vom 30.11.2004 klargestellt, dass auch Minderjährige in der Altersstufe zwischen 7 und 10 Jahren haften können, wenn sie parkende Fahrzeuge beschädigen, und dass insoweit der Haftungsausschluss in § 828 II S. 1 BGB nicht durchgreift.

Für schädigende Ereignisse, die nach dem 31.07.2002 eingetreten sind, ist in § 828 II S. 1 BGB die Verantwortlichkeit Minderjähriger neu geregelt worden. Demnach ist ein Minderjähriger, der das 7. aber nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen fahrlässig zufügt, nicht verantwortlich.

In den jetzigen Urteilen hat der BGH hierzu klargestellt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Ausnahmeregelung dem Umstand Rechnung getragen hat, dass Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des 10. Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten (= in Bewegung befindlichen) Straßenverkehrs zu erkennen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Die durch § 828 II BGB erfolgte Heraufsetzung des deliktsfähigen Alters ist demnach – so der BGH – auf Schadensereignisse im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr begrenzt, da hierbei die altersbedingten Defizite eines Kindes, z. B. Entfernung und Geschwindigkeiten richtig einschätzen zu können, zum Tragen kommen, weil sich Kinder im motorisierten Verkehr u. a. durch die Schnelligkeit, Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besondere Überforderungssituation befinden. Diese Überforderungssituation ist nach dem BGH der Grund dafür, dass Kinder bis zum 10. Lebensjahr von einer Haftung freigestellt werden.

Eine solche Überforderungssituation war indes in den vom BGH entschiedenen beiden Fällen nicht gegeben, weil sich hier nicht die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs ausgewirkt hatten.

Dem BGH lag einerseits ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein damals 9 Jahre alter Beklagter bei einem Wettrennen mit einem Kickboard gegen einen ordnungsgemäß am rechten Straßenrand geparkten Pkw geprallt war, und andererseits ein Fall, in dem eine damals 9jährige Beklagte und ihre Spielkameraden mit Fahrrädern auf einem Parkplatz zwischen parkenden Fahrzeugen hindurchfuhren, wobei die Beklagte das Gleichgewicht verlor, mit ihrem Fahrrad umkippte und gegen einen dort geparkten Pkw stieß.

Beide Fälle betrafen nach Einschätzung des BGH — der die entsprechenden Berufungsurteile bestätigte – gerade nicht der Konstellation, dass der Unfall sich im motorisierten Straßen- bzw. Bahnverkehr ereignete, mit der Folge, dass das Haftungsprivileg des § 828 II BGB nicht zugunsten der beklagten Kinder griff.

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Haftungsverteilung nach § 17 StVG

OLG Hamm, Urteil vom 11.5.2004 — Aktenzeichen: 9 U 204/03
  1. Auch bei einem feststehenden groben, unfallursächlichen Verschulden eines Pkw-Fahrers (hier Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) rechtfertigt dies im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG nicht die Annahme einer Haftungsquote von 100 % des vorfahrtsverletzenden Fahrers.
  2. Ist von einem (groben) Verstoß eines Pkw-Fahrers gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO (Vorfahrtsverletzung) auszugehen und steht dem die Betriebsgefahr eines ebenfalls unfallbeteiligten Lkw sowie ein geringes Verschulden des Lkw-Fahrers wegen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit gegenüber, so führt die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zu einer Haftung dem Grunde nach auf Seiten des Lkw-Fahrers in Höhe von 1/3.

Der Entscheidung des 9. Zivilsenates des OLG Hamm lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehefrau des Klägers wurde bei einem Zusammenstoß des von ihr geführten Pkw mit dem von dem Beklagten geführten Lkw getötet. Unstreitig hatte die Pkw-Fahrerin hierbei die Vorfahrt des auf der übergeordneten Strasse herannahenden Lkw-Sattelzuges missachtet. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens stand fest, dass der vorfahrtsberechtigte Lkw die für dieses Fahrzeug zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h (§ 3 Abs. 3b StVO) um mindestens 11 km/h überschritten hatte, und dass bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit die Kollision zeitlich vermeidbar gewesen wäre.

Das Landgericht hatte die auf Schadensersatz gerichtete Klage (materielle Schäden, Schmerzensgeldansprüche des Ehemanns der Verstorbenen, Feststellungsanspruch wegen Zukunftsschäden) gerichtete Klage abgewiesen mit der Begründung, dass im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung nach § 17 StVG durch das leichte Verschulden und die Betriebsgefahr des Beklagten-Fahrzeuges vollständig hinter der durch die grobe Vorfahrtsverletzung gesteigerten Betriebsgefahr des Pkw der Verstorbenen zurückträte.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zielt darauf ab, eine Haftung der Beklagten von 1/3 festzustellen.

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass auch bei einer groben Vorfahrtsverletzung auf Seiten eines Pkw und der damit einhergehenden erheblich erhöhten Betriebsgefahr keineswegs die Betriebsgefahr eines Lkw zurücktritt, wenn auf Seiten des Lkw die bauartbedingt zulässige Geschwindigkeit von 60 km/h feststehend um mindestens 11 km/h überschritten worden ist. Bei der Abwägung nach §§ 17, 18 StVG seien die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw unter Einbeziehung des überwiegenden Verschuldens der Verstorbenen und die Betriebsgefahr des Lkw unter Einbeziehung des geringeren Verschuldens des Beklagten einander gegenüberzustellen, was zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des Klägers und 1/3 zu Lasten des Beklagten führe.

Ein vollständiges Zurücktreten der Verursachungsbeiträge des Lkw-Fahrers komme nicht in Betracht, da eine derartiger Lkw (Sattelzug) grundsätzlich eine höhere Betriebsgefahr aufweise als ein Pkw. Ein Lkw habe ein größeres Gewicht, eine größere Masse und brauche gegenüber einem Pkw aus der gleichen Ausgangsgeschwindigkeit heraus längere Zeit, bis er zum Stehen komme. Während eines Bremsvorganges sei ein derartiges Fahrzeug auch erheblich schwerfälliger und unbeweglicher im Hinblick auf ein mögliches Ausweichen vor einem Hindernis. Träte hierzu eine feststehende Geschwindigkeitsüberschreitung auf Seiten des Lkw hinzu, so schließe dies ein vollständiges Zurücktreten der Verursachungsbeiträge aus.

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