Meinungsverschiedenheiten zwischen dem II. und XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Fällen kreditfinanzierten Erwerbs von Anteilen an geschlossenen Immobilienfonds beigelegt

BGH, Urteil vom 25.4.2006 — Aktenzeichen: XI ZR 193/04, XI ZR 29/05, XI ZR 106/05, XI ZR 219/04

Der XI. Zivilsenat des BGH hatte über verschiedene Klagen zu entscheiden, in denen es um kreditfinanzierte Beteiligungen von Verbrauchern an geschlossenen Immobilienfonds ging. Der XI. Zivilsenat hat seine bisherige Rechtsprechung zu kreditfinanzierten Beteiligungen an Immobilienfonds unter Zustimmung des II. Zivilsenates wie folgt bestätigt und ergänzt:

  1. Der Erwerb eines Immobilienfondsanteils und das Darlehen, das zur Finanzierung dieses Erwerbs dient und nicht von der Sicherung durch ein Grundpfandrecht abhängig ist, sind ein verbundenes Geschäft, wenn zwischen beiden Verträgen eine wirtschaftliche Einheit besteht. Bei einer Täuschung des Darlehensnehmers im Rahmen des Erwerbs der Fondsbeteiligung kann dieser den Darlehensvertrag nach § 123 BGB anfechten sowie der Bank seine Ansprüche gegen die Fondsgesellschaft entgegenhalten. Dagegen kann er Ansprüche gegen Gründungsgesellschafter, Fondsinitiatoren, maßgebliche Betreiber, Manager und Prospektherausgeber dem Rückzahlungsverlangen der Bank nicht gemäß § 9 Abs. 3 Verbraucherkreditgesetz entgegensetzen. (Achtung: Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats).
  2. Die Annahme eines verbundenen Geschäftes scheidet aus, wenn es sich bei dem Darlehensvertrag um eine Realkreditvertrag handelt. Ein solcher liegt auch dann vor, wenn nicht der Erwerber, sondern der Fonds das Grundpfandrecht bestellt hat. (Achtung: Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats).
  3. Fehlt im Rahmen der sogenannten unechten Abschnittsfinanzierung die Gesamtbetragsangabe, ist der Darlehensvertrag nichtig. Dieser Mangel wird aber durch die Auszahlung geheilt. Anders als nach der bisherigen Ansicht des II. Zivilsenates gilt dies auch im Falle eines verbundenen Geschäftes.
  4. Für die Frage, ob in den Fällen nichtiger Vollmacht des gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßenen Treuhänders zu Gunsten der kreditgebenden Bank eine Rechtscheinhaftung nach §§ 171, 172 BGB eingreift, kommt es nicht darauf an, ob Kreditvertrag und Fondsbeitritt ein verbundenes Geschäft sind. (Achtung: Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats)

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Erstmaliger Verjährungseinwand in der Berufungsinstanz und Verjährung nach § 37 a WpHG

BGH, Urteil vom 19.1.2006 — Aktenzeichen: III ZR 105/05

1.
Eine erst in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede ist ohne Rücksicht auf die besonderen Voraussetzungen in § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn sie auf der Grundlage unstreitigen Tatsachenvorbringens zu beurteilen ist.

2.
Schadensersatzansprüche gegen ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das ohne die nach § 32 Abs. 1 KWG erforderliche Erlaubnis tätig ist, unterliegen nicht der Verjährung nach § 37 a WpHG.

3.
Ein Unternehmen, das sich auf den Eintritt der Verjährung nach § 37 a WpHG beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast, dass es ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist und nicht zu den Unternehmen im Sinne des § 2 a WpHG gehört, die nicht als Wertpapierdienstleistungsunter-nehmen gelten.

Sachverhalt
Der Kläger hat die Beklagte auf Schadensersatz mit der Behauptung in Anspruch genommen, sie hätte ihn und seine Ehefrau im Zusammenhang mit der Vermittlung des Erwerbs von Anteilen an verschiedenen Aktienfonds unrichtig beraten. Die Beklagte ist nach ihren Angaben eine rechtlich verselbständigte Vertriebsorganisation eines Versicherungskonzerns, die Vermögensanlagen aller Art vermittelt und vertreibt.

Sowohl das Landgericht als auch das OLG Naumburg haben die Klage abgewiesen. Hierbei hat sich das Berufungsgericht auf die erstmals in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede gestützt.

Entscheidung des BGH

1.
Der BGH hat zunächst die obergerichtliche Rechtsprechung bestätigt, dass eine erst in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede ohne Rücksicht auf die besonderen Voraussetzungen in § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, wenn sie auf der Grundlage unstreitigen Tatsachenvorbringens zu beurteilen ist.

2.
Für die Anwendbarkeit der Verjährungsvorschrift des § 37 a WpHG ist Voraussetzung, dass es sich bei der Beklagten um ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen handelt. Der Begriff des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ist in § 2 Abs. 4 WpHG legaldefiniert. Darüber hinaus enthält § 2 a WpHG eine Reihe von Ausnahmebestimmungen.

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass derjenige, der sich auf § 37a WpHG beruft, nachweisen muss, dass er ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist. Hierzu gehöre auch der Nachweis, dass keine der Ausnahmebestimmungen des § 2 a WpHG vorliegen. Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen sei die Beklagte, die sich auf die Einrede der Verjährung beruft, darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Voraussetzungen der von ihr in Anspruch genommenen Norm vorliegen. Der Umstand, dass § 2 a WpHG Ausnahmetatbestände beschreibt, rechtfertige es nicht, insoweit den Kläger für darlegungsverpflichtet zu halten. Zum Einen handele es sich bei der Ausgestaltung der Fassung der Norm um die Umsetzung einer EG-Richtlinie. Zum Anderen könne die Beklagte ihre Eigenschaft als Wertpapierdienstleistungsunternehmen durch einen Hinweis auf die ihr als Finanzdienstleistungsinstitut erteilte Erlaubnis nach § 32 KWG darlegen und belegen, während dem Kläger als Kunden keine ohne weiteres zugänglichen Informationen zur Verfügung ständen.

3.
Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung ebenfalls entschieden, dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis nach § 32 KWG Wertpapierdienstleistungen erbringt, sich nicht auf die Verjährungsbestimmung des § 37a WpHG berufen könne.

§ 37a WpHG sei insoweit entsprechend seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar. Zur Begründung bezieht sich der BGH auf die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung. Dort wird die Verkürzung der früher geltenden 30jährigen Verjährungsfrist mit einem Vergleich zu den für andere beratende Berufe geltenden Regelungen (Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater) begründet. Ferner sollte die Verkürzung der Verjährungsfrist nach der Gesetzesbegründung dem Umstand Rechnung tragen, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen einer besonderen wertpapierhandelsrechtlichen Aufsicht unterliegen, die insbesondere das Verhalten dieser Unternehmen gegenüber ihren Kunden bei Transaktionen im Wertpapierbereich überwacht.

Nach der Entscheidung des BGH gebietet es die Bezugnahme auf die besonderen Verjährungsregelungen für Ansprüche gegen Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, die allesamt erhebliche Zugangsvoraussetzungen erfüllen müssen, um ihrer beratenden Tätigkeit nachgehen zu können, und der ausdrücklich hervorgehobene Zusammenhang zwischen der Verkürzung der Verjährungsfrist auf drei Jahre und der Beaufsichtigung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, solchen Unternehmen die Berufung auf die kurze Verjährungsfrist zu versagen, die zwar der Sache nach Wertpapierdienstleistungen erbringen, aber ohne die erforderliche Erlaubnis ihrer Geschäftstätigkeit aufnehmen und sich der damit verbundenen Aufsicht entziehen.

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Begrenzung der Haftung aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht

OLG Saabrücken, Urteil vom 7.7.2005 — Aktenzeichen: 8 U 383/05 – 74, rechtskräftig.

Verletzungen, die sich lediglich als Verwirklichung der Gefahr fernliegender Benutzung der zu sichernden Sache darstellen, liegen außerhalb des Schutzbereichs der Verkehrssicherungspflicht.

Sachverhalt
Das OLG Saarbrücken hatte sich mit einem Unfall auf einer Baustelle zu beschäftigen. Der Kläger, der zum Unfallzeitpunkt noch nicht volljährig war, nahm das bauausführende Unternehmen, den verantwortlichen Polier, den Bauleiter und die Sicherheitskraft wegen angeblicher Verkehrssicherungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der Lagerung von Kanalrohren in Anspruch. Zum Unfallzeitpunkt war eines der auf der Baustelle gelagerten Stahlbetonrohre mit einem Gewicht von 1,85 t und einem Innendurchmesser von
80 cm von Jugendlichen dadurch ins Rollen gebracht worden, dass diese die Rohre durch rhythmische Bewegungen „aufgeschaukelt“ hatten. Im einzelnen waren die Umstände, wie die Jugendlichen das fast zwei Tonnen schwere Rohr ins Rollen gebracht hatten, ungeklärt. Der Kläger wurde bei dem Versuch, auf das auf ihn zurollende Rohr aufzuspringen bzw. darüber zu springen, erfasst und verletzt.

Entscheidung
Sowohl das Landgericht Saarbrücken als auch das OLG Saarbrücken wiesen die Klage ab. Die Verletzungen des Klägers stellen sich nach Ansicht des Senats nicht als Verwirklichung derjenigen Gefahr dar, vor der die den Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht gerade schützen sollte und waren deshalb vom Schutzbereich dieser Verkehrssicherungspflicht nicht umfasst.

Der geschilderte Geschehensablauf stellt sich nach Ansicht des Senats als ein Fall fernliegender Benutzung der Kanalrohre dar, zu deren Abwehr die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht bestand. Zum einem biete bereits das tonnenschwere Eigengewicht der Kanalrohre an sich Gewähr dafür, dass mit diesen kein grober Unfug getrieben werden könne. Zum anderen hätten die Beklagten nicht damit rechnen müssen, dass es Jugendlichen doch gelänge, ein Kanalrohr in Bewegung zu setzen. Eine derartige „Nutzung“ der Kanalrohre durch Jugendliche läge insbesondere angesichts der darin liegenden besonderen Leichtfertigkeit, die in der auch für Jugendliche erkennbaren Gefährlichkeit des bewussten in Bewegung Setzens schwerer Kanalrohre begründet sei, fern. Gerade bei der Fortsetzung eines erfolgreichen „Aufschaukel-Versuches“ sei erkennbar die Gefahr eines „Außer-Kontrolle-Geratens“ mit unabsehbaren Folgen gegeben. Die Beklagten hätten im Zusammenhang mit der Lagerung der Kanalrohre berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass Jugendliche, die so alt sind, dass sie die in diesem Zusammenhang erforderlichen erheblichen Körperkräfte überhaupt entwickeln können, die Leichtfertigkeit eines solchen Tuns ohne weiteres erkennen und sich hierdurch demgemäss abschrecken ließen.

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Erstmaliger Verjährungseinwand in der Berufungsinstanz

OLG Karlsruhe, Urteil vom 4.11.2004 — Aktenzeichen: 19 U 216/03 -, rechtskräftig.

Die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Einrede der Verjährung ist nicht nach

§ 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt unstreitig ist und bei Zulassung keine Beweisaufnahme erforderlich wird.

Problemstellung
Nach der ZPO-Reform sind in der Berufungsinstanz neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, von den Ausnahmen des § 531 Abs. 2 ZPO abgesehen, grundsätzlich ausgeschlossen. Dies wird in der Rechtsprechung der OLG überwiegend für die erst in der Berufungsinstanz erhobene Einrede der Verjährung angenommen.

Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe ist in seiner Entscheidung hiervon abgerückt. Da neuer unstreitiger Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sei, gelte dies auch für den Einwand der Verjährung, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt unstreitig sei und bei Zulassung keine Beweisaufnahme erforderlich werde.

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