Abrechnung auf Gutachtenbasis – auch im Baurecht?

OLG Hamm, Urteil vom 11.5.2015 — Aktenzeichen: 17 U 189/13

Bauprozesse werden formal zwar von Richtern, häufig aber von Sachverständigen entschieden, die am Ende festlegen, welchen Aufwand man zur Schadens- oder Mangelbeseitigung betreiben muss. Wird etwa ein Architekt wegen Planungs- oder Bauleitungsfehlern oder ein Unternehmer wegen Ausführungsfehlern auf Schadensersatz in Anspruch genommen, lohnt es bisweilen, den sachverständigenseits festgestellten Schadensbeseitigungsaufwand zu hinterfragen. Denn regelmäßig schätzt der Sachverständige, so dass ein Schaden nur an der unteren Grenze des Schätzungsspielraums festgestellt werden kann.

Leitsatz
Der Schadensersatzanspruch beschränkt sich auf den Betrag, der als Mindestschaden sicher feststellbar ist. Erklärt der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Anhörung, dass die von ihm angesetzten Preise eine Schwankungsbreite von 10 % enthalten, wäre es möglich, dass die zur Mängelbeseitigung erforderlichen Arbeiten um diese 10 % günstiger in Auftrag gegeben werden können. Nur in diesem Umfang kann ein Schädiger zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden.

Sachverhalt
Ein Dachdecker wird auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil das errichtete Dach mangelbehaftet sei. In dem dem Zahlungsklageverfahren vorgeschalteten Beweisverfahren ermittelte der gerichtlich bestellte Sachverständige einen Schadensbeseitigungsaufwand von 108.693,13 Euro netto.

Diesen Betrag klagte die Auftraggeberin noch vor Durchführung der Sanierung gegen den Dachdecker ein.

Der zum Verhandlungstermin geladene Sachverständige erläuterte sein Gutachten und wies auf Frage des Dachdeckers darauf hin, dass die von ihm bei der Festlegung des Schadensbeseitigungsbetrag angesetzten Preise eine Schwankungsbreite von 10 % aufwiesen.

Entscheidung
Das OLG konnte daher nur einen um 10 % reduzierten Schadensersatz ausurteilen. Denn es wäre ja möglich, dass die Sanierung am Ende auch nur so viel koste.

Anders als beim Vorschussanspruch, über den nach Sanierung bekanntlich abgerechnet werden muss (d.h. ggf. zu viel bezahlte Beträge sind zu erstatten), erfolgt beim Schadensersatz keine Abrechnung. Der Geschädigte darf den als Schadensersatz ausgeurteilten Betrag vielmehr behalten. Deshalb darf nur derjenige Schaden „ausgeurteilt“ werden, von dem sicher gesagt werden kann, dies sei der Mindestschaden. Der Geschädigte ist auch nicht schutzlos; denn er kann ja durch einen entsprechenden Antrag vom Gericht feststellen lassen, dass der Schädiger auch darüber hinaus ersatzpflichtig sei.

Regelmäßig schätzen die Sachverständigen den Schadensbeseitigungsaufwand. Die Schätzung enthält teilweise deutliche Schwankungsbreiten; teilweise bestätigt der Gutachter, dass theoretisch — je nach Marktsituation und Anbieter — die Sanierung nur die Hälfte kosten kann oder auch doppelt so teuer werden kann. Schwankungsbreiten von 25 bis 33 % sind keine Seltenheit. Bezeichnenderweise billigt die Rechtsprechung einem Architekten, der gegenüber einem Auftraggeber verpflichtet ist, die Kosten dessen Bauvorhabens zu schätzen, aber kein Hellseher ist, einen Toleranzrahmen in diesem Umfang zu. Daran orientieren sich viele Gutachter.

So kann auch ein Schädiger in einem vermeintlich aussichtslosen Prozess doch noch punkten.

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