§ 116 SGB X: Regressanspruch des Träges einer Rehabilitationseinrichtung

BGH, Urteil vom 27.1.2015 — Aktenzeichen: VI ZR 54/14

Wann und unter welchen Voraussetzungen beginnt die Leistungszuständigkeit des Rehabilitationsträgers einer Behindertenwerkstatt und damit auch seine Regressmöglichkeit nach § 116 Abs. 1 SGB X? Sind dessen Aufwendungen überhaupt übergangsfähige kongruente Sozialversicherungsleistungen? Der BGH klärt auf…

Leitsatz
1. Eine mit einem Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X verbundene Leistungszuständigkeit kann sich auch daraus ergeben, dass ein Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX mangels Weiterleitung des Antrages gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX im Außenverhältnis gegenüber dem betroffenen behinderten Menschen leistungszuständig geworden ist.

2. Der Rehabilitationsträger kann wegen der Beiträge, die er gem. § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V für den geschädigten behinderten Menschen dem Träger der Einrichtung zu erstatten hat, nach § 116 Abs. 1 SGB X Rückgriff bei dem zum Ersatz des Verdienstausfalls verpflichteten Schädiger nehmen, wenn der Geschädigte vor dem schädigenden Ereignis in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen ist oder ohne den Unfall pflichtversichert geworden wäre.

Sachverhalt
Das klagende Land als Sozialhilfeträger verlangt von der Beklagten als Haftpflichtversicherung aus übergegangenem, hilfsweise aus übergeleitetem Recht des Geschädigten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall aus dem Jahr 1986. Die zuständige Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall als Wegeunfall an. Bereits 1989 schlossen der Geschädigte und die Beklagte einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich die Beklagte unter anderem verpflichtete, dem Geschädigten 50 % aller nachgewiesenen zukünftigen materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen waren.

Ohne zu wissen, dass der Behinderung des Geschädigten ein Wegeunfall zugrunde lag, gewährte der Kläger ab 2002 Sozialhilfe in Gestalt von Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen. In den Jahren 2008 bis 2011 erbrachte der Kläger Leistungen in Höhe von insgesamt 59.980,76 €, wovon 6.155,06 € auf dem Träger der Werkstatt erstattete KV-Beiträge entfallen.

Das Landgericht hat der auf hälftige Erstattung des Betrags von 59.980,86 € nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung
Das angefochtene Urteil hielt vor dem BGH nicht stand:

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen die Beklagte gemäß § 116 Abs. 1 SGB X in Höhe der Maßnahmekosten auf das klagende Land als Träger der Rehabilitationsmaßnahme nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX übergegangen.

Nach dieser Norm hat der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags festzustellen, ob er für die Leistung zuständig ist. Stellt er seine Unzuständigkeit fest, hat er nach Satz 2 der Vorschrift den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Träger zuzuleiten. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, hat der angegangene Träger gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen.

Sinn dieser Regelung sei es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und den Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit schnell und dauerhaft zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken. Durch die genannten Bestimmungen werde eine im Außenverhältnis zum Antragsteller verbindliche Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers geschaffen, der den Antrag nicht fristgerecht an einen anderen Träger weitergeleitet hat. In diesem Fall sei der erstangegangene Träger unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Leistungszuständigkeit verpflichtet, Leistungen auf Grund aller Rechtsgrundlagen zu erbringen. Diese Zuständigkeit sei eine ausschließliche — wenn materiell-rechtlich eigentlich ein anderer Rehabilitationsträger zuständig sei, verliere dieser im Außenverhältnis zum Antragsteller seine Entscheidungsbefugnis

Ein Anspruch auf Ersatz der dem Träger der Werkstatt vom Kläger hier gemäß § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V erstatteten Krankenversicherungsbeiträge stehe dem Kläger jedoch nur zu, wenn der Geschädigte durch den Unfall seine krankenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit verloren habe. Dann diente die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge durch den Kläger der weiteren Aufrechterhaltung des dem Geschädigten als Pflichtversicherten zustehenden Schutzes der gesetzlichen Krankenversicherung. Dem Geschädigten könntee insoweit ein Schadensersatzanspruch erwachsen sein, der durch die Zahlung der Beiträge ausgeglichen worden ist. Dies setzt voraus, dass ein entsprechender Verdienstausfall entstanden ist; was in Ermangelung diesbezüglicher Feststellungen vom BGH nicht beurteilt werden konnte. Das Urteil wurde insoweit zurückverwiesen.

Der BGH führt jedoch aus, dass es sich bei den Erstattungen gemäß § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V grundsätzlich um Sozialleistungen im Sinne des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X handle. Die Erstattungszahlungen dienten der Verwirklichung sozialer Rechte im Sinne der §§ 3 ff. SGB I und zielten nicht auf die Bereicherung des Einrichtungsträgers, wie die Gegenseite vortragen ließ.

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