Voraussetzungen des Anscheinsbeweises im Rahmen der Steuerberaterhaftung

Simone EibenSimone Eiben

OLG Oldenburg, Beschluss vom 22. Februar 2022 i. V. m. Hinweisbeschluss vom 26.01.2022 – Aktenzeichen: 14 U 120/21

Orientierungssatz
Die Annahme eines Anscheinsbeweises beratungsgerechten Verhaltens kommt nur in Betracht bei tatsächlichen Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Steuerberater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätten. Dies ist bei der Wahl der Einordnung einer Unfallversicherung als privat oder als ganz oder teilweise zum Betriebsvermögen zählend nicht der Fall.

Sachverhalt
Der Kläger begehrte von dem beklagten Steuerberater Schadensersatz wegen steuerlicher Fehlberatung.

Der Kläger war selbständiger Landwirt und schloss in den Jahren 1993 und 1994 zwei Unfallversicherungen ab, die sowohl private wie auch berufliche Risiken abdeckten. Der beklagte Steuerberater, der mit der Erstellung der Einkommensteuererklärungen des Klägers beauftragt war, verbuchte die Unfallversicherungsbeiträge zu 50 % als Betriebsausgabe. Im Jahr 2008 stürzte der Kläger vom Dach seines Stallgebäudes, welches er betreten hatte, um einerseits eine gewerbliche genutzte Solaranlage zu reinigen, und um andererseits das Stalldach abzudichten. Wegen der Buchungspraxis als hälftige Betriebsausgabe bewertete das Finanzamt die Versicherungsleistungen, die dem Kläger aufgrund des Sturzes gezahlt wurden, zu 50 % als steuerpflichtige Betriebseinnahmen.

Der Kläger hat behauptet, er sei über die Buchungspraxis und die steuerlichen Folgen nicht informiert worden. Hätte der Steuerberater ihn darüber aufgeklärt, dass die Buchung der Versicherungsbeiträge als Betriebsausgabe den Nachteil einer Steuerpflicht einer Versicherungsleistung hätte, hätte er dieser Buchungspraxis nicht zugestimmt.

Der beklagte Steuerberater hat die Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung für den Schaden bestritten und die Auffassung vertreten, auch eine anderweitige Buchung der Versicherungsbeiträge hätte nicht zur Steuerfreiheit der Versicherungsleistung geführt.

Das Landgericht Osnabrück hat die Klage abgewiesen. Zwar liege eine Pflichtverletzung vor, da der Steuerberater den Kläger nicht über die möglichen nachteiligen Folgen aufgeklärt habe, die mit einer Buchung der Versicherungsbeiträge als Betriebsausgabe einhergingen. Der Kläger habe aber nicht den Beweis für die Ursächlichkeit dieser Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden erbracht; die Grundsätze des Anscheinsbeweises seien nicht anwendbar.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Entscheidung
Mit Hinweisbeschluss vom 26.01.2022 hat das OLG Oldenburg darauf hingewiesen zu beabsichtigen, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 22.02.2022 hat das OLG Oldenburg sodann die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die von dem Kläger im Nachgang eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ist von diesem zurückgewiesen worden.

Das OLG Oldenburg hat in den vorgenannten Beschlüssen das Urteil des Landgerichts Osnabrück bestätigt. Zutreffend habe das Landgericht einen Anscheinsbeweis der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden verneint. Die Annahme eines Anscheinsbeweises beratungsgerechten Verhaltens komme nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur in Betracht bei tatsächlichen Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten. Für die Frage, wie der Kläger sich bei zutreffender Aufklärung über die steuerlichen Folgen der Buchung der hälftigen Versicherungsprämien als Betriebsausgabe entschieden hätte, komme es auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung an, die weit vor dem Unfallereignis gelegen habe. Für die Frage, ob sich dem Kläger bei der hypothetischen Aufklärung vor Ausübung der Wahl nur eine einzige vernünftige Entscheidung zur Einordnung der Versicherung als privat oder als ganz oder teilweise zum Betriebsvermögen zählend geboten hätte, sei daher die ex ante Sicht vor dem Unfallereignis entscheidend. Zu diesem Zeitpunkt sei der künftig zu erwartende steuerliche Vorteil, der mit der Buchung der hälftigen Versicherungsprämie als Betriebsausgabe einhergehen würde, gegen den Nachteil der Steuerbarkeit eines der Höhe nach unbekannten Auszahlungsbetrages im (unwahrscheinlichen) Versicherungsfall abzuwägen. Eine solche Entscheidung hänge von zahlreichen, zum Teil höchst individuellen Einstellungen und Eigenschaften, wie Risikofreude oder Risikoscheu und individuellen Wahrscheinlichkeitseinschätzungen hinsichtlich des Eintritts und der Schwere eines etwaigen Versicherungsfalls ab, so dass sie einem Anscheinsbeweis nicht zugänglich sei. Das gelte auch für die Wahl weiterer Abwägungskriterien und ihrer Gewichtung, etwa die Frage, ob ein vom Landwirt vorgenommener Vergleich der Steuerersparnis ohne Eintritt des Versicherungsfalles mit der Höhe der Versicherungsprämie als entscheidungsrelevant erachtet werde.

Ergänzend hat das OLG Oldenburg ausgeführt, dass der Sturz eines Landwirtes von einem Stallgebäude, das er betreten hat, um einerseits eine gewerblich genutzte Solaranlage zu reinigen und um andererseits das Stalldach abzudichten, nicht privaten, sondern betrieblichen Risiken zuzuordnen sei. Jedenfalls sei die vom Finanzamt vorgenommene nur hälftige Zuordnung der Versicherungsleistungen zum betrieblichen Risiko nicht zu beanstanden.

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Schadensberechnung bei Steuerberaterhaftung

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 01.10.2020 – Az.: IX ZR 228/19

Leitsatz:
Die Einbeziehung (rechtlich) fremden Vermögens in den im Rahmen der Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung vorzunehmenden Gesamtvermögensvergleich im Wege der konsolidierten Schadensbetrachtung setzt neben der Einbeziehung der Vermögensinteressen des Dritten in den Beratungsvertrag voraus, dass sich der Berater vereinbarungsgemäß mit einem bei wirtschaftlich wertender Betrachtung einheitlichen Vermögen zu befassen hat (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 5. Februar 2015 – IX ZR 167/13, WM 2015, 790).

 

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die beklagte Steuerberatungsgesellschaft auf Schadensersatz in Anspruch. Er war Inhaber sämtlicher Geschäftsanteile an einer GmbH. Diese GmbH hielt die Anteile der zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften. Ihr Stammkapital betrug 50.000,00 €. Der tatsächliche Wert der Geschäftsanteile betrug jedoch ein Vielfaches.

Zur Regelung seiner Unternehmensnachfolge bat der im Jahr 1955 geborene Kläger die Beklagte um Beratung, wie das in den Geschäftsanteilen an der GmbH gebündelte Beteiligungsvermögen möglichst steuersparend übertragen werden könne. Nach Beratung durch die Beklagte entschied sich der Kläger für das sog. Doppelstiftungsmodell. Die Beklagte begleitete dessen Umsetzung. Der Kläger errichtete sodann eine gemeinnützige Stiftung sowie eine Familienstiftung. In das Vermögen der gemeinnützigen Stiftung brachte der Kläger zwei Geschäftsanteile an der GmbH im Gesamtwert von 65% des Stammkapitals ein. Die auf die Geschäftsanteile entfallenden Gewinnbezugsrechte standen fortan der gemeinnützigen Stiftung zu. In den Jahren 2014 bis 2018 erhielt die gemeinnützige Stiftung Dividendenzahlungen in Höhe von ca. 1,16 Mio. €.

Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn im Hinblick auf einen Sonderausgabenabzug für die Einbringung der Geschäftsanteile in die gemeinnützige Stiftung falsch beraten zu haben. Er sei davon ausgegangen, einen Sonderausgabenabzug in Höhe des tatsächlichen Wertes der Anteile im Zeitpunkt der Übertragung und jährlich einen Betrag von 20% des Gesamtbetrages seiner Einkünfte steuermindernd geltend machen zu können. Tatsächlich konnte er den Steuervorteil jedoch nur einmalig und auch nur unter Berücksichtigung des Nennwerts der Anteile geltend machen. Der Vorteil betrug ca. 16.000,00 €.

Der Kläger behauptet, er hätte die Geschäftsanteile noch bis Oktober 2025 selbst gehalten, wenn er zutreffend beraten worden wäre. Dann hätte nicht die gemeinnützige Stiftung, sondern er selbst die Dividendenzahlungen erhalten. Der Kläger verlangt deshalb Schadensersatz in Höhe der bereits an die Stiftung erfolgten Zahlungen abzgl. des erlangten Steuervorteils. Daneben begehrt er auch den Ersatz zukünftig entstehender Schäden.

Nachdem das Landgericht der Klage zunächst stattgegeben hat, hat das OLG Düsseldorf auf die Berufung die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die von dem Kläger eingelegte Revision hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein ersatzfähiger Schaden des Klägers in Höhe der ihm entgangenen und zukünftig noch entgehenden Dividendenzahlungen nicht deshalb verneint werden könne, weil die gemeinnützige Stiftung die Zahlungen vereinnahmt habe und künftig vereinnahmen werde.

Die konsolidierte Schadensbetrachtung sei die Ausnahme von dem Grundsatz, dass Bezugspunkt des im Rahmen der Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung erforderlichen Gesamtvermögensvergleichs nur das Vermögen des Geschädigten sei und nicht dasjenige Dritter.

Maßgeblich für die Frage, ob eine konsolidierte Schadensbetrachtung vorzunehmen sei, sei der Inhalt des zugrundeliegenden Beratungsvertrages. Die Voraussetzungen für eine konsolidierte Schadensbetrachtung seien nicht schon dann erfüllt, wenn der Beratungsvertrag lediglich zur Einbeziehung der Vermögensinteressen eines Dritten verpflichtet. Vielmehr sei darüber hinaus erforderlich, dass sich der Berater vereinbarungsgemäß mit einem bei wirtschaftlich wertender Betrachtung einheitlichen Vermögen zu befassen habe. Dabei sei unerheblich, ob die Vermögenseinheit schon besteht oder als Ergebnis der geschuldeten Beratung erst entstehen soll. Ob bei wirtschaftlich wertender Betrachtung ein einheitliches Vermögen vorliegt, sei eine nicht allgemeingültig zu beantwortende Frage des Einzelfalles. Dabei sei das rechtliche Innenverhältnis der beteiligten Rechtsträger untereinander nicht entscheidend. Es komme insbesondere nicht darauf an, ob eine rechtliche Zugriffsmöglichkeit auf das Drittvermögen bestehe. Entscheidend sei vielmehr, ob die vereinbarungsgemäß zu berücksichtigenden Vermögen rein tatsächlich so miteinander verbunden seien, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung von einem Gesamtvermögen ausgegangen werden könne.

Nach diesen Grundsätzen lagen im vom BGH zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen für eine konsolidierte Schadensbetrachtung nicht vor. Im Streitfall gehe es nicht um das von der Beklagten zur Regelung der vorgezogenen Unternehmensnachfolge entworfene Gesamtkonzept. Als solches hatte der Kläger das Konzept nie in Frage gestellt. Er hatte vielmehr behauptet, dass er im Falle ordnungsgemäßer Beratung die Geschäftsanteile an der GmbH nicht schon im Jahr 2014 in das andere Vermögen der gemeinnützigen Stiftung eingebracht hätte, sondern erst im Oktober 2025. Daher sei der Blick auf die Geschäftsanteile zu richten. Neben der Einbeziehung der Vermögensinteressen der gemeinnützigen Stiftung in den Beratungsvertrag setze eine konsolidierte Schadensbetrachtung deshalb eine wirtschaftliche Einheit zwischen dem Vermögen des Klägers und dem der gemeinnützigen Stiftung bezogen auf die Geschäftsanteile voraus.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im streitentscheidenden Fall fehle es an der notwendigen Vermögenseinheit, da der Kläger mit der Übertragung der Geschäftsanteile an der GmbH auf die gemeinnützige Stiftung nicht nur rechtlich jede Zugriffsmöglichkeit auf die Geschäftsanteile verloren hatte, sondern auch wirtschaftlich nicht mehr von den Anteilen profitierte. So standen die Dividendenzahlungen nach der Übertragung der gemeinnützigen Stiftung und nicht mehr dem Kläger zu. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger von den auf die Anteile entfallenden Gewinnbezugsrechten in vergleichbarer Weise profitiere wie vor der Übertragung. Hierzu reiche es insbesondere nicht aus, dass die Betätigung der Stiftung im Sinne des Klägers sei und er als Mitglied des Stiftungsvorstands Einfluss auf die Verwendung der Mittel im Rahmen des Stiftungszwecks nehmen könne.

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BGH: Vertrauen auf übliche Postlaufzeiten auch in Zeiten der Corona-Pandemie

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Beschluss vom 19.11.2020 – Aktenzeichen: V ZB 49/20

(nicht offizieller) Leitsatz

Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags – innerhalb der Briefkastenleerungszeiten – aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn dem Postkunden besondere Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können. Eine Briefaufgabe in Zeiten der Corona-Pandemie ist für sich genommen kein Umstand, der das Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten erschüttert.

 

Sachverhalt
Das Landgericht hatte die Klage der Klägerin abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klägerin nach fristgerecht eingelegter Berufung darauf hingewiesen zu beabsichtigen, die Berufung der Klägerin zu verwerfen, weil es an einer fristgerechten Berufungsbegründung fehlte. Die Klägerin hat daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet. Sie hat geltend gemacht, die Frist ohne ihr Verschulden versäumt zu haben. Ihr Prozessbevollmächtigter habe rechtzeitig eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Er habe den Brief mit dem Verlängerungsantrag am späten Donnerstagnachmittag vier Tage vor Fristablauf persönlich in einer Postfiliale abgegeben. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass der Brief bei der gewöhnlichen Postlaufzeit spätestens zwei Tage später und damit vor Fristablauf beim Berufungsgericht eingehen würde. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zwar könne eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert würden. Da aber die Briefaufgabe in die Zeit der Corona-Pandemie gefallen sei, hätten besondere Umstände vorgelegen, aufgrund derer die Klägerin auf die Zuverlässigkeit des Postversandes nicht habe vertrauen dürfen, sondern einen sichereren Weg (durch Telefaxschreiben oder Schreiben durch besonderes elektronisches Anwaltsfach) habe wählen müssen. Unerheblich sei, dass es zu dieser Zeit noch nicht zu Einschränkungen des Postversandes gekommen sei. Ferner habe der Prozessbevollmächtigte aber auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, den Schriftsatz mit dem Verlängerungsantrag rechtzeitig bei der Post aufgegeben zu haben. Gegen seine Darstellung spreche, dass der Originalfristverlängerungsantrag nach wie vor nicht zur Akte gelangt sei. Dagegen hat die Klägerin Rechtsbeschwerde eingelegt.

 

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde war erfolgreich. Der BGH hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Das OLG habe die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Rechtsanwalt bei der Wahrung prozessualer Pflichten zu stellen seien, überspannt. Grundsätzlich dürfe darauf vertrauen werden, dass im Bundesgebiet werktags – innerhalb der Briefkastenleerungszeiten – aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden, es sei denn, es seien besondere Umstände bekannt, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen könnten, etwa ein Poststreik. Solche Umstände habe das OLG nicht festgestellt. Dass die Briefaufgabe in die Zeit der Corona-Pandemie falle, genüge allein nicht, um das Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten zu erschüttern. Konkrete Anhaltspunkte für Verzögerungen, etwa entsprechende Hinweise durch die Post oder die Medien habe das OLG nicht aufgezeigt. Aus der Begründung der begehrten Fristverlängerung, eine Besprechung mit der Klägerin sei coronabedingt nicht möglich, folge nichts anderes. Denn daraus könne nicht auf Einschränkungen auch bei der Postzustellung geschlossen werden.

Der Auffassung des OLG, die Klägerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei der Post aufgegeben hat, hat der BGH ebenfalls eine Absage erteilt. Der Prozessbevollmächtigte, so der BGH, habe die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichert. Von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung sei grundsätzlich auszugehen, es sei denn, konkrete Anhaltspunkte schlössen es aus, dass der geschilderte Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffend ist. Solche Anhaltspunkte lägen hier nicht vor. Insbesondere rechtfertige der Umstand, dass der Fristverlängerungsantrag nicht zur Akte gelangt ist, keinen solchen Schluss, da nicht auszuschließen sei, dass Poststücke aus nicht mehr aufklärbaren Umständen auf dem Postweg endgültig verloren gehen. Schenke das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, müsse es die um Wiedereinsetzung nachsuchende Partei darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem sei dann die Prüfung veranlasst, ob bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Prozessbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liege. Sei das der Fall, liege in der Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung

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Aufklärungspflicht in Bezug auf Innenprovisionen bei Kaufgeschäften

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 13.8.2020 – Aktenzeichen: III ZR 148/19

 

Leitsatz
Zur Aufklärungspflicht in Bezug auf Vetriebsprovisionen (Innenprovisionen) bei der Veräußerung von Erdöl- und Erdgasförderrechten in den USA („working interests‟) unter Einsatz eines Prospekts.

 

Sachverhalt
Der Kläger verlangt mit seiner nur noch gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klage, der u.a. Gründungsgesellschafter der Beklagten zu 1) war, Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Erdöl- und Erdgasförderrechten in den USA.
Die vormalige Beklagte zu 1) wurde nach dem Recht des US-Bundesstaates Texas mit dortigem Sitz gegründet und bot als Kapitalanlage den Erwerb von Beteiligungen an Erdöl- und Erdgasförderrechten in den USA an.
Der Kläger wurde auf Empfehlung seines Finanzberaters auf das Projekt „B.‟ der Beklagten zu 1) aufmerksam. Er erhielt eine Projektbroschüre, eine Imagebroschüre und ein Dokument mit „Informationspflichten‟.
Im Jahr 2010 schloss der Kläger mit der Beklagten zu 1) schließlich einen Vertrag über den Erwerb einer Beteiligung am „B.‟-Projekt über 21.000 USD zuzüglich 5 % Agio. Hierfür zahlte der Kläger an die Beklagte zu 1) einen Betrag von ca. 17.600,00 Euro. Er erhielt bis zum 21.03.2016 eine Ausschüttung i.H.v. rund 900 Euro.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) wurde seitens des Klägers zurückgenommen. Nun begehrt er nur noch gegen den Beklagten zu 2) Schadensersatz in Höhe des Differenzbetrages zwischen seiner Zahlung und den erhaltenen Ausschüttungen, Zug um Zug gegen Abtretung der erworbenen Förderrechte, nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten sowie Feststellung des Annahmeverzugs. Der Kläger stützt den Anspruch auf eine deliktischen Haftung nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB. Der Kläger sei über eine Reihe von Gesichtspunkten nicht bzw. nicht richtig aufgeklärt worden. Insbesondere habe man ihn nicht darüber informiert, dass über das ausgewiesene Agio von 5 % hinaus weitere Vertriebsprovisionen (Innenprovisionen) gezahlt worden seien und seine Investition von 21.000 USD somit nicht vollständig in das Projekt geflossen sei. Nach Abweisung der Klage in den ersten beiden Instanzen hat der Kläger versucht, mit der Revision sein Klagebegehren zu erreichen.

 

Entscheidung
Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Prospekthaftungsansprüche im engeren Sinne sind nach den Ausführungen des Bundesgerichthofs verjährt. Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne bestehen nicht, da eine Haftung des Beklagten zu 2) als Gründungsgesellschafter der Beklagten zu 1) schon deshalb ausscheide, da der Kläger der Beklagten zu 1) nicht als Gesellschafter beigetreten sei, sondern von dieser nur US-amerikanische Erdöl- und Erdgasförderrechte („working interest‟) gekauft habe. Damit fehle es an einem gesellschaftsrechtlichen Aufnahmevertrag, bei dessen Anbahnung dem Beklagten zu 2) als Gründungsgesellschafter ggf. Aufklärungspflichten oblegen hätten.

Ein deliktsrechtlicher Anspruch lasse sich weder auf einen Betrug bzw. Kapitalanlagenbetrug nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 Abs. 1, 264a Nr.1 StGB noch auf eine sittenwidrige
vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB stützen. Ein Aufklärungsmangel liege nicht vor. Der Prospekt enthalte weder unrichtige Informationen zu den Vertriebsprovisionen noch werden diesbezügliche Angaben pflichtwidrig verschwiegen. Das über das Agio von 5 % hinausgehende Innenprovisionen von 6-7 % gezahlt werden, sei nicht aufklärungspflichtig gewesen und habe daher im Prospekt nicht erwähnt werden müssen

Eine Aufklärungspflicht folge nicht aus § 8g I, II VerkProspG a.F. i.V.m. § 4 S. 1 Nr. 12 Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung. Die von dem Kläger erworbenen „working interest‟ fielen nämlich nicht in den Anwendungsbereich des VerkProspG, da es sich nicht um den Erwerb von Anteilen, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens i.S.v. § 8f I 1 VerkProspG gewähren, handele, sondern um den Erwerb einzeln zuzuordnender Vermögensgegenstände.

Der BGH hat Aufklärungspflichten des Beklagten zu 2) auch im Übrigen abgelehnt. Der Umstand, dass bei dem Käufer eine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit des erworbenen Renditeobjekts entstehen könne, begründe für sich allein selbst dann noch keine Offenbarungspflicht, wenn die Höhe der Provisionen tatsächlich zu einem Kaufpreis führe, der den objektiven Wert des Kaufgegenstandes – erheblich – übersteige. Der Käufer habe nämlich grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Erwerb des Objekts zu dessen Verkehrswert. Bis zu den Grenzen der Sittenwidrigkeit und des Wuchers bleibe es vielmehr den Vertragsparteien überlassen, welchen Preis sie vereinbaren. Mithin bestehe für den Verkäufer grundsätzlich selbst dann keine Pflicht zur Offenlegung über den Wert des Kaufobjektes, wenn dieser erheblich unter dem geforderten Preis liege. Im Regelfall müsse der Verkäufer auch den Käufer nicht auf ein für diesen ungünstiges Geschäft hinweisen, sondern dürfe davon ausgehen, dass sich sein künftiger Vertragspartner selbst über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft. Es sei im Grundsatz Sache des Verkäufers, wie er den Preis kalkuliere, insbesondere auch, was er darin für den Vertrieb ansetze. Auf der anderen Seite müsse der Erwerber seinerseits immer damit rechnen, dass der ihm genannte Erwerbspreis einen gewissen Vertriebskostenanteil enthalte.

Zwar habe ein Verkäufer eine Aufklärungspflicht über die Höhe von Innenprovisionen, wenn er Kapitalanlagen unter Verwendung eines Prospekts vertreibe, allerdings nur, wenn diese gemeinsam mit dem Agio 15 % des einzubringenden Eigenkapitals übersteigen. Denn ab dieser Größenordnung lassen sich aus der Höhe der Innenprovisionen Rückschlüsse auf die geringere Werthaltigkeit des Objekts und die Rentabilität der Anlage ziehen. Diese Grenze sei vorliegend mit dem Agio von 5 % und den Innenprovisionen von 6-7 % nicht überschritten, so dass im vorliegenden Fall keine Aufklärungspflicht bestehe.

Der BGH hat damit für Kaufgeschäfte, wie den Erwerb von Förder- und Eigentumsrechten, die gerade nicht eine Beteiligung an einer Fondsgesellschaft darstellen, klargestellt, dass insoweit der Grundsatz gilt, dass Angaben zu Innenprovisionen nur dann erforderlich sind, wenn der Vertrieb über einen Prospekt erfolgt und die Grenze von 15 % überschritten wird.

 

 

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Zur Hinweispflicht des zivilrechtlich beauftragten Allgemeinanwalts auf steuerliche Fragestellungen

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 9.1.2020 – Aktenzeichen: IX ZR 61/19

Leitsatz

1. Berät ein Rechtsanwalt eine Mandantin im Zusammenhang mit einer Scheidungsfolgenvereinbarung, hat er sie auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters hinzuweisen, sofern sich bei sachgerechter Bearbeitung wegen der Übertragung von Grundeigentum eine steuerliche Belastung nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG aufdrängen kann und er zu einer steuerrechtlichen Beratung nicht bereit oder imstande ist.

2. Der durch eine fehlerhafte steuerliche Beratung verursachte Schaden umfasst die Kosten eines von dem Mandanten eingeholten Wertgutachtens, mit dessen Hilfe ein geringerer Verkehrswert eines für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Grundstücks nachgewiesen und die Steuerlast verringert werden kann.

3. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt nicht, wenn der vernünftigerweise einzuschlagende Weg die Mitwirkung eines Dritten voraussetzt.

 

Sachverhalt

Die Klägerin traf im November 2011 mit ihrem Ehemann eine notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Danach verpflichtete sich die Klägerin, an ihren Ehemann zur Abgeltung des Zugewinnausgleichs neben einer Zahlung von 40.000 € ein Mietshaus zu übereignen. Bei Abschluss der Vereinbarung wurde die Klägerin, die Eigentümerin eines weiteren Mietshauses ist, von dem Beklagten anwaltlich beraten.

Nach Umsetzung der Vereinbarung wurde gegen die Klägerin wegen eines von ihr aus der Übertragung des Mietshauses erzielten Veräußerungsgewinns ca. 95.000 € von dem Finanzamt eine Steuer von ca. 40.000 € festgesetzt. Aufgrund eines von der Klägerin gegen eine Vergütung von 2.499 € eingeholten Wertermittlungsgutachtens wurde im Einspruchsverfahren ein geringerer Verkehrswert des Grundstücks festgestellt und die Steuer auf ca. 19.000 € ermäßigt. Die steuerliche Belastung wäre gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG vermeidbar gewesen, wenn die Klägerin das andere ihr gehörende Mietshaus, für das die Spekulationsfrist bereits abgelaufen war, ihrem Ehemann übereignet hätte.

Die Klägerin verlangt von dem beklagten Anwalt Erstattung des Steuerbetrages sowie der Kosten des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens. Nach Abweisung der Klage durch das Erstgericht hat das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung von 13.663 € verurteilt. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.

 

Entscheidung

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

1. Der BGH hat ausgeführt, dem Beklagten sei eine Pflichtverletzung anzulasten, weil er es versäumt habe, die Klägerin im Rahmen des auf die zivilrechtliche Beratung beschränkten Mandats auf mögliche mit der Übertragung des Grundstücks verbundene steuerliche Unwägbarkeiten hinzuweisen.

Zwar sei das dem Beklagten als Allgemeinanwalt erteilte Mandat auf die zivilrechtliche Beratung der Klägerin bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung beschränkt gewesen. Eine steuerrechtliche Beratung, die einen zugleich als Fachanwalt für Steuerrecht tätigen Rechtsanwalt treffen könne, habe dem Beklagten, dessen Auftrag sich auf Fragen des Zugewinnausgleichs beschränkte, nicht oblegen. Die zivilrechtliche Beratung der Klägerin durch den Beklagten lasse keine Fehler erkennen.

Dem Beklagten sei jedoch als Pflichtverletzung vorzuwerfen, die Klägerin nicht über die Notwendigkeit der Beteiligung eines Steuerberaters bei Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung unterrichtet zu haben. Bei einem gegenständlich beschränkten Mandat könne der Rechtsanwalt zu Hinweisen und Warnungen außerhalb des eigentlichen Vertragsgegenstandes verpflichtet sein. Voraussetzung derartiger Pflichten sei, dass die dem Mandanten drohenden Gefahren dem Anwalt bekannt oder für ihn offenkundig seien oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen. Voraussetzung sei weiter, dass der Anwalt Grund zu der Annahme habe, dass der Auftraggeber sich der Gefahren nicht bewusst sei. Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin bei der Beratung über die Scheidungsfolgenvereinbarung wegen der dort vorgesehenen Grundstücksübertragung und der damit gemäß § 22 Nr. 2, § 23 EStG möglicherweise verbundenen steuerlichen Belastungen auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters hinzuweisen. Die Gefahr einer der Klägerin nicht bewussten steuerlichen Belastung dränge sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats auf. Denn im familienrechtlichen Schrifttum sei geraume Zeit vor der hier erfolgten Eigentumsübertragung darauf hingewiesen worden, dass die Leistung von Grundbesitz an Erfüllungs statt für Zugewinnausgleichsansprüche eine entgeltliche Veräußerung im Sinne des § 22 Nr. 2, § 23 EStG bilden könne. Zusätzlich sei in der einschlägigen Kommentarliteratur zum Zeitpunkt der Beratung ausdrücklich betont worden, dass die Übertragung eines Grundstücks an den Ehegatten unter Anrechnung auf den Zugewinnausgleich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft bilden könne.

2. Im Rahmen des Schadensersatzes seien, so der BGH, neben dem Steuerschaden auch die Gutachterkosten erstattungsfähig.

Es seien diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Im Streitfall sei die Beauftragung des Sachverständigen zweckmäßig gewesen, weil das von ihm erstellte Wertgutachten im Einspruchsverfahren zu einer Minderung der Steuerlast geführt habe und in einem angemessenen Verhältnis zu der erzielten Steuerminderung stehe.

3. Der Auffassung des Berufungsgerichts, das einen Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden als erwiesen erachtet hat, hat der BGH jedoch eine Abfuhr erteilt.

Der BGH hat bemängelt, dass für die Klägerin zur Vermeidung des Steuernachteils die Alternative der Übertragung des anderen Mietshauses auf den Ehemann zwar nahegelegen habe, jedoch bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht geklärt war, ob der Ehemann bereit gewesen wäre, diese anstelle der tatsächlich übertragenen Immobilie zu übernehmen. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens finde nach der ständigen Rechtsprechung des BGH in so einem Fall keine Anwendung. Denn im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen oder steuerlichen Beratern gelte die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend unterrichteten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Voraussetzung seien danach tatsächliche Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten. Kommen mehrere objektiv gleich vernünftige Verhaltensweisen in Betracht, habe der Mandant grundsätzlich den Weg zu bezeichnen, für den er sich entschieden hätte. Sei für die behauptete Vorgehensweise notwendigerweise die Bereitschaft Dritter erforderlich, den beabsichtigten Weg mitzugehen, müsse der Mandant dessen Bereitschaft hierzu im damaligen maßgeblich Zeitpunkt darlegen und beweisen.

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Haftung des Abschlussprüfers

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 12.3.2020 – Aktenzeichen: VII ZR 236/19

Leitsatz

1. Eine Haftung des Abschlussprüfers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB setzt voraus, dass Gegenstand der Prüfung eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Eine solche Pflichtprüfung liegt nicht vor, wenn die Prüfung der Jahresabschlüsse und der Lageberichte lediglich auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften über den notwendigen Inhalt eines Prospekts für die Emission einer Orderschuldverschreibung erforderlich ist.

2. Ein Anspruch eines Anlegers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen einen Wirtschaftsprüfer kommt in Betracht, wenn der in einem Wertpapierprospekt enthaltene Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint (Anschluss an BGH, Urteil vom 19. November 2013 – VI ZR 336/12, NJW 2014, 383).

 

Sachverhalt

Der Kläger hat den Beklagten als Wirtschaftsprüfer wegen Erstellung von in Anlageprospekten veröffentlichten Bestätigungsvermerken über die Prüfung der Jahresabschlüsse nebst Lageberichten einer Anlagegesellschaft auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

Der Kläger zeichnete im Oktober 2012 sowie im Januar 2013 jeweils eine Orderschuldverschreibung der Anlagegesellschaft. Beide Zeichnungen beruhten auf mit einer Vermittlerin geführten Beratungsgesprächen, wobei die Anlageentscheidungen nach den Angaben in den Zeichnungsanträgen aufgrund der Emissionsprospekte, insbesondere des Basisprospekts für Orderschuldverschreibungen 2011/2012 und der Geschäftsberichte der Anlagegesellschaft sowie infolge der mündlichen Erläuterungen der Vermittlerin getroffen worden sein sollen. Der Basisprospekt enthielt für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 Bestätigungsvermerke des Beklagten, in denen jeweils bekundet wurde, dass die Prüfungen zu den Jahresabschlüssen zu keinen Einwendungen geführt hätten und die Lageberichte der Gesellschaft im Einklang mit den Jahresabschlüssen stünden, insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft vermittelten sowie die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellten. Im April 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Anlagegesellschaft eröffnet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Anlagebetrages Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus den Orderschuldverschreibungen gem. § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB sowie gem. § 826 BGB verurteilt sowie festgestellt, dass die Ansprüche des Klägers aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultierten.

 

Entscheidung

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Es verblieb bei seiner Verurteilung.

 

Allerdings hat der BGH ausgeführt, dass der Kläger entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB hat. Der Beklagte habe keine Pflichtprüfung, wie sie von § 332 Abs. 1 HGB erfordert wird, durchgeführt. Im Ausgangspunkt zutreffend habe das Berufungsgericht angenommen, dass § 332 Abs. 1 HGB auch im Hinblick auf einen Anleger ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstelle. Ein Schadensersatzanspruch könne daher grundsätzlich bestehen, wenn der Abschlussprüfer sich nach § 332 Abs. 1 HGB strafbar gemacht habe.

Nach § 332 Abs. 1 HGB werde mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer als Abschlussprüfer über das Ergebnis der Prüfung eines Jahresabschlusses oder eines Lageberichts unrichtig berichtet, im Prüfungsbericht erhebliche Umstände verschweigt oder einen inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerk nach § 322 HGB erteilt. Das Berufungsgericht hatte die Annahme einer Strafbarkeit auf die letztgenannte Alternative der Strafnorm wegen eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks hinsichtlich der Lageberichte gestützt und ausdrücklich offen gelassen, ob eine Versagung oder Einschränkung der Bestätigungsvermerke aufgrund von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten in den Jahresabschlüssen der Anlagegesellschaft veranlasst war.

Die Voraussetzungen dieser Strafnorm sind, so der BGH, jedoch nur dann erfüllt, wenn Gegenstand der Prüfung eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Dies rechtfertige sich daraus, dass bei gesetzlich nicht vorgesehenen Prüfungen dem Prüfer gerade keine besondere Funktion als Kontrollorgan zugewiesen ist. .

Im streitgegenständlichen Fall sei die Anlagegesellschaft als im maßgeblichen Zeitraum kleine Kapitalgesellschaft nach § 267 Abs. 1 HGB nicht gemäß § 316 Abs. 1 HGB verpflichtet gewesen, den Jahresabschluss und den Lagebericht durch einen Abschlussprüfer zu prüfen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung, die eine Strafbarkeit nach § 332 Abs. 1 HGB begründen könne, liege – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht vor, wenn die Prüfung der Jahresabschlüsse und der Lageberichte lediglich auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften über den notwendigen Inhalt eines Prospekts für die Emission einer Orderschuldverschreibung erforderlich sei.

Es könne dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen aus § 7 WpPG in der bis zum 25. Juni 2011 geltenden Fassung, in dem für die in einen Prospekt aufzunehmenden Mindestangaben auf die Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 (Prospektverordnung, ABl. EU Nr. L 149, S. 1) verwiesen werde, eine generelle oder zumindest im Streitfall bestehende Verpflichtung zur Aufnahme von Lageberichten in den Prospekt folgt. Selbst wenn es im Streitfall erforderlich gewesen sein sollte, nicht nur die Jahresabschlüsse, sondern auch die Lageberichte nebst Bestätigungsvermerk in den Prospekt aufzunehmen, würde dies der Prüfung nicht den Charakter einer gesetzlichen Pflichtprüfung im Sinne von § 332 Abs. 1 HGB geben. Die Ausgabe von Orderschuldverschreibungen erfolgte freiwillig, auch wenn sie der Verwirklichung des zentralen Geschäftsmodells der Anlagegesellschaft diente. Es komme nicht darauf an, ob sich die Gesellschaft durch ihr tatsächliches Geschäfts- und Finanzierungsverhalten wegen § 7 WpPG a.F. einer Abschlussprüfung nicht entziehen konnte. Die Annahme einer gesetzlichen Pflichtprüfung im Sinne des § 332 Abs. 1 HGB setze eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Regelprüfung voraus und gelte nicht für andere Prüfungsanlässe. Eine solche gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfung unterscheide sich nach ihrem Schutzzweck deutlich von den Regelungen zum notwendigen Inhalt von Prospekten.

Eine analoge Anwendung der Strafnorm des § 332 Abs. 1 HGB zu Lasten des Abschlussprüfers sei gem. Art. 103 II GG ausgeschlossen.

 

Soweit das Berufungsgericht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Beklagten zuerkannt hatte, hat der BGH diesen bestätigt.

Das Testat des Beklagten als Abschlussprüfer für die Jahresberichte 2009 und 2010, dass die jeweiligen Lageberichte den Anforderungen des § 322 Abs. 6 HGB entsprächen, sei unzutreffend gewesen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Lageberichte einem durchschnittlich informierten und unbefangenen Leser den Eindruck vermittelt, dass die Geschäftsentwicklung der Anlagegesellschaft unverändert dadurch geprägt gewesen sei, dass sie neben den Beteiligungs- und Immobiliengeschäften in ihrem bisherigen Hauptgeschäftsfeld des Erwerbs kapitalbildender Lebens- und Rentenversicherungen im Sekundärpolicenmarkt tätig gewesen sei, wobei das ursprüngliche Geschäftsmodell darin bestanden habe, die Policen regelmäßig bis zu ihrem vertragsgemäßen Ende fortzuführen und dann gewinnbringend zu verwerten. Tatsächlich habe die Anlagegesellschaft ihr Hauptgeschäftsfeld aber jedenfalls seit den Geschäftsjahren 2009 und 2010 nicht mehr in der in den Lageberichten und in den Jahresabschlusserläuterungen beschriebenen Art und Weise verfolgt. Vielmehr haben diese ihr Geschäftsmodell systematisch dahin umgestellt, dass sie im Rahmen von sogenannten Eigengeschäften großvolumige fondsgebundene, gewöhnlich auf unternehmenszugehörige Personen lautende Lebens- und Rentenversicherungen erwarb beziehungsweise vermittelte. Diese Neuausrichtung der Geschäfte weg von Zweitmarktgeschäften mit gebrauchten klassischen Lebens- und Rentenversicherungen hatte zur Folge, dass diese Eigengeschäfte auf die Generierung zusätzlicher Provisionseinnahmen zielten, die allerdings aufgrund stornohaftungsähnlicher Vereinbarungen nur dann fließen, wenn die versicherungsnehmende Gesellschaft beziehungsweise Person finanziell in der Lage war, die vereinbarten hohen Versicherungsprämien aufzubringen. Die Vermittlungsgeschäfte „zu eigenen Gunsten‟ hätten eine erhebliche Verbreiterung der Bilanz durch die Aktivierung von Provisionserlösen ermöglicht, die Anlagegesellschaft habe jedoch nicht mehr von den angeblich günstigen Zugriffsmöglichkeiten auf klassische Zweitmarktpolicen mit deren idealem Investitionsumfeld profitieren können.

Der Beklagte habe die dargestellten Mängel der Lageberichte in den Geschäftsjahren 2009 und 2010 im Rahmen seiner Prüfertätigkeit auch erkannt, so dass beanstandungspflichtige Einwendungen im Sinne des § 289 Abs. 4 und Abs. 6 HGB vorlagen. Danach habe der Beklagte in bewusster Abweichung von eigenen Erkenntnissen und den erzielten Prüfungsergebnissen zu Unrecht testiert, dass die Lageberichte ein zutreffendes Bild von der Lage des Unternehmens vermittelten und die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung richtig dargestellt seien.

Dies rechtfertige die Annahme, dass der Beklagte im Sinne des § 826 BGB sittenwidrig gehandelt habe.

Im Bereich der Expertenhaftung für unrichtige Gutachten und Testate komme ein Sittenverstoß bei einer besonders schwer wiegenden Verletzung der einen Experten treffenden Sorgfaltspflichten in Betracht. Als sittenwidrig sei dabei zu beurteilen, dass der Auskunfterteilende aufgrund des Expertenstatus ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehme, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genüge. Der Sittenverstoß setze ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftgebers voraus. Diese allgemeinen Grundsätze der Expertenhaftung seien unmittelbar anwendbar, wenn – wie im Streitfall – einem Wirtschaftsprüfer angelastet wird, ein unrichtiges Testat erteilt zu haben. Die Vorlage eines unrichtigen Bestätigungsvermerks allein reiche dabei nicht aus. Erforderlich sei vielmehr, dass der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint.

Dies hat der BGH im vorliegenden Fall bejaht, da der Beklagte positive Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner Testierung gehabt habe. Dies ergebe sich daraus, dass  sich der Beklagte der Abhängigkeiten und Risiken durch das auf Eigengeschäften basierendem geänderten Geschäftsmodell der Anlagegesellschaft bewusst gewesen sei und sich damit die punktuelle Erwähnung einzelner Risiken ohne Zusammenhänge und Wechselwirkungen in den Lageberichten als offensichtlich unzureichend darstellte. Der Beklagte sei seiner gesetzlichen Verpflichtung als unabhängiger Experte nicht nachgekommen und habe die potentiellen Anleger in trügerischer Sicherheit gewogen, indem er die Risikodarstellung in den Lageberichten der Geschäftsjahre 2009 und 2010 beanstandungsfrei testiert habe. Dadurch sei es der Gesellschaft möglich gewesen, ihre nahezu einzige Refinanzierungsquelle – die Orderschuldverschreibungen – aufrecht zu erhalten. Bei der gebotenen Gesamtschau sei dieses Verhalten des Beklagten als gewissenlos und verwerflich zu bewerten, wobei das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, den Beklagten gerade auch in Bezug auf die arglos zeichnenden Anleger treffe.

Der BGH hat auch die Kausalität der Pflichtverletzung bejaht. Insoweit sei es irrelevant, dass der Kläger die Bestätigungsvermerke des Beklagten nicht eigenständig zur Kenntnis genommen habe, da die Zeichnung der Orderschuldverschreibungen über die Vermittlerin erfolgt sei, die eine prospektgestützte Beratung durchgeführt habe und Kenntnis von den Basisprospekten nebst Jahresabschlüssen, Lageberichten und Bestätigungsvermerken des Beklagten gehabt habe.

Insoweit greifen die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch Prospektfehler ein, die unabhängig davon gelten, ob das Schadensersatzbegehren auf vertragliche oder deliktische Ansprüche gestützt werde. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler auch ohne Kenntnisnahme des Prospekts durch den Anleger für die Anlageentscheidung ursächlich werde, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Fondsgesellschaft von den Anlagevermittlern als Arbeitsgrundlage verwendet werde, weil dann die Anleger auf andere als die im Prospekt genannten Risiken nicht hingewiesen werden könnten.

Es sei nicht erforderlich, dass der unrichtige Bestätigungsvermerk des Beklagten zum Scheitern der Anlage geführt habe, weil der Anlageentschluss des Anlegers regelmäßig das Ergebnis einer Gesamtentscheidung darstelle, bei der alle Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken der betreffenden Anlage gegeneinander abgewogen worden seien und durch unzutreffende Informationen des Prospekts in das Recht des Anlegers eingegriffen worden sei, in eigener Entscheidung und Abwägung darüber zu befinden, ob er in die Anlage investieren wolle oder nicht.

Eine Widerlegung der Vermutung für die Ursächlichkeit der fehlerhaften Bestätigungsvermerke im Prospekt käme nur dann grundsätzlich in Betracht, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hätte. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Auch wenn die Vermittlerin dem Kläger nicht alle in dem Prospekt aufgenommenen Einzelheiten mitgeteilt hatte und die Lageberichte und deren Bestätigungen durch den Beklagten nicht besprochen wurden, sei dennoch dieser Prospekt dem Vertriebskonzept entsprechend die Grundlage des Beratungsgesprächs und der Anlageentscheidung des Klägers gewesen.

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Anwaltshaftung: Gesamtschuldnerische Haftung innerhalb einer Partnergesellschaft

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 12.9.2019 — Aktenzeichen: IX ZR 190/18

Leitsatz
War ein Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, endet seine Mithaftung nicht mit der Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschaftsgesellschaft.

Sachverhalt
Die Klägerin ließ sich von einer Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft in einer Bausache bearbeiten. Zunächst wurde das Mandat von Rechtsanwalt A bearbeitet. Dieser riet der Klägerin von einer Klage ab. Dann übernahm innerhalb der Kanzlei Rechtsanwalt B die Bearbeitung des Mandats. Nach unter Beweis gestellter Darstellung der Klägerin hatte Anwalt A der Klägerin zuvor versichert, er werde die Arbeit des Anwalts B überwachen. Die im Juli 2011 erhobene Klage in der Bausache blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg.

Die Klägerin hat beiden Beklagten eine unsachgemäße Prozessführung im Vorprozess vorgeworfen und Schadensersatz wegen der aufgewandten Prozesskosten verlangt. Ihre Klage hatte vor dem Landgericht und OLG keinen Erfolg. Das OLG Koblenz hat allerdings die Revision hinsichtlich Anwalt A zugelassen. Das OLG Koblenz hat insoweit ausgeführt, Anwalt A habe zutreffend von der Erhebung der Klage im Vorprozess abgeraten. Danach sei er nicht mehr mit der Angelegenheit befasst gewesen. Für etwaige Fehler bei der Bearbeitung des Mandats durch Anwalt B hafte er nicht. Dies folge unmittelbar aus § 8 Abs. 2 PartGG.

Entscheidung
Die Entscheidung hatte vor dem BGH keinen Bestand. Dieser hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das OLG Koblenz zurückverwiesen.

Der BGH sah die tatsächlichen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 8 Abs. 2 PartGG als nicht erfüllt an.

Sind nur einzelne Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, so haften nur sie für berufliche Fehler neben der Partnerschaft; ausgenommen sind Bearbeitungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung (§ 8 Abs. 2 PartGG). Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 PartGG begründet, so der BGH, nicht die Haftung des einzelnen Partners, sondern schränkt sie ein. Sie setzt die Bearbeitung des Auftrags durch einen oder mehrere Partner voraus und besagt, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzung diejenigen Partner, die nicht oder nicht wesentlich mit dem Mandat befasst waren, nicht haften. Sinn der in § 8 Abs. 2 PartGG angeordneten Haftungsbeschränkung ist es, den betroffenen Angehörigen der freien Berufe Planungssicherheit zu vermitteln und ihre jeweiligen Haftungsrisiken kalkulierbar zu machen (BT-Drucks. 13/9820, S. 21). Das Haftungsrisiko der Partner, die mit der Sache nicht befasst waren, soll eingeschränkt werden.

Voraussetzung einer Haftungsbeschränkung gemäß § 8 Abs. 2 PartGG ist danach aber, dass der in Anspruch genommene Partner nicht mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war oder nur einen Bearbeitungsbeitrag von untergeordneter Bedeutung geleistet hat. Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Anwalt A hatte den von der Klägerin erteilten Auftrag selbst bearbeitet. Er hat die Erfolgsaussichten der von der Klägerin beabsichtigten Klage geprüft und von der Erhebung einer entsprechenden Klage abgeraten. Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass es unerheblich ist, ob sein Rat, keine Klage zu erheben, der Sach- und Rechtslage entsprach und ob er danach nicht mehr, auch nicht beratend oder überwachend, in der fraglichen Bausache tätig geworden ist. Ein Ende der Haftung eines Partners mit Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschaftsgesellschaft und eine gesonderte Prüfung ordnet § 8 Abs. 1 und Abs. 2 PartGG nämlich nicht an. Für eine entsprechende teleologische Reduktion der Vorschrift sieht der BGH keinen Anlass. Der BGH hatte es mit Urteil vom 19. November 2009 bereits abgelehnt, die Haftung gemäß § 8 Abs. 2 PartGG auf Berufsfehler zu beschränken, die sich zugetragen haben, während der in Anspruch genommene Partner der Partnerschaft angehörte. Nichts anderes gilt nun für Fehler, die nach Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschaft geschehen sind. Wer den Fehler intern begangen hat, können schon die Partner oft nicht leicht erkennen. Umso mehr gilt dies für den geschädigten Mandanten. Da der Gesetzgeber eine einfache und unbürokratische gesetzliche Regelung der Handelndenhaftung schaffen wollte, darf der Mandant denjenigen Partner in Anspruch nehmen, der sich – für ihn erkennbar – mit seiner Sache befasst hat.

Darüber hinaus haftet Anwalt A nach dem Vortrag der Klägerin auch deshalb, da er ihr versichert habe, dass er die Arbeit von Anwalt B überwachen werde. Damit blieb er mit dem Fall befasst.

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Überwachungspflichten des Rechtsanwalts bei Rechtsmitteleinlegung über das besondere elektronische Anwaltspostfach

Simone EibenSimone Eiben

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.08.2019 — Aktenzeichen: 2 M 58/19

Leitsatz
Will ein Rechtsanwalt dem Gericht einen fristgebundenen Schriftsatz im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermitteln, muss das Ausbleiben einer automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO ihn zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung des Schriftsatzes veranlassen.

Sachverhalt
Der Prozessbevollmächtige der Antragstellerin hatte am letzten Tag der Beschwerdefrist versucht, den Beschwerdeschriftsatz vom selben Tag an das Oberverwaltungsgericht auf elektronischem Weg zu übersenden. Die Beschwerdeschrift ging jedoch nicht fristgemäß beim OVG Sachsen-Anhalt ein.

Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin macht geltend, er habe am 29.05.2019 den Beschwerdeschriftsatz vom selben Tag um 15.56 Uhr über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) gesendet. Unmittelbar danach habe er eine optische Bestätigung („Nachricht wurde erfolgreich versendet“) der beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware erhalten. Darüber hinaus sei der Beschwerdeschriftsatz auch nicht mehr im Postausgang der beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware angezeigt worden, so dass er davon habe ausgehen können, dass der Beschwerdeschriftsatz erfolgreich versendet worden sei. Gleiches ergebe sich aus dem Prüfprotokoll vom 31.05.2019, welches ausweise, dass der Beschwerdeschriftsatz am 29.05.2019 um 15.55 Uhr auf dem beA-Server eingegangen sei. Am 07.06.2019 habe er beim Öffnen der elektronischen Akte zur Fertigung der Beschwerdebegründung festgestellt, dass von dem Server des beA der Beschwerdeschriftsatz nicht an die beA-Schnittstelle des Oberverwaltungsgerichts weitergeleitet, sondern stattdessen am 07.06.2019 an seine beA-Schnittstelle der Kanzleisoftware zurückgesandt worden sei. Aus einer Störungs- und Ausfalldokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer ergebe sich ferner, dass es am 29.05.2019 beim beA in der Zeit zwischen 15.45 Uhr und 19.20 Uhr Anmeldeprobleme und in der Zeit zwischen 23.00 Uhr bis 16.30 Uhr am 02.06.2019 Anmeldeprobleme und Sessionsabbrüche gegeben habe.

Der Rechtsanwalt hat einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Entscheidung
Das OVG hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt. Ein fehlendes Verschulden sei nicht dargetan.

Das OVG hat ausgeführt, dass ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zwar sei ein Rechtsanwalt, der regelmäßig in besonderem Maße eine hinreichend sichere Ausgangskontrolle gewährleisten müsse und diese Verpflichtung im konkreten Fall erfüllt habe, grundsätzlich nicht gehalten, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen. Nur wenn ein konkreter Anlass vorliege, könne eine Nachfragepflicht begründet sein. Ein solcher Anlass sei – um die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten nicht zu überspannen und den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren – regelmäßig noch nicht allein aus der Tatsache abzuleiten, dass vor Fristablauf keine entsprechende Nachricht des Gerichts eingegangen ist. Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze im elektronischen Rechtsverkehr müsse der Rechtsanwalt aber kontrollieren, ob er eine automatische Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO erhalten habe.

Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs seien Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO unabdingbar. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprächen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier sei es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies könne ohne weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55 Abs. 5 Satz 2 VwGO erfolgen. Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen sei, schicke dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Hieran habe sich mit Einführung des beA nichts geändert, die Eingangsbestätigung werde vom EGVP an das beA versandt. Die Eingangsbestätigung solle dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BT-Drs. 17/12634, S. 26 zum gleichlautenden § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO). Habe der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, bestehe damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben müsse den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen.

Da im zu entscheidenden Fall eine solche Kontrolle des Zugangs der Eingangsbestätigung seitens des Rechtsanwalts nicht durchgeführt worden war, war dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben.

Hinweis

Im Zivilprozess gelten die gleichen Pflichten, vgl. § 130a Abs. 5 ZPO.

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IRR-Methode kein Prospektfehler und weiteres zur Anlageberaterhaftung vom BGH

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 15.08.2019 — Aktenzeichen: III ZR 205/17

Leitsatz
1. Zur ordnungsgemäßen Risikoaufklärung des Anlegers bei der Zeichnung von Beteiligungen an geschlossenen Fonds und der diesbezüglichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.

2. Verlangt der Anleger den Ersatz entgangener Anlagezinsen, so muss er darlegen, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich alternativ entschieden hätte (Bestätigung von Senat, Urteil vom 16. Mai 2019 – III ZR 176/18, WM 2019, 1203, 1207 Rn. 30 und Anschluss an BGH, Urteil vom 24. April 2012 – XI ZR 360/11, NJW 2012, 2266 Rn. 13).

3. Zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Sachverhalt
Die Klägerin hat die Beklagte teils aus eigenem Recht, teilt aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung in Anspruch genommen. Die Klägerin hat sich an insgesamt neun verschiedenen Fonds beteiligt. Im Prozess hat sie geltend gemacht, sie sei weder anleger- noch anlagegerecht beraten worden
Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen; das OLG der Klage teilweise stattgegeben.

Entscheidung
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Im Rahmen seiner Entscheidung hat sich der BGH mit einigen seit langem in der Rechtsprechung diskutierten Fragen auseinandergesetzt und hierzu folgende Entscheidungen getroffen:

  1. Zur Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, die Emissionsprospekte seien nicht rechtzeitig übergeben worden:
    Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH trägt derjenige, der eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung behauptet, hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt sodann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft. Dementsprechend trägt der Anleger für seine Behauptung, der Emissionsprospekt sei nicht rechtzeitig übergeben worden, die Darlegungs- und Beweislast. Räumt der Anleger die erfolgte Übergabe des Emissionsprospektes ein, behauptet jedoch, die Übergabe sei nicht rechtzeitig erfolgt, handelt es sich hierbei – anders als im Fall der Behauptung der unterbliebenen Übergabe – um die Behauptung einer positiven Tatsache (betreffend den Zeitpunkt der Übergabe). Deren Darlegung ist dem Anleger grundsätzlich möglich und zumutbar.
    Hat die darlegungsbelastete| Partei die von ihr darzulegende Tatsache substantiiert behauptet, hat die sodann erklärungsbelastete Gegenpartei – soll ihr Vortrag beachtlich sein – die Behauptung grundsätzlich ebenfalls substantiiert, d. h. mit näheren positiven Angaben, zu bestreiten. Mit einem bloß schlichten Bestreiten darf sie sich regelmäßig nicht begnügen. Die Verpflichtung zu einem substantiierten Gegenvortrag setzt indes voraus, dass ein solches Vorbringen der erklärungsbelasteten Partei möglich und zumutbar ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich die behaupteten Umstände in ihrem Wahrnehmungsbereich verwirklicht haben. Die Maßgaben der Möglichkeit und Zumutbarkeit des bestreitenden Gegenvorbringens gelten insbesondere auch für die Darlegung, wann und unter welchen Umständen ein Anlageprospekt übergeben worden ist.
    Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte behauptete, die Emissionsprospekte seien der Klägerin mindestens zwei Wochen vor Zeichnung von der Beraterin übergeben worden. Insbesondere unter Berücksichtigung, dass die vormalige Beraterin nicht mehr als Mitarbeiterin oder Handelsvertreterin für die Beklagte tätig war und damit der Beklagten auch nicht (mehr) näher stand als der Klägerin, hat der BGH den entsprechenden Vortrag der Beklagten als ausreichend erachtet. Die Beklagte hatte an die vormalige Beraterin schriftliche Anfragen zu Inhalt und Ablauf der Beratungsgespräche gestellt, die diese jedoch nicht beantwortet hatte. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass ein darüber hinausgehendes Vorgehen, etwa unter Hinweis auf eine nachwirkende Auskunftspflicht oder auf bei Nichterfüllung dieser Pflicht beruhende Schadensersatzansprüche, der Beklagten nicht zumutbar sei. Solche Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhaltes, verbunden möglicherweise mit ihrer langwierigen prozessualen Durchsetzung und deren nicht absehbarem Erfolg, können von dem Gegner einer darlegungs- und beweisbelasteten Partei auch in Abwägung mit deren Interessen nicht gefordert werden
    Diese Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast hatte das Berufungsgericht nicht beachtet, sondern die Behauptung der Klägerin, die Prospekte seien erst am jeweiligen Zeichnungstag übergeben worden, rechtsfehlerhaft als unstreitig, weil von der Beklagten nicht erheblich bestritten, zugrunde gelegt.
  2.  Der BGH hat des Weiteren die bisherige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, dass es sich bei der internen Zinsfußmethode (IRR-Methode) um einen vertretbaren Weg der Renditeberechnung handelt, bestätigt. Den Aufklärungspflichten eines Anlageberaters ist daher genügt, wenn auf die Besonderheiten dieser Berechnungsmethode, insbesondere auf die mangelnde Vergleichbarkeit mit Renditeangaben von einfacher strukturierten Anlagen (z. B. Spareinlagen oder festverzinslichen Wertpapieren), im Emissionsprospekt hingewiesen wird (sofern dieser rechtzeitig vor Zeichnung übergeben wird)
  3. Der BGH hat des Weiteren entschieden, dass maßgeblich für eine ordnungsgemäße Aufklärung über die Blind-Pool-Risiken ist, dass dem Anleger verdeutlicht wird, dass noch nicht feststeht, in welche konkreten Sachanlagen und Projekte investiert wird und welche Nachteile dem Anleger hieraus erwachsen können.
  4. Hinsichtlich eines Fonds hatte die Beklagte der Klägerin den Emissionsprospekt übergeben und 10 Tage später hatte der Ehemann der Klägerin die Zeichnung der Anlage vorgenommen. Der BGH hat entschieden, dass bei dieser Sachlage der Anlageberater berechtigterweise annehmen darf, dass der Ehemann der Klägerin ausreichend Gelegenheit zur Prospekttüre hatte. Es erscheint lebensnah, dass ein Ehemann, der an dem Zeichnungs-/Beratungstermin teilnimmt, in dem die Prospektübergabe an seine Ehefrau stattfindet, und sich 10 Tage später zur Zeichnung derselben Beteiligung entschließt, dies aufgrund der teilgehabten Beratung tut. Im Übrigen habe der Ehemann mit der Unterzeichnung des Beraterbogens zum Ausdruck gebracht, dass er die Beratung sowie die Prospektübergabe auch für sich gelten lassen wolle. Darauf, ob er den Prospekt tatsächlich gelesen habe, komme es hingegen nicht an. Es liege im Verantwortungsbereich des Anlegers zu entscheiden, ob er den Prospekt innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden – ausreichenden – Zeit zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Nimmt er die Informationen nicht zur Kenntnis, geht dies zu seinen Lasten.
  5. Hinsichtlich geltend gemachter Ansprüche auf Ersatz von Zinsausfallschäden hat der BGH nochmals klargestellt, dass hierzu Vortrag erforderlich ist, für welche konkrete Form der Kapitalanlage sich die Klagepartei sonst entschieden hätte.
  6. Auch zur Entstehung außergerichtlicher vorprozessuale Anwaltskosten hat der BGH nochmals klargestellt, dass die Frage, ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats ist. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtlicher Einigungsversuche erfolglos bleiben.
    Im vorliegenden Fall hatte die dortige Klägerin bereits eine Vollmacht erteilt, die ausdrücklich auch die Prozessführung umfasste. Der BGH sah damit für das Entstehen einer Geschäftsgebühr keinen Raum mehr

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Verjährung im Rahmen der Steuerberaterhaftung

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 25.10.2018 — Aktenzeichen: IX ZR 168/17

Leitsatz
1. Der Mandant hat in der Regel keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von Schaden und Schädiger, wenn der von ihm beauftragte Steuerberater, gegen den sich der Anspruch richtet, die in einem Steuerbescheid oder einem Schreiben des Finanzamts enthaltene Rechtsansicht als unrichtig bezeichnet und zur Einlegung eines Rechtsbehelfs rät.

2. Der Mandant muss sich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis eines Rechtsanwalts zurechnen lassen, den er mit der Durchsetzung des Ersatzanspruchs gegen einen früheren Berater beauftragt hat. Eine Zurechnung kommt regelmäßig auch dann in Betracht, wenn der Mandant den Rechtsanwalt mit der Fortsetzung oder Überprüfung des dem späteren Anspruchsgegner erteilten Mandats beauftragt hat.

Sachverhalt
Der abhängig beschäftigte Kläger hat dem beklagten Steuerberater vorgeworfen, den Kläger im Jahre 2002 im Zusammenhang mit der Neugründung eines Gewerbes unrichtig beraten zu haben. Der Steuerberater hätte ihn nicht auf die Gefahr der Nichtanerkennung des Gewerbebetriebes und der daraus folgenden fehlenden Möglichkeit einer Verrechnung der Verluste mit anderweitigen Einnahmen hingewiesen.

In der ersten Hälfe des Jahres 2002 beauftragte der Kläger den Beklagten mit der Erstellung der Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen. Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2008 erkannte das Finanzamt den Gewerbebetrieb nicht mehr als solchen an. Der Einspruch des Klägers gegen die geänderten Bescheide blieb im Ergebnis erfolglos. In einem Schreiben aus 2009 teilte das Finanzamt dem Kläger mit, dass es keine Möglichkeit sehe, den Einsprüchen zu entsprechen. Im Jahr 2013 ließ der zwischenzeitlich anderweitig vertretene Kläger den Anspruch zurücknehmen. Die am 29.12.2014 bei Gericht eingegangenen Klage gegen den Steuerberater, die am 09.01.2015 zugestellt wurde, wurde in I. und II. Instanz abgewiesen. Sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht haben einen etwaigen Schadensersatzanspruch wegen des unterbliebenen Hinweises auf die Gefahr der Nichtanerkennung des Gewerbebetriebes für verjährt gehalten. Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, der Schaden sei mit der Zustellung der belastenden Steuerbescheide eingetreten. Spätestens in 2009 habe sich der Kläger auch in grob fahrlässiger Unkenntnis über die anspruchsbegründenden Umstände befunden. Er habe aufgrund der Steuerbescheide und des Schreibens des Finanzamtes aus August 2009 gewusst, dass das Finanzamt die Voraussetzungen für eine Verrechnung der Verluste nicht für gegeben erachtet. Dass der Beklagte zur Einlegung der Einsprüche gedrängt und die Rechtsansicht des Finanzamtes für falsch erhalten habe, ändere hieran nichts, weil der Beklagte sich schon während des Einspruchsverfahrens anwaltlicher Hilfe und Beratung bedient habe.

Entscheidung
Der BGH hat das OLG-Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Schadensersatzansprüche gegen den Steuerberater wegen fehlerhafter Beratung verjähren nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 194 ff. BGB in drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den der Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Nach Auffassung des BGH lag eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände seitens des Klägers nicht bereits im Jahr 2009 vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH liege eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht schon dann vor, wenn dem Gläubiger Umstände bekannt werden, nach denen zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist. Gehe es um die Haftung eines Rechtsberaters, müsse der Mandant nicht nur die wesentlichen tatsächlichen Umstände kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn – gerade wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren. Für ein fehlerhaftes Verhalten des Anwalts sei aus der Sicht des Mandanten regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt werde und der Anwalt gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertrete, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Mandant dürfe sich darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Anwalt die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilten Rechtsrat zutreffend ist. Dem Mandanten obliege es nicht, den Anwalt zu überwachen oder dessen Rechtsansichten durch einen weiteren Rechtsberater überprüfen zu lassen. Rät der Berater zur Fortsetzung des Rechtsstreits, habe der Mandant in der Regel sogar dann keine Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit des Beraters, wenn das Gericht und der Gegner vorher auf eine Fristversäumung hingewiesen haben.

Neu hat der BGH entschieden, dass nichts anderes für die Haftung eines Steuerberaters gelte. Ein nachteiliger Steuerbescheid oder eine Mitteilung des Finanzamtes vermittle keine Kenntnis der steuerrechtlichen Lage, wenn der vom Mandanten beauftragte Steuerberater, gegen den sich der Schadensersatzanspruch richte, die im Bescheid oder Schreiben vertretene Ansicht als unrichtig bezeichnet und zur Einlegung eines Rechtsbehelfes rät. Auch in so einem Fall könne vom Mandanten regelmäßig nicht erwartet werden, einen weiteren Steuerberater zu beauftragen, um die Richtigkeit der Auskünfte und Empfehlungen seines Beraters zu überprüfen.

Der BGH hat allerdings des Weiteren ausgeführt, dass bezüglich des Vorliegens der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis eine Zurechnung des Wissens eines anwaltlichen Beraters auch im Bereich der Haftung des Rechtsanwalts oder Steuerberaters in Betracht komme. Dies setze jedenfalls eine Beauftragung des neuen Rechtsanwalts voraus. Erst ab diesem Zeitpunkt könnten Kenntnisse oder grob fahrlässige Unkenntnisse des neuen Beraters zugerechnet werden. Ferner müsse es sich um Kenntnisse handeln, welche der anwaltliche Berater im Rahmen des erteilten Auftrages erlangt oder verwertet bzw. grob fahrlässig nicht erlangt und nicht verwertet, obwohl ihm dies rechtlich möglich und zumutbar gewesen wäre. Derartige Kenntnisse werden, so der BGH, jedenfalls dann zugerechnet, wenn der neue Anwalt mit der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen den früheren Berater beauftragt wird. Ferner komme eine Zurechnung in Betracht, wenn der Anwalt mit der Fortführung oder Überprüfung des ersten, dem späteren Anspruchsgegner, erteilten Mandats beauftragt werde, auf welchem der Schadensersatzanspruch beruhe.

Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zu diesem Punkt getroffen hat, hat der BGH das Verfahren an das OLG Bamberg zurückverwiesen.

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