§ 110 SGB VII: Grobe Fahrlässigkeit

BGH, Urteil vom 18.2.2014 — Aktenzeichen: VI ZR 51/13

Leitsatz
1. Von den für die Sicherheit der Beschäftigten auf einer Arbeitsstelle Verantwortlichen ist die Kenntnis der zu beachtenden Sicherheitsbestimmungen zu fordern.

2. § 6 Abs. 3 GUV-V C 22 (Standsicherheit von Gräben) hat elementare Sicherungspflichten zum Inhalt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befassen.

3. Die mangelnde Kenntnis dieser Norm ist ein für die Beurteilung des Verschuldensgrades wesentlicher Umstand.

Sachverhalt
Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, nahm die Beklagte auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls des bei ihr versicherten Sch. entstanden sind. Die Beklagte, die Leiterin des Stadtbauhofes der Stadt R. war, teilte den im Rahmen eines 1 €-Jobs als Hilfsarbeiter zugewiesenen Sch. dazu ein, einen Graben, den der Baggerfahrer B. ausheben sollte, von Hand nachzuschachten. Der Graben war ca. 1,80 m tief, am Boden 0,70 m und an der oberen Erdkante 1,80 m breit. Eine Sicherung gegen nachrutschendes Erdreich war nicht vorhanden. Als Sch., der über eine Leiter in den Graben gestiegen war, dort arbeitete, löste sich ein Erdbrocken, der Sch. unter sich begrub. Sch. wurde schwer verletzt.

Der Klägerin behauptet, die Beklagte habe grob fahrlässig versäumt, gem. § 6 Abs. 3 GUV-V C 22 für die gebotene Absicherung des Grabens gegen abrutschendes Erdreich zu sorgen.

Entscheidung
Der BGH hat das Vorliegen grober Fahrlässigkeit und damit einen Anspruch aus § 110 SGB VII bejaht:

Der BGH bestätigt zunächst seine ständige Rechtsprechung, nach welcher grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraussetze. Diese Sorgfalt müsse in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertige für sich allein jedoch noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflege. Vielmehr sei eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliege, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreite.

Allerdings sei nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften schon als ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne des § 110 SGB VII zu werten. Vielmehr sei auch dann, wenn solche Verstöße gegen Sorgfaltsgebote vorliegen würden, eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die auch die weiteren Umstände des Einzelfalles einzubeziehen seien. So komme es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasse und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt habe. Auch spiele insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen habe, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren.

Der hier einschlägige § 6 Abs. 3 GUV-V C 22 (Standsicherheit von Gräben) habe elementare Sicherungspflichten zum Inhalt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befassten. Die mangelnde Kenntnis dieser Norm auf Seiten der Beklagten ist ein für die Beurteilung des Verschuldensgrades wesentlicher Umstand.

Der BGH hat demnach das Berufungsurteil aufgehoben und an die Vorinstanz zurückverwiesen, da die Frage eines MItverschuldens der Sch. nicht erörtert worden sei. Ob von einem 1 €-Jobber allerdings erwartet werden könne, dass er den letztlich falschen Anweisungen ihm sachkundig erscheinender Personen nicht Folge leistet, sieht der BGH skeptisch.

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