Erstmalige Aufklärungsrüge in der Berufungsbegründung

BGH, Beschluss vom 24.10.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 396/12

Wird erstmalig im Berufungsrechtszug die Rüge der fehlerhaften Aufklärung erhoben, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der vom Berufungsgericht nicht mehr zu berücksichtigen ist, wenn die Klage erstinstanzlich ausschließlich auf Behandlungsfehler gestützt wurde.

Mit seiner Entscheidung vom 24.10.2012 hat der BGH den Antrag des dortigen Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten biete. Insbesondere sei die erstmals mit der Berufungsbegründung seitens des Klägers erhobenen Rüge einer fehlenden Aufklärung über Behandlungsalternativen verspätet, nachdem in erster Instanz seitens des Klägers die Klage ausschließlich auf Behandlungsfehler gestützt worden sei.

Hierzu stellt der BGH klar, dass zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits zwar eine Verknüpfung dergestalt bestehe, dass es Ziel des Schadensersatzbegehrens eines Patienten sei, eine Entschädigung für die bei ihm aufgrund der Behandlung eingetretenen gesundheitlichen Nachteile zu erlangen. Indes lägen den Haftungstatbeständen räumlich und zeitlich verschieden gelagerte Sachverhalte zugrunde, an denen darüber hinaus auch unterschiedliche Personen beteiligt sein können. Darüber hinaus seien die Schadensereignisse im Allgemeinen weder hinsichtlich der Auswirkungen noch hinsichtlich des Verschuldens gleichwertig (vgl. BGH VersR 2007, 414; BGH VersR 1976, 293).

Daher handele es sich bei der erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Aufklärungsrüge um neuen Tatsachenvortrag, der vom Berufungsgericht mit Recht nicht mehr zu berücksichtigen gewesen sei, §§ 530, 531 Abs. 2 ZPO.

Sowohl der jetzige Beschluss des BGH ergänzt die frühere Entscheidung des BGH im Urteil vom 18.11.2008, Az. VI ZR 198/07, in dem der BGH ausgeführt hatte, dass es sich um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO handelt, wenn der Einwand der hypothetischen Einwilligung erstmalig im zweiten Rechtszug erhoben werde, und dass dieser Einwand dann nicht zu berücksichtigen sei. Beide Entscheidungen belegen wie wichtig es ist, Fragen der Aufklärung umfassend unter allen Gesichtspunkten bereits erstinstanzlich zum Gegenstand des jeweiligen Sachvortrags der Parteien zu machen.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Liegt Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankentaggeldversicherung vor, wenn der Versicherte zu einzelnen Tätigkeiten noch in der Lage ist?

BGH, Urteil vom 3.4.2013 — Aktenzeichen: IV ZR 239/11

Leitsatz
1. Arbeitsunfähigkeit i. S. von § 1 Abs. 3 S. 1 MB/KT 2009 entfällt nicht, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben.

2. Arbeitsunfähigkeit eines Rechtsanwalts ist gegeben, wenn diesem die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung der übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten fehlt.

Sachverhalt
Der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, machte Leistungsansprüche aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung für einen Zeitraum von ca. einem Jahr geltend. Der Versicherung lagen soweit hier entscheidend, die MB/KT 2009 zugrunde. Aufgrund eines leichten Schlaganfalls mit der Folge einer Lesestörung (Dyslexie) war der Kläger ab dem 23.08.2006 arbeitsunfähig. Die Beklagte, die zunächst daraufhin das vereinbarte Krankentagegeld zahlte, stellt dieses indes ein mit der Behauptung, das Versicherungsverhältnis sei durch den Eintritt von Berufsunfähigkeit des Klägers beendet worden. Insoweit hatte der Kläger in einem Vorverfahren des jetzigen Rechtsstreits erreicht, dass die Beklagte rechtskräftig zur Zahlung von Krankentagegeld bis einschließlich 27.02.2009 verurteilt worden war. Die Beklagte nahm nach diesem Urteil die Zahlungen wieder auf, kündigte aber mit Schreiben vom 01.03.2010 erneut die Einstellungen der Zahlungen an, weil nunmehr Berufsunfähigkeit vorliege. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Zahlung von Krankentagegeld über den Einstellungszeitpunkt hinaus.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Das danach angerufene Berufungsgericht, das Oberlandesgericht (OLG), hatte die Klage abgewiesen. Dabei hatte das OLG die Frage offen gelassen, ob beim Kläger inzwischen Berufsunfähigkeit eingetreten war. Das OLG stützte vielmehr die Abweisung der Klage auf die Begründung, es fehle bereits an einem Versicherungsfall im Sinne von § 1 Nr. 2 MB/KT. Denn innerhalb des insoweit entscheidenden Zeitraumes habe keine andauernde Arbeitsunfähigkeit mehr vorgelegen. Der Kläger habe seiner Berufstätigkeit jedenfalls in einem geringen Umfang wieder nachgehen können. Bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit bestehe indes nach § 1 Nr. 3 MB/KT nur bei „vollständiger“ Arbeitsunfähigkeit, bereits der Wiedereintritt auch nur teilweiser Arbeitsfähigkeit lasse die Leistungspflicht des Versicherers vollständig entfallen. Da dem Kläger das Lesen von Texten nach dem in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten nicht unmöglich, sondern nur mit größerem Zeitaufwand verbunden sei, alle anderen Anwaltstätigkeiten (Mandantengespräche, Diktate, Auftreten vor Gericht) keinen Einschränkungen unterlägen, sei insoweit von einer teilweisen Arbeitsfähigkeit auszugehen. Ebenfalls sei der Kläger in der Lage, die für einen Fachanwalt notwendigen Fortbildungen wahrzunehmen, wodurch gleichzeitig auch das Argument des Klägers entkräftet werde, dass er sich bei Übernahme eines Mandats unkalkulierbaren Haftungsrisiken aussetze.

Gegen dieses Berufungsurteil wandte sich der Kläger mit der Revision, mit der die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

Entscheidung
Der BGH hat auf die Revision des Klägers hin das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung führt der BGH aus, dass die Feststellungen des Berufungsgerichts dessen Annahme einer teilweise gegebenen Arbeitsfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu tragen vermögen.

Zwar gehe das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genüge, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen. Diese setze allerdings voraus, dass der Versicherungsnehmer in der Lage sei, den ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mind. teilweise nachzugehen (vgl. BGH VersR 1993, 297). Entgegen der Auffassung des Gerichts genüge es allerdings nicht, dass der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage sei, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfielen, isoliert aber keinen Sinn ergäben. Dementsprechend sei es ausgeschlossen, bei einem selbstständig tätigen Rechtsanwalt, der eigenständig Mandate bearbeite, nur auf einen Ausschnitt der dabei anfallenden Aufgaben, wie z. B. das „Führen von Mandantengesprächen“, abzustellen. Vielmehr stelle die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben des juristischen Berufs dar; für den Beruf des Rechtsanwalts sei eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit aus vielerlei, im Einzelnen im Urteil dazu vom BGH aufgegriffenen Gründen unabdingbar. Nur so sei für den Rechtsanwalt — möge auch eine Übernahme von Mandaten in nur reduziertem Umfang nötig sein — die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung solcher übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten gegeben. Ob der Kläger wieder in der Lage sei, die Anforderungen zu erfüllen, die nach den insoweit vom BGH entwickelten Grundsätzen an die anwaltliche Tätigkeit zu stellen seien, und damit dem Kläger die Wiederaufnahme seiner durch ein komplexes Berufsbild gekennzeichneten Berufstätigkeit möglich sei, habe das Berufungsgericht nicht festgestellt. Dementsprechend müsse dieser Frage im fortgesetzten Verfahren durch das Berufungsgericht nachgegangen werden.

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass bei der Bewertung der Frage, ob konkret in Bezug auf eine versicherte Person „Arbeitsunfähigkeit“ im Sinne der MB/KT vorliegt, nicht lediglich auf untergeordnete Einzeltätigkeiten, die u. U. wieder möglich sind, abzustellen ist, sondern vielmehr auf das Gesamtberufsbild und dessen sinnvolle Ausübung.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Zu den Voraussetzungen der ärztlichen Invaliditätsfeststellung in der privaten Unfallversicherung

OLG Koblenz, Urteil vom 18.11.2011 — Aktenzeichen: 10 U 230/11

Das OLG Koblenz hat mit Urteil vom 18.11.2011 klargestellt, dass in Fällen, in denen die Vertragsparteien einer privaten Unfallversicherung (PUV) in den besonderen Bedingungen der Unfallversicherung eine Erweiterung des Versicherungsschutzes in Form einer zusätzlichen Unfallrente ab einem Invaliditätsgrad von 50 % vereinbaren, auch für diesen Anspruch die Fristen zum Invaliditätseintritt und zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung der Grundversicherungsbedingungen Geltung finden. Darüber hinaus hat das Gericht klargestellt, dass der Bericht eines Neuropsychologen nicht die Voraussetzungen einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung erfüllt, weil ein Neuropsychologe kein Arzt ist.

Hintergrund für den Rechtsstreit war eine private Unfallversicherung, im Rahmen derer die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) 94 vereinbart waren. Gem. § 7 Nr. I (1) Abs. 2 AUB war Voraussetzung für einen Anspruch des dort klagenden Versicherungsnehmers auf Versicherungsleistung, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt worden sein musste. In dem konkreten Versicherungsvertrag waren zwischen den beteiligten Parteien darüber hinaus weitere „Besondere Bedingungen für die Versicherung einer monatlichen Unfallrente bei einem Invaliditätsgrad ab 50 %“ vereinbart. Durch diese besonderen Bedingungen wurde § 7 Nr. I AUB 94 im konkreten Fall dahingehend erweitert, dass dann, wenn der Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherten von mind. 50 % führte, unabhängig vom Lebensalter des Versicherten zusätzlich die im Versicherungsschein festgelegte Unfallrente gezahlt werden sollte.

Da mit dieser besonderen Bedingung nur eine Erweiterung der Regelungen des § 7 Nr. 1 AUB 94 erfolgen sollte, sind — so das OLG Koblenz — die hierin vorgesehenen formellen Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung (Eintritt der Invalidität von 12 Monaten und ärztliche Feststellung innerhalb von 15 Monaten) auch einschlägig, soweit es um Invaliditätsleistungen in Form einer Rente ging.

Soweit der Kläger eine Bescheinigung einer psychologischen Psycho- und Verhaltenstherapeutin und Neuropsychologin, die innerhalb der relevanten Frist erstellt worden sei, vorgelegt habe, stelle diese Bescheinigung im Übrigen keine den Anforderungen des § 7 Nr. I AUB 94 gerecht werdende „ärztliche Invaliditätsfeststellung“ dar. Zum einen enthielten nämlich die dortigen Ausführungen nicht die konkrete Feststellung, dass der Unfall des Klägers für bestimmte, bei ihm eingetretene dauerhaften Folgen ursächlich sei.

Zum anderen fehle es aber auch an einer „ärztlichen“ Feststellung, weil die dort attestierende Neuropsychologin gerade keine Ärztin sei.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Einzelrichterentscheidung in Arzthaftungssachen

BGH, Urteil vom 14.5.2013 — Aktenzeichen: VI ZR 325/11

Gem. § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO besteht die Möglichkeit, dass im Geschäftsverteilungsplan eines Landgerichts von vornherein für Streitigkeiten wegen Ansprüchen aus Heilbehandlung die spezielle Zuständigkeit der erstinstanzlichen Landgerichts-Kammer (nicht des Einzelrichters) vorgesehen wird. Darüber hinaus hat der BGH in seiner gefestigten Rechtsprechung stets betont, dass Arzthaftungssachen grundsätzlich nach Ansicht des BGH vom vollbesetzten Spruchkörper zu verhandeln sind.

In dem nunmehr vom BGH entschiedenen Fall sah der Geschäftsverteilungsplan des erstinstanzlichen Gerichts nicht die Einrichtung einer Spezialkammer im Sinne des § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO vor. Der zugrunde liegende Arzthaftungsprozess wurde erstinstanzlichen durch den Einzelrichter verhandelt und durch Urteil entschieden. Im Berufungsverfahren wurde seitens der Berufungskläger eingewandt, dass insoweit ein wesentlicher Verfahrensfehler vorläge, weil hier letztendlich die Kammer hätte entscheiden müssen, so dass ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens vorliege, der nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht rechtfertige. Das dem BGH vorgelagerte OLG hatte einen derartigen Verfahrensfehler in erster Instanz bejaht und die Sache an das LG zurückverwiesen. Hiergegen richtete sich die Revision beim BGH.

Der BGH hat allerdings in seinem jetzigen Urteil vom 14.05.2013 klargestellt, dass insoweit die erstinstanzliche Einzelrichterentscheidung nicht auf einem wesentlichen Verfahrensfehler beruht.

Denn zunächst einmal gäbe es vorliegend eine Spezialzuständigkeit aufgrund des Geschäftsverteilungsplans gem. § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO nicht. Ein Anlass, dass der Einzelrichter den Rechtsstreit nach § 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ZPO der Kammer wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zur Übernahme vorzulegen hatte, bestehe ebenfalls nicht. Allein der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Arzthaftungssachen grundsätzlich vom vollbesetzten Spruchkörper zu verhandeln seien, reiche für die Annahme eines Verstoßes gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gerade vor dem Hintergrund der in § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO getroffenen Regelungen nicht aus.

Dementsprechend leide — so der BGH im von ihm entschiedenen Fall — das erstinstanzliche Urteil nicht an einem derartig schwerwiegenden Verfahrensfehler, dass das Berufungsgericht das Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht hätte zurückweisen dürfen. Gerade dieses hatte allerdings das in der Sache im Berufungsverfahren tätige Oberlandesgericht durch sein Berufungsurteil entschieden. Vielmehr sei die Angelegenheit im Berufungsverfahren durch das Oberlandesgericht zu entscheiden.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Einzelrichterentscheidung in Arzthaftungssachen

BGH, Urteil vom 14.5.2013 — Aktenzeichen: VI ZR 325/11

Gem. § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO besteht die Möglichkeit, dass im Geschäftsverteilungsplan eines Landgerichts von vornherein für Streitigkeiten wegen Ansprüchen aus Heilbehandlung die spezielle Zuständigkeit der erstinstanzlichen Landgerichts-Kammer (nicht des Einzelrichters) vorsieht. Darüber hinaus hat der BGH in seiner gefestigten Rechtsprechung stets betont, dass Arzthaftungssachen grundsätzlich nach Ansicht des BGH vom vollbesetzten Spruchkörper zu verhandeln sind.

In dem nunmehr vom BGH entschiedenen Fall sah der Geschäftsverteilungsplan des erstinstanzlichen Gerichts nicht die Einrichtung einer Spezialkammer im Sinne des § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO vor. Der zugrunde liegende Arzthaftungsprozess wurde erstinstanzlichen durch den Einzelrichter verhandelt und letztendlich durch Urteil entschieden. Im Berufungsverfahren wurde seitens der Berufungskläger eingewandt, dass insoweit ein wesentlicher Verfahrensfehler vorläge, weil hier letztendlich die Kammer in jedem Fall hätte entscheiden müssen, so dass ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens vorliege, der nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht rechtfertige.

Insoweit hat allerdings der BGH in seinem jetzigen Urteil vom 14.05.2013 klargestellt, dass eine derartige Konstellation und die daraus resultierende Einzelrichterentscheidung nicht auf einem wesentlichen Verfahrensfehler beruhen.

Denn zunächst einmal gäbe es vorliegend eine Spezialzuständigkeit aufgrund des Geschäftsverteilungsplans gem. § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO nicht. Ein Anlass, dass der Einzelrichter den Rechtsstreit nach § 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ZPO der Kammer wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zur Übernahme vorzulegen hatte, bestehe ebenfalls nicht. Allein der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Arzthaftungssachen grundsätzlich vom vollbesetzten Spruchkörper zu verhandeln seien, reiche für die Annahme eines Verstoßes gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gerade vor dem Hintergrund der in § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO getroffenen Regelungen nicht aus.

Dementsprechend leide — so der BGH im von ihm entschiedenen Fall — das erstinstanzliche Urteil keineswegs an einem derartig schwerwiegenden Verfahrensfehler, dass das Berufungsgericht das Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht hätte zurückweisen dürfen. Gerade dieses hatte allerdings das in der Sache im Berufungsverfahren tätige Oberlandesgericht durch sein Berufungsurteil entschieden. Vielmehr sei die Angelegenheit im Berufungsverfahren durch das Oberlandesgericht zu entscheiden.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Kein Kausalitätsgegenbeweis bei Unfallflucht

OLG Naumburg, Urteil vom 21.6.2012 — Aktenzeichen: 4 U 85/11

Das OLG Naumburg hat mit Urteil vom 21.06.2012 klargestellt, dass einem Versicherungsnehmer (VN) in der Kaskoversicherung nach einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort keine Möglichkeit eröffnet ist, den Kausalitätsgegenbeweis im Hinblick auf eine Obliegenheitsverletzung zu erbringen.

Sind nach einem Unfall Feststellungen zum Fahrer des Kfz und zu seiner Alkoholisierung oder Drogenbeeinflussung aufgrund unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht mehr möglich, kann der Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG nicht geführt werden. Denn der Nachweis fehlender Ursächlichkeit ist — so das OLG Naumburg weiter — bei Verletzung einer Aufklärungspflicht erst dann erbracht, wenn feststeht, dass dem Versicherer (= VR) hierduch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der VN beweisfällig und der VR nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei. Denn bereits das unerlaubte Entfernen von der Unfallstelle führt schon zu konkreten Feststellungsnachteilen, die durch spätere Angaben des VN nicht mehr zu kompensieren sind.

Am Rande weist das OLG Naumbrg weiter darauf hin, dass in derartigen Konstellationen keine Belehrung gem. § 28 Abs. 4 VVG hinsichtlich der Folgen einer Obliegenheitsverletzung Voraussetzung für eine Leistungsfreiheit ist, da es sich bei dem notwendigen Verbleiben an der Unfallstelle um eine spontan vom VN nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit handelt.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Private Unfallversicherung – Wirksamkeit der Fristenregelung in Ziffer 2.1.1.1. AUB

BGH, Urteil vom 20.6.2012 — Aktenzeichen: IV ZR 39/11

In der Privaten Unfallversicherung wird seit Jahrzehnten in den Versicherungsbedingungen als Voraussetzung eines Anspruchs auf eine vereinbarte Invaliditätsleistung die Wahrung der sog. 15-Monatsfrist zur Geltendmachung und ärztlichen Feststellung einer Invalidität definiert (§ 7 AUB 88, § 7 AUB 94, Ziffer 2.1.1.1. AUB 1999 — AUB 2008)

Ausgangspunkt der jetzigen Entscheidung des BGH war die im Schrifttum und der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob infolge der Neugestaltung der AUB die nunmehr in Ziffer 2.1.1.1 AUB n.F. enthaltene Fristenregelung wegen Verstoßes gegen § 307 BGB und insbesondere gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S.2 BGB) unwirksam sei, obschon sie inhaltlich mit den vorangehenden Regelungen in § 7 AUB 88 bzw. § 7 AUB 94 identisch war.

Das OLG Hamm ging — allerdings lediglich in einem obiter dictum – von einer Unwirksamkeit dieser Regelung aus (vgl.: OLG Hamm r+s 2008, 124) und schloss sich damit einer nicht unerheblichen Meinung im Schrifttum (vgl.: Knappmann in Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl., AUB 2008, Nr. 2, Rn.8; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 179 Rn. 21; Schubach in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung, Ziffer 2.1., Rn. 28) an, während andere Obergerichte die Klausel für wirksam hielten (OLG Düsseldorf r+s 2009, 424; OLG Düsseldorf r+s 2007, 256; OLG Köln r+s 2010, 525; OLG Karlsruhe r+s 2009, 425; OLG Celle zfs 2009, 34).

Mit seinem jetzigen Urteil hat der BGH die letztgenannte Auffassung bestätigt: Die Fristenregelung in den AUB ist wirksam.

Der BGH stellt fest, dass Ziffer 2.1.1.1. AUB n.F. weder mit Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar sei, noch wesentliche, sich aus der Natur der Unfallversicherung ergebende Rechte oder Pflichten so einschränke, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei (so bereits der BGH zu den früheren, inhaltlich identischen Regelungen in § 7 AUB 88 und § 7 AUB 94: BGH r+s 1998, 79; BGH r+s 2005, 257).

Die Regelung in Ziffer 2.1.1.1. AUB sei auch nicht intransparent.

Das Transparenzgebot verlange vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, dass die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt seien und die Klauseln darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lasse, wie dies nach den Umständen gefordert werden könne (BGH VersR 2007, 1690; BGHZ 136, 394, 401). Eine Regelung sei auch dann intransparent, wenn sie etwa an verschiedenen Stellen in den Bedingungen niedergelegt sei, die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen seien, oder wenn der Regelungsgehalt auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt werde.

Diesem Prüfungsmaßstab halte die streitige Regelung stand. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Fristenregelung getrennt von den in Nr. 7 AUB geregelten Obliegenheiten den Bestimmungen über den Umfang der Versicherung in Nr. 2 AUB zugeordnet worden sei. Bei der Frist für die ärztliche Feststellung der Invalidität und Geltendmachung handele es sich um eine Anspruchsvoraussetzung (BGH VersR 2007, 1114). Systematisch gehöre sie damit nicht zu den Obliegenheiten.

Der Blick auf diese Anspruchsvoraussetzung werde dem durchschnittlichen VN durch die den einzelnen Klauseln vorangestellte Inhaltsübersicht nicht verstellt. Vielmehr könne er es sich in keinem Falle ersparen, die Regelungen über den Versicherungsumfang zu lesen, wenn er einen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung geltend machen wolle. Der VN, der sich anhand des Inhaltsverzeichnisses eingangs der Bedingungen orientiere, werde sich nach den dort enthaltenen Überschriften zum Versicherungsumfang, von denen eine „2.1 Invaliditätsleistung“ laute, im Falle von unfallbedingter Invalidität im Text der Nr. 2.1 darüber informieren, welche Ansprüche ihm in diesem Fall zustehen. Dabei werde er unmittelbar nach der Überschrift „Invaliditätsleistung“ auf die weitere Überschrift „Voraussetzungen für die Leistung“ stoßen, auch wenn diese im Inhaltsverzeichnis nicht genannt sei. Er werde daran anschließend die Fristenregelung und deren Inhalt zur Kenntnis nehmen. Dem VN, der sich nach Eintritt der Invalidität über seinen Versicherungsschutz anhand der Versicherungsbedingungen unterrichte, könne bei verständiger Lektüre auch der Inhaltsübersicht nicht verborgen bleiben, dass der Versicherungsumfang im ersten Abschnitt getrennt von den Obliegenheiten geregelt sei.

Durch dieses Urteil sind damit die bisherigen Unstimmigkeiten in der Wertung der Obergerichte beseitigt.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Subjektiv grober Behandlungsfehler?

BGH, Urteil vom 25.10.2011 — Aktenzeichen: VI ZR 139/10

Leitsatz
Ein Behandlungsfehler ist als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Sachverhalt
Der Kläger litt am Abend des 18. November 2002 beim Sport an Schmerzen im Brustraum, Atemnot, Schwindelgefühl und Erbrechen. Der herbeigerufene Hausarzt alarmierte einen Notarzt, der nach einem EKG einen Myokardinfarkt diagnostizierte und den Kläger in das von der Beklagten geführte Krankenhaus einwies, wo er am 19. November 2002 kurz nach Mitternacht aufgenommen wurde. Unmittelbar nach der Einlieferung erhob die Ärztin Dr. B. Befunde, darunter auch wiederum ein EKG, diagnostizierte ebenfalls einen Myokardinfarkt, entschied sich für eine medikamentöse Behandlung und ordnete für den späteren Morgen des Tages eine Herzkatheteruntersuchung und eine Koronarangiographie an. Eine Fibrinolyse unterblieb zunächst. Im Verlaufe der Nacht litt der Kläger um 2.30 Uhr wieder unter Schmerzen, woraufhin Dr. B. ein weiteres EKG erheben ließ. Zwischen 8.49 Uhr und 9.37 Uhr führte der Oberarzt Dr. G. eine Echokardiographie und eine Koronarangiographie durch. Er diagnostizierte einen akuten Hinterwandinfarkt und eine Postinfarktangina. Er ordnete eine lokale Lyse und eine Fortführung der Aggrastat- und Heparintherapie an.

Im Prozess wird geltend gemacht, der Kläger sei von Dr. B. fehlerhaft behandelt worden, weil keine sofortige Fibrinolysetherapie (medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln) durchgeführt worden sei. Wäre sie sogleich nach der Einlieferung und nicht erst am Morgen durchgeführt worden, so wäre das thrombotisch verschlossene Infarktgefäß wieder eröffnet und das Herzmuskelgewebe vor irreversiblen Schädigungen bewahrt worden.

Entscheidung
Der BGH hat klargestellt — abweichend von dem insoweit korrigierten Berufungsgericht — , dass dem Kläger eine Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers zu Gute komme.

Revisionsrechtlich sei sowohl nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt habe, als auch, ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt habe (BGH VersR 2002, 1026, 1027; BGHZ 172, 1; BGH VersR 2009, 1267; BGH, Urteil vom 20. September 2011 — VI ZR 55/09).

Ein Behandlungsfehler sei nur dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen habe, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe (BGHZ 159, 48, 53; BGHZ 172, 1; BGH VersR 2009, 1267; BGH VersR 2010, 72 und BGH, Beschluss vom 20. September 2011 — VI ZR 55/09).

Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob oder nicht grob einzustufen ist, sei eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliege. Zwar müsse die Bewertung eines Behandlungsgeschehens als grob fehlerhaft in den Ausführungen eines Sachverständigen ihre tatsächliche Grundlage finden; sie dürfe auch keinesfalls entgegen dessen fachlichen Ausführungen bejaht werden (BGH, VersR 2004, 645, 647; BGH VersR 2008, 644, 645; BGH VersR 2009, 1406, 1408). Das bedeute aber nicht, dass der Richter die Bewertung dem Sachverständigen überlassen und nur die seltenen Fälle, in denen dieser das ärztliche Verhalten als nicht nachvollziehbar bezeichnet, als grob werten dürfe. Vielmehr habe der Tatrichter darauf zu achten, ob der Sachverständige in seiner Würdigung einen Verstoß gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards oder lediglich eine Fehlentscheidung in mehr oder weniger schwieriger Lage erkennt (BGH, VersR 2009, 1406, 1408). Distanziert sich der Sachverständige einerseits deutlich vom Vorgehen des Arztes, hält er es aber andererseits noch für nachvollziehbar, so habe der Tatrichter die Äußerungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen und sowohl den für eine solche Behandlung geltenden Sorgfaltsmaßstab als auch die tatsächlichen Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers – ggf. erneut — mit dem Sachverständigen zu erörtern (BGHVersR 2009, 1406, 1408). Andernfalls biete der erhobene Sachverständigenbeweis keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung (BGH VersR 2008, 644, 645 mwN).

Im Streitfall habe der Sachverständige die sofortige Durchführung einer Fibrinolyse nach Einlieferung des Klägers für zwingend indiziert gehalten. Auch unter Berücksichtigung der Umstände, die die Beklagte zur Verteidigung für das Zuwarten von Dr. B. angeführt habe, sei eine sofortige Fibrinolyse zwingend geboten gewesen.(…)

Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht die Wertung des Sachverständigen, das eindeutig fehlerhafte Vorgehen der Beklagten sei noch verständlich, nicht ohne weiteres übernehmen dürfen. Der Sachverständige habe das Vorgehen der Beklagten für nachvollziehbar gehalten, weil die Beklagte ein Behandlungskonzept verfolgt habe, das auf einer Fehleinschätzung hinsichtlich der — tatsächlich nicht anzunehmenden — spontanen Wiedereröffnung der verschlossenen Gefäße beruht habe. Anhaltspunkte, die aus medizinischer Sicht für das konkrete Verhalten sprachen und es damit aus objektiver Sicht nachvollziehbar erscheinen lassen, habe er hingegen nicht aufgezeigt. Er habe im Gegenteil darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte für eine Wiedereröffnung der verschlossenen Herzkranzgefäße nicht gegeben waren. Bei dieser Sachlage liege es nahe, dass der Sachverständige bei der Bewertung des Gewichts des ärztlichen Fehlverhaltens maßgeblich auf den Grad der subjektiven Vorwerfbarkeit abgestellt habe.

Auf die subjektive Vorwerfbarkeit komme es aber nicht an. Die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler sei — so der BGH — keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden, sondern knüpfe daran an, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden sei, so dass der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den Kausalitätsbeweis nicht zumuten könne. Erforderlich aber auch genügend sei deshalb ein Fehlverhalten, das nicht aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint (BGH, VersR 1992, 238, 239 mwN).

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Nebenintervention des Haftpflichtversicherers bei Manipulationsverdacht

BGH – Beschluss vom 29.11.2011 — Aktenzeichen: BGH VI ZR 201/10

Immer wieder kommt es vor, dass der wegen eines Unfallereignisses neben seinem Versicherungsnehmer (VN) in Anspruch genommene Kfz-Haftpflichtversicherer den Verdacht hat, es handele sich um ein manipulierts Unfallereignis. In diesen Fällen ist der Versicherer (VR) allerdings gehindert, eine Abwehr der klageweise gegen den VN und den VR gleichzeitig geltend gemachten Ansprüche dadurch herbei zu führen, dass er einen Anwalt seiner Wahl mit der Interessenwahrnehmung beider beklagten Parteien beauftragt: Denn der Anwalt gerät mit dem gewünschten Vortrag einer abgestimmten, dolosen Beteiligung des VN an dem Unfall in einen unauflöslichen Interessenkonflikt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der VR eigenständig nur für sich einen Anwalt beauftragen und dann im Wege der Nebenintervention auf Seiten des VN dem Rechtstreit beitreten und Klageabweisung beantragen kann (vgl.: BGH VersR 1993, 625; OLG Köln r+s 1991, 220; OLG Düsseldorf Urteil v. 29.03.2004, 1 U 161/03; MüKo-Schultes, ZPO, 3.Auflage, § 66 Rz. 16; Lemcke r + s 1990, 161/162).

Problematisch in derartigen Fällen erschien in der Vergangenheit, ob der VR sich mit seinem Vorbringen — z.B., indem er das gesamte behauptete Unfallgeschehen mit Nichtwissen bestreitet — auch in Widerspruch zum Vorbringen der „unterstützten Hauptpartei“, also des eigenen VN, setzen kan oder solches Vorbringen gem. § 67 HS.2 ZPO unbeachtlich ist (offengelassen noch in BGH r+s 1994, 212).

Mit Beschluss vom 29.11.2011 hat der BGH hierzu nunmehr klargestellt, dass der in diesen Konstellationen beklagte VR nicht nur abweichend vom mitbeklagten VN argumentieren, sondern auch als dessen Streithelfer Klageabweisung beantragen durfte, da er streitgenössischer Nebenintervenient ist, der nicht den Beschränkungen des § 67 HS.2 ZPO unterliegt.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info


Rechtzeitigkeit der ärztlichen Aufklärung

OLG Köln – Beschluss vom 04.10.2011 – Az.: 5 U 184/10; OLG Hamm – Urteil vom 12.05.2010 – Az.: I-3U 134/09

Das OLG Köln wie auch das OLG Hamm haben nochmals betont, dass grundsätzliche Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung des Patienten in einen ärztlichen Eingriff die rechtzeitige Aufklärung des Patienten durch den Arzt ist.

Der Patient muss vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann. Zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts erfordert dies grundsätzlich, dass ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Allerdings ist eine erst später erfolgte Aufklärung nicht in jedem Fall verspätet. Vielmehr hängt die Wirksamkeit einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Je nach den Vorkenntnissen des Patienten von dem bevorstehenden Eingriff kann bei stationärer Behandlung eine Aufklärung im Verlauf des Vortags grundsätzlich genügen, wenn sie zu einer Zeit erfolgt, zu der sie dem Patienten die Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts erlaubt (BGH VersR 2003, 1441 m. w. N.). Ohne frühere Aufklärungsgespräche oder eine entsprechende Vorinformation des Patienten ist ein Aufklärungsgespräch am Vortag einer risikoreichen und umfangreichen Operation aber „zweifellos“ (BGH VersR 2007, 66) verspätet. Bei Aufklärung am Vorabend einer Operation wird der Patient in der Regel mit der Verarbeitung der ihm mitgeteilten Fakten und der von ihm zu treffenden Entscheidung überfordert sein, wenn er — für ihn überraschend — erstmals aus dem späten Aufklärungsgespräch von gravierenden Risiken des Eingriffs erfährt, die seine persönliche zukünftige Lebensführung entscheidend beeinträchtigen können (vgl. BGH VersR 2003, 1441 ; VersR 1992, 960 ; OLG Hamm vom 23. 11. 2009 – 3 U 41/09).

Das OLG Köln hat in dem von ihm entschiedenen Fall, in dem es um die Aufklärung eines Patienten über die Risiken einer Herzoperation ging, ausgeführt, dass ein Aufklärungsgespräch am Abend vor der gravierenden Operation nicht rechtzeitig war, weil eine so späte Aufklärung den Patienten in Hinblick auf die von ihm zu treffende Entscheidung für oder gegen den Eingriff überfordere. Vor einer derartigen Operation müsse der Patient Gelegenheit haben, in Ruhe die Einzelheiten des Eingriffs abzuwägen und auch nach einer gewissen Überlegungszeit noch klärende Fragen stellen zu können. Dies sei im konkreten Fall nicht gewährleistet gewesen.

In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall hat dieses klargestellt, dass ein Patient, der über wesentliche Aspekte, Risiken etc. einer geplanten Operation schon „im Groben“ im Rahmen deutlich früherer Gespräche mit dem Arzt aufgeklärt wurde, keine unzureichende Aufklärung geltend machen kann mit der Begründung, er sei infolge einer erst am Vortag der geplanten Operation durchgeführten Aufklärung „überfordert“ gewesen. Denn ein solcher Patient habe mit den vorab bereits erhaltenen Informationen und unter Berücksichtigung der ruhigen Zeitabläufe am Vortag der Operation hinreichend Möglichkeit gehabt, einen „klaren Gedanken zu fassen“. Dass der Patient in dieser Situation in seinem Entscheidungsrecht verkürzt worden sei, sei nicht substantiiert dargelegt.

SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE | Bismarckstraße 16  | 59065 Hamm | Deutschland
Tel. 02381 921 55-0 | FAX 02381 921 55-99 | Mail hamm@schluender.info